21.02.1996

Kritik am VW-Umweltbericht

Kritik am VW-Umweltbericht 1995 und der dort im Vorwort (S. 5) erwähnten Grundsätze.


Sehr geehrte Damen und Herren! 

Hiermit möchte ich Ihnen meine Ansichten hinsichtlich des VW-Umweltberichts und der v.a. im Vorwort dahinterstehenden „Philosophie“ mitteilen.

Dabei werde ich die positiven Punkte, die ohne Zweifel vorhanden sind und VW vielleicht auch vor anderen KFZ-Herstellern auszeichnen, nicht erwähnen. Ich werde nur meine Kritik anbringen, wie es ein Unternehmen, das sich in Dialog mit der Öffentlichkeit begibt, ja erwarten muß und auch darf.

Ich kritisiere im folgenden diese Behauptungen bzw. (Punkt 7) Tatsache:

1. Mobilität ist für die meisten Menschen unverzichtbarer Bestandteil des täglichen Lebens.
2. Sie schafft Verbindung zwischen Wohnen und Arbeiten.
3. Sie ermöglicht arbeitsteilige Produktion.
4. Mobilität für Menschen und Waren ist/wird vom Markt gefordert.
5. Angestrebt wird der Erhalt des Standortvorteils von Deutschland und Europa.
6. Die Komfortwünsche des Autofahrers werden eher zunehmen (S. 41).
7. Kraftstoffverbrauch der verschiedenen VW-Modelle. 

Im Wesentlichen möchte ich folgendes behaupten:

Wenn für Sie (ich spreche Sie im folgenden persönlich an, obwohl ich das Unternehmen meine) der Umweltschutz, den Sie betreiben, wirkliche Verantwortung gegenüber der Umwelt (im weiteren Sinne meine ich natürliche Umwelt, Mitmenschen und künftige Generationen) bedeutet, und nicht der Hauptzweck eine positivere Außendarstellung ist, dann greifen Sie (a) mit den Maßnahmen zu kurz und (b) erkennen vor allem die Ursachen und Zusammenhänge nicht, die einen umfassenden Handlungsbedarf begründen.

Ich gehe davon aus, daß Verantwortung gegenüber der Umwelt für die Industrieländer und alle dortigen Gruppierungen, Unternehmen, Einzelpersonen etc. bedeutet, darauf hinzuwirken, daß baldmöglichst der Energieausstoß pro Kopf um ca. 90% sinkt.

Eine so umfassend verstandene Verantwortung kann und wird ein Unternehmen nur dann wahrnehmen, wenn es nicht mehr hauptsächlich - am Gewinn orientiert - den momentanen (realen oder scheinbaren) Bedürfnissen zu entsprechen versucht.

Genau diese Einschätzung spricht aber deutlich aus dem im Vorwort Gesagten. Wenn es heißt, der Markt fordert Mobilität für Menschen und Waren, werden die Menschen sogar zum reinen Mittel. Als ob der Markt an sich wichtiger wäre als die Menschen!
Aber auch die Behauptung, daß die Komfortwünsche (nicht nur) der Autofahrer eher noch zunehmend werden: Natürlich werden die Bedürfnisse der Menschen solange "in den Himmel wachsen", wie sich neue Möglichkeiten bieten, sie zu befriedigen - jedenfalls solange sie es nicht für nötig halten, sich zu beschränken.

Und hier sind wir an einem der Kernpunkte angelangt, warum die Orientierung an den momentanen Bedürfnissen der Übernahme wirklicher Verantwortung geradezu widerspricht: Die meisten Menschen werden zur Zeit einfach keine Verantwortung übernehmen. Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe:

(a) sie denken egozentrisch, d.h. teilen z.B. nicht wirklich eine Ethik, die Rücksicht auf alle Menschen (ggf. auch die Natur als solche, oder künftige Generationen) fordert. Damit aber sehen sie die meisten Menschen höchstens - bei Bedarf - als Mittel ihrer Ziele und Zwecke an.

(b) sie haben aus Bequemlichkeit, Angst oder anderen Gründen (wie z.B. einem solchen Egoismus, daß sie nicht den ersten Schritt tun wollen) den akuten Handlungsbedarf verdrängt. Wenn dies relativ vollständig gelungen ist, verhalten sie sich nach außen hin genau wie im Fall (a).
Abgesehen davon ist es nahezu für jeden unmöglich, ohne eine gewisse Verdrängung der anstehenden Gefahren und der daraus resultierenden Verantwortung auszukommen, da der alltägliche Handlungsablauf sonst radikal umzustoßen wäre.

(c) sie erkennen die Gefahren und Risiken überhaupt nicht in ihrer vollen Größenordnung. Auch dies ist verständlich, da das Verhältnis des Umfangs, in dem in den Medien über diese wirklich existentiellen Fragen einerseits und über alle anderen andererseits berichtet wird de facto kaum einen erheblichen Handlungsbedarf oder Verantwortungsdruck suggeriert.

Genau diese Mechanismen liegen der Tatsache zugrunde, daß die meisten Menschen von sich aus auch weiterhin die Mobilität mit ihrem Auto für einen unverzichtbaren Bestandteil ihres Lebens halten werden bzw. würden. Und daß die Komfortwünsche von sich aus stetig zunehmen.

Daher nehmen Sie ihre Verantwortung völlig unzureichend wahr, wenn Sie einfach dem momentanen Zustand zu geringen Verantwortungsbewußtseins auf Seiten der Kunden entsprechen. Eines jeden und daher auch Ihre Aufgabe ist es, den ständigen Verdrängungstendenzen entgegenzuwirken.
Stattdessen verteidigen sie den Status Quo - ganz nach dem Schema, das, was im Moment ist, prinzipiell als gut anzusehen und nicht zu hinterfragen. Ich meine z.B., daß Mobilität geradezu dafür gelobt wird, Verbindung zwischen Wohnen und Arbeiten zu schaffen. Erstens ist ein Fehlen dieser Verbindung gar nicht denkbar und zweitens ist doch gerade die räumliche Trennung zwischen beiden die Ursache für Mobilitätsbedarf und damit eine für unseren überhöhten Energieverbrauch - und als solche muß sie hinterfragt und beseitigt werden.
Ähnliches gilt für die arbeitsteilige Produktion. Auch sie muß, wie der damit verbundene Produktionsumfang, zumindest kritisch hinsichtlich der Vor- und Nachteile hinterfragt werden.

Wenn ich jetzt zum Argument Standortvorteil von Deutschland und Europa komme, geht es um noch grundsätzlichere Fragen. Hier ist es das globale, im Moment existierende ökonomische System, das nicht mehr hinterfragt, sondern als gegeben hingenommen wird. Müssen denn Staaten und Kontinente um Wohlstand konkurrieren, kann nicht genug für alle da sein? Oder können sie nicht kooperieren, um ihn für alle zu mehren?

Sie denken vielleicht, das seien jugendliche Utopie-Träumereien. Aber ohne zuerst genannte Denkweise wenigstens im Geist einmal aufgeben zu können, werden Sie ebenfalls nie über eine Anschauung hinauskommen, die ihre Umwelt nur als Mittel sieht.

Ich komme als letztes direkt zu einem konkreten Punkt, an dem die Umsetzung der Kritik möglich ist:

Der Verbrauch der einzelnen VW-Modelle, wie sie auf S.32/33 aufgeführt sind. Der Durchschnitt im Drittelmix liegt bei 7,4l, allein 17 Modelle verbrauchen 8l oder mehr, andererseits 20 Modelle weniger als 7l.

Wieso produzieren und verkaufen Sie Autos, die viel mehr verbrauchen, als nötig ist? Sie können doch nicht mehr ernsthaft mit den Unterschieden in Komfort, Fahrleistung etc. argumentieren. Entweder Sie sagen ökologische Verantwortung oder Sie sagen Sachzwänge, unumstößliche Kundenwünsche, Absatzmaximierung.

Aber was Ihnen die Übernahme von Verantwortung nahezu unmöglich machen wird, ist die Tatsache, daß diese Art individueller Mobilität (das Auto) mit dem Handlungsbedarf unvereinbar ist. Denken Sie daran, daß unser Energieverbrauch um 90% gesenkt werden muß. Bei einem angenommenen momentanen Flottenverbrauch von 7-8l wäre nicht einmal ein 1l-Auto ausreichend! Glauben Sie, mit einem 3- oder 2l-Auto ist eine ökologische Katastrophe (Treibhauseffekt) aufzuhalten, wenn die KFZ-Dichte global die deutschen Werte erreicht hat? Oder sehen sie unsere Art und Intensität der Motorisierung als Privileg der Industrieländer?

Mit der Hoffnung auf eine ernsthafte Antwort,
Holger Niederhausen