Gerhard Tersteegen: Wir sind hier fremde Gäste

aus: Gerhard Tersteegen: Wir sind hier fremde Gäste. Brockhaus Verlag, 1980.

Gerhard Tersteegen war einer der wenigen evangelischen "Heiligen". Er hätte am liebsten ganz zurückgezogen gelebt und wurde dennoch von unzähligen Menschen gesucht, denen er den Weg zu einem innigen Glauben gewiesen hat.


Inhalt
Gedichte
Warnungsschreiben wider die Leichtsinnigkeit
Kurzer Bericht von der Mystik
Verhaltungs-Regeln von einer beisammen wohnenden Bruder-Gemeinschaft
Aus Briefen


Gedichte


Schalksauge und Einfaltsauge

Wenn du in Eigenheit suchst immer heimlich dich,
Wirst du im Finstern stets in Angst und Unruh schweben;
Doch wenn dein Einfaltsaug Gott meinet lauterlich,
So kannst du frei im Geist und still im Lichte leben.

 

Äußere und innere Stille

Wie süß ist's, wenn Gedanken, Glieder, Sinnen,
Affekte, Wille und Begierden stille sind,
Wenn alles schweigt, von außen und von innen,
Und man im heitern Grund Gott gegenwärtig find't!

 

Unser Herz Gottes Heiligtum

Ich kehr ein in mein Heiligtum
Und bleib in Liebesehrfurcht stumm:
In Geistes stiller Dunkelheit,
Von Kreatur und Sinnen weit,
Da wohnet Gottes Klarheit,
Da schaut man Gott in Wahrheit.

 

Das schönste Herz

Wie schön ist nicht ein Herz, das, ausgeleert von allen,
Nichts in sich heget mehr, als Gottes Wohlgefallen,
Das, durch viel Kreuz und Leid geschmolzen und gefegt,
Die höchste Majestät im stillen Grunde trägt!

 

Durch die Enge zum Gepränge

Verzage nicht, o Seel, in Kreuz- und Leidenswegen;
Wenns Gold im Feuer ist, so ist der Schmelzer nah:
Die liebsten Kinder will der Herr am meisten fegen;
Der Weg zum Himmelreich geht über Golgatha.

 

Das vergnügte Klosterleben

Mein Seelengrund ist meine süße Zelle,
Worin ich leb mit meinem Gott gemein.
Da quillet mir die reiche Lebensquelle;
Ach möcht ich stets darin verschlossen sein!

 

Lebensregel

Nicht gelehrt und nicht geehrt,
Unbekannt und eingewandt,
Nichts mehr haben, nichts mehr sorgen,
Willenlos in Gott verborgen,
Nur der Ewigkeit gemein:
Dies soll meine Regel sein.

 

Bloß und rein mußt du sein

Ach wär mein Geist so rein, so bilderlos und still,
Gleich wie ein weißes Blatt, worauf man schreiben will,
würde Gottes Sohn durch seines Lichtes Strahlen
Sein wunderschönes Bild in meinem Grunde malen.

 

Über den Wolken weht kein Wind

Wie selig ist ein Herz, das abgeschieden lebt,
Und über Freud und Leid sich bloß in Gott erhebt!
Es stehet fest und still auch in Veränderungen,
Dieweil es durch den Tod ins Leben eingedrungen.

 

Beten ohn Unterlaß

Ich wählte vormals Ort und Zeit
Zum Beten und zur Einsamkeit:
Nun bet ich stets im stillen Sinn,
Nun bin ich einsam, wo ich bin.

 

Zucker aus der Galle

Wenn man dich plagt, so segne doch,
Wenn man dich haßt, so liebe noch:
Es kann ein guter Mensch auf Erden
Durch böse Menschen besser werden.

 

Das Himmelreich leidet Gewalt

Ein bloßer Wunsch: Ach wär ich so!
Wird dich nicht fromm noch selig machen:
Willst du des Kleinods werden froh,
Es kostet Ernst mit Sterben, Beten, Wachen.

 

Abendgedanken einer gottseligen Seele

Der Abend kommt, die Sonne sich verdecket,
Und alles sich zur Ruh und Stille strecket:
O meine Seel, merk auf, wo bleibest du?
In Gottes Schoß, sonst nirgend find'st du Ruh.

Der Wandersmann legt sich ermüdet nieder,
Das Vöglein fliegt nach seinem Nestchen wieder,
Das Schäflein auch in seinen Stall kehrt ein.
Laß mich in dich, mein Gott, gekehret sein. [...]

Vergib es, Herr, wo ich mich heut verirret
Und mich zu viel durch dies und das verwirret.
Es ist mir leid, es soll nicht mehr geschehn;
Nimm mich nur ein, so werd' ich fester stehn.

Da nun der Leib sein Tageswerk vollendet,
Mein Geist sich auch zu seinem Werke wendet,
Zu beten an, zu lieben inniglich,
Im stillen Grund, mein Gott, zu schauen dich.

Warnungsschreiben wider die Leichtsinnigkeit

[...] Ist es nicht betrübt, daß die Menschen, ja auch gute Menschen, so leichtlich auf Extremitäten geraten? Gewißlich, Wahrheit bleibt nicht Wahrheit, wenn man sie zu sehr nach einer Seite hinüber beugt.

War je ein Paulus nötig, der den Juden ihre Werkgerechtigkeit über den Haufen warf, um die Gerechtigkeit in Christo aufzurichten: so ist auch in diesen Tagen wieder ein Petrus und Jakobus nötig, der durch den Geist Gottes anzeige, daß dasjenige so unser geliebter Bruder Paulus nach der Weisheit, die ihm gegeben ist, hier und da schreibt, nicht allezeit recht verstanden, sondern bisweilen entweder verdrehet oder zu hoch getrieben werde, wobei doch die Wahrheit an sich selbst allezeit ungekränkt bleiben muß.

Ich merke klar des Feindes List bei der heutigen Gesetzstürmerei. Christi teures Verdienst, Blut und Wunden sind der schöne Vorwand: des Feindes Absicht aber ist, durch ein leichtes und seichtes Evangelium Christi Kreuz zu vernichten und die erweckten Seelen von der seligen Übung des inwendigen Kraft- und Saftchristentums und von der reellen Erfahrung aller darin zu findenden göttlichen Mitteilungen in ein sinnliches Spiel herauszulocken, da der Grund des Schadens anerkannt und ungetötet bleibt. Es müssen darum in diesen Tagen Diener Gottes um so viel mehr darüber aus sein, daß sie Christum und sein Evangelium ganz verkündigen, und sonderlich bei bekehrten Herzen auf die Notwendigkeit des Innenbleibens in Christo, der Verleugnung und der wahren Heiligung andringen, ohne welche niemand Gottes Angesicht sehen wird. [...]

Aber man wieget das aufwachende Gewissen nur gar zu sehr damit in den Schlaf, wenn man denket, daß selbst ein Apostel, wie Paulus war, noch dergestalt hätte klagen müssen, daß er fleischlich und unter Sünde verkauft sei, daß er zwar das Gute wolle, das Böse aber tue usw. Eben als ob er nicht in dem fünften und sechsten Vers dieses Kapitels und in dem ganzen folgenden Kapitel uns eine ganz andere Abbildung von seinem damaligen und der wahrhaftigen Christen Stande vor Augen stellte. Denn in dem folgenden achten Kapitel beschreibet Paulus den eigentlichen Stand unter der Gnade, welcher in den Stand des Friedens oder der Herrlichkeit sich endet, wovon er auch der Anfang ist.

Daß heutzutage einige (durch einen neuen Trieb) sogleich alles unter das Evangelium oder in den Stand der Gnade haben wollen, solches wäre zwar allen zu gönnen, möchte man nur nicht zu sehr eine leichte, von außen angenommene Verbildung für die Sache selbst annehmen, welche der Geist Gottes allein geben kann. Man will öfters durch einen gesetzlichen Trieb den Glauben und das Evangelium andern aufdringen, ehe noch Gott da hinein führet und wozu die nötigen Zubereitungen öfters noch mangeln. O, ein Christ zu sein, ist etwas Großes, oder es ist gar nichts!

Denn daß zu dem Stande der Gnaden und Wiedergeburt Dispositionen und Zubereitungen von Gott gemacht werden, kann keiner widersprechen, der nur die Worte des Herrn Jesu erwäget, da er die Hungrigen und Durstigen, die Mühseligen und Beladenen, die Armen und Kranken zu sich einladet, folglich müssen sie schon solche sein, ehe sie zu ihm kommen. Da er die Bekehrung oder Buße fordert, um an ihn zu glauben, und die Verleugnung aller Dinge, um zu ihm zu kommen und sein Jünger zu werden, so muß denn die Bekehrung und die Verleugnung überhaupt und nach dem Grunde des Herzens vorher gehen. Da er versichert, daß niemand zu ihm kommen könne, es sei denn, daß ihn der Vater ziehe, so muß denn bei jedem Gläubigen eine Zeit gewesen sein, da er dieses Ziehen des Vaters in seinem Herzen empfunden hat, ehe er zu Christo und unter sein Evangelium hat gelangen können.

Man mag nun dieses Vorhergehende nennen entweder einen Stand unter dem Gesetz oder den Zug des Vaters, oder den Dienst Johannis, oder den Stand der Buße und Bekehrung: so kommt es auf die Worte nicht an, wenn man nur über die Sache nicht zu leichtsinnig hinüber springt, oder mit unbescheidener Geringachtung davon redet.

Man springt zu leichtsinnig darüber hin, wenn man mit der Bekehrung in etlichen Stunden oder Tagen völlig fertig sein will. Ich fürchte, daß dadurch viel unreifes und ungegründetes Werk gemacht wird. Die Bekehrung ist ein Werk des Geistes Gottes und nicht ein Werk menschlicher Überredung. Manche werden durch den Geist Gottes gerühret, es gehet eine gewisse Buße und Veränderung bei ihnen vor, sie empfangen einige Erleichterungen und Trost, siehet man aber wohl zu, so wird man gewahr, daß die Sachen noch nicht tief genug gegangen sind und der Grund des Herzens von der Gnade noch nicht wahrhaftig überwunden ist, ob man schon das Gute, so in ihnen gewirket ist, nicht leugnen kann. Diese (oder auch andere, wo der gute Same in einem untiefen Erdreich geschwind aufgegangen) sogleich ihrer Seligkeit oder ihres Gnadenstandes zu versichern, oder wohl gar von aller Verpflichtung zur Verleugnung und wirksamen Treue loszusprechen, als ob solches nicht evangelisch sei, daß heißt die Seele verführen. Es sind Vorbereitungen, es sind Anfänge; aber der Geist Gottes muß noch näher seine Hand ans Herz legen, um wahrhaftige Christen aus ihnen zu machen.

Die Exempel, so man aus der evangelischen Geschichte beibringet, das kurze Bekehrungswerk zu festigen, beweisen hierin nichts, weil in Saul und anderen gottesdienstlichen Juden selbiger Zeit einesteils mehr Zubereitungen durch den Geist Gottes vorhergegangen, als wir davon lesen, und andernteils müssen auch die außerordentlichen Wege und Handlungen Gottes (welche nach den Umständen, Zeit, Personen und Absichten eingerichtet sind), zu keiner allgemeinen Regel gemacht werden: denn es werden nicht alle bekehrt wie Saulus, der Schächer am Kreuz und dergleichen.

Das einzige Wort: Ich bin ein Christ, ich glaube an Christum, wollte auch in den ersten Jahrhunderten des Christentums viele und große Dinge in einem kurzen Begriff sagen; ja mehr als man heutigen Tages wohl denken sollte. Es konnte dieses einfältige Bekenntnis keiner tun, der nicht wohl entschlossen war, den unvermeidlichen Haß und Schmach der ganzen Welt, die Verleugnung alles dessen, so der Natur angenehm war, den Verlust von Gut und Blut, die Erduldung allen dessen, was die unmenschliche Bosheit nur am erschrecklichsten auszudenken wußte, mit Willigkeit auf sich zu nehmen. Es mußte darum schon ziemlich vieles in den Herzen derjenigen vorgegangen sein, die dieses große Wort sagten: Ich glaube an Christum. Man betrügt sich selbst und andere, wenn man so leichtsinnig über die Dinge hinläuft und sich einbildet, daß in diesen Tagen, da das Christentum (nach dem Sprichwort) auf silbernen Pantoffeln gehet, dies Wort: Ich glaube an Christum, so leicht eben dasselbe sagen wollte, was es in den ersten brünstigen Jahrhunderten bedeutete. [...]

Denn dieser allein seligmachende Glaube (der mit Hunger und Durst seinen Anfang nimmt) ist keine auf einmal abgetane, sondern bleibende und täglich tief gehende Tat des Herzens, Sinnes und aller Gemütskräfte, die das macht, daß wir in Jesu bleiben, in Jesu wandeln, so wie er gewandelt hat, bei ihm geduldig ausharren in allen Versuchungen, Leiden und Proben, ohne zu weichen, und solchergestalt in ihm gewurzelt, und erbauet und gegründet werden im Glauben, und unter allem dem Herrn anhangend, ein Geist werden mit ihm. [...]

Der Glaube hat seinen Anfang, aber er muß anwachsen und vollendet werden, sowohl als die Heiligung. Große, ja die größten und teuersten Verheißungen sind uns in Christo geschenket und noch in dieser Zeit nach Gottes Wohlgefallen sehr wesentlich zu erfahren. Warum will man denn in wohlgerührten Herzen den innigen Hunger nach weiterem Fortgang und Vollendung gleichsam auslöschen, den der Geist Gottes so tief darin gelegt hat, indem man sie überredet, daß man in etlichen Stunden oder Tagen fertig, ja so gut und selig sei als der Beste? Warum fürchtet man sich so sehr vor der Verleugnung, daß man sogar das Wort nicht mehr ertragen kann, da wir doch gewiß nimmer der göttlichen Natur teilhaftig werden können, wo wir nicht eingehen wollen in die gründlichste Verleugnung unserer selbst und in das Entfliehen von alle dem Verderben, das in der Welt ist durch die Begierlichkeit? [...]

Ich fürchte fürwahr, daß es mehrenteils die Eigenliebe und die ihren Untergang fürchtende schlaue Natur sei, die uns so triftig macht, die Versicherung der Vergebung unserer Sünden mehr als Christum selbst und die innige Vereinigung mit ihm zu suchen – und daß wir nur immer nach Trost und Freude hungern, hingegen um Jesus Sterbens- und Lebenskraft so wenig uns bekümmern. Man will leben, ehe man gestorben ist, und nur von Liebe, Freude, süßen Empfindungen und Versicherungen wissen, da man noch wohl kaum oder gar nicht erfahren hat, was wahre Herzensbuße und Bekehrung sei und das Fleisch samt seinen Lüsten und Begierden nicht einmal gekreuzigt, will geschweigen getötet ist. Heißt das nicht neuen Wein in alte Schläuche fassen, wodurch nur die Schläuche verderben und der Most verschüttet wird? [...]

Hätte ich so viel Zeit und Kräfte, als Neigung, ich würde aus einer ganzen Reihe Kirchenlehrer, so auf die Zeiten der Apostel gefolgt sind, zeigen können, daß dieselben alle ganz anders geredet haben, als viele aus einem unbescheidenen Treiben in diesen Tagen tun. Der einzige Hauptgrund der ersten Christen sowohl als der Apostel war Jesus Christus, dessen Menschwerdung, Tod und Auferstehung und die damit verknüpfte Versöhnung, Gnade und Geist. Und auf diesen Grund baueten sie ein ernstliches, verleugnendes, inwendiges, geistliches Christentum, da Christus selbst in ihnen wirkte und lebte. [...]

Was ist dann nun Gesetz und gesetzlich? Das ist nicht gesetzlich, sich selbst und die Welt verleugnen, sein Fleisch samt dessen Begierlichkeit kreuzigen und die Notwendigkeit dessen und einer gründlichen Heiligung nachdrücklich vorstellen; sonst würden auch die Apostel in allen ihren Briefen das Gesetz gepredigt haben. Das ist nicht gesetzlich, darauf bestehen, daß der Glaube müsse wirksam sein durch die Liebe, daß er ohne die Werke tot sei, daß man müsse kämpfen in und ob diesem den Heiligen überlieferten Glauben und daß derjenige allein gerecht sei, der die Gerechtigkeit tut – denn auch dieses sind Worte von vier vornehmen Aposteln. Das ist nicht gesetzlich, die Gläubigen erinnern, daß sie genau wandeln müssen, daß sie heilig wandeln müssen, auch mit Furcht, ja mit Furcht und Zittern, und daß die Christen als bisweilen betrübt werden müssen durch mancherlei Versuchungen – denn auch dieses wird gesagt zu gläubigen Christen. [...]

Aber das ist gesetzlich, diese und andere Sachen tun mit einem unveränderten Herzen, um Gott und sein Gewissen mit einigem bloß getanen Werk zu befriedigen und darauf zu vertrauen, diese Dinge reden oder verrichten ohne Erkenntnis seines verdammlichen Zustandes und verderbten Herzens, ohne Erkenntnis der Erlösung, die allein in Christus ist und der Notwendigkeit der inwendig wirkenden Gnade zu allem, was wahrhaftig, gut und heilig soll genannt werden. Das ist gesetzlich, Gott das Äußere geben wollen und das Herz für sich selbst und für die Welt behalten, Gott suchen im Tempel und im Buchstaben, ohne ihn zu suchen im Herzen, ihm dienen im Schein und Zeremonien, ohne ihm zu dienen im Geist und in der Wahrheit.

Und was ist dann Evangelium? Das ist nicht Evangelium, die evangelischen Wahrheiten von Christus und von dem Werke der Erlösung mit seiner Zustimmung ergreifen ohne wahre Buße und Erneuerung des Herzens – nur so obenhin glauben, Christus hat für mich genug getan und sodann mit diesem Schild eines menschlichen Glaubens alle die teuren Züchtigungen und Unterweisungen der heiligmachenden Gnade abparieren, unter dem scheinbaren Vorwand, weil man nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehe. Das ist nicht Evangelium, einige vorübergehende süße Rührungen, angenehme Lichter oder Empfindungen haben und sich dabei zur Ruhe begeben, als wenn nun weiter nichts zu tun wäre, als von seinem versicherten Heil zu singen und zu sagen. [...]

Denn das ist gefehlt, wenn man das Evangelium oder die großen Güter des neuen Bundes bloß in die Vergebung der Sünden einschränken will. Allerdings ist die Vergebung der Sünden in dem Opfer des Messias ein sehr wesentliches und Fundamentalgut des neuen Bundes: aber es begreift auch noch viele andere, nicht weniger teure Güter und Verheißungen in sich, welche aus diesem ersten entspringen, und zwar vornehmlich die Mitteilung des Geistes der Heiligmachungen, wodurch das Gesetz Gottes ins Herz eingeschrieben und die Seele geleitet und zubereitet wird zu einem Heiligtum Gottes. [...] Der Weg selbst, durch Christus eingeweiht, ist die Heiligung des Geistes; das Ende dieses Weges ist die Vereinigung mit Gott. [...]

Christi Geist schreibet das Gesetz ins Herz, indem er das Herz erneuert und demselben solchen Sinn, Neigungen und Gestalt eindrücket und immer tiefer eindrücket, wie sie im Gesetz ausgedrückt und gefordert werden. Ja, dieser Geist selbst nimmt (auch bei wahren Gläubigen) die Gestalt eines süßen Gesetzgebers an sich, den man hören und dem man folgen muß. Und wo dieser Geist des Lebens das Herz selig eingenommen hat, da unterwirft man sich freiwillig dessen Herrschaft und unbeschränkten Führung und wandelt im Geist wahrhaftig evangelisch. Und je mehr man sodann alle Gedanken gefangen nimmt unter den Gehorsam Christi und je strenger man rächet allen dagegen sich empörenden Ungehorsam der Natur und Vernunft, desto mehr Leben, Weite und Freiheit erfähret der neue Mensch inwendig. Da gehet man nicht mehr gesetzlich zu Werk, auch wo es in den Augen Ungeübter so angesehen werden möchte. [...]

O Menschen, werdet inwendige Menschen! Erwartet durchaus keinen Trost, Hilfe oder Heil mehr von einigem geschaffenen Dinge oder von euch selbst. Kehret in euer Herz, daselbst suchet, erwartet und findet euren Seligmacher, der euch als Freund und Seligmacher so innig gegenwärtig ist. Lebet dergestalt im Geist, lebet in Christus, wenn ihr gründliche Ruhe für eure Seelen finden und den Kern des Evangeliums erfahren wollet. Laßt euch nicht verführen. Lebt ausgekehrt – so werdet ihr allerorten (auch im Evangelium) nichts als Gesetz und Verdammung finden, lebt eingekehrt – so wird euch alles ( auch das Gesetz) das reinste Evangelium predigen. [...]

Kurzer Bericht von der Mystik

Sie verlangen zu wissen, was man eigentlich durch die Mystik oder mystische Theologie verstehe. Ich antworte: Das kann keiner recht sagen oder er muß selbst ein Mystikus sein, und einer gebührend verstehen, wo er nicht selbst auf dem Wege ist, ein solcher zu werden. [...]

Sagte ich (und so ist es ganz eigentlich die Wahrheit), die Mystik sei nichts anders, als die christliche Gottseligkeit in ihrer besten Kraft, Schönheit und Völligkeit, dann würden Sie sagen: Nun, das lautet schön, aber man erkläret mir darum noch nicht, worin die Sache bestehet. [...]

Mystiker sind auch nicht Schwätzer von großer Geistlichkeit, sie affektieren keine dunkle, hochtrabende, verblümte Redensarten, sondern sprechen das, was sie erfahren, so aus, wie sie es mit Worten, die der heilige Geist lehret, deutlich machen können. Sie reden wenig, sie tun und sie leiden vieles, sie verleugnen alles, sie beten ohne Unterlaß, der geheime Umgang mit Gott in Christo ist ihr ganzes Geheimnis.

Theosophie und Mystik sind auch unterschieden. Die wahren Original-Theosophen, deren uns von der Apostel Zeit an sehr wenige bekannt geworden, waren alle Mystiker, aber weit gefehlt, daß alle Mystiker auch Theosophen sein sollten. Unter Tausenden nicht einer. Theosophen sind solche, deren Geist (nicht Vernunft, esprit), die Tiefen der Gottheit nach göttlicher Führung erforschet und aus unzweifelbarer Schauung solche Wunder erkannt hat. Er könnte dieses genug sein, die Sache zu begreifen, ich komme aber näher.

Das Wort mystisch wird bisweilen im weitläufigeren, bisweilen im engeren Verstande genommen. Im ersteren Verstande ist es nichts anderes, als die praktische Theologie oder die Ausübung der Gottseligkeit, insofern sie Gnade und Herzensveränderung zum Grunde hat: demnach nicht eine bloß natürliche Moral.

Im engem und eigentlichen Verstande bedeutet es denjenigen Grad der Erfahrungserkenntnis Gottes, welchen Paulus und alle Mystiker nach ihm genannt haben die Erleuchtung, welche der Apostel den Gläubigen noch erbittet (weit unterschieden von der anfänglichen Erleuchtung).

Es gehöret demnach und ferner dahin, das Bleiben in Jesu; das Anhangen an Gott, um Ein Geist mit ihm zu werden; das Wandeln in der Gegenwart Gottes; das Anbeten im Geist und in der Wahrheit; die wirksame und leidentliche Reinigung von allen Befleckungen des Fleisches und des Geistes (welche etwas anderes ist als die anfängliche Reinigung von den toten Werken); die Ausgießung der Liebe Gottes ins Herz, einer Liebe, welche endlich alle Furcht austreibet; die Salbung, welche in allen Dingen lehret; das Beschauen der Herrlichkeit Gottes mit aufgedecktem Angesicht; die Offenbarung oder Inwohnung Gottes in der Seele (welche auch den gläubigen Korinthern noch eine Verheißung war); das Leben Gottes, da der Mensch oder das Ich nicht mehr lebet, sondern Christus in ihm; das Wandeln im Himmel; der Friede Gottes, welcher über allen Verstand ist; das Vollkommensein in Eins.

Dieses und unzählig anderes, welches wir wörtlich in der Schrift ausgedrückt finden, heißt und ist mystische Theologie, wovon sich die Leute so fürchterliche Vorstellungen machen.

Nicht aber bei allen (auch geförderten) Frommen finden sich diese Sachen so auf einmal, auf einerlei Weise, in einerlei Masse und Völligkeit, sondern nach der Ausleerung, Stärke und Fähigkeit eines Gefäßes gießet Gott das Übernatürliche hinein (übernatürlich und mystisch ist ein und eben dasselbe). Das höchste Gut ist reich und bereit zu geben: Tue deinen Mund weit auf, so will ich ihn füllen. Aber ach! der dürftige Mensch will nicht nehmen.

Die Patriarchen, die ausleuchtenden Heiligen des Alten Testamentes, die ersten brünstigen Christen überhaupt leerten sich ganz aus, kehrten sich völlig zu Gott, übergaben sich unbedingt seiner Führung hin. Diese waren demnach alle wahre Mystiker und haben, ein jeder in seinem Teil, die oben erwähnten und andere Wunder göttlicher Gemeinschaft erfahren.

Bei dem hernach erfolgten Abfall von dem ersten Ernst und Lauterkeit gab es zwar noch immer gottsuchende fromme Menschen in der Christenheit, welchen sich auch Gott, der Heiland aller Menschen, nicht entzog, sondern ihnen Gutes tat und das wenige Gute in ihnen unterhielt. Da aber insgemein ihre Ausleerungen sehr gebrechlich, ihre Zukehr so unvollkommen und unterbrochen und die ganze Gemütsbeschaffenheit so matt und krank war und blieb: so nahm zwar der Herr das Wenige, so sie ihm gaben (wo sie anders aufrichtig zu Werk gingen), gütigst an, ließ ihnen auch nach eines jeden Fähigkeit Gutes widerfahren und förderte sie, so weit eines jeden Umstände, Temperament, Vorurteile, Mut und Treue es zuließen; fast alle aber blieben bei der Wahrnehmung der sogenannten Gnadenmittel, beim buchstäblichen Wissen, bei gutgemeinten Andachtsübungen, bei vorübergehenden sinnlichen Rührungen stehen. Ihre Führer selbst wußten oder wollten nichts Besseres. Da wurde demnach das innere Leben oder die Mystik immer rarer und unbekannter, endlich gar verdächtig; der Unvollkommenheit und allem Elend machte man ein feines Pflaster; aber die Wirkung des Geistes Gottes im Innern abwarten und derselben Raum geben, das hieß Ketzerei und enthusiastisch. Und so steht es noch in der Christenheit bis auf den heutigen Tag. [...]

Verhaltungs-Regeln von einer beisammen wohnenden Bruder-Gemeinschaft

Es segne euch der Heiland Jesus, daß eure Herzen erfüllet werden mit seiner Gnade und göttlichem Frieden zur Verherrlichung seines Namens, hier und in der Ewigkeit. Amen.

Hört es doch nicht aus Gewohnheit an, sondern mit Einfalt, Andacht und Geneigtheit, was euch mit herzlicher Geneigtheit in Gottes Namen erinnert wird. Prüfe sich doch ein jeder dabei, als in der Gegenwart Gottes, und acht es nicht gering!

I.        

Gedenket, daß euer Haus und Herz eine Wohnung Gottes, des Allerhöchsten, sein soll. Der Herr Jesus selbst will euer Aufseher und Vorsteher und seine heiligen Engel eure Beiwohner sein. Urteilet daher selbst, mit welcher Andacht, Stille, Einfalt und Lauterkeit ihr sowohl in eurem Äußern, als in eurem Inwendigen euch zu betragen habt in der heiligen Gegenwart des Herrn, wann er bei euch und in euch bleiben soll und ihr seiner göttlichen Gunst und seines Segens in eurem Leiblichen und Geistlichen wollet teilhaftig bleiben.

II.       

Euer Beruf ist, die Welt mit deren Geist in der Wahrheit zu verlassen, eurer verderbten Natur und allem eurem eigenen Leben beständig abzusterben, und Tag und Nacht mit Gott umzugehen in eurem Herzen durch die Übung des wahren Gebetes. Seht, welch ein heiliger und seliger Beruf! Demselben ergebet euch von Herzen und mit großer Treue. Dies ist euer Ziel, dies sei auch euer stetiges Werk!

III.

Betet nicht nur zu gesetzten Zeiten, sondern wo ihr gehet oder stehet oder sitzet. Auch wann ihr beisammenkommt, so trachtet immer in innigem Verlangen zu Gott und dessen Gegenwart euch zu unterhalten, eben als wann ein jeder für sich allein mit Gott im Hause wäre, doch ohne viel äußern Schein und Gebärden. Und wenn einer den andern anreden will, es sei bei der Arbeit oder bei andern Gelegenheiten, so gedenke er zuvor: Mein Bruder oder Schwester ist im Gebet, ich muß ihn nicht stören, damit alle unnötigen Reden, selbst von geistlichen Dingen möglichst vermieden werden.

IV.

Noch eins! Betet viel und redet wenig. Oh! das heilige, sanfte freundliche Stillschweigen, welches Gott und alle Heiligen so sehr geliebet, das lasset euch sonderlich anbefohlen sein! Der Schwätz-Geist ist eine Zerstörung aller christlicher Zusammen-Wohnungen, eine Auslöschung der Andacht, eine Verwirrung der Gemüter, eine Verschwendung der Zeit, eine Verleugnung der göttlichen Gegenwart. Die Liebe, der Gehorsam, oder die Notwendigkeit müssen euch den Mund öffnen, sonst schweiget immerdar. Selbst im Geistlichen erbauet einander mehr mit einem heiligen Wandel als mit vielen Worten. Gott wohnet nur in stillen Seelen, und da muß euch die Zunge still werden. Sehet die Früchte des heiligen Stillschweigens. Es gibt euch Zeit, Kraft, Sammlung, Gebet, Freiheit, Weisheit, Gottes Beiwohnung und einen seligen Frieden.

V.

Einer liebe den andern in Aufrichtigkeit, als Gottes Kinder, und glaube auch, daß der andere ihn liebe, wann gleich nichts, ja das Gegenteil davon erscheinet. Einer komme dem andern mit unverstellter Freundlichkeit, Dienstfertigkeit und Unterwerfung stets zuvor, als wenn es dem Herrn geschähe in aller Lauterkeit. In lauterer Absicht auf Gott helfe einer dem andern seine Last tragen, nach Leib und Seele, als wenn es seine eigene wäre. Ja mit Freuden und einfältiger Demut seid allezeit bereit, einander zu dienen und gleichsam die Füße zu waschen in den mühsamsten und verächtlichsten Diensten.

VI.     

Gedenket an das große Wort Jesu: Ich bin nicht kommen, daß ich mir dienen lasse, sondern daß ich diene, darum so erwarte eben keiner von dem andern etwas dergleichen aus Erkenntnis eigener Unwürdigkeit, nach welcher wir nimmer glauben müssen, daß uns von einiger Kreatur zu wenig Gutes und zu viel Leides angetan werden könne. Ein jeder denke von ihm selbst in Aufrichtigkeit, daß er der Untreueste, Ärmste, Ungeschickteste und Geringste sei, der auch deswegen billig von allen andern nicht anders als gering geachtet und vergessen zu werden begehren muß. Seid bereit, einander nachzugeben in allem. Einer beuge sich unter den andern um des Herrn willen, dadurch wird die Innigkeit und Ruhe des Herzens erlangt und bewahret.

VII.    

Meidet allen heimlichen Argwohn. Gebet dem Verkläger der Brüder kein Gehör unter euch und lasset keinerlei Groll oder Widrigkeit bei euch herbergen. Deutet alles, was etwas anstößig scheinen möchte bei euch selbst und bei andern zum Beeten. Sehet in andern nur das Gute, selbiges zu lieben, Gott dafür zu danken und es nachzufolgen. Merket aber gar nicht auf ihre Schwachheiten, oder wo ihr selbige merket, so befehlet sie Gott im Gebet und sodann vergesset es alsbald wieder, es sei denn, daß ihr darüber gesetzt seid, sie zu erinnern. Wird jemand von einem Fehler oder Verbrechen gegen seinen Bruder übereilet, so gehe er alsobald hin und bekenne seine Schuld in unverstellter Demut. Dadurch wird der Satan unter eure Füße getreten, die Liebe unter einander gebauet und Gottes Gunst zweifach wieder zu ihm gekehret.

VIII.

Suchet doch nichts als die bescheidene Notdurft im Leiblichen und hütet euch vor dem subtilen Betrug des Reichtums. Was soll uns der vergiftende Dreck dieser Welt? Sind wir doch erkauft von der Erden und zur Ewigkeit berufen. Ach! liebet und übet die schöne Tugend der innern und äußeren Armut Jesu! Der sorget für uns. Liebet um Gotteswillen das Wenige, das Schlechte, das Verächtliche, das Unangenehme, das Beschwerliche in allen Dingen, damit ihr innerlich ungehindert im Umgang mit Gott und äußerlich vergnügt im Umgang mit einander leben möget.

IX.     

Fliehet allen Eigennutz als die größte Pest einer Zusammen-Wohnung. Keiner begehre etwas, das er nicht eben so gern seinem Mitbruder gönnen möchte, ja noch lieber als ihm selbst. Denn wir sind berufen, uns selbst zu verleugnen. Keiner habe etwas weder Großes noch Kleines, es sei auch, was es wolle, das er nicht alsbald sollte missen und seinem Bruder geben wollen. Sind wir nicht dermaßen lös von allem Eigentum, so sind wir noch Götzendiener, und keine wahren Diener Gottes und müssen entbehren die edle, reine, ruhige Freiheit des Geistes und ledigen Zukehrs zu Gott.

X.       

Insbesondere glaube ein jeder von euch einfältiglich, daß der Ort, wo ihr jetzt wohnt, der Stand und das Werk sei, worin Gottes Führung ihn gesetzt, und worin ihn Gott gegenwärtig haben wolle, ihm darin zu dienen und in der wahren Heiligung gefördert zu werden, welchen er auch ohne deutliche Erkenntnis des göttlichen Willens nicht verlassen müsse noch wolle. Dies wird euer Gemüt beruhigen und tausend unnötige Skrupeln schädlicher Überlegungen und Zerstreuungen abschneiden, womit euch sonst der Versucher plagen möchte. Dies wird machen, daß ihr nicht nur euern Ort, Stand und Werk, sondern auch alle Beschwerden, Verdruß und was sonst euch begegnet, mit ganz andern Augen ansehen und als von Gottes Hand nehmen und viel freudiger übertragen werdet. Ja, dies wird sehr förderlich sein zur Liebe und zum Frieden unter einander.

XI.

Bedenke aber ein jeder wohl und lasse sich durch die Gnade tief eindrücken den eigentlichen Zweck, wozu ihn Gott insonderheit in dieses Haus geführet habe, nämlich ihm darin zu dienen und in der Heiligung geübet zu werden. Ihr seid ja nicht hier, um ruhig und gemächlich nach dem Fleisch und Eigenwillen zu leben und Gott zu dienen nach eigenem Sinn und Phantasie, sondern euer Fleisch zu kreuzigen samt den Begierden und Gemütsbewegungen, eure Natur, Sinnlichkeit, Vernunft, Eigenwille und Selbstliebe dem Gericht und Tod zu überliefern und also euch selbst gerade entgegen zu wandeln und Gott zu lieben in Lauterkeit und Innigkeit. [...]

XII.

Nehmet euch in acht vor Zerstreuung in Sinnen und Vernunft. Da fassen euch tausenderlei Versuchungen auch unter und wider einander. Redet kaum und beschließet nichts, so lange ihr so zerstreut seid, wo ihr nicht eitel Fehler begehen und Unruhe stiften wollet, denn ihr stehet im falschen Licht und in der Konfusion der Natur. Lebet eingekehrt im Grund des Herzens bei Gott wie die unschuldigen Kindlein, die keine Vernunft, aber viel Herz und Liebe haben. [...]

Gott aber selbst gebe euch in allem Gnade, Weisheit und Kraft, damit es von euch in Wahrheit heißen möge: Siehe wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen! – Ja daselbst verheißet und schenket der Herr Segen und Leben immer und ewiglich. Amen.

Aus Briefen

 

1.

Ich kann nicht unterlassen, deinen letzten Brief [...] zu beantworten, weil mir die Ruhe und das Fortschreiten Deiner Seele nicht gleichgültig sind. Aber da kein Mensch über das Gewissen eines andern herrschen soll, so erwarte von mir nichts anderes, als daß ich Dir einfach meine Gedanken über die Sache, welche Dir Anstoß verursacht, mitteile, indem Du sie insoweit annehmen und befolgen magst, als Dein Gemüt sich dadurch vor dem Herrn beruhigen kann.

Ich will, mein Lieber, den äußeren Gottesdienst in nichts weder verachten noch verwerfen. Ich glaube fest, daß einige Wohlmeinende darin zu weit gegangen sind. Das Äußere, mäßig und gehörig angewandt, ist vor dem Herrn angenehm und ersprießlich. Doch ist dieses nicht an und für sich selbst Gott angenehm, sondern insofern es als ein Mittel in das Innere führt, oder als eine Frucht daraus entspringt. Welchen Nutzen stiftet ein Geist ohne Körper? Nur in dieser und in keiner andern Hinsicht konnte uns der Herr Jesus einige äußere Dienste anbefehlen, aber er wollte uns kein Gesetz von Feierlichkeiten geben, von deren Beobachtung oder Unterlassung die Ruhe unseres Gewissens abhängen sollte. [...]

So viel ich weiß, kann man sich heutzutage keiner Versammlung anschließen und das Abendmahl nach den üblichen Gebräuchen nehmen, ohne sich zugleich – nicht mit Frommen, denn diese sind in allen Zusammenkünften selten – sondern mit einer ganzen Menge weltlich gesinnter Menschen zu vereinigen, was mich verhindern würde, den beabsichtigten Zweck zu erreichen und Grund zur Befürchtung gebe, ob man nicht beruhigter sein würde, wenn man die Sache lieber unterließe, statt sie unzweckmäßig zu verrichten. Ich will hier nicht einmal das große Übel in Anschlag bringen, daß man sich durch dieses Anschließen an den gemischten Haufen einer besonderen Versammlung, ohne daß man es oft weiß und will, in seinem Gemüte trennt und losreißt von der Liebe und Gemeinschaft so vieler Frommen, die nicht zu dieser Versammlung gehören, worin ich die traurige Erfahrung bei vielen gemacht habe, die zuvor ernstlich in der Liebe wandelten. Ganz etwas anderes ist es aber, wenn jemand noch zu dieser oder jener Vereinigung gehört, ein solcher bleibe darin, so lange er noch Nahrung für seine Seele und Ruhe für sein Gewissen dabei findet. Gott ist an keinen Ort gebunden. Er hat und hält die Seinigen überall. Was nun das Abendmahl besonders betrifft, so ist dieses vom Herrn Jesus ganz einfach angeordnet zur heiligen Stärkung und Erquickung in seiner Liebe und in der Liebe untereinander. Er will sich uns und wir sollen uns einander mitteilen in jeder Hinsicht. Darum hielten die ersten Christen alles gemeinschaftlich. Sie aßen und tranken zusammen hier und da in den Häusern. Und nach dem Essen brach man das Brot in der Liebe, ohne irgend eine Vorschrift oder Feierlichkeit. Ich weiß nicht, ob noch irgendwo eine Gemeinde besteht, bei der es mit dieser uralten Einfachheit und Freiheit vor sich geht. Man macht jetzt ein Gebot, ein Zwang- und Zwistmahl daraus, da es doch nur ein Liebesmahl sein sollte. [...]

Zwei oder drei machen eine volle Versammlung aus, in deren Mitte zu sein der Herr versprochen hat. Du bist mit Deiner Frau einig, dem Herrn zu folgen und vor ihm zu leben. Ist denn nun Dein Haus keine Versammlung? Oft hast Du noch Gesellschaft von andern Freunden bei Dir, die mit Dir vollkommen eins gesinnt, nach dem Herrn verlangen. Seid Ihr dann nicht eine Versammlung, wenn auch nicht immer viel darin gesprochen und gepredigt wird? Ich versichere Dir, daß ich viel lieber in Eurer Mitte zu sitzen wünsche, als auf irgendeinem andern Platze unter Tausenden. Und wenn wir zwei oder drei, die nach dem Herrn eins sind, nun einmal auch zusammen äßen mit gutem Herzen und guter Absicht, um uns an die Liebe Jesu zu erinnern und uns aufzuwecken, ihn und einander zu lieben, ja mit einer solchen Gesinnung uns ganz Jesu und ganz einander mitzuteilen bis auf das letzte Stückchen Brot, sollte das in Deinen Augen kein Abendmahl sein? Und was denkst Du, daß daran fehlen könnte? Ich wüßte nichts und kann auch nicht glauben, daß es dem Herrn minder behagen sollte, weil es in keiner großen Kirche mit ich weiß nicht welchen Feierlichkeiten begangen würde, obgleich ich diesem seinen Wert nicht abspreche. [...]

2.

Gott ist die höchste und einzige Einheit. Darum brauchen wir uns nicht zu wundern, daß, wenn man sich ganz fahren läßt und sich ihm ganz übergibt, man immer einfältiger und einfacher wird, je näher man ihm, unserm einzigen Ruhepunkt kommt. Alles Vielfache, Körperliche und Geistige wird dann beschwerlich. Es muß alles abfallen, soll der Geist gehörigen Raum behalten. Man kann nicht mehr wie früher denken und überlegen oder mit der Vernunft tätig sein. Man kann keine Regel und Vorschrift mehr in Acht nehmen, als nur die, alle Regeln zu vergessen. Man kann nicht mehr so viel sprechen, weil man mit einem Wort große Dinge, ja alles zu sagen scheint. Alle Religionsübungen schmelzen gleichsam in eine Übung zusammen, die alles umfaßt, und in der man ohne Wiederholung oder Veränderung Stunden und Tage lang ausharren kann. Alles ist gut, alles ist neu, und so wie es in der Ewigkeit kein Gestern, kein Morgen, sondern nur immer ein Heute gibt, so vermag auch eine Seele, die Gott innig nahe gekommen ist, nicht mehr zurück und voraus zu denken. Es ist, als ob man einen Augenblick erlebte, der ewig dauert. Man kann sich und seine Angelegenheiten, sowohl körperliche als geistige, nicht mehr nach seiner eigenen Weisheit regieren, anordnen oder leiten, sondern man muß sich hingeben. [...]

Wir gehören nicht uns an, sondern dem Herrn, in dem wir uns in der gegenwärtigen Zeit nur innig, still und friedlich erhalten müssen. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß ich ganz anders leben würde, wenn ich die Wahl hätte. Ich muß reden, schreiben, mit Menschen umgehen und möchte gerne nach meinem Wunsche beinahe immer schweigen, mich verbergen und nur an Gott denken. Doch ich darf nicht auf diesen Gegenstand kommen, wenn ich nicht verwirrt werden will. Am besten ist es, daß ich mich geduldig mit Gottes Vorsehung vereinige und in diesem Leben arbeite, so gut ich kann und so gut es gehen will, ohne zurück oder vorwärts zu schauen, die Augen innig auf den Herrn und seinen Ruf haltend. [...]

3.

Ja selbst das innige Verlangen nach der vollkommenen Heiligkeit darf uns nicht von dem Eingehen in uns anhalten und zerstreuen. Gott in uns soll der einzige Gegenstand unseres Geistes sein und nicht so sehr das Gute oder Böse in uns. Denn in dieser göttlichen Sonne bemerken wir unsern Stand besser als durch alles Anschauen unserer selbst. [...]

4.

Nachdem ich in den ersten Jahren meiner Umwandlung viel Kummer, Furcht und Angst ausgestanden hatte, wurde ich auf eine sehr einfache Weise darauf hingeführt, mich bloß in dem Glauben und in der Liebe zu üben, welcher Weg mir so gesegnet war, daß ich Gott dafür in Ewigkeit zu danken hoffe, und darum diesen Weg auch andern anrate, um sich darauf zu üben nach dem Zuge, den ihnen Gott dazu besonders zu verleihen beliebt. Nachdem ich ganz abgemattet war von der Arbeit meiner Hände, meines Verstandes und anderer Anstrengungen und mich dürre und elend fühlte, lernte ich das glauben, daß Gott mir in dem süßesten Namen Jesus auf das allerinnigste nahe sei, und aus lauter Barmherzigkeit mein Freund sein, bei mir bleiben und Gemeinschaft mit mir pflegen wollte trotz meiner Unwürdigkeit.

Dieses glaubte ich so ganz einfältig, ohne viel Gefühl oder helles Licht zu besitzen: diesen verborgenen Eindruck von Gottes Gegenwart nährte ich den ganzen Tag über stille bei mir, mich als einen armen Fremdling betrachtend, der durch die Wüste dieser Welt wandelt mit seinem Herzensfreund. Dieser Eindruck mußte auch je länger je mehr all mein Tun durchdringen, um nur alles zu tun, zu lassen, zu leiden und zu versagen aus herzlicher Liebe zu dem Gott, der mir so nahe war, und in dem ich mich allein erfreuen sollte. Zwar hatte meine Vernunft viel dagegen einzuwenden, wie, dies sei ein falsches Müßiggehen und nur mein eigenes Treiben und mein eigene Einbildung; sollte Gott wohl mit einem solchen Menschen wie ich Gemeinschaft haben wollen? und dergleichen mehr. Aber ein unbekannter Zug im Innern überwand dieses und der Herr zeigte endlich mit Kraft, daß ich nichts weniger als betrogen sei, sondern daß mich seine Hand unbemerkt darin geleitet habe. [...]

5.

Niemand kann aber innerlich in Gott leben, der seine Ruhe, sein Leben in etwas anderem, als in Gott sucht. Darum müssen wir trachten, unsere Sinne eingezogen, unsere Begierden ertötet, unsere Leidenschaften unterdrückt, unseren Willen ergeben, unsere Absichten in allem aufrichtig zu erhalten. Alles, was wir tun und leisten, darf nicht gezwungen geschehen, sondern freudig, aus Liebe zu unserm Seelenfreunde, der uns so nahe ist und aus inniger Hingabe an ihn. Zwar wird es nicht an äußern und innerem Kreuz auf diesem Wege fehlen, aber alles wird zum Guten mitwirken. Eine Viertelstunde solchen Lebens ist gewiß mehr wert, als ein ganzes Jahrhundert voll weltlicher Genüsse. [...]

6.

Wir können und wollen ja nicht allezeit hier bleiben. Der muß vorher, der andere muß nachher sterben, das ist, die beschwerliche Reise endigen und heimgehen zum Vater, wohin wir alle unser Herz und Angesicht gerichtet haben. Was ist es denn darum, ob der eine etliche Tage vorher ankommt? Diese große Wahrheit, daß wir nämlich hier keine bleibende Stadt haben, sondern die zukünftige suchen sollen, will uns der Herr durch Krankwerden und Sterben seiner Kinder lehren. Wir sollen uns immer unserer Heimat erinnern und bei Zeiten lernen, unser Herz und Wandel da zu haben, wo wir ewig sein werden. [...]

7.

Ich will nur auf Deine Person kommen, lieber Bruder, und gebe demnach folgende Erinnerungen:

1. Glaube bei Dir selbst und in Deinem Gewissen für fest und unstreitig, daß keiner im ganzen Hause verkehrter, ärmer, blinder und untüchtiger sei im leiblichen und geistlichen als eben Du. Sage solches keinem Menschen, sondern glaube es in aller Einfalt vor Gott.

2. Aus diesem Grunde achte, liebe, diene und hilf, nachdem es die Umstände erfordern, einem jeden von Herzen als aller Knecht. [...]

5. Das obige ist Deine Pflicht, was andern ihre Pflicht, darüber bekümmere Dich nicht sonderlich, weil Du kein Vorsteher des Hauses bist.

6. Deute alles zum Besten, was andere reden oder tun.

7. Wenn Du einige Lieblosigkeit oder sonst etwas Arges in andern gegen Dich merkst, so denke doch nichts Arges, sondern glaube, daß sie es so böse nicht meinen, sondern daß der Versucher alsdann da sei, Dein Gemüt dadurch herauszulocken, zu beunruhigen und zu verstricken. Reiß alsbald dieses Schalksauge aus durch plötzliche, aber sanfte Abwendung Deines Gemütes und Deiner Gedanken von andern auf Deine innere Armut oder auf Gottes Gegenwart in Deinem Herzen.

Diese Erinnerungen, siehst Du, lieber Bruder, sind alle gegründet auf die wahre Herzensdemut, und diese wird erlangt durch das innere Gebet oder durch die Kindlichkeit des Gemütes vor Gottes Angesicht. Wenn Du zerstreut lebst in Sinnen und Vernunft, dann werden Dir obige Punkte albern und sehr schwer vorkommen. Bleibst Du aber in Dir selbst bei Gott, dann werden sie Dir schon leicht und süß vorkommen oder doch bei treuer Übung werden. Ich bekenne, daß es harte Lektionen sind, wenn man es in Wahrheit üben soll. Aber es ist nur hart dem eigenen Leben. Sonst weiß ich, daß es nicht nur ein Weg des Friedens untereinander ist, sondern auch ein Mittel zum gründlichen Frieden unserer Seele in und mit Gott ist. [...]