Joseph Christian von Zedlitz: Waldfräulein

aus: Johann Christoph von Zedlitz: Waldfräulein. Viertes Abentheuer. Wie Waldfräulein Aechtern von Möspelbrunn erblickt. | Quelle: Projekt Gutenberg.


Und wieder fast verfloß ein Jahr,
Um das Waldfräulein älter war.
Und wieder kam die holde Zeit,
Wo frisch der Wald im neuen Kleid,
Die holde Zeit, wo die Natur
Einhergeht auf der Liebe Spur.
Doch viel seither verändert war!
Die Mauer, die sonst unsichtbar
Des Schloßbezirks gefei’ten Frieden
Von dem Verkehr der Welt geschieden,
Entrückt ist sie dem Aug’ nunmehr
Und frei der Weg von allen Seiten.
Waldfräulein flog entzückt umher
So weit des Spessarts Höhn sich breiten!
Was von der Fee sie jüngst vernahm,
Ihr nie mehr aus dem Sinne kam.
Den Goldschuh, einst von ihr empfangen,
Hat sie nie mehr von sich gelegt,
Und festgehakt mit goldnen Spangen,
Sie immer ihn am Gürtel trägt.
Daß nicht der Mutter Loos sie theile,
Und bang, daß draußen in der Welt
Ihr Lieb’ ein trüglich Netz gestellt,
Kehrt sie erschreckt zurück in Eile,
War oft auch bis zum Waldessaum
Noch viele tausend Klafter Raum.
Den Blick nur in die Ferne sandt’
Sie ahnend aus, in’s weite Land,
Das wie ein kaum erwachter Tag
Voll dunkler Räthsel vor ihm lag.
Ihr klopft das Herz mit mächt’gem Bangen;
Bald, weiß sie, endet ja der Bann,
Und von der Feen Hand empfangen
Soll sie den allerschönsten Mann.
Sie denkt daran den langen Tag,
Und Nachts, wenn sie im Bette lag;
Im Traum, im Wachen, wo sie geht,
Der Bräut’gam vor dem Blick ihr steht.
Doch wie der innern Augen Licht
Ihn ihr gemalt, das fragt mich nicht.
Noch war’s ein Bild der Fantasie,
Den Mann gesehn hat sie noch nie.
Die ihr begegneten im Wald,
Wohl Männer sind’s, doch häßlich, alt;
Ein Köhler, der am Meiler schwitzt,
Ein Bettler, der am Wege sitzt,
Ein Knecht, der hinterm Saumroß keucht,
Ein Bauer, der zur Mühle zeucht,
Sind nicht für sie, das sieht sie ein,
Ihr Bräut’gam muß ein Andrer sein! –

Und eines schönen Morgens, wo
Der Schlaf Waldfräuleins Auge floh,
Sprang sie vom Lager aus dem Haus,
Husch! in den duft’gen Forst hinaus.
Der junge Tag stieg grad empor,
Oeffnet des Ostens goldnes Thor,
Webt in die graue Dämm’rung sein
Purpurn’ und goldne Streifen ein.
Ein heller Flimmer überall:
Der Morgenthau, der Tropfen Fall! –
Die Erde dampft – die Bäume rauschen –
Sonst Alles stumm! die Rehe lauschen –
Es äß’t der Hirsch, er streckt das Ohr –
Eichhörnchen huscht am Baum empor!
Ein Vogel ruft – und wieder wach
Ein zweiter wird – und nach und nach
Wird hier und dort ein dritter laut!
Schon lockt der Tauber seine Braut –
Und endlich flötet, schmettert, girrt,
Pfeift, wirbelt, trillert, zwitschert, schwirrt,
Von Halm und Stand’ und Zweig empor
Der Waldessänger ganzer Chor! –

Waldfräulein pflücket sich im Geh’n
Hagrosen, Klee und Tausendschön,
Und athmet ihren süßen Duft
Und trinkt die frische Morgenluft.
Da tönt ein Horn! Es bringt der Wind
Von fern den Schall; sie horcht geschwind. –
Und wieder tönt’s, und wieder – Hei!
Da springt ein flüchtig Wild vorbei!
Und laut und lauter tönt der Wald,
Vernehmlicher das Hifthorn schallt,
Und Brakken, eifrig spürend, fegen –
Die breiten Ohren und die Nas’
Am Boden tief – den Thau vom Gras!
Waldfräulein eilt erschreckt vom Ort,
Rasch auf des Walds geheimsten Stegen,
Nach einer andern Seite fort;
Bis sie, an abgelegner Stelle,
Kein anderes Geräusch mehr hört,
Als süßes Murmeln einer Quelle!
Dort kann sie weilen ungestört.
Sie läßt sich nieder, denkt und sinnt,
Und hält die Hand hin in die Welle,
Die durch die schlanken Finger rinnt,
Wie fließend Silber, klar und helle!
Wie Laubes Schatten wechseln, wanken,
Fliegt von Gedanken zu Gedanken
Der Jungfrau Sinn! – Da, horch! – es bricht
Durch’s Dickicht – naht – ein Wild ist’s nicht!
Waldfräulein springt erschreckt empor!
Da tritt aus dem Gehölz hervor
Im Jagdgewand ein Ritter, prächtig,
Schlank, wie des Spessarts Buchen prangen,
Und hoch und herrlich von Gestalt,
Gebräunt das Antlitz, frisch die Wangen!
Als wär’ er König hier im Wald,
Hält seine Hand den Jagdspieß mächtig! –

Waldfräulein zittert und erbleicht!
Ist’s Ahnung, die sie jetzt beschleicht?
Sie will entfliehn, will fort – vergebens!
Am Boden wurzelt fest ihr Fuß,
Trotz alles Müh’ns und Widerstrebens,
Sie will nicht bleiben, doch sie muß!
Kalt rieselt’s ihr durch Mark und Bein,
Gelähmt sind plötzlich ihr die Glieder;
Den Blick gesenkt zur Erde nieder,
Steht sie, ein bleiches Bild von Stein! –
Den Ritter süßes Staunen faßt.
„Wer bist du, sprich!“ ruft er in Hast,
Starrt an das Wunder, das er schaut,
„Wer bist du, unvergleichlich Weib?
So weit der lichte Himmel blaut,
Nie sah mein Aug’ so holden Leib!
Bist du der Elfen eine, sprich,
Die lieblich in der Mondnacht Glanz
Hinwehn im leichten Geistertanz,
Wie, – oder lebst du, so wie ich?“

Sie schweigt! – Von tiefer Angst beklommen
Wagt sie den Mann nicht anzusehn,
Der brünstig ihre Hand genommen;
Bewegungslos läßt sie’s geschehn,
Daß er um sie die Arme wand.
Drin ruht sie ohne Widerstand,
Bis er auf ihren Mund, entzückt
Die Glut des ersten Kusses drückt!
Da zuckt ein Blitzstrahl durch sie hin!
Sie schlägt empor die blauen Sterne,
Heftet den langen Blick auf ihn, –
Doch, gleich als wär’ die Seele ferne,
Giebt sonst kein Zeichen Leben kund,
Und stumm und lautlos bleibt der Mund.
„O! Ros’ im tiefen Walde blühend, –
Wer bist du?“ – ruft der Jüngling glühend, –
„Mit welchem Namen nennst du dich,
O Jungfrau süß? Antworte, sprich!“ –
Und wieder überströmt die Süße
Noch viel entzündeterer Küsse
Die Maid! – Da stürzt ihr von der Wang’
Ein Thränenstrom, und zitternd, bang,
Haucht „Laß mich!“ leis ihr Mund hervor!
Und gleich dem Reh ihr Aug empor
Schlägt bittend sie zu ihm, bis trunken
Von seiner Blicke Allgewalt,
Sie ihm bethört an’s Herz gesunken. –
O süßer Zauber, wonnereich,
Wer spricht dich aus, was kommt dir gleich,
Wenn erste Liebe unbewußt
Aufblitzt in jugendlicher Brust;
Das junge Herz die ganze Last
Der neuen Seligkeit nicht faßt;
Ein Schauer durch die Sinne dringt,
Die Sehnsucht unter Wonnen ringt,
Nichts sieht, als des Geliebten Blick,
Nichts fühlt, als seines Kusses Glück,
Nichts hört, als sein viel süßes Wort;
Hingeben möcht’ die ganze Welt,
Nichts eigen mehr für sich behält, –
Der Seele Schatz, des Leibes Hort,
Wie reich er sei – und nicht bedenkt,
Was sie empfängt und was verschenkt! –
So sank Waldfräulein willenlos
Hin in des schönen Jünglings Schooß! –