17.05.2023

Zensur 3.0 – die nächste Stufe

Wenn selbst Druckereien die Dienstleistung verweigern.


Inhalt
Zensur hat viele Stufen
Zensur 3.0
Meine Erwiderung


Zensur hat viele Stufen

Die Zensur meiner Bücher durch eine ausgesprochene Autorenplattform wie ,epubli’, die sich nicht einmal wie ,Books on Demand’ als ,Verlag’ versteht, zeigt bereits, wo geistige Diktatur und Angst inzwischen angekommen sind.

Wenn Verlage Manuskripte ablehnen, können sie sich auf ihre eigenen Programme und Ausrichtung berufen.

Wenn ,Books on Demand’, wo ein Autor fast alles veröffentlichen kann, ein Buchprojekt ablehnt, so ist dies bereits fragwürdig, aber auch jederzeit mit schwammigen Hinweisen auf die ,Grundsätze unseres Unternehmens bzw. unserer Vertriebspartner’ möglich. Die ,Vertriebspartner’ (vielleicht Bestell-Webseiten? Amazon?) sind ,Books on Demand’ also wichtiger als die Autoren selbst – entgegen vollmundiger Werbung, man könne bei ,Books on Demand’ jederzeit sein Buchprojekt verwirklichen.

Noch grenzenlos fragwürdiger wird es, wenn eben eine regelrechte Autorenplattform, bei der wirklich alle Rechte am Manuskript beim Autor bleiben, der auch selbst als Verlag fungiert, wenn also selbst eine solche Plattform Bücher wieder ,depubliziert’, also löscht, und das gesamte Kundenkonto des Autors kündigt.

Hier rede dann noch einer davon, dass es keine Zensur gibt! Aber, so die scheinheiligen Einwände, man könne ja seinen eigenen Verlag gründen! Richtig – der Staat zensiert die Bücher nicht. Man kann jederzeit mit ungeheuerlichem Aufwand seinen eigenen Verlag gründen! Während ,Books on Demand’, ,epubli’ und andere Anbieter sonst alles veröffentlichen, von Krimis über Horror, Sex und Gewalt bis hin zu anderen geschmacklosesten Produkten – interessiert alles nicht! Alles in Ordnung und ganz nach Belieben des Autors, der so was eben publizieren will. Aber die Begegnung zwischen einem Mann und einem Mädchen ... das geht nicht! Egal, wie zärtlich es auch wäre – nein, das geht nicht. Auch hier zensiert der Staat nicht, diese Begegnungen sind völlig legal. Aber wir reden hier von fiktiver Literatur!

Es werden also künstlerische Werke und eigenständige Schöpfungen unterdrückt. Es existiert damit längst eine massive Zensur geistiger Werke – ohne jede echte Begründung!

Aber die heuchlerische Begründung ist ja – man könne jederzeit seinen ,eigenen Verlag’ gründen, es hindere einen niemand daran. O, wie selbstgerecht ist diese moderne, hässliche Cancel-Kultur!

Der nächste Schritt ist nun, dass selbst Druckereien Aufträge stornieren und Kundenkonten kündigen. Während sie also alles Mögliche drucken – vielleicht die Hochglanzbroschüre eines Ausbeuterunternehmens oder Rüstungskonzerns, brutale Krimis, Horror-Romane oder Gewaltphantasien (wozu soll eine Druckerei sich hier auch positionieren) –, wird die schlichte Dienstleistung verweigert, sobald es um die fiktive Darstellung einer zärtlichen Begegnung und Annäherung zwischen einem Mann und einem Mädchen geht. Und damit sind wir bereits bei einer extremen Stufe der Zensur angekommen. Denn was soll ein Verlag dann noch tun?

Bücher, die der Buchhandel problemlos anbieten würde, weil sie gegen keinerlei Gesetz verstoßen, nicht einmal ein Verbrechen schildern, sondern nur die Annäherung eines Mannes und eines Mädchens ... literarisch-künstlerische Schöpfungen können nicht im Buchhandel erscheinen, weil heutzutage bereits Druckereien die Dienstleistung verweigern. Nur bei diesem ,Thema’! Welch ein Wahnsinn...

Im Folgenden dokumentiere ich das Geschehen.

Zensur 3.0

Die Druckerei sandte mir unerwartet eine Standard-E-Mail, dass sie meinen Auftrag einer Kleinstauflage ,wie von Ihnen gewünscht [...] für Sie storniert’ habe. Allein schon dies zeigt die Verachtung, die Unternehmen ihren Kunden im Zweifelsfall entgegenbringen – sie haben nicht einmal eine andere, echte Mitteilung!

Es handelte sich um meine beiden Bücher ,Feuerbahn’ und ,Der Mann und das Mädchen’.

Ich habe sofort nachgefragt, ob hier ein Fehler vorliege, da ich natürlich keineswegs etwas storniert hatte. Daraufhin erhielt ich schließlich folgendes Schreiben des Leiters ,Reklamation’:

Ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir Ihre beiden offenen Buchaufträge aufgrund von ethischen Bedenken storniert haben. Wir haben uns intensiv mit der Situation befasst und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir diese Aufträge nicht weiter verfolgen können.
Als Unternehmen legen wir großen Wert auf die Einhaltung ethischer Standards und möchten sicherstellen, dass wir nur Produkte und Dienstleistungen anbieten, die unseren Grundsätzen und Werten entsprechen. Nach sorgfältiger Prüfung haben wir festgestellt, dass die Inhalte der bestellten Bücher nicht mit unseren ethischen Richtlinien vereinbar sind.
Aufgrund dieser Entscheidung möchte ich Sie darüber informieren, dass wir zukünftig keine weiteren Buchaufträge von Ihnen entgegennehmen können. Aus diesem Grund haben wir Ihre Kundennummer bei uns gesperrt. Bitte beachten Sie, dass dies bedeutet, dass wir keine Bestellungen oder Anfragen von Ihnen mehr bearbeiten können.
Wir bedauern, dass es zu dieser Stornierung und Sperrung gekommen ist und verstehen, dass dies für Sie möglicherweise unangenehm ist. Wir möchten Ihnen versichern, dass dies keine Wertung Ihrer Person darstellt, sondern eine geschäftliche Entscheidung aufgrund unserer Unternehmenswerte ist.
Ich Danke für Ihr Verständnis.

Meine Erwiderung

Ich erwiderte auf dieses Schreiben das Folgende:

Sehr geehrter Herr XXX,

ich bin ziemlich bestürzt über Ihre Antwort. Ich nehme an, Ihre Grundsätze und Werte sind nirgendwo explizit formuliert? Und wahrscheinlich hat Ihr Unternehmen auch keine Schwierigkeiten mit Druckaufträgen zu Krimis, Horror, Splatter und unzähligen anderen Druckaufträgen? Denn wahrscheinlich würden Sie in einige Schwierigkeiten kommen, wenn Sie inhaltlich stets abwägen wollten, ob ein Druckauftrag wirklich IHREN Grundsätzen und Werten entspricht. Oder aber, Sie haben ansonsten in Bezug auf Sex, Crime, Gewalt etc. keine Grundsätze, Hauptsache, am Ende siegen die vermeintlich Guten. Aber ob Sie das alles jedesmal prüfen?

Sie meinen, die Grundsätze und Werte Ihres Unternehmens seien verletzt aufgrund der zarten Beziehungen, die sich in diesen beiden Romanen zwischen einem Mann und einem Mädchen ergeben. Sie fühlen sich hier in einer Weise verantwortlich, die sie an wohl kaum ein anderes Druckprodukt anlegen würden. Aber wofür genau? Dass ein Mann und ein Mädchen überhaupt zärtlich miteinander werden? Während sogar das Gesetz ihnen uneingeschränkt Zärtlichkeit aller Art (!) erlaubt? Heißt das, Sie stehen über dem Gesetz? Oder legen sogar weit härtere Maßstäbe an? Wissen Sie, was dadurch passiert? Sie zensieren massiv die freie Kunst, fiktive Literatur! DAS ist die Realität, die Sie schaffen. Stimmt das mit Ihren Werten überein?

Wo selbst Druckereien sich zu eigenmächtiger Zensur berufen fühlen, braucht es wahrhaft keine staatliche Zensurbehörde mehr. Wobei der Staat die Literatur als Form der Kunst in ihrer vollen Freiheit in höchstem Maße schützt. Selbst ,Lolita’, ein Roman, der echten Missbrauch schildert, gilt heute als literarisches Meisterwerk, und eine Unterdrückung steht außer aller Diskussion. Ihr Unternehmen aber weiß es besser – und setzt ganz für sich die Zensur durch. Man fühlt sich eher an die Diskussion über ,Schmutz- und Schundliteratur’ zur Kaiserzeit oder über ,entartete Kunst’ während des Faschismus erinnert.

Für mich ist das Wesen des Mädchens etwas tief Wesentliches – was letztlich unmittelbar auch mit dem Schicksal unserer ganzen Welt zu tun hat, wie es in mehreren Romanen dem eintauchenden Leser tief erlebbar werden kann.

Es ist doch eine Tatsache, dass diese Welt in allem, von Massentierhaltung über Waffensysteme, Geopolitik, Machtkämpfe, Naturzerstörung, Turbokapitalismus, Konkurrenzdenken, Ausbeutung etc. etc. eine männliche Schöpfung ist. Die Gestalt des Mädchens steht dem diametral gegenüber. Selbstverständlich ist auch genau das der unmittelbare Grund für die Missbrauchsproblematik – abgesehen von kleinen Kindern ist das Mädchen das schwächste Wesen. Das betrifft erst recht die stillen, empfindsamen Mädchen – die zum Teil bereits am Schulsystem zerbrechen, weil ihr Wesen so beschaffen ist, dass sie den Ist-Zustand der Welt und schon das abstrakte Schulsystem nicht aushalten.

Mir geht es in meinen Romanen meist um Mädchen, die das radikal Andere verkörpern – eine Zukunft, die unendlich viel menschlicher, empathischer, liebevoller, schützender, kooperativer, heilsamer ist als die jetzige Gegenwart, die mit voller Fahrt auf Katastrophen zutreibt.

Dass gerade empfindsame Männer, die in gewisser Weise selbst sehr ,weiblich’ sind, gerade von einem Mädchen zutiefst berührt sein können, dürfte unmittelbar nachvollziehbar sein. Es geht um eine tiefe Sehnsucht nach etwas, was heute noch überhaupt nicht Realität ist – sozusagen auch um eine tiefe Seelen- und Wahlverwandtschaft.

Man kann es geradezu zuspitzen auf die Formel: Ein Mann, der sich in ein Mädchen verliebt, könnte ein Mädchen niemals missbrauchen (wenn er es denn je gekonnt hätte, denn allein schon die Fähigkeit, sich zu verlieben und nicht nur zu begehren, macht Missbrauch nahezu völlig unmöglich) – aber er kann auch nichts Anderes mehr missbrauchen! Das ist der entscheidende Punkt. Ein Mann, der ein Mädchen liebt, kann die Natur und andere Menschen nicht mehr ausbeuten, fällt heraus aus dem Konkurrenzdenken und aus allem, worin er bisher vielleicht gelebt hat.

Wenn man ein einziges Mal gedanklich nicht mehr nur der Missbrauchs-Schiene folgt, sondern versteht, was es heißt, sich aufrichtig in ein Mädchen zu verlieben, kann man vielleicht begreifen, was einem vorher (auf jener Schiene) absolut fremd erscheint: Diese ungeheure Verwandlung, die sogar dem gleichkommt, was früher andere Menschen im Christentum erlebt haben – reale Wandlung. Diese Dimension scheint in meinen Romanen immer wieder auf.

Die Begegnungen meiner Romane sind aber auch für die Mädchen immer wieder tief beschenkend oder sogar wirklich rettend – denn wie gesagt, gerade stille Mädchen mit ihren ungeheuren verborgenen Fähigkeiten emotionaler Intelligenz und Empathie gehen in unserer Welt schlicht unter und finden oft niemanden, nicht einen, der ihre Not wirklich versteht.

Es sind also Romane, die neben allem Weltbezug auch ganz persönliche Rettungen, Schicksalsbegegnungen, Wendepunkte und Glücks-Findungen beschreiben – und auch dies gehört zusammen, in einer Welt, die immer mehr vereinsamt.

Nicht zuletzt aber auch stehen diese Romane für das Recht zweier so unendlich verschiedener und doch auch so ähnlicher Menschen – nämlich sehr empfindsamen Mädchen und sehr empfindsamen Männern –, einander begegnen zu dürfen, auch literarisch, nicht unterdrückt, nicht wegzensiert, weil das Thema auf anderer Ebene eine so traurige Brisanz hat. Die erste Ebene ist eben auch wahr: dass diese Begegnungen, wo immer sie tief aufrichtig sind, unglaublich einzigartig sind.

Nur, weil es auch zahlreichen Missbrauch gibt – der gerade Produkt einer materialstischen, brutalisierten, immer ökonomisierteren und ungerechteren Welt ist –, ist die Begegnung zwischen Mann und Mädchen kein Verbrechen. Wer diese Begegnung aus lauter Angst aber so behandelt – und ich wiederhole es: sogar bereits rein fiktiv, in der Kunstform der Literatur! –, der wird Teil einer überhaupt immer mehr von Angst bestimmten Gesellschaft. Teil von Cancel Culture, bedingungsloser ,political correctness’, die bis zu ungeheuerlicher Intoleranz und selbstgerechter Zensur geht. Und hervorragend lässt sich dies immer mit ,Grundsätzen und Werten’ begründen. Selbst der Ku-Klux-Klan hatte seine Werte.

Dass auch der Mann und das Mädchen, die ProtagonistInnen meiner Romane, ihre Werte haben, interessiert Sie dann gar nicht mehr. Sie überlassen dem Mädchen selbst in keiner Weise die Entscheidung. Gerade das macht Ihre ,Grundsätze und Werte’ so hässlich. Sie sind schlicht entmündigend, bevormundend, zensierend und selbstgerecht, in Summe: brutal. Ob Sie es wollen oder nicht, es ist ihre objektive Wirkung. In meinen Romanen wird den Mädchen nur von jenen Gewalt angetan, die kein Verständnis für diese Begegnung zwischen Mann und Mädchen haben. Und die Mädchen empfinden diese Gewalt. Sie gehören dazu. Auch für Sie zählt das Mädchen in Wirklichkeit kein bisschen. Nur ihre offiziellen ,Grundsätze und Werte’, mit denen Sie jede Zensur vollziehen können.

Ich sehe darin nur Angst oder Verlogenheit oder Selbstgerechtigkeit oder Blindheit – alles macht mich gleichermaßen fassungslos.

Mit wirklich bestürztem Gruß,
Holger Niederhausen