Thomas von Kempen: Nachfolge Christi

Thomas von Kempen: Nachfolge Christi. [Um 1440]. Übersetzung von Johann Michael Sailer (1751-1832). Quelle: Gutenberg


Inhalt

I. Ratschläge zu einem frommen geistlichen Leben
1. Folge Christo nach und lerne verschmähen, was vergänglich ist!
2. Sei gering in deinen Augen!
3. Von der Lehre der Wahrheit.
6. Von ungeordneten Neigungen.
10. Flieh unnötiges Geschwätz und leere Wortmacherei.
11. Wie man Frieden in sich haben und besser werden kann.
12. Trübsal nützt uns viel.
13. Widersteh den Versuchungen!
14. Richte nicht!
15. Von den Werken, die aus Liebe geschehen.
16. Fremde Fehler, die man nicht bessern kann, muß man ertragen.
18. Von dem Beispiel der Heiligen, die vor uns gelebt haben.
19. Von den Übungen der Gottseligkeit.
20. Sei gern einsam und still!
21. Von der Zerknirschung des Herzens.
22. Von der Betrachtung des menschlichen Elends
23. Sterblicher, denk ans Sterben.
25. Von ernster Besserung unseres ganzen Lebens.

II. Ermahnungen für das innere Leben
1. Vom inneren Leben des Menschen.
2. Demut.
3. Sei gut und strebe nach Frieden!
4. Einfalt und Lauterkeit.
5. Von der Betrachtung seiner selbst.
6. Vom guten Gewissen.
7. Was es heißt, unsern Herrn Jesus Christus lieb haben.
8. Vom vertrauten Umgang mit unserm Herrn Jesus Christus.
9. Was es sagen will, durchaus trostlos sein.
10. Danke Gott für die Gnade Gottes!
11. Viel Christen, aber wenig Freunde Christi und seines Kreuzes!
12. Das heilige Kreuz, der königliche Weg zum Himmel.

III. Vom inneren Troste
1. Von dem Worte Christi in uns.
3. Höre Gottes Wort in Demut und bewahre es mit aller Treuen.
4. Wandle vor Gott in Wahrheit und Demut!
5. Die heilige Liebe in ihrer Macht und Herrlichkeit.
6. Prüfung der Liebe.
8. Sei gering in deinen Augen und vor deinem Gott!
10. Selig, wer das Vergängliche verschmäht und dem Unvergänglichen dient!
17. Leg alle deine Sorgen in Gottes Hand!
19. Worin die wahre Geduld besteht, und daß man das Unrecht geduldig leiden muß.
22. Dankbares Gedenken der Wohltaten Gottes.
25. Worin der dauerhafte Friede des Herzens und der wahre Fortschritt in allem Guten besteht.
27. Das höchste Gut des Menschen hat keinen ärgern Feind als die Eigenliebe des Menschen.
28. Bewaffnung wider die Pfeile der Lästerung.
29. Wie man in trüben Stunden zu Gott beten soll.
30. Wie man um Hilfe bitten und mit Zuversicht auf die wiederkommende Gnade warten soll.
31. Daß man alle Geschöpfe verlassen muß, um ihn, den Schöpfer, zu finden.
32. Verleugne dich selbst und widersteh aller ungeordneten Begierde.
35. In diesem Leben sind wir vor Versuchung nie sicher.
36. Was soll ich tun, wenn die Menschen mich richten und verdammen?.
37. Aus Liebe zu Gott sich ganz in Gottes Willen ergeben, das ist der einzige Weg zur wahren Freiheit des Herzens.
38. Von der Freiheit und Herrschaft der Kinder Gottes.
42. Wahren Frieden findest du bei den Menschen nicht, du mußt ihn also auch nicht bei ihnen suchen.
44. Daß man das Äußere nicht zu nahe an sein Herz kommen lassen soll.
46. Daß man in den Tagen der Lästerungen auf Gott allein vertrauen soll.
47. Die ewige Freude ist aller zeitlichen Leiden wert.
49. Von dem Heimweh nach dem ewigen Leben und von den großen Verheißungen.
52.  Der Sünder achte sich nicht des Trostes und der Gnade wert.
53. Die Gnade des Himmels ist etwas anderes als Weisheit der Erde.
54. Natur und Gnade in ihren entgegengesetzten Richtungen und Bewegungen.
55. Von dem Verderben der menschlichen Natur und von der siegenden Kraft der göttlichen Gnade.
56. Von der vollkommenen Selbstverleugnung.
57. Werde nicht mutlos, wenn du mancherlei Fehltritte tust, oder andere dir Böses nachredend.

IV. Vom Sakrament des Altars
1. Von der Ehrfurcht, mit der wir uns dem Tische des Herrn nahen und Christum empfangen sollen.
2. Gottes Güte und Liebe offenbart sich in diesem Sakramente.
4. Die andächtige Kommunion bringt viel Gutes.
8. Christus opferte sich am Kreuze, opfere auch du dich!
10. Laß dich vom öfteren Hinzutreten zum Tisch des Herrn nicht so leicht zurückhalten!
11. Der Leib Christi und die heilige Schrift: doppelt Brot des Himmels.
12. Bereite dich mit allem Fleiß zur heiligen Kommunion!
17. Von der glühenden Liebe und Begierde, Christum zu empfangen.
18. Glaube an Jesus Christus und grüble nicht, folge ihm nach und zweifle nicht.


I. Ratschläge zu einem frommen geistlichen Leben


1. Folge Christo nach und lerne verschmähen, was vergänglich ist!


... Die Lehre Christi übertrifft ohne Ausnahme alles, was die Heiligen gelehrt haben; und wer den Geist Christi hätte, der müßte in ihr ein verborgenes Himmelsbrot finden. Da geschieht es aber, daß viele das Evangelium oft hören und dabei fast ohne alle Rührung des Herzens bleiben, weil ihnen der Geist Christi fehlt. Wer die Lehre Christi in ihrer Fülle kennenlernen will, der muß mit allem Ernst darauf dringen, daß sein ganzes Leben gleichsam ein zweites Leben Jesu werde.

Was nützt es dir doch, über die Dreieinigkeit hochgelehrt streiten zu können, wenn du die Demut nicht hast, ohne die du der Dreieinigkeit nie angenehm werden kannst? ... Es ist mir ungleich lieber, Reue und Leid im zerschlagenen Herzen zu empfinden, als aus dem Kopfe eine schulgerechte Erklärung geben zu können, was Reue sei. Hättest du die ganze Bibel und die Sprüche aller Weisen im Gedächtnis, hättest aber dabei nicht die Liebe Gottes, seine Gnade nicht im Herzen: wozu hülfe dir all jenes ohne dieses Einzige? O Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist Eitelkeit, außer Gott lieben und ihm allein dienen. Das ist die höchste Weisheit: Durch Verschmähung der Welt zum himmlischen Reich hindurchdringen.

... Also ist es Eitelkeit, nur immer zu wünschen, daß man lange lebe, und wenig darum sich zu bekümmern, daß man fromm lebe. Also ist es Eitelkeit, das Auge hinzuheften auf das gegenwärtige und nie hinauszublicken auf das kommende Leben. ...


2. Sei gering in deinen Augen!


Es ist dem Menschen natürlich, viel wissen zu wollen; aber noch so viel wissen und dabei den Herrn nicht fürchten – wozu nützt es doch!
Wahrhaftig, besser ein demütiger Landmann, der seinem Gott dient, als ein stolzer Weltweiser, der sich außer acht läßt und dafür die Laufbahnen der Sterne mißt. Wer sich nach der Wahrheit kennt, der findet sich wohl gering und schlecht in seinem Auge und kann keine Freude daran haben, daß ihn die Menschen loben. Hätte ich die Wissenschaft aller Dinge in der Welt und fehlte mir nur das eine, die Liebe: was nützte mir all dies Wissen vor Gott, der mich nach meinem Tun richten wird?

Laß ab von der überspannten Wißbegier; denn es ist viel Zerstreuung und viel Trug dabei. Die viel wissen, wollen auch den Schein haben, daß sie viel wissen, und hören es gern, wenn man von ihnen sagt: Sieh, das sind weise Männer! Es gibt so viele Dinge in der Welt, deren Erkenntnis der Seele wenig oder nichts einträgt. Und auf etwas anderes sinnen, als was das Heil der Seele fördern hilft, dazu gehört wahrhaftig ein großes Maß von Torheit. ...

Je mehr du weißt und je besser du es einsiehst, desto strenger wirst du gerichtet werden, wenn dein Leben nicht gerade um so viel heiliger sein wird, als deine Einsicht besser war. Darum trage den Kopf nicht höher, weil du diese Kunst oder jene Wissenschaft besitzest. Eben dies, daß dir so viel Erkenntnis gegeben ist, soll dich mehr furchtsam als stolz machen. ...


3. Von der Lehre der Wahrheit.


... Je mehr ein Mensch eins mit sich und einfältig in seinem Innersten geworden ist, desto mehr und höhere Dinge lernt er ohne sonderliche Mühe verstehen; denn das Licht des Verstandes kommt alsdann von oben zu ihm. Ein Geist, der rein, einfältig und feststehend in seinem Innersten geworden ist, wird auch durch die mancherlei Geschäfte des Lebens nicht zerstreut; denn er tut alles zur Ehre seines Gottes und arbeitet in sich, all den geheimen Neigungen der Eigenliebe auf immer zu entsagen. ... Nicht ihn zieht das, was er tut, dahin, wohin ihn die sündhaften Neigungen haben wollen, sondern er zieht und lenkt die Neigungen dahin, wohin sie das Gesetz der gesunden Vernunft haben will. Wer hat wohl einen heißeren Kampf zu kämpfen als der, welcher mit sich selbst im Streite liegt, um sich zu besiegen? Und dies sollte unser eigentliches Geschäft auf Erden sein: sich selbst überwinden und täglich mehr Stärke über sich gewinnen und so täglich im Guten vorwärts schreiten. ...

... So viel ist gewiß: am Tage des Gerichts wird man uns nicht fragen, was wir gelesen, sondern was wir getan haben; nicht fragen, wie schön wir gesprochen, sondern wie fromm wir gelebt haben. ...


6. Von ungeordneten Neigungen.


Sobald irgendeine Begierde des menschlichen Herzens unordentlich sich gebärdet, sogleich ist der Unfriede da, wird der Mensch uneins mit sich. Der Hochmütige und der Geizige haben niemals Ruhe; wer aber die wahre Demut und die rechte Armut des Geistes besitzt, der hat einen unerschöpflichen Reichtum des Friedens in sich. Wer noch nicht ganz in sich abgestorben ist, der ist schnell versucht und schnell überwunden; jede Kleinigkeit wirft ihn zu Boden, und geringe, schlechte Dinge überwinden ihn. Wer noch schwach im Geiste ist, noch unter dem Gebote des Fleisches steht, noch von dem Hange zu sinnlichen Dingen beherrscht wird, für den ist es ein schweres Stück Arbeit, von irdischen Begierden ganz und auf immer sich loszumachen. Deshalb macht er ein finsteres Gesicht, wenn er sich selbst etwas Angenehmes versagen soll, und bricht leicht in Zorn aus, wenn ein anderer ihm Widerstand tut.

... Kein Friede ist daher in einem Herzen, das dem Gesetze des Fleisches dient oder in äußerlichen Dingen Ruhe sucht; sondern nur in dem Menschen ist Friede, welcher dem Gesetz des Geistes dient und das heilige Feuer auf seinem Herde nicht ausgehen läßt.


10. Flieh unnötiges Geschwätz und leere Wortmacherei.


Laß, soviel es von dir abhängt, dich nicht in das Getümmel der Welt hineinziehen. Denn sieh, weltliche Händel, in die du dich einmischest, beschweren den Geist, auch wenn du eine gerade, wohlmeinende Absicht dabei haben solltest. Ach, die Eitelkeit befleckt so schnell den schwachen Sinn und nimmt so schnell den freien Sinn des Menschen gefangen. ...

... Darum laßt uns wachen und beten, damit die Zeit nicht ungebraucht dahinfließe. Darfst du reden, und nützt es dir zu reden, nun, so bringe vor, was zur Erbauung dient. Aber weil wir von Jugend auf gewohnt sind, zu tun, was nicht taugt, und immer zu wenig auf unsern Fortgang im Guten bedacht sind, eben darum sind wir in der Wachsamkeit über unsere Zunge so äußerst nachlässig. Dadurch soll aber nicht geleugnet werden, daß ein geistreiches Gespräch über Angelegenheiten des Geistes das geistliche Leben kräftig fördere, besonders wenn Menschen eines Sinnes und eines Geistes in Gott als ihrem Mittelpunkte sich vereinigt haben.


11. Wie man Frieden in sich haben und besser werden kann.


... Uns beherrschen die Leidenschaften in uns, die dem armen Herzen so viel zu schaffen geben, und die vergänglichen Dinge außer uns, die dasselbe Herz in steter Bewegung halten und von einer Empfindung zur andern jagen. Wir erkämpfen auch selten über ein einziges Laster einen vollkommenen Sieg und es fehlt uns durchaus an dem verzehrenden, heiligen Eifer, täglich besser zu werden; deshalb bleiben wir immer so lau oder werden am Ende gar kalt. Wären wir uns selbst ganz abgestorben, wäre unser Innerstes nicht im geringsten in das geheime Spiel der Neigungen verflochten und darin gebunden, o dann könnten auch wir göttlicher Dinge inne werden und von der himmlischen Beschaulichkeit schon hier einen Vorgenuß bekommen. Das größte, das einzige Hindernis sind wir uns selbst, wir sind nicht frei von Leidenschaft und Lüsternheit und haben nicht Mut genug, den schönen Lebensweg der Heiligen zu betreten. Es braucht nur eine kleine Plage an unsre Tür zu klopfen, sogleich ist all unser Mut dahin, und wir sehen wieder nach menschlichen Tröstungen uns um.

Hätten wir den entschlossenen Mut, wie tapfere Kriegsmänner auf dem Schlachtfeld zu stehen, schnell würden wir die Hilfe des Herrn über uns vom Himmel kommen sehen. Denn er will denen, die streiten und auf seine Gnade trauen, so gewiß Hilfe senden, als gewiß ist, daß er uns Anlaß zum Streite werden ließ, damit wir siegen lernen sollen. Wenn wir unsere Fortschritte im Guten nur immer in jene äußerlichen Übungen setzen, so wird unsere Andacht bald zu Ende sein. ...

Wenn wir in jedem Jahr nur ein Laster ausrotteten, so würden wir bald vollkommene Männer werden. Aber jetzt zeigt nicht selten sich das Gegenteil: wir müssen gestehen, daß wir in den ersten Tagen unsrer Bekehrung besser und reiner waren, als wir jetzt nach vielen Jahren es sind. Der Eifer im Guten und das Gute selbst sollten mit jedem Tage in uns zunehmen; und jetzt wird es schon als eine Seltenheit angesehen, wenn jemand nur noch einen Funken des ersten Eifers in sich erhalten konnte. Wenn wir nur anfangs ein wenig Gewalt uns antun möchten, so würde in der Folge alles noch einmal so leicht und mit Freude getan sein.

Es ist schwer, wider seine Angewöhnung zu handeln, aber noch schwerer, wider seinen eigenen Willen anzugehen. Doch wenn du geringe, leichte Hindernisse nicht zu beseitigen vermagst, wie wirst du große, schwere Hindernisse aus dem Weg schaffen? Tu deinen Neigungen Widerstand gleich in ihrem Entstehen und mache dich durch frühe Entwöhnung von aller bösen Angewohnheit los, damit aus einer geringen Beschwernis nicht nach und nach eine größere werde. O könntest du begreifen, wieviel du selbst an innerem Frieden gewinnen, und was für große Freude du andern bereiten würdest, wenn du von ganzem Herzen gut sein und recht tun möchtest: o ich denke, du würdest mehr Sorge darauf wenden, immer größere Fortschritte in dem Leben des Geistes zu machen.


12. Trübsal nützt uns viel.


Daß uns Dinge begegnen, die uns lästig und durchaus zuwider sind, das ist für uns selbst sehr gut.
Denn sie treiben den Menschen, der aus seinem Herzen geflohen ist, wieder in sein Herz zurück; damit er fühlen lerne, daß er hier in der Verbannung weilt, und daß er seine Hoffnung auf kein Gut dieser Welt gründe. Es ist gut, daß wir Widersprüche erfahren und daß die Menschen nicht gut und auch recht böse von uns denken und reden, wenn wir auch recht tun und im Rechttun gute Absichten haben. Denn das sichert unsere Demut und bewahrt uns vor eitler Ruhmsucht. Und gerade dann werden wir weit mehr als sonst gedrungen, Gott aufzusuchen als den einen Zeugen, der unser Innerstes kennt. ...


13. Widersteh den Versuchungen!


... Es ist kein Vollkommener so vollkommen, kein Heiliger so heilig, daß er nicht manchmal noch zum Bösen versucht werde. Und ein Mensch sein und von allen Versuchungen frei bleiben, das ist schlechterdings nicht möglich.

Doch gerade die Versuchungen verschaffen dem Menschen nicht selten große Vorteile, wenn sie ihm auch noch so lästig und beschwerlich sein sollten. Denn sie demütigen, reinigen und unterweisen ihn in mancherlei Gutem. Alle Heiligen mußten durch viel Trübsale und Anfechtungen sich hindurchkämpfen, und sind eben nur in dieser großen Kampfschule so gut und groß geworden. ...

... Wachen, wachen müssen wir, ganz besonders im Anfang der Versuchung. Denn wenn der Feind nicht zur Tür hereingelassen, sondern noch vor der Türschwelle bei dem ersten Anklopfen zurückgeschlagen wird, so hat es mit dem vollkommenen Siege nicht mehr so viel Schwierigkeit. ... Anfangs ist es ein einfacher Gedanke, der dich angreift, hernach kommt eine lebhafte, mächtige Einbildung dazu, zur Einbildung gesellt sich die Lust, zur Lust die Begierde, und zuletzt sagt der Wille Ja. So nimmt der Feind nach und nach die ganze Festung ein, wenn man ihm nicht gleich anfangs Widerstand leistet. Und je länger du säumst, Widerstand zu leisten, desto schwächer wirst du, desto übermächtiger dein Feind. ...

Versuchungen und Trübsale sind der Prüfstein, der den ganzen Wert des Menschen und besonders seine Fortschritte im Guten entscheidet, sind die Feuerprobe, die der Tugend neuen Wert verschafft und das verborgene Gute an das Tageslicht hervorzieht. Wenn der Mensch nichts hat, das ihn drückt und beschwert, dann ist es nichts Großes, andächtig und inbrünstig im Geist zu sein. Aber in den Tagen der Trübsal geduldig sein und in Geduld sich fassen können, das läßt große Fortschritte in allem Guten hoffen. ...


14. Richte nicht!


Kehre deinen Blick einwärts und hefte ihn auf dich selber, auf dein Innerstes, und erkühne dich nicht zu richten, was andere tun. Denn wer andere gern richtet, der arbeitet umsonst, verfehlt die Wahrheit öfter, als er sie trifft, und versündigt sich leichter, als er glaubt. Wer aber sich selbst erforscht, sich selber richtet, der arbeitet immer mit Segen. Wie unser Herz gegen eine Sache gestimmt ist, so urteilt unser Verstand von derselben. Den geraden, wahren Anblick der Dinge verlieren wir gar leicht, weil wir uns selbst mehr lieben als die Wahrheit. ... Viele suchen in allem, was sie suchen, nur sich selbst, aber sie merken es nicht, daß sie nur sich selber suchen. Sie glauben wohl auch, den inneren, festen Frieden zu haben, so lange alles nach ihrem Sinn und Wunsch geht. Wenn aber die Sache sich gegen ihren Willen dreht, so sind sie im selben Augenblick mit sich entzweit und lassen den Kopf hängen. ...


15. Von den Werken, die aus Liebe geschehen.


... Ohne innere Liebe nützt alles äußere Tun nichts. Was aber aus Liebe geschieht, das ist groß, das bringt große Frucht, so gering und ungeachtet es in Menschenaugen immer sein mag. Denn auf der Wage Gottes wiegt das, was dich zum Tun treibt, ungleich mehr als die Tat selber.

... Oft scheint es Liebe zu sein, was uns treibt und drängt, und ist doch eitel Fleischlichkeit. Denn natürliche Neigung, Eigenwille, Hoffnung auf Wiedervergeltung und Trieb zur Bequemlichkeit mischen sich in unsre guten Werke.

Wer die wahre, vollkommene Liebe hat, der sucht in keiner Sache sich selbst, nur die Ehre seines Gottes will er in allen Dingen gefördert sehen. ... O wenn jemand aus uns nur ein Fünklein der wahren Liebe in sich hätte, er würde sich des lebendigen Gefühles nicht erwehren können, daß alles Irdische voll Eitelkeit ist.


16. Fremde Fehler, die man nicht bessern kann, muß man ertragen.


Was der Mensch an sich oder andern nicht bessern kann, das muß er mit Geduld ertragen, bis Gott es anders fügt.
Denke nur, daß es so vielleicht besser ist, indem es wenigstens helfen kann, deinen Sinn zu bewähren und dich in der Geduld zu üben, ohne welche unsre guten Werke nicht sonderlich viel Gutes in sich haben. Jedoch mußt du bei allem, was dir im Weg ist, und du nicht beseitigen kannst, zu Gott bitten, daß er dir zu Hilfe komme, und du mit stillem, sanftem Gemüt ertragen lernest, was sich nicht ändern läßt.

Hast du deinen Nächsten ein- oder zweimal ermahnt und mit deiner Ermahnung nichts ausgerichtet, so laß dich mit ihm in keinen Zank ein, sondern stelle die ganze Sache Gott anheim, daß sein Wille geschehe, und seine Ehre in allen seinen Dienern gefördert werden möge. Denn er weiß ja auch das, was böse ist, zum Guten umzulenken. Lerne Geduld haben mit fremden Fehlern und alle Schwachheiten, wie immer sie heißen, ertragen. Denn sieh, du hast auch viel an dir, was andere tragen müssen. Du kannst aus dir selbst nicht den Menschen schaffen, den du gern aus dir machen möchtest: wie wirst du denn einen andern nach deinem Sinn und Gefallen umschaffen können? ...

Nun aber hat Gott für dieses Leben es so und nicht anders geordnet, daß einer die Bürde des andern solle tragen lernen. Denn ohne Fehler ist keiner, keiner ohne Bürde, keiner sich selbst genug, keiner weiß in allem sich selbst zu raten, einer muß den andern tragen, einer den andern trösten, stützen, unterweisen, ermahnen. Wie groß aber die Stärke deines Geistes ist, das wird durch die Schwachheit deines Nächsten, die dich plagt und drückt, nur mehr an den Tag gebracht, als sie es schon war. Denn die Gelegenheiten machen den Menschen nicht erst schwach und gebrechlich, sondern sie zeigen nur, wie schwach und gebrechlich er schon ist.


18. Von dem Beispiel der Heiligen, die vor uns gelebt haben.


Schau hin auf die lebendigen Beispiele der heiligen Väter, in denen die wahre Vollkommenheit und Gottseligkeit lichthell geschienen hat, und du wirst sehen, wie alles, was wir tun, so wenig und fast gar nichts ist. Ach, was ist unser Leben, wenn wir uns mit ihnen vergleichen! ...

... Wie viele und glühende Gebete opferten sie dem Herrn! Wie streng war ihre Enthaltsamkeit! Wie groß ihr Wetteifer, im Guten zuzunehmen, wie heiß der Kampf, den sie zur Besiegung des Bösen ausgehalten haben? Wie rein und gerade verlief die Richtung ihres Herzens zu Gott? Der Tag ward der Arbeit und die Nacht dem heiligen Gebete gewidmet; doch auch zu Zeiten, da die Hand arbeitete, dauerte der Feierabend des Geistes, das inwendige Gebet des Herzens, ununterbrochen fort. ...

Sie waren also arm an irdischen Gütern, aber sehr reich an Gnade und Tugend; dürftig im Äußern, aber im Innern voll Gnade und göttlicher Tröstung; abgewandt von der Welt, aber Gottes nächste Verwandten und trauteste Freunde; in ihren eigenen Augen nichts und in dem Auge der Welt verachtet, aber in den Augen Gottes köstlich und teuer. ... Sie sind allen Ordensleuten als Beispiele aufgestellt, und sie sollten uns weit mehr zum Eifer anspornen, als die Zahl der Lauen zur Nachlässigkeit gegen die Zucht uns verführen kann.

O wie mächtig war der Eifer der Ordensleute in den ersten Tagen ihrer heiligen Stiftung; wie groß die Andacht im Gebete! wie rastlos die Begierde, einander auf der Bahn der Tugend voranzugehen wie blühend die Zucht, der Gehorsam und die Ehrerbietung in allem, was Vorschrift ihres Lehrers war! Die Fußstapfen, die sie uns hinterlassen haben, bezeugen es noch, daß es heilige und vollkommene Männer waren, die so tapfer gekämpft und die Welt so glücklich bezwungen haben. Jetzt hält man schon den für einen großen, seltnen Mann, der nur kein Gebot übertritt und das Widrige, das ihm etwa geschieht, geduldig erträgt.

O des lauen und nachlässigen Wesens in unserm Berufe! So früh haben wir die Liebe verloren, so lau und träge sind wir geworden, daß es uns fast verdrießt, durch dies Leben uns hindurchzuschleppen. O daß doch dein Eifer, besser zu werden, nicht ganz einschlafen möge, nachdem du so viele Beispiele gottseliger Menschen mit deinen Augen gesehen hast!


19. Von den Übungen der Gottseligkeit.


... Wenn du deine Andachtsübung hie und da aus gottseligen Absichten, oder um deinen Brüdern nützlich zu sein, unterlässest, so kannst du den Faden, den du abgerissen hast, leicht wieder anknüpfen. Aber wenn du aus Überdruß oder aus Nachlässigkeit von deinen Übungen ablässest, so ist das schon sehr schuldhaft, und du wirst bald empfinden müssen, daß es dir auch geschadet hat. Wir dürfen wohl nach all unsern Kräften vorwärts trachten, wir werden doch oft genug bei noch so geringen Anlässen zurückbleiben. Unsere Vorsätze sollen nie ins Allgemeine, sondern müssen stets auf etwas Bestimmtes gerichtet sein und vor allem gegen das, was uns am meisten hinderlich ist. Unser Inneres und Äußeres sollen wir streng durchforschen und gewissenhaft ordnen, denn das Innere und Äußere, wenn es genau erforscht und wohl geordnet ist, hilft uns auf dem Wege zum Guten weiter fort.

Wenn du dich nicht immer in dir sammeln kannst, so sammle dich doch hie und da, wenigstens einmal am Tage, am Morgen oder am Abend. Am Morgen erwecke einen guten Vorsatz, am Abend durchforsche deinen Wandel, wie deine Gedanken, Worte und Handlungen den Tag über beschaffen gewesen sind; denn vielleicht hast du darin öfter wider Gott und wider deinen Nächsten gesündigt. ...

... Unsere guten Vorsätze sollten so immer von einem Fest zum andern hin gefaßt werden, gerade so, als wenn wir das nächste Fest nicht mehr auf Erden, sondern schon im Himmel begehen und dort den ewigen Festtag mitfeiern würden. ...

Und wenn der Herr den Zahltag für uns weiter hinausschiebt, so dürfen wir nur denken, wir wären zum Fest noch nicht hinlänglich geschmückt, noch nicht würdig der großen Herrlichkeit, welche zur bestimmten Zeit an uns sich offenbaren wird, wir müßten also zum Heimgang noch besser uns vorbereiten. O selig, sagt der frohe Evangelist Lukas, selig der Knecht, den der Herr bei seiner Ankunft wird wachend finden! Ich sage euch: er wird ihn mit voller Macht über alle seine Güter setzen.


20. Sei gern einsam und still!


... Es ist kein Mensch einer himmlischen Tröstung wert, der nicht zuvor in der Schule der heiligen Zerknirschung fleißig sich geübt hat. ...

... Die Sinnlichkeit lockt dich zum Ausgehen, aber wenn das Stündchen vorüber ist, was bringst du dann wieder nach Hause als ein beschwertes Gewissen und ein zerstreutes Herz? Ein heiteres Ausgehen erzeugt oft ein trübes Heimkommen, und ein lustiger Abend oft einen traurigen Morgen. So ist's mit jeder Lust des Fleisches. Sie tritt sanft und kosend ein, aber zuletzt beißt und tötet sie. ...


21. Von der Zerknirschung des Herzens.


... Daß dir die Menschen ihre Gunst entziehen, das soll dich nicht traurig machen. Aber das laß dir zu Herzen gehen, daß du nicht immer so gut und so vorsichtig wandelst, wie ein Knecht Gottes und ein andächtiger Ordensmann wandeln soll. Es ist dem Menschen oft nützlicher und immer sicherer, daß er nicht sonderlich viel Freuden auf der Erde zu genießen habe, besonders keine sinnlichen. Daran aber, daß der göttliche Trost uns mangelt oder nur selten zu kosten uns gegeben wird, daran sind wir selber schuld; und die Schuld besteht darin, daß wir uns um das, was unser Herz wund und für den göttlichen Frieden empfänglich machen kann, nicht viel bekümmern und dem, was nur eitle und äußerliche Freuden gewähren kann, nicht mannhaft genug Abschied geben.


22. Von der Betrachtung des menschlichen Elends


Sei, wo du willst, und wende dich, wohin immer du willst, wenn du nicht zu Gott dich hinwendest, so bist du überall ein elender Mensch.
Warum wirst du doch sogleich uneins mit dir, wenn die Sachen einen andern Gang nehmen, als du wünschest? Wo ist doch der Mensch, dem alles nach seinem Sinne geht? Nicht ich und nicht du und kein Mensch auf Erden kann alles nach seinem Sinn haben. Kein Mensch ist ohne Plage und Trübsal auf der Erde, kein einziger, er sei König oder Papst. Und was meinst du, wer ist wohl unter allen Menschen am besten daran? Sicherlich nur der, welcher gut und groß genug ist, für Gott etwas leiden zu können.

Da klagen denn die Schwachen und Unmündigen, und derer sind viele: Sieh, dieser läßt sich's wohl sein, ist reich und groß und mächtig und steht überall obenan. Du aber schau nur mit festem Blick hin auf die Güter des Himmels, und du wirst klar sehen, daß alle Güter der Erde die eigentlichen, rechten Güter des Menschen nicht sein können. ...

... Ganz anders die Heiligen Gottes und alle andächtigen Freunde Jesu! Sie sahen nicht auf das, was dem Fleische schmeichelte, noch was in ihrem Zeitalter glänzte, sondern all ihr Hoffen und Trachten war aufwärts gerichtet zu dem, was gut ist und gut bleibt ewig. Ja, aufwärts gen Himmel, zu dem bleibenden und unsichtbaren Gut des Menschen flog all ihr Verlangen, damit sie nicht etwa von der Liebe zu dem, was sichtbar und vergänglich ist, möchten ergriffen und zur Erde herabgezogen werden.

Lieber Bruder, nichts, nichts soll dir die Zuversicht aus dem Herzen stehlen können, daß auch du in dem wahren Leben des Geistes noch weiterkommen wirst. Noch ist Zeit und Stunde da. Aber warum immer so gezögert und das Wichtigste von heut auf morgen verschoben? Steh auf und fang in diesem Augenblick an und sprich zu dir: Jetzt ist es Zeit zum Arbeiten, Zeit zum Streiten, jetzt hat die Stunde geschlagen zu meiner Besserung! Ist dir nicht wohl zumute und kommt eine Plage über dich: nun, das ist für dich eben die rechte Zeit, dich eines bessern, seligen Lebens würdig zu machen. ...


23. Sterblicher, denk ans Sterben.


... Alles, was du denkst und tust, alles soll so gedacht und getan werden, als wenn du heut noch sterben müßtest. Wenn du wirklich ein gutes Gewissen hättest, so würdest du nicht sonderlich vor dem Tode zittern. Immer besser, die Sünde meiden, als den Tod fürchten. Und wenn du heut nicht bereit bist, wie wirst du es morgen sein: Der morgige Tag ist ein ungewisser Tag, und wer hat es dir denn verbürgt, daß du ihn noch erleben wirst.

Was nützt es dir, lange zu leben, wenn dein Eifer, besser zu werden, von so kurzer Dauer und von so geringer Wirkung ist: Ach, ein langes Leben macht den Menschen nicht immer besser, macht die Zahl seiner Sünden nur größer. ...

Wenn die Morgenstunde kommt, so rechne darauf, daß du vielleicht die Abendstunde nicht mehr erleben wirst. Und wenn die Abendstunde da ist, so wag es nicht, dir noch die Morgenstunde zu versprechen. So sei denn immer bereit und lebe so, daß der Tod dich nie unbereitet finden kann. Es sterben doch so viele, ehe sie es vermuten und ohne daß sie gefragt werden, dahin. Der Menschensohn kommt auch hier zur Stunde, wo man es nicht glaubt. Wenn deine letzte Stunde wird gekommen sein, dann wirst du dein vergangenes Leben in einem ganz andern Lichte sehen, und es wird dir dein Herz zerreißen, daß du im Guten so nachlässig und lau gewesen bist.

Wie selig und klug ist doch der Mensch, der keine andere Sorge kennt, als so zu leben, wie er im Tode wünschen wird gelebt zu haben. ...


25. Von ernster Besserung unseres ganzen Lebens.


... Es ist nur eines, das viele vom Fortgang im Guten und von ernster Besserung ihres Lebens zurückhält, und dies eine heißt: Es ist so schwer, so schwer, wider sich selbst zu kämpfen, und dieses schwere Stück Arbeit scheuen sie.
Wahrhaftig, auf der Bahn der Tugend tun gerade am meisten sich die hervor, welche da, wo ihre Neigungen den heftigsten Widerstand leisten, den stärksten Angriff wagen. Je mehr der Mensch sich selbst überwindet und mit der Übermacht des Geistes die Werke des Fleisches ertötet, desto weiter schreitet er im Guten voraus, desto größerer Gaben macht er sich fähig und wert.

Zwar haben nicht alle gleichviel, das sie überwinden und dem sie absterben sollten. Wer aber das Werk der Selbstüberwindung mit edlem Wetteifer angreift, wenn er auch noch so viele Leidenschaften zu bekämpfen hat, der wird es im Guten ungleich weiter bringen als ein anderer, der eine stille sanfte Gemütsart besitzt, dabei aber den Eifer nicht hat, mit dem die Tugend errungen sein will. Zwei Dinge kenne ich, die in der Besserung mit besonderer Kraft uns weiter forthelfen. Sich mit Gewalt versagen das, wozu die Natur wider Ordnung und Pflicht hinneigt, dies ist das erste. Dem Guten, daran wir gerade besonders arm sind, mit stetigem Eifer nachringen, dies ist das zweite. ...

Denk an den schönen Entschluß, den du gefaßt hast, und blick auf den, der am Kreuze starb. Du hast Ursache genug, schamrot zu werden, wenn du das Leben Jesu zu deinem Spiegel machst, schamrot, daß du ihm noch so ungleich bist, da du doch schon vor langer Zeit den Weg zu Gott betreten hast. Ein Ordensmann, der das allerheiligste Leben und Leiden Jesu zum Muster seines Lebens und Leidens macht und mit Andacht und Eifer nach diesem Muster sich übt und bildet, wird alles, was ihm nötig und nützlich ist, bei Jesus finden und im Überflusse finden, wird nie die Notwendigkeit fühlen, außer Jesus etwas Besseres zu suchen. O wenn nur Jesus, der Gekreuzigte, mit seinem Lichtstrahl in unser Herz käme, wir würden schnell lernen und bald genug gelernt haben! ...

... Sieh, die Karthäuser, die Zisterzienser und andere Mönche und Nonnen kürzen bei Nacht sich den Schlaf ab und loben Gott in heiligen Gesängen. Und du willst zu derselben Zeit, wo so viele frommen Seelen Gott preisen, das göttliche Werk nur schläfrig betreiben? Welche Schande!

O daß wir nichts anderes zu tun hätten, als unseren Herrn und Gott von ganzem Herzen und mit freudiger Zunge zu loben! Wäre doch nicht das Bedürfnis zu essen, zu trinken, zu schlafen. Könntest du nur immer Umgang mit der Wahrheit haben, immer Gott loben: seliger, weit seliger wärest du als jetzt, wo du dem Fleische, wenn auch nur zur Notdurft, dienest. Gäb es doch keine Bedürfnisse des Leibes und nur Bedürfnisse des Geistes: welch eine Seligkeit, sie zu befriedigen! Und diese Seligkeit, wie selten kosten wir sie!

Wenn der Mensch es dahin bringt, daß er von keinem Geschöpf mehr Trost erbettelt, dann erst fängt er an, vollkommen Geschmack an Gott zu finden, dann wird er bei allem, was geschieht oder geschehen mag, zufrieden bleiben. ...

II. Ermahnungen für das innere Leben


1. Vom inneren Leben des Menschen.


Das Reich Gottes ist in euch [Lk 17,21], spricht der Herr. So wende dich denn zu Gott, dem Herrn, und wende dich von ganzem Herzen zu ihm und verlaß diese elende Welt, und deine Seele wird Ruhe finden.
Lerne verschmähen, was dich außer dir umhertreibt, lerne hochachten, was dich in dir zurechtsetzt, und du wirst das Reich Gottes in dein Herz kommen sehen. Denn das Reich Gottes in uns ist Friede und Freude im heiligen Geiste [Röm 14,17], und dieses Reich ist kein Reich für die Gottlosen. O gewiß kommt Christus zu dir und läßt dich seine Tröstungen genießen, wenn du ihm in deinem Innern eine würdige Wohnstätte wirst bereitet haben. ...

Wohlan, treue Seele, bereite dein Herz für diesen Bräutigam, denn er will zu dir kommen und in dir Herberge nehmen, wie er selbst sagt [Joh 14,23]: Wer mich lieb hat, der hält mein Wort, und wir werden zu ihm kommen und Herberge bei ihm nehmen. So mache denn Platz für Christus, und damit er Platz habe, so wehre allen übrigen Dingen den Eingang in dein Herz. Hast du ihn selbst, so bist du reich und hast genug an ihm. Er wird für dich sorgen und in allen Dingen dein treuer Behüter sein, daß du nicht erst nötig hast, auf Menschen zu bauen. Denn schnell ändert sich des Menschen Sinn, und der Mensch ist schnell dahin. Christus aber bleibt ewig und bleibt ewig dein treuer Freund, er weicht nie von deiner Seite. ...

... Laß das Vergängliche dich nicht in sein Netz ziehen, sonst möchtest du davon gefangenwerden, daran hängen bleiben und darin zugrunde gehen. Dein Gedanke sei bei dem Allerhöchsten, und dein Gebet höre nicht auf, bei Christus anzuklopfen. Kannst du deinen Geist nicht erheben zu hohen, zu himmlischen Betrachtungen, so suche deine Ruhestätte in dem Leiden Christi und wohne gern in seinen heiligen Wunden. Denn sobald du im lauteren Triebe der Andacht zu den köstlichen Wundmalen Jesu deine Zuflucht nimmst, so wirst du darin wider alle Leiden, die dich mutlos machen könnten, neue Stärke finden und, neugestärkt, die verächtlichen Blicke der Menschen nicht mehr so hart empfinden und ihre beißenden Worte leicht ertragen.

Denn sieh, Christus ward in der Welt von den Menschen auch verschmäht, ward in seiner größten Not unter Spott und Hohn von all seinen Bekannten und Freunden verlassen. Christus wollte leiden, Christus wollte sich schmähen lassen; und du wagst es, den Mund aufzutun, um über deine geringen Leiden zu klagen? Christus hatte seine Widersprecher und Widersacher, und du willst alle Menschen zu Freunden und Wohltätern haben? Wofür sollte auch wohl deine Geduld gekrönt werden, wenn sie nichts Widriges zu erdulden hätte? Wenn du nicht Unangenehmes leiden willst, wie kannst du denn ein Freund des leidenden Christus werden? ...

Wärest du nur einmal in das Allerheiligste unseres Herzens, in Jesus, tief eingedrungen, hättest du nur ein Fünklein von seiner brennenden Liebe aufgefangen, o es würde dir nicht mehr um deinen eigenen Vorteil oder Nachteil zu tun sein, du würdest vielmehr Freude daran haben, dich um des Guten willen lästern zu lassen. Denn die Liebe zu Jesus lehrt den Menschen die große Kunst, sich selbst zu verschmähen. Wer Jesum und die Wahrheit liebt, wer in sich wohnte und dadurch ganz innig und von allen ungeordneten Neigungen frei geworden ist, der kann ungehindert sich zu seinem Gott erheben, kann über sich selbst hinaus im Geist sich schwingen, kann in Gott seligen Genuß, und im Genusse Gottes Ruhe finden. ...


2. Demut.


... Der Demütige hat auch in den Tagen der Schmach festen Frieden in sich, denn Gott ist seine Stütze und nicht die Welt.
Darum glaube nicht, daß du im Guten zugenommen habest, wenn du nicht im Gefühl deines Geringseins unter alle übrigen Menschen dich setzen kannst.

3. Sei gut und strebe nach Frieden!

... Wer mit sich selbst in Frieden lebt, denkt von keinem Arges. Wer aber mit sich selbst in Unfrieden und Krieg lebt, den treibt bald dieser, bald jener arge Wahn hin und her. Er hat keine Ruh und läßt auch andern keine. Er sagt oft, was er nicht hätte sagen, und tut nicht, was er zu seinem eigenen Vorteil hätte tun sollen. Laß du also deinen Eifer zuerst bei dir selbst anfangen, und dann mag er mit allem Recht auch auf deinen Nachbarn sich ausbreiten.

Deine Handlungen kannst du alle schön färben und in mildem Licht erscheinen lassen, aber fremde Entschuldigungen willst du nicht gelten lassen. Und doch, wenn du nach dem Gesetze der Gerechtigkeit richten wolltest, so würdest du lieber dich selbst anschuldigen und deinen Bruder entschuldigen, als nur immer dich entschuldigen und ihn anschuldigen. Wenn du willst, daß die andern dich dulden sollen, so dulde du sie zuerst. Sieh doch, wie fern du noch bist von der wahren Liebe und Demut, die über keinen Menschen zornig oder unbillig werden kann als nur über sich selbst! ...


4. Einfalt und Lauterkeit.


Zwei Flügel heben den Menschen über das Irdische: Einfalt und Lauterkeit, Einfalt in der Absicht, Lauterkeit in der Liebe. Die Einfalt sucht Gott, die Lauterkeit findet ihn. Die Einfalt zielt nach Gott, die Lauterkeit genießt ihn. ... Wäre dein Herz ohne Falsch, dann würde jedes Geschöpf ein Spiegel des Lebens und ein Buch heiliger Lehre für dich sein. Denn es ist kein Geschöpf so klein und unbedeutend, daß es nicht eine Spur von der Güte Gottes an sich trüge.

Wärest du im Innern gut und rein, dann hättest du einen hellen, ungetrübten Blick und würdest alles recht sehen und leicht verstehen. Ein reines Herz dringt durch Himmel und Hölle. ...


5. Von der Betrachtung seiner selbst.


... Wer in sich für Gott zu leben weiß, der setzt die Sorge, in sich für Gott zu leben, allen anderen Sorgen voran. Und wer auf sich selbst ein wachsames Auge hält, dem wird es nicht schwer, bei fremden Fehlern stumm zu sein. Du wirst nie ein innerer, andächtiger Mensch werden, wenn du nicht bei allem, was dich nicht angeht, stumm und für alles Fremde blind werden kannst, wenn du nicht immer auf dich selber siehst. Wenn aber dein ganzes Gemüt am liebsten nur in sich hinein und von da zu Gott aufschaute, dann würde das, was du von außen wahrnimmst, einen schwachen Eindruck auf dich machen. ...


6. Vom guten Gewissen.


... Du bist nicht besser, wenn man dich lobt, und nicht schlechter, wenn man dich lästert. Was du bist, das bist du, und alle Worte der Menschen können dich nicht größer reden, als du in dem Urteile Gottes wirklich bist. ...


7. Was es heißt, unsern Herrn Jesus Christus lieb haben.


... Halte dich fest an Jesus im Leben und im Sterben und überlaß dich ganz der treuen Liebe desjenigen, der allein noch helfen kann, wo alle andere Hilfe nicht ausreicht. Es ist die Natur deines Geliebten, daß er sein Reich mit keinem andern teilen will, er will dein Herz ganz allein für sich haben, er will darin wie ein König auf seinem Throne herrschen. O könntest du dein Herz für ihn ganz leer machen, leer von allen Geschöpfen, so müßte er bei dir Herberge nehmen, und würde sie am liebsten bei dir nehmen. ...

... Wenn du Jesum überall suchst, so wirst du ihn auch überall finden. Wenn du aber dich selbst suchst, so wirst du dich selber auch überall finden, aber zu deinem eigenen Verderben. Denn der Mensch, der Jesum nicht sucht, schadet sich selber ungleich mehr, als alle Welt und alle seine Feinde ihm ewig schaden können.


8. Vom vertrauten Umgang mit unserm Herrn Jesus Christus.


Ist Christus bei dir daheim, so ist alles gut und alles leicht. Ist aber Christus nicht bei dir, so ist alles bitter und hart.
Wenn dir Jesus keinen inneren Trost einspricht, so ist alle andere Tröstung kraftlos. Aber ein einziges Wort aus seinem Munde bringt großen Trost in dein Herz. ...

... Und wenn du ihn vertrieben, ihn verloren hast, zu wem wirst du dann deine Zuflucht nehmen? Wo wirst du wieder einen Freund finden? Ohne Freund kann dir nicht wohl sein, und wenn Jesus nicht dein erster Freund ist, so wirst du immerzu nur traurig und wie verlassen sein. ...

Du sollst alle Menschen um Jesu willen lieb haben, aber Jesus um seinetwillen. Christus ist vor allen andern Freunden gut und treu gefunden worden, er ist es also vor allen andern wert, geliebt zu sein. Seinetwegen und in ihm sollen dir alle, Freunde und Feinde, lieb sein. Für alle sollst du zu ihm bitten, daß alle ihn erkennen und lieb haben möchten. Laß dich nie danach gelüsten, daß du vor andern geliebt und gelobt werden möchtest. Denn das steht allein Gott zu, der nicht seinesgleichen hat. Auch sollst du nie die erste Stelle in eines Menschen Herzen, die Gott allein geweiht sein soll, einnehmen wollen, noch einen andern Menschen diese Stelle in deinem Herzen einnehmen lassen. Jesus nehme diese Stelle ein in dir und in jedem guten Menschen! ...


9. Was es sagen will, durchaus trostlos sein.


... Was ist es denn Großes, beim sanften Wehen der kommenden Gnade freudig und andächtig zu sein?
Diese Stunde möchten alle gern haben. Das ist eine gar liebliche Fahrt durch dieses Leben, wenn einen die Gnade Gottes sanft dahin trägt! Was Wunder, daß der keine Bürde fühlt, den der Allmächtige auf seinen Händen trägt, den der höchste Führer überall hindurchführt! ...

Oh, es muß der Mensch lang und viel mit sich selbst im Kampf liegen, bis er es lernt, sich ganz zu überwinden und ganz mit all seiner Liebe Gott allein sich zu ergeben und ihm allein anzuhängen. Wenn der Mensch noch an sich selber hängt, so neigt er sich bald wieder abwärts und sucht Menschentrost. Wer aber einmal seinem Herrn Jesus Christus von ganzem Herzen und mit allem Ernste in den Tugenden des christlichen Lebens nachzuringen gelernt hat, dem ist es nicht mehr um Trost und süße Empfindungen zu tun. Er will viel lieber starke Prüfungen aushalten und scheut um Christi willen keine Arbeit mehr, auch die schwerste nicht.

Wenn dir also ein himmlischer Trost von Gott in die Seele gegeben wird, so nimm ihn dankbar an und sieh in ihm nicht den Lohn deiner Verdienste, sondern die lautere, unverdiente Gabe Gottes. ... Und wenn dann die Tröstung vorüber ist, so mußt du den Mut nicht sinken lassen, sondern in Demut und Geduld warten können, bis das Licht des Himmels dein Auge wieder heimsucht; denn Gott ist mächtig genug, dir wieder eine Tröstung zu senden, und zwar in größerm Maße. Dieser Wechsel von Tröstungen und Versuchungen ist nichts Neues denen, die in den Führungen Gottes wohl bewandert sind. ...

... Kein Heiliger war so hoch verzückt, keiner so hell erleuchtet, daß er nicht vor oder nach seiner Verzückung oder Erleuchtung in eine Versuchung gefallen wäre. Denn wer für das Reich Gottes noch nicht durch irgend ein Probefeuer hindurchgegangen ist, der ist es nicht wert, zur hohen Anschauung Gottes zugelassen zu werden. Immer kann man die vorangehende Prüfung als einen Vorboten der nachfolgenden Tröstung ansehen. Denn nur denen, deren Treue sich durch mancherlei Versuchungen bewährt hat, wird die himmlische Tröstung verheißen. Wer überwunden haben wird, sagt die Schrift, dem will ich vom Baume des Lebens zu essen geben [Off 2,7].

Auch wird uns die göttliche Tröstung in diesem Leben nur zu dem Zweck gegeben, damit wir dadurch neue Stärke zu neuen Leiden bekommen. Oft auch folgt der Tröstung wieder eine Versuchung auf dem Fuße nach, damit der Mensch des Guten wegen nicht so leicht sich überhebe. Noch ist das Fleisch nicht tot, noch schläft Satan nicht, deswegen mußt du unablässig dich auf den Kampf rüsten; denn es gibt Feinde genug zur Linken und zur Rechten, die nicht müde werden, auf deinen Untergang zu lauern.


10. Danke Gott für die Gnade Gottes!


Warum willst du Ruhe haben, da du doch zur Arbeit geboren bist? Halte stets mehr auf Leiden als auf Tröstungen dich gefaßt. Denn wo wäre auch unter denen, die in der Welt leben, der Mensch zu finden, der nicht immer gern Tröstungen und Freuden des Geistes genießen möchte, wenn er sie einmal genossen hätte und immer genießen könnte! ...

Was aber der göttlichen Heimsuchung am meisten Tür und Tor verriegelt, das ist die falsche Freiheit des Gemütes und das große Vertrauen auf sich selbst. Gott tut wohl, wenn er die Gnade der himmlischen Tröstungen sendet; aber der Mensch tut nicht wohl, wenn er Gott nicht für alle Gaben dankt und sie durch Dank gleichsam wieder zurückgibt, ohne etwas davon für sich zu behalten. Und eben deshalb können die Gnaden Gottes nicht ungehindert in uns einfließen, weil wir gegen den, der die Gnaden sendet, undankbar sind und nicht alles, was uns gegeben wird, in die Quelle, aus der es geflossen ist, zurückfließen lassen. Denn es ist ein Gesetz der göttlichen Haushaltung: Wer für die Gnade würdig zu danken weiß, der empfängt immer neue Gnade; und es wird dem Stolzen abgenommen, was dem Demütigen zugelegt wird. ...

Sei also dankbar auch für das geringste Gut, und der Dank für das Geringste wird dich würdig machen, Größeres zu empfangen. Laß die geringste Gabe dir so lieb sein, als wäre sie die höchste; und was andere verachten, das sei dir als eine besondere Gabe besonders wert. Denn wenn du auf die Würde dessen siehst, der dir die Gabe darreicht, so ist keine Gabe gering, kein Geschenk unbedeutend. Es ist nichts gering, was der Allerhöchste darreicht. Sei es auch, daß dir Strafen und Schläge zugeteilt werden, auch diese mußt du als ein wertvolles Geschenk annehmen. Denn alles, was er über uns kommen läßt, wird in seiner Hand uns zum Segen. Wer die Gnade Gottes bewahren und für immer behalten will, der sei dankbar, wenn sie bei ihm einkehrt; geduldig, wenn sie sich zurückzieht; eifrig im Gebet, daß sie wiederkomme; demütig und vorsichtig, daß sie nicht wieder von ihm weiche.


11. Viel Christen, aber wenig Freunde Christi und seines Kreuzes!


Jesus hat jetzt viel Jünger, die im himmlischen Reich gern mit ihm herrschen möchten, aber wenige, die sein Kreuz auf Erden tragen wollen. Viele, die gern seine Seligkeit mit ihm teilen möchten, aber wenige, die in der Trübsal mit ihm aushalten wollen. Viele, die mit ihm essen und trinken möchten, aber wenige, die mit ihm fasten wollen. Alle möchten mit ihm Freude haben, aber wenige wollen mit ihm leiden. Viele folgen Jesu nach bis zum Brotbrechen beim Abendmahle, aber wenige bis zum Trinken aus dem Leidenskelche. Viele ehren seine Wunder, die er getan, aber wenige teilen mit ihm die Schmach des Kreuzes, die er gelitten hat. Viele lieben Jesum, solange sie nichts zu leiden haben, loben und preisen ihn, solange sie Tröstungen von ihm empfangen. Aber wenn er sich verbirgt und nur eine kurze Weile sie allein läßt, da klagen sie gleich oder verlieren gar allen Mut.

... Wie kann man die, die nur immer nach Tröstungen haschen, anders nennen als Lohnknechte? Wenn sie immer auf ihren Nutzen, auf ihren Gewinn sinnen, beweisen sie dann nicht selbst, daß sie sich mehr als Jesum lieben? Wo findest du doch einen Menschen, der seinem Gott umsonst dienen will? ...


12. Das heilige Kreuz, der königliche Weg zum Himmel.


Es ist für viele Ohren ein hartes Wort: Verleugne dich selbst, nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach.
Aber noch härter wird in ihren Ohren das letzte Wort sein, wenn sie es werden hören müssen: Gehet hin, ihr Verworfenen, in das ewige Feuer! Denn jene, die jetzt das Wort vom Kreuz gern hören und willig befolgen, die werden einst von dem Wort der ewigen Verdammnis nichts zu fürchten haben. Das Zeichen des Kreuzes wird am Himmel glänzen, wenn der Herr wiederkommen wird, die Menschen zu richten. Alsdann werden alle Freunde des Kreuzes, die ihrem Vorbild Christus, dem Gekreuzigten, in ihrem Leben gleich geworden sind, zu Christus, ihrem Richter, mit großer Zuversicht hinzutreten.

Warum säumst du denn, das Kreuz auf deine Schulter zu nehmen, da doch der Weg vom Kreuze zum Throne führt? Im Kreuze ist Heil, im Kreuze ist Leben, im Kreuze ist Schutz vor den Feinden, im Kreuze ist Stärke des Gemütes, im Kreuze ist Geistesfreude, im Kreuze ist höchste Tugend, im Kreuze ist vollendete Heiligung zu finden. Es ist kein Heil der Seele, keine Hoffnung des ewigen Lebens, außer im Kreuze. Nimm also dein Kreuz auf dich und folge Jesu nach, und du bist auf dem geradesten Weg zum ewigen Leben. Sieh, er ging uns ja voraus und trug uns das Kreuz voran und starb sogar für dich am Kreuze, damit auch du dein Kreuz tragen lernen und Mut empfangen solltest, am Kreuze zu sterben. Denn wenn du nun mit ihm stirbst, so wirst du auch mit ihm leben, und wenn du das Leiden mit ihm teilest, so wird er auch seine Herrlichkeit mit dir teilen.

Sieh hier das Kreuz, sieh hier das Sterben! Im Kreuze liegt alles Heil, am Sterben liegt es. Es führt kein anderer Weg zum Leben, zum wahren, innern Frieden, als der Weg des heiligen Kreuzes, des täglichen Sterbens. Geh, wohin du willst, suche, was du willst; aber einen Weg, der höher hinauf und von unten auf sicherer führte, wirst du außer dem Weg des heiligen Kreuzes nicht finden. Ordne und füge alles nach deinem Willen und nach deiner Erkenntnis, und du wirst es nicht anders finden, als daß es überall für dich etwas zu leiden gibt. Gelitten muß es sein, mit Willen oder wider Willen. Und so wirst du überall ein Kreuz finden. Denn entweder hast du Schmerzen am Leibe oder eine Plage im Geiste auszustehen.

Bald kannst du deinen Gott nirgendwo finden, und es ist, als wenn er dich verlassen hätte; bald quält dich dein Nächster, und, was das Schlimmste ist, oft bist du selber dir zur Last. Es kommen auch Fälle, die dich nirgend Arznei oder Trost, nirgend Rettung oder Linderung werden finden lassen; du wirst leiden müssen und solange leiden, bis der Herr dem Leiden ein Ende macht. Der Herr will, daß du eine Weile auch ohne Tröstung leiden und dich ihm ganz ohne Ausnahme unterwerfen lernest und aus dem Leiden demütiger hervorgehest, als du hineingingst. Niemand kann das Leiden Jesu ihm so herzlich und innig nachempfinden, als wer aus gleichem Leidensbecher mit ihm getrunken hat. ...

Das ganze Leben Christi war nur Kreuz und Marter, und du willst nichts als Ruh und Freude haben? Irre gegangen, weit irre gegangen bist du, wenn du etwas anderes suchst als Leiden, weil dies ganze sterbliche Leben voll Elend und überall mit Kreuz und Plagen gezeichnet ist. Und je weiter einer im Leben des Geistes vorwärts geschritten ist, desto schwerere Kreuze werden ihm begegnen. Denn je lieber ihm seine wahre Heimat wird, um so mehr Pein schafft es ihm, in der Verbannung leben zu müssen.

Doch wird es ihm bei diesen seinen mancherlei Plagen nicht lang an Tröstungen, die sein Leiden mildern, fehlen können; denn es werden aus dem Kreuze, das er mit Geduld trägt, die schönsten Früchte vor seinen Augen erwachsen. Indem er seinem Kreuz freiwillig sich unterwirft, so tritt freundlich die Zuversicht zu ihm und verwandelt die Bürden der Zeit in so viele Tröstungen der Ewigkeit; und je mehr das Fleisch durch den Druck des Leidens geschwächt wird, desto mehr wird der Geist durch die innerliche Gnade gestärkt. Manchmal fühlt der Geist bei seiner Trübsal und Plage ein solches Übermaß von Stärke, daß er, durchdrungen von der Liebe zu unserm Herrn Jesus Christus und voll Freude über die Gleichheit zwischen seinem eigenen Leiden und dem Kreuze Christi, nicht einmal ohne Trübsal und Schmerz leben möchte; denn er glaubt, daß er seinem Herrn um so angenehmer sein wird, je mehr und je schwerere Leiden er für das Reich wird ausstehen können. Dies aber ist nicht Menschenwerk, es ist Gnade Christi, die in dem sterblichen Fleisch so viel vermag, so viel zustande bringt, daß der Mensch das, was er nach seiner sinnlichen Natur scheut und flieht, im glühenden Eifer seiner besseren Natur mutig angreift und liebgewinnt.

Es liegt nicht in der Art des Menschen, daß er sein Kreuz trage und liebe, das Fleisch züchtige und als einen Knecht unter die Herrschaft des Geistes bringe, der Ehre und dem Lob der Menschen aus dem Wege gehe und die Schmach willig ertrage, sich selbst verschmähe und gern es sehe, daß andere ihn verschmähen, alles Widrige unter Aufopferung seines Vorteils erdulde und nichts von den glänzenden Freuden der Erde verlange. Wenn du nur immer auf deine eigene Kraft siehst, so wirst du, dir selber überlassen, so große Dinge nicht tun können. Aber wenn du auf den Herrn vertraust, so wird dir Stärke vom Himmel gereicht, und Fleisch und Welt werden unter deine Herrschaft gebracht. Auch dein Feind, der Teufel, wird nichts Furchtbares für dich haben, wenn du die Waffenrüstung des Glaubens angezogen hast und mit dem Kreuze Christi wirst bezeichnet sein.

... So trink denn mit herzlicher Zuneigung zum Herrn aus seinem Leidensbecher, wenn du sein Freund sein und an seiner Herrlichkeit teilnehmen willst. Was aber die Tröstungen betrifft, so stelle sie Gott anheim. Er mache es auch mit den Tröstungen, wie es ihm gefällt. ...

Wirst du es einmal so weit gebracht haben, daß dir die Bitterkeit des Leidens um Christi willen süß und schmackhaft wird, dann magst du glauben, daß es gut mit dir stehe. Denn alsdann hast du das Paradies auf Erden gefunden. ...

... Und wenn die Wahl dir frei stünde, so müßtest du eher wünschen, recht viel Widriges für Christus zu leiden, als mit vielen Tröstungen erquickt zu werden, weil du auf dem Wege des Leidens Christo ähnlicher und allen seinen Heiligen würdest gleichförmiger werden. Denn unser rechtes Verdienst und das eigentliche Fortschreiten im Guten besteht nicht in vielen Tröstungen und Süßigkeiten, die wir genießen, sondern vielmehr in großen Drangsalen und schweren Lasten, die wir geduldig tragen.

Gäbe es für die Menschen einen mehr sicheren und besseren Weg zum Heil als den Weg des Leidens, so hätte Christus mit Wort und Beispiel sicher ihn gewiesen. Hat er doch alle Jünger, die ihm nachfolgten, und auch jene, die ihm nachfolgen wollen, so klar wie möglich angewiesen, das Kreuz zu tragen. Er spricht: Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach [Lk 9,23]. ...

III. Vom inneren Troste


1. Von dem Worte Christi in uns.


So will ich denn hören, was der Herr, mein Gott, in mir spricht. Selig die Seele, die den Herrn in ihrem Innersten reden hört und aus seinem Munde das Wort des Trostes vernimmt! Selig die Ohren, die das leise Wehen des göttlichen Geistes vernehmen und von dem wilden Geräusche dieser Welt nichts hören! ... Selig, die Mut genug haben, von allen Hindernissen der Welt sich loszureißen und sich ganz ihrem Gott allein zu weihen! Nimm das wohl zu Herzen, meine Seele, und schließ die Tore deiner Sinnlichkeit zu, damit du hören mögest, was der Herr, dein Gott, in dir redet.

Dies sagt dein Geliebter: Ich bin dein Heil, ich dein Frieden, ich dein Leben. Halt dich fest an mir, so ist dein Friede gefunden! Gib alles Vergängliche daran und suche nur das Ewige. ...


3. Höre Gottes Wort in Demut und bewahre es mit aller Treuen.


... Einer kleinen Gabe wegen läuft man weit und breit umher, und um des ewigen Lebens willen mögen viele nicht einmal einen Fuß von der Erde aufheben.

Für nichtswürdige Dinge laufen sie sich müde, zanken sich und streiten um einen Groschen auf niederträchtige Weise, mühen und plagen sich Tag und Nacht, um irgendeine verheißene Kleinigkeit, ein täuschendes Nichts zu erhaschen; und, o Schande, für ein Gut, das ewig währt, für eine Belohnung, die unschätzbar ist, für die höchste Ehre, für eine Herrlichkeit, die kein Ende nimmt, sich auch nur ein wenig zu bemühen, ach, dazu sind sie viel zu träge. ...


4. Wandle vor Gott in Wahrheit und Demut!


... Von all dem, was du tust, soll in deinem Auge nichts groß, nichts kostbar, nichts wunderbar, nichts achtenswert erscheinen. Denn wahrhaftig groß, wahrhaft lobens- und wünschenswert ist nichts, als was ewig ist. Gefallen soll dir über alles die ewige Wahrheit, mißfallen soll dir stets deine Nichtswürdigkeit, die du, ohne einen Rechenfehler zu begehen, für groß ansetzen darfst. Nichts sollst du so sehr fürchten, so sehr verachten, so sehr fliehen als deine Sünden und Laster, sie sollen dir mehr mißfallen, tiefer zu Herzen gehen als jeder zeitliche Verlust. ...


5. Die heilige Liebe in ihrer Macht und Herrlichkeit.


... Es ist ein großes Ding um die Liebe. Die Liebe ist in Wahrheit ein großes Gut. Sie allein macht alle Bürden leicht und duldet alles Ungleiche mit gleichem Mute. Sie trägt die schwersten Lasten und fühlt sie nicht. Sie macht alles Bittere süß und alles Widerliche schmackhaft. O die edle Liebe Jesu! Sie treibt zu großen Taten und weckt das Verlangen, immer noch größere zu tun. Was rechte Liebe ist, will aufwärts und will nicht unten auf der Erde kriechen. Die Liebe will frei sein, fern von allem Weltsinn, damit ihr innerer Blick unbefangen bleibe, von keinem irdischen Gut geblendet, von keinem zeitlichen Ungemach niedergeschlagen werde. Lieblicher, mächtiger, erhabener, umfassender, seliger, vollkommener, edler als die Liebe ist im Himmel und auf Erden nichts. Denn sie ist aus Gott geboren und kann eben deswegen, weil sie aus Gott geboren ist, über alle Geschöpfe sich schwingend, nur in Gott ruhen.

Schnell ist der Lauf der Liebe, hoch ihr Flug, lauter ihre Freude, frei und unaufhaltsam ihr Sinn. Die Liebe gibt alles für alles und hat alles in allem. Denn sie findet ihre Ruhe nur in dem einen höchsten Gut, das die Quelle alles Guten ist. ... Die Liebe fühlt keine Last, findet in der Arbeit keine Arbeit, fragt in ihrem Streben nie, woher sie die Kräfte nehmen solle, klagt nicht über Unmöglichkeiten; denn sie glaubt: ich kann alles und darf es auch. Eben darum taugt sie zu allem, vollendet vieles und bringt zustande, was jeder, der nicht liebt, ohnmächtig nicht zu tun sich getraut.

Die Liebe wacht und schläft im Schlafe nicht. Keine Müh ermüdet sie, keine Beklemmung beklemmt sie, kein Schrecken erschreckt sie; wie eine lebendige Flamme, wie eine hochbrennende Fackel dringt sie mächtig in die Höhe und bricht überall sicher durch. Wer liebt, versteht den Schrei der Liebe, faßt den unendlichen Sinn des Wortes Liebe. ...

Wer nicht entschlossen ist, für seinen Geliebten alles zu leiden und ihm jeden Wink von seinem Auge abzusehen, der ist nicht wert, den schönen Namen eines Liebenden zu tragen. ...


6. Prüfung der Liebe.


Mein Sohn, du liebst mich zwar, aber deine Liebe hat noch nicht Licht und Kraft genug.

Herr, warum nicht?

Ein geringes Hindernis kann dich so mutlos machen, daß du die Bahn, die du betreten hast, gleich nieder verlässest. Du läufst auch noch viel zu hitzig alledem nach, was dir etwas Trost verheißt. Die kraftvolle Liebe steht fest in allen Versuchungen und traut den listigen Eingebungen des Feindes nicht. Wie ich ihr in heitern Tagen gefalle, so mißfalle ich ihr in trüben Stunden nicht.

Die erleuchtete Liebe sieht nicht so sehr auf die Gaben dessen, der liebt, als auf die Liebe dessen, der gibt. ...

Deshalb ist aber nicht gleich alles verloren, wenn dein Denken und Empfinden von mir oder von meinen Heiligen nicht immer so hell und rein ist, wie du gern es haben möchtest. Denn jene liebliche und heilige Empfindung, die hie und da dein Inneres durchströmt, kommt von stärkeren Zuflüssen der himmlischen Gnade her und ist ein Vorgeschmack von den Seligkeiten des rechten Vaterlandes. Aber auch auf diese liebliche Empfindung mußt du nicht sonderlich bauen, denn sieh, sie kommt und geht wieder. Kämpfen wider alle Regungen des Bösen, die du in dir wahrnimmst, und die Eingebungen der Hölle mit Verachtung zurückweisen, das ist das sicherste Wahrzeichen der Tugend, das ist das Ordensband des Verdienstes.

Wenngleich also allerhand fremde, wertlose Einbildungen deinen Kopf belagern, so übergib du die Festung nur nicht, sei mannhaft, bleib deinem Vorsatz treu und behaupte die gerade Richtung deines Herzens zu Gott. Und wenn manchmal auch deine Freude an Gott in hohe Entzückung übergeht, und dein Herz bald darauf zu seinen alten Torheiten zurückkehrt, so mußt du deshalb deine Tugend nicht gleich für eine Täuschung halten. Denn der freie Wille leidet in der Tat mehr bei jenen Schwachheiten, als daß er selbst mitwirkt. Und solange sie dir mißfallen, und dein Wille tapfer sich dagegen wehrt, solange hast du in Gottes Augen nur gewonnen und nichts verloren.

Vergiß die Warnung nie: Dein alter Feind sucht im Grunde nichts anderes, als deinen Eifer nach Heiligkeit zu unterbrechen und von allen Übungen der Andacht dich abzulocken. Er will es dahin bringen, daß du weder das Ehrwürdige an meinen heiligen Freunden mehr ehren, noch an meine Leiden in stiller Liebe denken, noch deine Sünden in heilsame Erwägung ziehen, noch dein eignes Herz bewahren, noch den gefaßten Entschluß, im Guten voran zu trachten, erneuern möchtest. ... Schiebt er böse und unlautere Bilder in deine Einbildungskraft hinein, so gib sie ihm mit Verachtung zurück. Sprich zu ihm: Fort mit dir, du unreiner Geist! Schäme dich, Elender, du mußt ein sehr unreiner Geist sein, weil du solche Bilder, die deiner würdig sind, mir in den Sinn bringst. Weiche von mir, du erster aller Verführer! Du sollst keinen Teil an mir und kein Recht auf mich haben. Denn Jesus ist für mich, und wenn Jesus, dieser tapfere Streiter, für mich ist, so mußt du in Schande dastehen. Lieber will ich sterben, lieber alle Pein ausstehen, als eines Sinnes mit dir werden. ...


8. Sei gering in deinen Augen und vor deinem Gott!


... Werde ich mir selbst überlassen, so bin ich nichts, nichts als Schwäche und Gebrechlichkeit. Aber wenn du mich wieder anblickst, so strömt mit deinem Blick neue Kraft in meine Seele, neue Freude in mein Herz. Wahrhaftig, ein großes Wunder, so schnell hebst du mich zu dir empor, so zärtlich umarmst du wieder mich, den seine eigene Schwere stets unter ihn und in die Tiefe abwärts zieht!

Das ist das Werk deiner Liebe, die ohne mein Verdienst meinen Bedürfnissen zuvorkommt, die in mancherlei Nöten mich unterstützt, die vor drohenden Gefahren mich bewahrt und, um die ganze Wahrheit zu sagen, von unzähligem Jammer mich erlöst. Denn dadurch, daß ich töricht mich liebte, habe ich mich selbst verloren, da ich aber dich allein suchte und dich allein um deinetwillen liebte, sieh, da hab ich dich und mich miteinander gefunden und mich aus Liebe zu dir noch tiefer in mein Nichts versenkt. ...


10. Selig, wer das Vergängliche verschmäht und dem Unvergänglichen dient!


... Ist es denn etwas Großes, daß ich dir diene, nachdem jegliches Geschöpf dir dienen muß? Das soll in meinen Augen nichts Großes sein, daß ich dir diene, vielmehr soll das in meinen Augen groß und wunderbar sein, daß du so gütig warst, ein so ärmliches und unwürdiges Wesen in die Zahl deiner Diener aufzunehmen und mit deinen geliebten Knechten zu vereinigen.

Sieh, dein ist alles, was ich habe und womit ich dir diene. Doch nicht so sehr diene ich dir, du dienest mir weit mehr, als ich dir. Sieh, Himmel und Erde, die du zum Dienst des Menschen erschaffen hast, stehen bereit da und tun täglich, was du ihnen geboten hast. Und dies ist noch wenig, selbst die Engel hast du zum Dienst der Menschen bestellt. Und was dies alles weit übersteigt, du hast den Menschen so hoch erhoben, daß du selbst ihm dienen, daß du selbst dich ihm geben willst nach deiner Verheißung.

Was werde ich denn für alle diese tausend und tausend Gaben dir wiedergeben? O könnte ich alle Tage meines Lebens in deinem Dienste verbringen! Könnte ich auch nur einen einzigen Tag dir nach deiner Würde dienen! ...


17. Leg alle deine Sorgen in Gottes Hand!


Mein Sohn, laß mich mit dir schalten, wie ich will, denn ich weiß, was dir gut ist. Du denkst wie ein Mensch und urteilst von vielen Dingen, wie deine menschliche Neigung es dir eingibt.

Herr, es ist, wie du sagst. Du sorgst weit mehr für mich, als ich selbst für mich sorgen könnte. Und wer nicht all seine Sorgen in deinen Schoß niederlegt, der steht auf einem Grund, der unter seinen Füßen gar zu sehr schwankt. Herr, wenn mein Wille nur immer gerade zu dir hin gerichtet ist und in dieser geraden Richtung festbleibt, so sei alles übrige dir anheimgestellt. Mache es mit mir, wie es dir gefällig ist. Denn was du mit mir machst, das kann nicht anders als gut sein. Wenn du willst, daß Finsternis um mich her werde, so preise ich dich im Finstern, und wenn du willst, daß Licht um mich her werde, so preise ich dich auch im Lichte. Ich preise dich, wenn du eines Trostes mich würdigst, und wenn du Trübsal über mich kommen lässest, so preise ich dich auch in der Trübsal.

Mein Sohn, so mußt du gesinnt sein, wenn du mit mir wandeln willst. Gleich schnell zum Leiden mußt du bereit sein wie zur Freude, so willig zur Armut und Dürftigkeit wie zur Fülle und zum Reichtum.

Herr, ich will um deinetwillen gern leiden, was du über mich kommen lassen wirst. Gleichmütig will ich von deiner Hand nehmen Gutes und Böses, Süßes und Bitteres, Freudiges und Trauriges und dir danken für alles, was mir begegnet. ...


19. Worin die wahre Geduld besteht, und daß man das Unrecht geduldig leiden muß.


Was klagst du, mein Sohn? Nimm doch einmal zu Herzen, was ich und die Heiligen gelitten haben, und mach dem Klagen ein Ende! Du hast ja noch nicht bis zum Blutvergießen wider Sünde und Unrecht gekämpft; alles, was du zu leiden hast, ist im Grunde nichts oder sehr wenig im Vergleich mit dem, was die Heiligen ausgestanden haben, die durch so schwere Versuchungen, so heiße Plagen, so mannigfaltige Prüfungen sich hindurchkämpfen mußten. Du sollst also die größeren Leiden anderer Menschen dir zu Gemüte führen, damit du deine geringen Leiden leichter tragen lernst. Und wenn deine Leiden dir nicht so gering vorkommen, so mag eben dies eine Frucht deiner Ungeduld sein, die aus kleinen Leiden große macht. Doch sei dein Leiden klein oder groß, das tut nichts zur Sache. Du sollst alles, was Leiden heißt, geduldig tragen lernen.

Je besser du zum Leiden dich anschickst, desto vernünftiger handelst du, desto angenehmer in meinem Auge und desto würdiger der himmlischen Belohnung bist du. Du wirst auch deine Leiden um so leichter ertragen, je mehr du durch kleine Leiden auf größere dich schon vorgeübt und darauf gefaßt gemacht hast. Du mußt aber nicht etwa sagen: Von so einem Menschen kann ich so ein Unrecht unmöglich ertragen, und wenn ich es auch könnte, so müßte ich es doch nicht. Denn er hat mir einen so großen Schaden getan, hat mir solche Dinge aufgebürdet, an die mein Herz nie gedacht hat. Wenn mir ein anderer Mensch ein Unrecht zugefügt hätte, da wollte ich es gern ertragen und mich nach Kraft umsehen, es geduldig zu ertragen! So denken ist im Grunde doch nur Torheit. Denn wer so denkt, der weiß nicht einmal, worin das Wesen der Geduld besteht, blickt auch nicht auf zu dem, der eigentlich die Geduld krönen wird, sondern sieht nur immer auf die Menschen, die weh tun, und auf das Unrecht, das sie ihm angetan haben.

Wer nur so viel leiden will, als er nach dem Urteil seiner fünf Sinne oder seiner Neigung leiden zu können oder zu müssen glaubt, oder nur von solchen Menschen, von denen er noch am liebsten etwas leiden möchte, der mag viele Sachen haben, aber die wahre Geduld hat er nicht. Wer die wahre Geduld besitzt, der sieht nicht darauf, ob der, von welchem er etwas zu leiden hat, über ihn oder seinesgleichen sei, sieht nicht darauf, ob er von einem guten, heiligen Manne oder von einem nichtswürdigen, verkehrten Menschen in der Geduld geübt wird; sondern alles Widrige, das ihm von diesem oder jenem Geschöpf begegnen mag, alles nimmt er gleichmütig und wie von der Hand Gottes dankbar an und hält dieses Leiden für einen großen Gewinn. Denn das geringste Leiden, das ein Mensch um seines Gottes willen duldet, wird ein großer Edelstein in der Krone des Dulders.

Rüste dich also zum Streite, wenn du den Siegeskranz erstreiten willst. Denn ohne Streit kannst du die Krone der Geduld nicht erlangen. Wenn du nicht leiden willst, so sprichst du zur Krone: Ich will dich nicht. Wenn du aber die Krone willst, so streite wie ein Mann und leide wie ein Held. ...


22. Dankbares Gedenken der Wohltaten Gottes.


... Gib mir Kraft, deinen Willen zu erkennen und deine Wohltaten im allgemeinen und im besonderen mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu betrachten und mit tiefer Ehrfurcht im Andenken zu behalten
, damit ich dir gebührend dafür danken könne. O ich weiß wohl und bekenne es laut, daß ich unfähig bin, dir auch nur für die geringste Wohltat genug zu danken. Ich bin zu gering, auch nur zu denken an all die Gaben, die ich von dir empfangen habe; und wenn ich zu der edlen Liebe des Wohltäters aufsehe, o dann schwindet mein Geist vor deiner Größe und vermag nicht, sich zu halten.

Was wir Gutes haben an Leib und Seele, in uns und außer uns, alles Gute, es liege in dem Gebiet der Natur, oder sei höher als alle Natur, alles Gute ist deine Gabe und preist dich als den Geber voll Güte und Milde, von dem wir alles Gute empfangen haben. Und wenngleich einer mehr, der andere weniger empfangen hat, so ist doch alles empfangen, alles deine Gabe, und ohne dich hätten wir nicht das Geringste. Wer mehr empfangen hat, darf es nicht etwa als sein Verdienst, das ihm Ehre macht, ansehen, darf nicht über andere sich erheben, nicht den, der geringer ist, mit höhnendem Stolz verachten. Denn nur der ist der größere und bessere Mann, der sich selbst weniger zuschreibt und im Danken mehr Demut und Andacht bezeugt. ...


25. Worin der dauerhafte Friede des Herzens und der wahre Fortschritt in allem Guten besteht.


Mein Sohn, ich habe einst das Wort ausgesprochen: Heil und Frieden lasse ich euch zurück, meinen Frieden gebe ich euch, nicht wie die Welt gibt, gebe ich ihn!
Alle wollen Frieden haben, aber das, was allein wahren Frieden schaffen kann, das wollen nicht alle. Mein Friede kehrt bei denen ein, die demütig und sanftmütig sind und es von ganzem Herzen sind. Mein Friede bleibt da, wo man mein Wort gern hört und treu befolgt.

Was soll ich also tun?

Sei aufmerksam auf alles, was du redest und was du tust, und richte alle deine Absicht dahin, daß du mir allein gefallest und außer mir nichts verlangest, nichts suchest. Was aber andere tun oder reden, darüber erlaube dir nie ein frevelhaftes Urteil und mische dich in keine Angelegenheit, die dich nichts angeht. Und so kann es geschehen, daß dein Herz selten in Unruhe gerät oder wenigstens die Unruhe kein Aufruhr wird.

Wenn du aber nie uneins mit dir werden, nie etwas von der Bedrückung des Leibes oder Geistes erfahren willst, so verlangst du etwas, das nicht in dieser Zeit, sondern im Land der ewigen Ruhe zu finden ist. Glaube also nicht, daß der wahre Friede bereits von dir gefunden sei, sobald nichts dich drückt und bedrängt, oder daß alles gut sei, wenn du mit keinem Feind zu streiten hast, oder daß es ein sicheres Wahrzeichen der Vollkommenheit sei, wenn alles dir nach Wunsch und Neigung geht. Noch weniger halte dich für etwas Großes oder für einen besonderen Freund Gottes, wenn du in der Fülle der Andacht und inneren Süßigkeit schwimmst. Denn auch diese Empfindung ist nicht die rechte Feuerprobe des wahren Tugendfreundes, nicht das Wesen des Heldenweges zu allem Guten, nicht das Wahrzeichen der Vollkommenheit.

Worin besteht denn aber das Wesen der Tugend? Darin, daß du von ganzem Herzen Gott und seinem Willen dich hingibst und nicht suchst, was dein ist, weder im Kleinen noch im Großen, weder in der Zeit noch in der Ewigkeit. Darin besteht das Wesen der Tugend, daß du in Leiden und Freuden ein und derselbe Mensch mit gleichem Mut und gleichem Sinn, immer gleich dankbar gegen Gott bleiben und alles an der einen gerechten Wage des göttlichen Willens abzuwägen lernst. Wenn du soviel Stärke des Geistes und ausharrende Zuversicht besitzest, daß du in den Tagen innerer Trostlosigkeit dein Herz noch zu größeren Leiden abhärten und waffnen kannst und dir nicht selbst das Recht zusprichst, als hätte dieses oder jenes so große Leiden nicht über dich kommen sollen, sondern vielmehr mich in all meinen Anordnungen als gerecht und heilig lobpreisest, dann wandelst du auf dem rechten und geraden Weg des Friedens, dann magst du die feste Hoffnung behalten, daß du mein Angesicht im heiligen Entzücken bald wiedersehen wirst. Solltest du aber einmal zur vollen Verschmähung deiner selbst dich durchgekämpft haben, so sei überzeugt, daß du von dieser Zeit an all jene Fülle des Friedens genießen wirst, die der seligste Mensch in diesem Pilgerleben auf Erden genießen kann.


27. Das höchste Gut des Menschen hat keinen ärgern Feind als die Eigenliebe des Menschen.


Mein Sohn, du mußt alles für alles hingeben, mußt nichts mehr für dich und alles für mich sein. Glaube es doch meinem Worte: Kein Ding auf Erden schadet dir mehr als du selbst dir mit deiner Liebe zu dir. Denn eine jede Sache hängt nur insofern an dir, insofern du mit Neigung und Liebe an ihr hängst. Ist deine Liebe rein, einfältig und wohlgeordnet, so kann kein Ding dich gefangen nehmen. Nähre keine Begierde nach dem, was du nicht besitzen darfst, und ringe nicht nach dem Besitz dessen, was dir zum Anstoß werden und die innere Freiheit dir rauben kann. Es ist doch sonderbar, daß du nicht dich und alles, was du hast oder haben willst, in meinen Schoß wirfst und mit dem tiefsten Grund deines Herzens darin ruhen magst.

Warum lässest du eiteln Kummer an deinem Herzen nagen, bis es zernagt ist, warum unnütze Sorgen dein Haupt bedrücken, bis es zerdrückt ist? Steh wie ein Mann bereit, nur nach meinem Wohlgefallen dich zu bewegen, dann wird in aller Welt nichts dir schaden können. Wenn du aber bald dies, bald jenes Gut suchst, bald da, bald dort sein möchtest und überall auf deinen Nutzen, auf Befriedigung deiner Neigung siehst, so wirst du niemals ruhig werden, vielmehr die Sorge, die dich unruhig macht, überall mit dir bringen. Denn an jeder Sache wirst du einen Fehler, und an jedem Ort einen Menschen finden, der deiner Neigung sich widersetzt.

Also hilft dir nicht das zum inneren Frieden, daß du irgend eine Sache außer dir bekommen oder vermehrt hast, sondern das hilft zum Frieden, daß du diese Sache verschmäht und die Neigung dazu aus deinem Herzen getilgt und von der Wurzel aus vertilgt hast. Und dies gilt nicht nur von Geld und Reichtum, sondern auch von jedem ehrgeizigen Streben nach Ansehn und eitlem Lob und von allem, was mit dieser vergänglichen Welt vergeht. Die Abgeschiedenheit des Ortes schützt dich nicht, wenn die Flamme des Geistes dich nicht bewahrt. Und der Friede, den du im äußern suchst, wird nicht lange währen, wenn der äußere Friede seine Grundfeste nicht in deinem Herzen, und dein Herz seine Grundfeste nicht in mir hat. ...


28. Bewaffnung wider die Pfeile der Lästerung.


... Dein Friede ruhe nicht auf Menschenzungen, denn sie mögen es so auslegen oder anders, was du tust, du bist deswegen doch kein anderer Mensch. Wo sind denn der wahre Friede und die wahre Ehre zu finden? Wo anders als in mir allein? Wer die Begierde, den Menschen gefällig, und die Furcht, den Menschen mißfällig zu werden, unter das Joch gebracht hat, der vermag viel Ruhe und Frieden zu haben. Denn alle Unruhe des Herzens und alle Zerstreuung der Sinne kommt doch nur von ungeordneter Liebe und von eitler Furcht her.


29. Wie man in trüben Stunden zu Gott beten soll. 


Ewig sei dein Name gelobt, o du mein Gott, denn du hast diese Prüfung und Trübsal über mich kommen lassen. Ich kann ihr nicht entfliehn, aber eins kann ich und muß ich, meine Zuflucht zu dir nehmen, damit du mir helfest und alles zu meinem Besten lenkest. Sieh, Herr, jetzt schmachte ich wirklich in großer Trübsal, mir ist nicht mehr wohl um mein Herz, und schwere Plagen liegen auf mir. Und jetzt, lieber Vater, was soll ich sagen? Bedrängt bin ich von allen Seiten her. Rette du mich aus dieser Stunde. Doch hast du ja eben deswegen diese Stunde über mich kommen lassen, damit deine rettende Allmacht in ihrer Herrlichkeit sich offenbare, wenn ich tief erniedrigt und durch dich errettet bin. Herr, laß es dir gefallen, mich aus dieser Not zu reißen, denn ich, arm und schwach ohne dich, was kann ich tun und wohin will ich gehen ohne dich? Geduld, o Herr, Geduld schenke mir auch diesesmal! Mein Gott, sei du meine Hilfe, dann werde ich nicht zittern, wenngleich auch die schwerste Last auf mich stürzte. ...


30. Wie man um Hilfe bitten und mit Zuversicht auf die wiederkommende Gnade warten soll.


... Wo ist doch dein Glaube? Steh fest und halte aus wie ein Mann. Sei starkmütig und langmütig wie ein Held. Wenn die rechte Zeit kommt, so kommt Trost in dein Herz. Harre nur, harre nur auf mich, ich komme gewiß und heile dich. Es ist nur Versuchung, was dich plagt, nur eitle Furcht, was dich schreckt. Wozu nutzt denn dein banges Sorgen wegen der Dinge, die da kommen sollen, anders, als daß es dich immer noch trauriger und wieder trauriger macht? Hat doch jeder Tag genug an seiner Plage [Mt 6,34]. Wenn dir das, was vielleicht nie geschieht, den Sinn verrücken kann bald durch falschen Schrecken, bald durch falsche Hoffnungen, wie eitel und fruchtlos ist dies dein Fürchten und Hoffen?

Es ist zwar menschlich, daß Menschen von solchen Traumbildern getäuscht werden. Wer aber durch jede leise Eingebung seines Feindes sich ziehen und wie im Kreise umhertreiben läßt, der verrät, daß er eine kleine Seele und wenig Herz habe. Dem Feinde ist es übrigens einerlei, ob er mit wahren oder falschen Vorstellungen dich hintergehe, wenn du nur hintergangen bist, einerlei ob die Anhänglichkeit an das Gegenwärtige oder die Furcht vor dem Zukünftigen dich zu Boden werfe, wenn du nur zu Boden geworfen bist. Laß also keinen Schrecken, keine Furcht dein Herz bemeistern. Glaube an mich und vertrau auf meine Erbarmungen. Oft wenn du meinst, du seist weit von mir entfernt, bin ich am nächsten bei dir. Und wenn du denkst, jetzt ist alles verloren, gerade da kannst du am meisten gewinnen, kannst erringen, was ewigen Wert hat. Es ist nicht gleich alles verloren, wenn etwas wider Sinn und Wunsch dir begegnet. Du sollst nicht nach der Empfindung und aus der Empfindung, die du jetzt wirklich hast, urteilen. Und was jetzt dich drückt und niederbeugt, das sollst du nicht so schwer dir auf die Seele fallen lassen, als wenn es immer auf dir liegenbleiben müßte.

Denk auch nicht, du wärest ganz verlassen, wenn ich dir auf eine Zeit irgendein Leiden auflade oder die gewünschte Tröstung dir entziehe. Denn der Leidensweg ist eine königliche Straße, die in das Himmelreich führt. ... Ich kenne die verborgenen Gedanken des Menschen, ich weiß, daß es dir gut ist, manchmal so dürr und trocken, so ohne allen Geschmack am Guten gelassen zu werden. Denn sonst möchte etwa der gute Fortgang dein schwaches Herz aufblähen, und ein geheimes Wohlgefallen an dem, was du nicht bist, in deine Seele einschleichen. Was ich dir gegeben habe, das kann ich dir wieder nehmen, wenn ich will, und auch wieder geben, wenn ich will.

Wenn ich's gebe, so ist es mein, und wenn ich's nehme, so habe ich das Deine nicht genommen. ...


31. Daß man alle Geschöpfe verlassen muß, um ihn, den Schöpfer, zu finden.


... Man fragt zwar hie und da, was und wieviel ein Mensch getan habe, aber wie groß und rein die innere Tugendkraft sei, das wird nicht so fleißig in Erwägung gezogen. Ob einer stark, reich, schön, geschickt, ein guter Schriftsteller, ein geschickter Sänger, ein berühmter Künstler sei, danach fragen die Leute. Ob aber einer die rechte Armut des Geistes besitze, geduldig, sanftmütig, andächtig und in das geheime, gottselige Leben des Geistes eingeweiht sei, darüber wird nicht viel Nachfrage gehalten. Wo die Natur des Menschen sich selbst überlassen ist, da sieht er nur auf das Äußere an sich und anderen Menschen, wo aber die Gnade Gottes im Herzen wohnt, da kehrt der Blick sich einwärts und erforscht das Innere. ...


32. Verleugne dich selbst und widersteh aller ungeordneten Begierde.


Mein Sohn, die vollkommene Freiheit des Geistes kannst du nicht erringen und nicht behalten, wenn du nicht zur vollkommenen Verleugnung deiner selbst dich hindurcharbeitest. Sklavenfesseln tragen alle, die eigensüchtig an irgendeinem Ding hängen, die sich selbst lieben, die lüstern und neugierig außer sich umherschwärmen, die nur suchen, was ihren Sinnen schmeichelt, und nicht, was das Reich Christi erweitert, die immer das bauen und befestigen wollen, was keinen Grund und Bestand haben kann; denn zu nichts wird alles, was nicht aus Gott geboren ist. Halte dich an das kurze, aber alles sagende Wort: Verlaß alles, dann findest du alles, entlaß die Begierde, dann kommt die Ruhe dir entgegen. Dies Wort laß dir nie aus dem Sinn kommen, dies Wort durchforsche Tag und Nacht, und wenn du dieses Wort in Erfüllung gebracht haben wirst, dann wirst du alles verstehen. ...


35. In diesem Leben sind wir vor Versuchung nie sicher.


... Aus Liebe zu Gott sollst du alles Unangenehme gern leiden, was immer es sei, peinliche Arbeit, Schmerz, Versuchung, Not, Drangsal, Beängstigung, Armut, Schwachheit, Unrecht, Widerspruch, Tadel, Erniedrigung, Hohn, Zurechtweisung und Verachtung. Das alles treibt zur Tugend, das bewährt den neuen Jünger in der Kampfschule Christi, das macht für ihn die Ehrenkrone im Himmel fertig. Ich werde dir die kurze Arbeit mit ewiger Belohnung und die vorübergehende Schmach mit endloser Herrlichkeit vergelten.

Glaubst du etwa, daß die himmlischen Tröstungen dir schon jetzt zu Gebote stehen sollen, daß du davon kosten könntest, so oft du nur wolltest? Oh, selbst meine Heiligen hatten nicht lauter Stunden des Trostes, sondern viele Drangsale, mancherlei Versuchungen und große Anfälle von Trostlosigkeit auszustehen. Aber sie ließen sich in all diesen Leiden nicht zu Boden werfen, standen aufrecht und geduldig da, vertrauten mehr auf Gott als auf sich, indem sie die Verheißung im Herzen trugen, daß die Leiden dieser Zeit nicht werden in Vergleich kommen können mit der Herrlichkeit [Röm 8,18], womit die Ewigkeit sie belohnen wird. Willst du das sogleich und ohne Kampf haben, was so viele andere durch heiße Tränen und schmerzhafte Mühen kaum erringen konnten? ...


36. Was soll ich tun, wenn die Menschen mich richten und verdammen?


Mein Sohn, lege dein ganzes Herz mit fester Zuversicht in meine Hand und fürchte kein menschliches Gericht da, wo dein innerer Richter, das Gewissen, dich freisprichst. Es ist gut und heilsam für dich, daß auch du in dieser Leidensschule hart mitgenommen wirst. Und wenn du ein demütiges Herz hast und mehr auf Gott als auf dich selbst vertraust, so wird dies schwere Leiden dir nicht sonderlich beschwerlich sein. Wo mancherlei Menschen sprechen, da muß es mancherlei Gespräche geben. Und diese mancherlei Gespräche verdienen eben deswegen nicht viel Glauben. Und hernach ist es ganz und gar unmöglich, allen alles recht zu machen. Ist doch Paulus allen alles geworden [1 Kor 9,22] und hätte gern allen es recht gemacht, um alle dem Herrn zu gewinnen. Und doch mußte auch Paulus allerlei harte Urteile über sich ergehen lassen. Er bekümmerte sich aber nicht darum, daß die menschlichen Gerichte ihn verdammten.

Was er zur Erbauung oder Errettung der Menschen tun konnte, das hat er mit aller Treue getan. Aber daß die Menschen ihn nicht hart richteten oder gar verdammten, das konnte er bei all seiner Treue nicht verhindern. Deshalb stellte er seine Sache ganz dem anheim, der die ganze Sache am besten wußte, seinem Gott. Und seine Verteidigung gegen die harten Lästerungen, ungerechten Urteile und stolzen Anmaßungen seiner Gegner bestand eigentlich doch nur in Demut und Geduld. ...

Was ist es denn, daß du dich vor einem Menschen fürchtest [Js 51,12]? Heute ist er, und morgen findest du seine Stätte nimmer. Fürchte du deinen Gott, und die Menschen werden nicht mehr so viel Furchtbares für dich haben. Was kann auch ein Mensch mit all seinen Lästerworten, wenn sie dir auch noch so viel Unrecht nachsagen, wider dich ausrichten? Im Grunde schadet er mehr sich als dir, und er sei, was er wolle, dem Gerichte Gottes kann er doch nicht entgehen. Behalt du stets deinen Gott im Auge und klage nicht und laß dich nicht in einen Wortkrieg ein. Und wenn du auch in den Augen der Menschen unterliegen und eine unverdiente Schmach erdulden müßtest, so solltest du deshalb nicht zürnen, noch die Ungeduld dir den schönsten Stein aus deiner Krone rauben lassen. ...


37. Aus Liebe zu Gott sich ganz in Gottes Willen ergeben, das ist der einzige Weg zur wahren Freiheit des Herzens.


Mein Sohn, verlasse dich, dann findest du mich. Sei in allem ohne Eigensinn und Eigenwillen, dann gewinnst du in allem.
Denn sobald du ganz dich mir überlässest und dich nicht mehr zurücknimmst, sogleich strömt Gnade um Gnade in größerem Maße in dein Herz.

Mein Herr, wie oft soll ich mich dir hingeben, worin mich verlassen?

Immer und immer, zu jeder Stunde, im kleinen und im großen. ...

Einige ergeben sich an mich, aber mit Rückhalt und Ausnahme. Sie trauen ihrem Gott nicht ganz, darum wollen sie sich selbst versorgen. Einige ergeben anfangs sich ganz ohne Ausnahme an mich, aber wenn die Versuchung sie in die Enge treibt, dann laufen sie wieder zu sich selbst zurück und vermögen deshalb in der Tugend nicht weiter zu kommen. Alle diese werden die wahre Freiheit des reinen Herzens und die Gnade meines freundlichen Umgangs nie erlangen, bis sie ganz sich an mich ergeben und täglich sich selbst als Opfer dargebracht haben. Denn ohne diese Selbstaufopferung kann keine Vereinigung und ohne Vereinigung kein seligmachender Genuß bestehen.

Ich habe es dir schon oft gesagt und sage es dir wieder: Verlaß dich, ergib dich an mich, und du wirst in mir Frieden haben, großen, inneren Frieden. Gib alles um alles hin, suche nichts dir heraus, nimm nichts zurück von dem Opfer, ergib dich ohne Zögerung an mich, halt dich fest an mir und an mir allein, und du sollst mich haben. Dann wird dein ganzes Herz frei sein, und keine Macht der Finsternis wird dich zertreten können. Danach ringe, darum bitte, danach strecke all dein Verlangen sich aus, daß du, von allem Eigenwillen entblößt, nackt dem nackten Jesus nachfolgen, dir sterben und mir ewig leben mögest. Dann werden alle eitlen Traumgestalten deiner Einbildungskraft, alle Verwirrungen des Gemütes, die aus dem Bösen entstehen und selbst böse sind, alle unnützen Sorgen des Herzens dahin sein. ...


38. Von der Freiheit und Herrschaft der Kinder Gottes.


Mein Sohn, danach mußt du mit allem Fleiß trachten, daß du überall und in allem, was du tust, in jedem äußern Werke, bei dir im Innersten zu Hause seist, frei und deiner mächtig; daß alle Dinge unter dir seien, und nicht du unter ihnen; daß du der Herr und Regent deiner Handlungen seist, und nicht Knecht und gekaufter Sklave derselben; daß du ein rechter Hebräer werdest, das heißt, aus dem Land der Sklaverei schreitest in das Land der Freiheit, das die Kinder Gottes besitzen. Sie, die Kinder Gottes, stehen auf der Gegenwart als ihrem Fußschemel und schauen in die Ewigkeit hinüber; blicken auf das Vergängliche nur von der Seite, mit dem linken Auge, und sehen mit dem rechten auf das Himmlische; lassen das Zeitliche nicht über ihre Neigungen herrschen, daß sie ihm dienten, sondern beherrschen vielmehr das Zeitliche, daß es ihnen diene zu dem Ende, wozu es Gott, der höchste Werkmeister, der in seinen Werken nichts ungeordnet ließ, bestimmt und angeordnet hat. ...


42. Wahren Frieden findest du bei den Menschen nicht, du mußt ihn also auch nicht bei ihnen suchen.


Mein Sohn, wenn dein Frieden auf irgendeinem Menschen beruht und davon abhängt, daß er denkt wie du und immer um dich ist, so wird dein Friede sehr wandelbar, und dein Herz bald uneins mit sich selber sein. Wenn du aber überall den Rückweg zur Wahrheit, die immer dieselbe bleibt und ewig lebt, dir offen hältst, so wirst du nicht sonderlich betrübt werden, wenngleich dein Freund dich verläßt oder von der Seite dir wegstirbt. Die Liebe zu deinem Freund soll eigentlich in mir ihre Wurzel haben, und jeder, den du für gut hältst und vorzüglich lieb hast, soll dir um meinetwillen vorzüglich lieb sein. Denn ohne mich hat der Bund der Freundschaft keine Gültigkeit und keinen Bestand, und alle Liebe, deren Band nicht ich knüpfte, ist weder wahr noch rein. ...


44. Daß man das Äußere nicht zu nahe an sein Herz kommen lassen soll.


... O mein Herr, wie tief sind wir gesunken! Sieh, ein zeitlicher Verlust wird mit heißen Tränen beweint, um eines unbedeutenden Gewinnstes willen arbeitet und läuft man sich müde; und wenn der Geist Schaden genommen hat, das verliert sich sogleich aus unserm Gedächtnis, und man mag es nach vielen Jahren kaum einmal wieder zu Herzen fassen. Was nichts oder äußerst wenig nützt, darauf richtet man die erste Aufmerksamkeit, und was das Erste, das Alleinnotwendige ist, das wird wie nichts außer acht gelassen. Und dies alles, weil der Mensch sich so gern in Dingen außer sich verliert, und wenn er nicht noch zur rechten Zeit seinen Sinn ändert, in Dingen außer sich mit Herzenslust versinkt und, einmal versunken, im Schlamm liegen bleibt.


46. Daß man in den Tagen der Lästerungen auf Gott allein vertrauen soll.


Mein Sohn, steh fest und hoffe auf mich. Denn was sind Menschenworte anders als Worten: Durch die Luft fliegen sie, aber sie können keinen Stein von der Stelle rücken. Hast du gefehlt, so laß deine erste Sorge sein, deinen Fehler wieder gut zu machen. Bist du dir keines Fehlers bewußt, so sieh zu, wie du es aus Liebe zu Gott willig erträgst. Die Menschen Arges von sich reden zu lassen, heißt doch im Grunde wenig leiden. Du bist offenbar noch nicht stark genug, schwere Schläge auszuhalten, weil du kaum ein hartes Wort ertragen kannst. Und darum greifen dann so geringe Leiden dir so tief in dein Herz hinein, also nur deswegen, weil du noch unter der Herrschaft des Fleisches stehst, noch auf Menschenurteil ein größeres Gewicht legst, als du aller Vernunft nach darauf legen solltest. Du hast noch eine so kindische Furcht vor den verachtenden Blicken der Menschen, deshalb willst du wegen deiner Fehltritte dich nicht strafen lassen, deshalb willst du deine Blößen mit dem Feigenblatt der Entschuldigung so künstlich zudecken.

Kehre nur den schärferen Blick in dein Herz, und du wirst es klar sehen, daß die Welt und die eitle Begierde, den Menschen zu gefallen, in dir noch sehr lebendig sind. Denn da du vor Erniedrigung und Beschämung, die deine Fehler verdient haben, zurückbebst, so gibst du dadurch klar zu verstehen, daß du die wahre Demut noch nicht besitzest, daß du der Welt noch nicht gestorben, und die Welt dir noch nicht gekreuzigt ist. Horche nur auf ein Wort aus meinem Munde, und zehntausend Menschenworte werden dein Herz nicht in Bewegung setzen können. Sieh, wenn alles Böse, das die sinnreichste Bosheit ersinnen könnte, wider dich ausgestreut würde, was würde es denn dir schaden können, wenn du alles vorübergehen ließest, oder wenn dein Herz an all den Lästerworten so wenig Anteil nähme wie an einem Grashalm auf der Wiese draußen: Könnten alle Lästerworte als Worte auch nur ein Haar deines Haupts dir ausreißen?

Aber wer sein Herz nicht bei sich daheim und seinen Gott nicht immer vor Augen hat, den kann ein leichtes Lästerwort aus aller Fassung bringen. Wer aber auf mich vertraut und nicht auf seinem Eigendünkel bestehen will, den wird kein Menschenwort so leicht in Furcht und Schrecken jagen können. Denn ich bin der Richter, ich weiß um alle Geheimnisse, ich weiß den Gang der Sache, ich kenne beide, den, der verleumdet, und den, der die Verleumdung still erduldet. ...


47. Die ewige Freude ist aller zeitlichen Leiden wert.


... O wenn du die unverwelklichen Kronen der Heiligen gesehen hättest, gesehen hättest die Fülle der Herrlichkeit, in der sie jetzt unaussprechliche Freude genießen, sie, die einst die Welt mit Schmach und Hohn gekränkt und kaum des zeitlichen Lebens würdig geachtet hat:
o ein solcher Anblick würde bis in den Staub dich erniedrigen, würde in einen andern Menschen dich verwandeln, daß du lieber unter allen Menschen stehen, als über einen einzigen gesetzt sein möchtest, daß du nach keinen Freudentagen auf Erden lüstern wärst, sondern vielmehr Freude hättest, recht vieles um Gottes willen leiden zu können, daß du es für den größten Gewinn ansähest, unter Menschen und von Menschen für nichts geachtet zu werden!

O wenn du solche Anschauungen in deinem Gemüte, solche Gefühle tief im Herzen hättest, wie würdest du es wagen können, auch nur ein Klagewort auf deine Zunge zu nehmen? Ist es denn das ewige Leben nicht wert, daß man alles, was Arbeit und Plage heißt, dafür aushalte? Ist es denn eine so geringwertige Kleinigkeit, das Reich Gottes zu gewinnen oder zu verlieren? ...


49. Von dem Heimweh nach dem ewigen Leben und von den großen Verheißungen.


... Mein Sohn, oft brennt das Feuer auf deinem Herde, aber die Flamme, die vom Herde aufsteigt, ist nicht ohne Rauch, der auch mit aufsteigt.
So brennen in vielen Herzen viele Begierden, aber die Flamme dieser Begierden ist nicht rein von dem Rauch der sinnlichen Neigung. Deshalb begehren sie von mir mit heißem Flehen bald dies, bald jenes; aber es ist nicht reiner, ganz lauterer Eifer für die Ehre Gottes, der sie zu diesem heißen Flehen treibt. So ist auch dein Verlangen gar oft beschaffen, es ist zu ungestüm, um ganz rein zu sein. Alles, was mit Eigenliebe befleckt ist, ist befleckt, also nicht rein, nicht vollkommen.

Begehre nie von mir, was dir Freude oder Vorteil gewähren kann, sondern was mir wohlgefällig ist, was meine Ehre fördert. ... Ich kenne dein Verlangen und habe alle deine Seufzer gehört. Du möchtest schon jetzt in der Freiheit sein, die den Kindern Gottes im Lande der Herrlichkeit aufgehoben ist. Schon jetzt hast du Freude an dem unzerstörbaren Hause, an dem himmlischen Vaterland, das mit lauter Freude ausgefüllt ist. Aber diese deine Stunde ist noch nicht gekommen. Jetzt ist noch eine andere Stunde für dich, die Stunde des Streites, der Arbeit, der Prüfung. Du wünschest das höchste Gut schon jetzt zu besitzen, aber du vermagst es jetzt noch nicht zu erlangen. Ich lebe und komme. Warte meiner, spricht der Herr, bis das Reich Gottes kommt [Lk 22,18].

Du mußt noch viele Prüfungen durchmachen, mancherlei Übungen hier auf Erden aushalten. Trost wird dir gereicht werden, aber ein Genuß, der dein Herz sättigt, kann dir nicht gegeben werden. ... Du mußt tun lernen, was du nicht willst, und verlassen, was du behalten möchtest. Was andere wollen, wird zustande kommen; was du willst, ins Stocken geraten. Was andere sprechen, wird Gehör und Beifall finden; was du redest, wird für nichts gerechnet werden. Andere werden mancherlei begehren und erhalten, was sie begehren; du wirst auch bitten, aber nichts erhalten.

Andere werden berühmte Männer werden, von denen die Leute sich nicht satt reden können; aber von dir wird es überall so still sein, als wenn du nicht einmal auf Erden wärest. Andern wird man diesen oder jenen wichtigen Auftrag erteilen, du aber wirst im Urteil der andern zu nichts taugen. Darüber wird dann dein Herz bekümmert sein, und es ist viel, wenn du diesen Kummer still leidend ertragen wirst. Durch diese und andere Erfahrungen muß nun der treue Knecht des Herrn geläutert werden, damit er sich selbst verleugnen und allen seinen Eigensinn und Eigenwillen brechen lerne. ...


52.  Der Sünder achte sich nicht des Trostes und der Gnade wert.


... Was forderst du denn von einem Sünder, der nichts als Schuld und Elend in sich hat? Das forderst du vor allem, daß er mit zerschlagenem Herzen und voll Reue sich vor dir um seiner Sünden willen erniedrige, tief vor dir sich beuge. In diesem tiefen Beugen seiner Seele, in dieser Herzensreue wird die Hoffnung der Sündenvergebung geboren, wird das zerrüttete Gewissen mit sich und mit Gott wieder ausgesöhnt, wird die verlorene Gnade wieder gefunden, wird das Geschöpf vor dem kommenden Gericht in Schutz genommen. Da begegnen Gott und die reuige Seele einander und treffen zusammen im heiligen Kusse der Freundschaft.

Diese Demut, diese Herzensreue des Sünders ist dir, o mein Gott, ein angenehmes Opfer, ein Wohlgeruch vor dir, lieblicher als aller Duft des angezündeten Weihrauchs: Diese Herzensreue ist die wohlriechende Salbe, die einst eine Sünderin über deine Füße gießen durfte, weil du ein demütiges und reuevolles Herz nicht verschmähen konntest [Ps 50,19]. ...


53. Die Gnade des Himmels ist etwas anderes als Weisheit der Erde.


Mein Sohn, es ist ein kostbar Ding um meine Gnade. Sie läßt sich mit äußeren Dingen und mit irdischem Trost nicht vermischen.
Du mußt also alle Hindernisse der Gnade aus dem Weg räumen, wenn du wünschest, daß sie freien Einfluß in dein Herz haben soll. Suche dir einen verborgenen Ort aus und lebe da einsam und in dir gesammelt; bekämpfe in dir die eitle Begierde, immer nur mit Menschen zu reden; laß dein Herz vielmehr vor Gott in einem andächtigen Gebet sich ergießen, damit dein Gewissen rein und dein Gemüt stets weich und offen für himmlische Eindrücke bleibe. Lerne die ganze Welt für nichts achten und den innern Herzensumgang mit Gott allem, was außer dir ist und dich außer dir umhertreibt, vorziehen. Denn dein Herz kann nicht mit mir Umgang haben und zugleich den vergänglichen Dingen mit geheimer Lust anhangen. Um mir zu nahen, soll dein Herz von allem, was dir nahe ist, sich entfernen, soll sich losmachen von der ungeordneten Anhänglichkeit an Bekannte und Freunde und dem zeitlichen Trost Abschied geben. ...

... Und doch bleibt es ewig wahr: Wer das wahre innere, geistliche Lebern in sich haben will, der muß sich losmachen von allen ungeordneten Neigungen zu allen übrigen Dingen, nahen und fernen, und muß vor keinem Feinde sorgsamer sich hüten als vor sich selbst. Denn wenn du dich vollkommen besiegt hättest, so würdest du alles übrige ganz leicht unter das Joch bringen. Sich selbst besiegt zu haben, das ist der vollendete Sieg. Denn wer es in der Selbstbeherrschung soweit gebracht hat, daß seine Sinnlichkeit der Vernunft, und die Vernunft mir in allen Dingen gehorcht, der ist der wahre Sichselbstbesieger und der rechte Herr der Welt.

Wenn du diese Höhe ersteigen willst, so mußt du mit dem Mut eines Mannes anfangen, mußt die Axt an die Wurzel legen, mußt ausrotten und austilgen alle ungeordneten Neigungen zu dir selbst und zu allen Gütern, die vergänglich sind und deine törichte Eigenliebe reizen können. ... Aber eben deswegen, weil so wenige Menschen vollkommen sich absterben, eben deswegen bleiben sie in sich selbst wie in einem starken Netz verstrickt und können nie über sich selbst sich hinaufschwingen. Wer aber in wahrer Freiheit mit mir wandeln will, der muß alle bösen und ungeordneten Neigungen in sich ertöten und keinem Geschöpf mit Eigenliebe und Lüsternheit anhangen.


54. Natur und Gnade in ihren entgegengesetzten Richtungen und Bewegungen.


Mein Sohn, habe fleißig acht auf die Bewegungen der Natur und der Gnade; denn sie laufen einander schnurstracks entgegen
und sind doch so fein, daß auch das geistliche, erleuchtete Auge des innigsten Menschen kaum sie unterscheiden kann. Wir haben zwar alle ein Verlangen nach etwas, das wir für gut halten, jedermann macht etwas Gutes zum Vorwand für seine Reden und Handlungen, aber der Schein des Guten trügt nur zu viele.

Die Natur ist schalkhaft, lockt, überlistet und bringt viele in ihre Fallstricke und hat allemal sich selbst zum Zweck; die Gnade ist einfältig und gerade in Sinn und Wandel, meidet allen Schein des Bösen, weiß nichts von Trug und Hinterlist und tut alles nur um Gottes willen, der auch ihr Ruhepunkt ist, außer dem sie nichts mehr verlangt.

Die Natur will nicht darangehen, sich selbst abzusterben, scheut allen Druck und alle Überlegenheit, weiß nichts von Gehorsam und freiwilliger Unterwürfigkeit; die Gnade treibt zur Selbstüberwindung, widersteht der Sinnlichkeit, liebt Unterwürfigkeit, kann jeden über sich leiden, eifert nicht nach freier Lebensweise, lebt gern unter Zucht und Ordnung, kennt keine Herrschsucht, will in all ihrem Wesen, Sein und Tun von Gottes Wink und Einfluß abhängig und um Gottes willen auch jedem Menschen in Demut untertänig sein [1 Pet 2,13].

Die Natur arbeitet immer nur zu ihrem eigenen Vorteil und sieht scharf darauf, was ihr dieses oder jenes für Zinsen abwerfe; die Gnade sieht nicht auf das, was ihr vorteilhaft und bequem, sondern auf das, was andern heilsam ist.

Die Natur nimmt gern Ehrenbezeugung und Weihrauch an, die Gnade stellt alle Ehre und allen Ruhm treu ihrem Gott anheim.

Die Natur bebt zurück vor allem, was vor Menschen Schande und Verachtung bringt; die Gnade freut sich, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden [Apg 5,41].

Die Natur hat es gern, wenn sie müßiggehen und körperliche Ruhe genießen kann; die Gnade kann nicht müßig sein und schafft immer Trieb und Lust zur Arbeit.

Die Natur strebt nach dem, was die Neugierde lockt und die Sinne durch den Zauber des Schönen reizt, und hat Abscheu vor dem, was die Sinne schlecht und rauh finden; die Gnade lustwandelt gern mit Einfältigen und Demütigen, findet nichts zu rauh und macht sich nichts daraus, ein abgenutztes Kleid am Leib zu tragen.

Die Natur blickt auf das Vergängliche, macht ein heiteres Gesicht bei einem irdischen Gewinnst und ein finsteres bei einem zeitlichen Verlust, ein unbedeutendes Schmähwort kann sie verbittern; die Gnade sieht auf das Ewige, klebt nicht am Vergänglichen, kennt keine Verwirrung bei einem zeitlichen Verlust und keine Verbitterung bei einer öffentlichen Beschimpfung, weil sie ihren Schatz und ihre Freude im Himmel, wo nichts verloren geht, sichergestellt hat.

Die Natur ist habsüchtig, hat mehr Freude daran zu empfangen, als zu geben, liebt eigenes Gut und will alles zu eigen haben; die Gnade ist fromm und gemeinsinnig, meidet alles Besondere, begnügt sich mit wenigem und hält Geben für seliger denn Nehmen [Apg 20,35].

Die Natur treibt zu erschaffenen Dingen, neigt zu Fleisch und Blut, zur Eitelkeit und zum törichten Umherlaufen; die Gnade zieht zu Gott und zur Tugend hin, entsagt dem Geschöpf, flieht die Welt, haßt Fleischeslust, schränkt Umgang und Gesellschaft ein und errötet, wenn sie vor andern sich muß sehen lassen.

Die Natur hat gern äußere Tröstungen, die den Sinnen Freude machen; die Gnade spricht zu Gott: Nur du bist mein Trost, und zum höchsten Gut: Du bist mir lieber als alles, was sichtbar ist. ...

Diese Gnade kann nicht das Werk der Natur sein, sie ist ein Licht, höher als alles Licht der Natur, ist eine besondere Gabe Gottes, ist das eigentliche Siegel der Auserwählten, ist das rechte Unterpfand des ewigen Heils, hebt den Menschen über ihn und über alles Irdische, daß er das Himmlische lieben kann, und schafft aus dem sinnlichen Menschen einen geistlichen. Eben deswegen wird sie, diese Gnade, dem Menschen desto reichlicher mitgeteilt, je mehr er die sinnliche Natur beherrscht und besiegt. Täglich erhält alsdann der innere Mensch neue Zuflüsse dieser Gnade, wodurch das Ebenbild Gottes in ihm eine herrlichere Gestalt gewinnt und nach dem heiligen Vorbild erneuert wird.


55. Von dem Verderben der menschlichen Natur und von der siegenden Kraft der göttlichen Gnade.


... Nachdem die menschliche Natur durch den ersten Menschen gefallen und durch die Sünde zerrüttet worden ist, so pflanzt sich dieser Makel nach dem Gesetze der Gerechtigkeit auf alle Menschen fort. Die Natur, die du gut und rein geschaffen hast, ist jetzt eine zerrüttete, kranke, verdorbene Natur. Denn ihre Bewegung, sich selbst überlassen, treibt zu dem, was böse und niedrig ist. Nur eine geringe Kraft ist uns übrig geblieben, gleich einem Fünklein in der Asche verborgen. Und dieses in der Asche verborgene Fünklein ist die natürliche Vernunft, die, von großer Finsternis umhüllt, nur noch Gutes und Böses, Wahres und Falsches zur Not unterscheiden, aber das Gute, das sie selbst billigt, nicht vollbringen, das Wahre, das sie sucht, nicht in vollem Lichte schauen, die Gesundheit der Neigungen, die sie selbst wünscht, nicht durch sich selbst herstellen kann.

Daher kommt es, daß ich, dem inwendigen Menschen nach, Freude habe an deinem Gesetz, o mein Gott, indem ich wohl weiß, daß dein Gebot gut, gerecht, heilig ist, alles Böse verdammt und alle Sünde fliehen lehrt. Aber dem Fleische nach diene ich dem Gesetze der Sünde. Ich gehorche mehr der Sinnlichkeit als der Vernunft. Gutes wollen liegt mir nahe, aber das Vollbringen finde ich nicht in mir [Röm 7]. Daher kommt es, daß ich so vielerlei gute Entschließungen fasse, aber bei einem geringen Widerstand weiche ich zurück und erliege unter dem Druck der sinnlichen Natur, wenn deine Gnade meine Schwachheit nicht stützt. Daher kommt es, daß ich das Bessere, das ich tun sollte und das mich nach und nach zur Vollkommenheit führen würde, hell genug einsehe, aber, von dem Genuß des eigenen Verderbens niedergedrückt, zu dem, was besser ist, mich wirklich emporzuheben nicht vermag.

O wie höchst notwendig habe ich deine Gnade, um das Gute anzufangen, fortzusetzen und zu vollenden: Gutes kann ich ohne diese Gnade nicht tun, aber wenn diese Gnade mich stärkt, dann vermag ich durch dich alles [Phil 4,13]. ...


56. Von der vollkommenen Selbstverleugnung.


Lieber Sohn, soviel du aus dir selbst herauszugehn vermagst, soviel wirst du in mich eingehen können. Los von dir, eins mit mir. Nichts außer dir verlangen macht dich eins mit dir, dich selbst ganz verlassen macht dich eins mit Gott. Ich will es so: Du mußt endlich doch noch deinen Willen vollkommen verleugnen und den meinen ohne Widerspruch und Klage vollbringen lernen. So folge denn mir nach. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben [Joh 14,6]. ...


57. Werde nicht mutlos, wenn du mancherlei Fehltritte tust, oder andere dir Böses nachredend.


Mein Sohn, Geduld und Demut in trüben Stunden gefallen mir weit mehr als Fülle von Trost und Andacht in heitern Tagen.
Wie kann denn ein hartes Wörtlein, das man wider dich fallen ließ, so tief dich verwunden? Wenn es auch mehr gewesen wäre, so hätte es dich nicht entrüsten sollen. Aber nun laß es vorbei sein. Dies ist nicht das Erste und gar nichts Neues und wird auch nicht das Letzte sein, was man wider dich ausstreut. Du bist wohl Manns genug, solange dir nichts Widriges begegnet, du weißt auch andern klug zu raten und ihnen Mut einzureden. Aber wenn plötzlich eine Drangsal dir selbst vor die Türe kommt, da ist dein ganzer Vorrat von Klugheit und Mut zu Ende. Lerne doch einmal deine Gebrechlichkeit kennen, die sich dir so oft bei den unbedeutendsten Vorfällen deutlich genug beweist und die wahrhaftig recht groß ist. Indessen dienen alle Dinge zu deinem Besten, also auch diese und ähnliche Proben deiner Gebrechlichkeit.

... Bist du nicht imstande, im Leiden froh zu sein, so lerne wenigstens geduldig tragen, was auf dir liegt. Und wenn du schon nicht gern hörst und Widerwillen verspürst, so leiste doch Widerstand und laß kein Wort aus deinem Munde kommen, das die Unordnung deines Herzens offenbaren und den schwachen Brüdern Ärgernis geben könnte. ...

... Es ist nicht gleich alles verloren, wenn noch so viele Leiden, noch so schwere Versuchungen dich in die Enge treiben. Mensch bist du, kein Gott; Fleisch und Blut, kein Engel. ...

IV. Vom Sakrament des Altars. 


1. Von der Ehrfurcht, mit der wir uns dem Tische des Herrn nahen und Christum empfangen sollen.


... Du sprichst: Kommet alle zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken. O ein teures, freundliches und liebliches Wort im Ohre des Sünders, daß du, mein Herr und Gott, einen Armen und Dürftigen zu dir einladest, daß er von deinem Fleische esse und von deinem Blute trinke. Aber was bin ich, o mein Herr, daß ich es wagen darf, dir zu nahen? Sieh, die Himmel der Himmel fassen dich nicht, und du sprichst: Kommet zu mir alle!

Was willst du denn mit dieser so milden Herablassung, mit dieser so freundlichen Einladung? Wie will ich es wagen, zu dir zu kommen, da ich nichts Gutes in mir finde, das mir Mut macht, vor dir zu erscheinen? Wie werde ich dich in meine Hütte hereinführen dürfen, da ich dein Angesicht voll Gnade und Liebe so oft mit meinem Undank entheiligt habe? Engel und Erzengel haben Ehrfurcht vor dir, und du sprichst: Kommt alle zu mir! Wenn nicht du selbst das sagtest, wenn es nicht dein Wort wäre, wer würde es glauben? Und wenn es nicht dein Gebot wäre, daß wir zu dir kommen sollen, wer würde es wagen, dir zu nahen?

Sieh, Noah, der gerechte Mann, baute hundert Jahre an seiner Arche, damit er und wenige mit ihm könnten gerettet werden, und ich, wie werde ich in einer Stunde mein Gemüt in die rechte Fassung bringen und dem Baumeister der Welt eine würdige Wohnstätte in mir bereiten können? Moses, dein großer Knecht und dein besonderer Freund, ließ die Bundeslade aus einem Holz herstellen, das der Verwesung am kräftigsten widersteht, und mit dem reinsten Golde überziehen, um die Tafeln des Gesetzes hineinzulegen; und ich, ein verwesliches Geschöpf, wie soll ich es wagen, dich, den Gesetzgeber selbst, dich, das Leben des Lebens, in mein Herz aufzunehmen? Salomo, der weiseste der Könige Israels, baute sieben Jahre lang an einem prächtigen Tempel zur Ehre deines Namens, feierte das Fest der Tempelweihe ganze acht Tage, opferte tausend Friedensopfer und ließ die Bundeslade unter Trompetenschall und Jubelgesang an zubereiteter Stätte mit allem nur zu ersinnenden Kriegsgepränge einsetzen; und ich, eines der ärmsten und elendsten Menschenkinder, wie darf ich es wagen, dich in mein Haus einzuführen, da ich kaum eine halbe Stunde in ungestörter Andacht zubringen kann! O daß ich in meinem ganzen Leben auch nur eine einzige halbe Stunde dir allein in voller Andacht des Herzens geweiht hätte!

O mein Gott, was und wieviel haben diese deine treuen Diener unternommen, um dir zu gefallen! Und wie gering ist alles, was ich tu! Wie kurz ist die Zeit, auf die sich meine Vorbereitung zur Kommunion beschränkt! Selten bin ich ganz in mir gesammelt, noch seltener bleibe ich auch nur eine kurze Weile in mir gesammelt, ohne die zerstreuenden Gedanken wieder Eingang finden zu lassen. Und doch sollte in deiner heilsamen Gegenwart kein ungeziemender Gedanke in meinem Innersten sich regen, kein Geschöpf deine Stelle in meinem Herzen einnehmen; denn es ist nicht etwa ein Engel, es ist der Herr der Engel, den ich in mir beherbergen will.

Es ist wahrhaftig ein großer Abstand zwischen der Bundeslade und all ihren Heiligtümern und deinem reinsten Leibe und seinen unaussprechlichen Kräften; ein großer Unterschied zwischen jenen Bundesopfern, die nur ein Vorbild der Zukunft sein konnten, und dem wahren Opfer deines Leibes, das den Sinn aller Opfer der Vorzeit lebendig darstellt und vollkommen erfüllt.

Wie kommt es denn aber, daß deine Gegenwart, die überall die höchste Ehrfurcht einflößen sollte, mein kaltes Herz nicht in Flammen setzt? ...

Viele laufen zu vielen Orten hin und her, um die Gebeine der Heiligen zu besuchen, und geraten in große Verwunderung, wenn sie von deren Taten erzählen hören, die prächtigen Kirchengebäude anschauen und die in Seide und Gold eingefaßten Reliquien der Heiligen küssen. Und sieh, du mein Gott, du, der Heilige aller Heiligen, du, der Schöpfer aller Menschen und der Herr aller Engel, du bist hier auf dem Altar zugegen. ...

Unsichtbarer Schöpfer der Welt, wie wunderbar handelt deine Liebe mit uns! Wie lieblich und voll Gnade gehst du mit deinen Auserwählten um, indem du selbst im Sakramente ihnen zur Speise dich dargibst und mit ihnen dich vereinigst! Dies übersteigt wahrhaftig alle Begriffe, die der menschliche Verstand sich machen kann, dies zieht die Herzen der Frommen mit besonderer Kraft zu dir, dies entzündet ihr ganzes Verlangen nach dir. Denn sie, deine wahren, treuen Freunde, die in ihrem ganzen Leben nur die fortschreitende Heiligung ihres Sinnes und Wandels zu ihrem Augenmerk machen, gehen nie leer von deinem Tisch zurück, sondern empfangen daselbst neue himmlische Kräfte zur Andacht und zur Liebe der Tugend.

... In diesem Sakrament wird uns neue Geisteskraft mitgeteilt, der verlorene Tugendsinn ergänzt und die Schönheit der Seele, die durch die Sünde verunstaltet ward, wieder hergestellt. Und diese Gnade erreicht manchmal ein so großes Maß, und die Andacht, die daraus entsteht, ein solches Übermaß, daß nicht nur der Geist, sondern auch die Hülle des Geistes, der schwächliche Leib, neue Kraft empfängt.

... Wahrhaftig, es gehört eine unbegreifliche Blindheit und Verhärtung des menschlichen Gemütes dazu, daß wir für dies unaussprechlich liebliche Geschenk nicht mehr Gefühl und Achtung haben und selbst aus dem täglichen Gebrauch, den wir davon machen, unachtsamer und gefühlloser dafür werden.

Denn würde dieses heiligste Sakrament nur an einem Orte und von einem Priester der Welt geweiht, mit welchem Sehnen würden nicht die Menschen nach diesem Ort und zu diesem Priester eilen, damit sie an den göttlichen Geheimnissen Anteil nehmen könnten! ...


2. Gottes Güte und Liebe offenbart sich in diesem Sakramente.


... Du neigst dich zu mir, und ich bin nicht wert, zu dir aufzuschauen. Du kommst zu mir, du willst bei mir sein, du ladest mich selbst zu deinem Gastmahl ein. Du willst die Speise des Himmels, das Brot der Engel zu essen geben [Ps 77,25]/ kein anderes Brot als dich selbst, das lebendige Himmelsbrot, das vom Himmel herabgekommen ist und der Welt das Leben gibt [Joh 6,33].

O Übermaß der Liebe, wie groß und herrlich erscheinst du in deinem Lichte! Wie werde ich genug dir dafür danken, genug dich lobpreisen können! Wie hast du mir doch nichts als lauter Heil und Segen zugedacht, da du dieses Gastmahl einsetztest! Wie lieblich und süß ist das Mahl der Liebe, in dem du dich selbst zur Speise gibst! Wie wundervoll ist dein Werk, wie allvermögend deine Macht, wie unaussprechlich die Wahrheit deines Wortes! ...

... Deshalb mußt du jedesmal mit erneuertem Sinn und Herzen dich vorbereiten und das große Geheimnis des Heils aufmerksam betrachten. Und wenn du Messe liesest oder hörst, so soll dir diese Handlung so wichtig, so neu und erfreuend sein, als wenn zu dieser selben Stunde Christus erst im Leib der heiligen Jungfrau menschliche Gestalt annähme oder, am Kreuze hängend, für das Heil der Menschen litte und stürbe.


4. Die andächtige Kommunion bringt viel Gutes.


... Aus sich selbst ist kein Mensch imstande, dies Geheimnis der Liebe zu fassen und zu begreifen, weil es auch über den Verstand der Engel erhaben ist.
Wie werde also ich, ein Sünder ohne Verdienst, ich, Staub und Asche, dies dein heiliges, hohes Geheimnis erforschen und begreifen können?

In Einfalt des Herzens, in festem Glauben, auf deinen Befehl hin und mit Zuversicht und Ehrfurcht trete ich zu dir und glaube, daß du hier im Sakramente zugegen bist als Gott und Mensch. Es ist dein Wille, daß ich dich empfangen und eins mit dir in Liebe werden soll. ... Denn dieses dein Sakrament, das höchste und würdigste unter allen, ist eine heilwirkende Arznei für die Gebrechen der Seele und des Leibes, stärkt in aller Ohnmacht zum Guten, salbt uns mit himmlischer Kraft, den Schaden der Sünde zu heilen, die Leidenschaft zu bändigen, die Versuchungen zu besiegen und ihre Anfälle zu mindern, gießt neue, größere Gnade ins Herz, rüstet zu mutigerem Tugendkampfe, befestigt den Glauben, stählt die Hoffnung, entzündet und erweitert die heilige Liebe.

... Du erhebst deine Freunde aus dem tiefen Gefühl ihres Unvermögens empor zur seligen Hoffnung auf deinen Schutz, du bewaffnest sie mit Trost und Mut für die Tage der Leiden, du erheiterst und erfreust sie mit einem neuen Gnadenstrahle; so daß die nämlichen Menschen, die vor der Kommunion nichts als Angst, Dürre und Ohnmacht in sich fanden, nach der Kommunion, gestärkt von der Speise und dem Trank des Himmels, besser und neugeschaffen zu allem Guten sich fühlen. ... Sich selbst überlassen, sind sie kalt, hart und ohne alles Andachtsgefühl; durch dich werden sie voll Feuer und weich und munter zur Andacht. Wer sollte auch zur Quelle alles Trostes und aller Süßigkeit in Demut hinzutreten können, ohne ein wenig Trost und Süßigkeit mit sich zurückzubringend? Wer sollte vor einem hellflammenden Glutofen stehen können, ohne ein wenig Wärme und Leben in seinen Gliedern zu fühlen? Und der Brunnquell alles Trostes, aller Seligkeit, ewig voll und ewig überfließend, bist du, mein Gott. Und das Feuer, ewig brennend und nie verbrennend, bist du, mein Gott. ...


8. Christus opferte sich am Kreuze, opfere auch du dich!


... Wie ich am Kreuze mit ausgestreckten Armen und mit entblößtem Leibe für deine Sünden Gott dem Vater freiwillig mich geopfert, wie ich ganz mich geopfert habe, so daß an mir und in mir nichts übrig blieb, was nicht ein Sühnopfer der Gerechtigkeit ward, so sollst auch du dich selbst und dich ganz mit allen deinen Kräften und Neigungen, sollst freiwillig und mit innigster Andacht täglich in der Messe dich mir opfern. Was sollte ich denn anders von dir fordern, als daß du ganz dich mir ergebest! Alles, was du mir sonst geben magst, dich ausgenommen, das ist in meinen Augen nichts; denn ich will nicht deine Gabe haben, sondern dich.

... Sieh, ich habe mich ganz für dich dem Vater geopfert, ich habe meinen Leib und mein Blut zum Trank und zur Speise dahingegeben, damit wir ganz eins, ich dein und du mein werden und bleiben könnten. Willst du aber immer nur an dir hängen bleiben und nie dich selbst nach meinem Wohlgefallen opfern, so wird dein Opfer nicht vollständig, und unsere Vereinigung kann nicht innig und ganz werden. Wenn du also Gnade und Freiheit erlangen willst, so mußt du bei allem, was du äußerlich tust, eine inwendige Aufopferung deiner selbst, eine Hingabe deines ganzen Willens in die Hände Gottes vorangehen lassen. Denn deshalb findet man so wenige Menschen, welche die wahre Freiheit und das rechte Licht haben, weil es so wenige Menschen gibt, die sich ganz verleugnen und opfern. Mein Wort, das ich einst ausgesprochen habe, bleibt noch immer in seiner ganzen Kraft bestehen: Wer nicht allen Dingen absagt, der kann mein Jünger nicht sein [Lk 14,33]! ...


10. Laß dich vom öfteren Hinzutreten zum Tisch des Herrn nicht so leicht zurückhalten!


... Ach, wen die geringste Ursache vom Tisch des Herrn entfernen kann, der gibt deutlich genug zu verstehen, daß seine Liebe überaus schwach, und seine Andacht kraftlos sein muß.
Wie selig und gottgefällig ist im Gegenteil der, welcher so himmlisch lebt, sein Gewissen so rein bewahrt, daß er alle Tage zum Tisch des Herrn hinzutreten sollte und könnte, wenn er es nur dürfte und ohne Anstoß tun könnte! ...

Ist der gute Christ wirklich gehindert, so behält er doch den guten Willen und die fromme Absicht, zum Tisch des Herrn zu gehen; und dieser gute Wille wird nicht leer ausgehen, wird die Kraft des Sakramentes an sich erfahren. Denn wer die wahre Andacht in seinem Innersten hat, der kann alle Tage, kann jede Stunde des Tags auf eine geistliche Weise zur geistlichen Kommunion Christi gelangen, und daran kann kein Verbot ihn hindern. Desungeachtet wird er aber auch zu bestimmten Tagen den Leib seines Erlösers mit allen Empfindungen der Liebe und Ehrfurcht im Sakrament empfangen wollen und mehr Gottes Lob und Ehre als die Erquickung seines Innersten dabei zum Ziel haben. So oft wir das große Geheimnis der Menschwerdung und das Leiden Christi betrachten und dadurch zur Liebe gegen ihn entzündet werden, so oft gehen wir auf eine geistliche Weise zur Kommunion und werden in dieser Vereinigung mit Christus unsichtbar gestärkt. ...


11. Der Leib Christi und die heilige Schrift: doppelt Brot des Himmels.


... Wahrhaftig, vor deinem Angesicht und vor deinen heiligen Engeln sollte in meinem Herzen die Liebe glühen, und in meinen Augen glänzen die Tränen der Freude: Denn ich habe dich wahrhaftig gegenwärtig im Sakramente, obgleich unter einer fremden Gestalt verborgen.

Denn dich, wie du bist, in deiner eigenen, göttlichen Klarheit, dich in deinem Licht anzuschauen, das hielten meine Augen nicht aus; die ganze Welt müßte vor dem Glanz deiner Majestät unterliegen. Um also meine Schwachheit zu schonen, verbargst du dich hier unter dem Sakrament. ...


12. Bereite dich mit allem Fleiß zur heiligen Kommunion!


... Wenn du willst, daß ich zu dir kommen und bei dir bleiben soll, so fege den alten Sauerteig aus [1 Kor 5,7] und reinige die Wohnstätte deines Herzens. Hinausgejagt soll die ganze Welt aus deinem Herzen, und fest zugeschlossen soll die Türe sein vor der Sünde und all ihrem ungestümen, aufrührerischen Gefolge. Sei einsam wie der Sperling auf dem Dache [Ps 101,8] und denk mit reuevollem Herzen an deine Sünden. Denn, wer die Liebe hat, der bereitet für seinen geliebten Freund die reinste und schönste Wohnstätte, und eben dadurch beweist sich die Liebe dessen, der den Geliebten beherbergt.

Wisse aber auch dies: aus dir selbst, und wenn bloß auf den Wert deiner Arbeit gesehen würde, könntest du die würdige Vorbereitung nie vollenden, wenn du auch ein ganzes Jahr dich vorbereitetest und nichts anderes als nur die einzige Vorbereitung im Sinn und Herzen hättest. Es ist doch immer meine Gnade und Liebe allein, die dir den Zugang zu meinem Tische öffnet. Es ist im Grunde nichts anderes, als wenn ein Bettler, von einem reichen, guten Mann zum Gastmahl geladen, diese Wohltat nicht anders zu vergelten weiß, als daß er nach Bedürfnis esse und im Gefühl der Demut danke und wieder danke. Tu, was an dir ist, und tu es mit aller Treue, empfange den Leib des Herrn, deines Gottes, der sich herabwürdigt, zu dir zu kommen, nicht aus Gewohnheit, nicht aus Zwang, sondern in heiliger Ehrfurcht, Anbetung und Liebe. ...

Aber du sollst nicht nur mit aller Innigkeit und Andacht des Herzens zur Kommunion dich vorbereiten, sondern auch nach der Kommunion mit aller Treue in dieser Innigkeit und Andacht dich bewahren. Und dieses Bewahren ist dir gerade so unentbehrlich wie die Vorbereitung. Denn die treue Bewahrung des Herzens nach der Kommunion ist wieder die beste Vorbereitung zum Empfang einer neuen Gnade; wie denn auch den Menschen nichts so unfähig macht, Gottes Gnade zu empfangen, als daß er sogleich wieder in die äußerlichen Tröstungen sich ergießt und versenkt. ...


17. Von der glühenden Liebe und Begierde, Christum zu empfangen.


Der Jünger Jesu spricht. Mit höchster Andacht und Liebe, mit einem Herzen, das ganz sich dir, o mein Gott, weiht und dir allein anhängt, möchte ich jetzt dich empfangen, empfangen mit jenem lebendigen Sehnen nach dir, das die heiligsten und andächtigsten Menschen an deinem Tische nach dir empfunden haben. O mein Gott, o du ewige Liebe, o du mein höchstes und all mein Gut, du die Seligkeit ohne Ende, du die Heiligkeit ohne Fehl: dich, dich möchte ich empfangen mit dem lebendigsten Verlangen, mit der tiefsten Anbetung, mit der heiligsten Empfindung, die je im Herzen eines Heiligen gelebt hat oder hätte leben können.

Und obgleich ich durchaus nicht würdig bin, alle diese Empfindungen der Andacht den Heiligen nachzuempfinden, so opfere ich dir denn doch mein ganzes Herz mit allen seinen Neigungen, gerade als wenn ich allein alle die glühendsten, heiligsten Gesinnungen, die je die Heiligen gehabt haben, jetzt wirklich in mir hätte. ... Mein Herr und mein Gott, mein Schöpfer und mein Erlöser, empfangen möcht ich dich mit allen Empfindungen der Andacht, mit all jener Ehrerbietung, Lobpreisung und Verherrlichung deines Namens, mit all jenem Glauben und Dankgefühl, mit all jener Würdigkeit und Lauterkeit, Zuversicht und Liebe, mit welcher deine Mutter Maria, die ehrwürdige Jungfrau, dich empfangen hat, als ihr der Engel das Geheimnis der Menschwerdung kund machte, und sie voll Andacht und Demut antwortete: Sieh, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte [Lk 1,38]! ...


18. Glaube an Jesus Christus und grüble nicht, folge ihm nach und zweifle nicht.


... Viele haben alles Gefühl der Andacht in sich verloren, indem sie erforschen wollten, was über ihnen ist. ...

... Gott betrügt dich nicht; aber wer sich selbst zu viel glaubt und traut, der wird betrogen. Gott wandelt mit denen, die ein einfältiges, gerades Herz haben; er offenbart sich den Demütigen, gibt Verstand den Unmündigen, öffnet den Sinn reiner Seelen und verbirgt seine Gnade vor der Neugierde und dem Stolze der Menschen. Die menschliche Vernunft ist eine menschliche Vernunft, hat wenig Licht und kann leicht irren, aber der rechte Glaube an Gott irret ewig nicht.

Alle menschliche Vernunft und alle vernünftige Erforschung soll eigentlich dem Glauben demütig nachfolgen, soll ihm nicht voraneilen, noch weniger die Rechte des Glaubens mit anmaßender Gewaltsamkeit verletzen. Glaube und Liebe zeigen ihre Wirksamkeit vorzüglich und auf die geheimste Weise in diesem heiligsten und unübertrefflichsten Sakramente. ...