29.12.2010

2010 – Ein persönlicher Rückblick

Ein überschauender Blick auf die in diesem Jahr entstandenen Aufsätze und ihre Hintergründe.


Inhalt
Eggert-Blog, Gronbach, von Halle – und das Zeitgeschehen
Von der Unwahrhaftigkeit der Waldorfbewegung
Mieke Mosmuller und ihre Gegner
Wahrheit oder Harmonie?
Die Frage im Licht des Christus


Einleitung

Das nun zuende gehende Jahr gab wieder viel Anlass zu Aufsätzen verschiedenster Art. Zwei Motive jedoch prägten dieses Jahr ganz besonders: Mein Eintreten für Wahrhaftigkeit in Bezug auf die Frage der fehlenden spirituellen Substanz der Waldorfbewegung, was mir nach einer 12-jährigen Tätigkeit die Kündigung durch den Vorstand der „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ einbrachte. Und der zunehmende Geisteskampf um die Bücher von Mieke Mosmuller, welche mit zunehmender Bekanntheit auch eine zunehmende Gegnerschaft in Form verschiedenster „Rezensionen“ auf den Plan gerufen hatten.


Eggert-Blog, Gronbach, von Halle – und das Zeitgeschehen

Nachdem ich in meinem letzten Jahresrückblick auch auf meine Erfahrungen und Eindrücke in Bezug auf Michael Eggerts Blog „Egoisten“ eingegangen war, wurde dies von ihm und einigen anderen Bloggern sogleich entsprechend kommentiert. Als ich am 1. Januar auf diese Kommentare antwortete ("Neun Antworten zu einigen bemerkenswerten Kommentaren"), lud mich ein offener Brief von Ingrid Haselberger zum Dialog ein. Ich folgte dieser Einladung und engagierte mich zwei Tage sehr intensiv in diesem Blog – nur um meine Erfahrungen leider bestätigt zu sehen. In diesen Tagen entstanden folgende Aufsätze:

Noch einiges (nicht nur) zum Egoisten-Blog. Antwort auf den offenen Brief von Ingrid Haselberger.
Zum Dogma der (falsch verstandenen) „individuellen Wahrheit“.
Von der Notwendigkeit der wichtigsten Frage – eine Widerlegung des Harmonie-Dogma.
Von der Kraft der Wahrheit und der Kraftlosigkeit des heutigen Denkens. Der Scheingegensatz zwischen Toleranz und Geisteskampf.
Von der Fruchtlosigkeit von Diskussionen.
Vom Wesen der Anthroposophie und einer auferstehenden Kultur.
Das Wesen des Intellekts und sein Verhältnis zur Anthroposophie.

Was zu Sebastian Gronbach & Info3 sowie Judith von Halle zu sagen war, hatte ich bereits 2008 und 2009 geschrieben (siehe dort oder die Themenübersicht). In diesem Jahr entstanden nur noch zwei Aufsätze:

Entlarvendes zu Gronbachs Anti-Anthroposophie.
Abstrakte Fragen – und immer wieder eine Antwort. [Antwort auf einen Beitrag der „Goetheanum“-Redaktion]

Einige Aufsätze befassten sich mit Aspekten des Zeitgeschehens:

Über die Vernichtung der Moral durch den Intellekt. [Antwort auf einen Artikel auf Focus.de]
Vom erschütternden Wesen des Kindes – und seiner Vergewaltigung. [zur Frage des heutigen „Spielzeugs“]
Evo Morales, Rudolf Steiner und die brennende soziale Frage. [anlässlich einer beeindruckenden Rede des bolivianischen Präsidenten]
„Für euch wird es schrecklich werden“ – Der Weltwirtschaftsgipfel und die Zukunft.
Patrick Roth – „neue Evangelien“ oder „Vorsicht!“ ??? [Antwort auf eine Rezension von Ravagli]
Die psychosoziale Katastrophe und ihre Untergründe. Ein Blick auf die tägliche Leugnung von Seele und Geist und deren Wirklichkeit.
Das bedingungslose Grundeinkommen – die Rede von Susanne Wiest.  [Nachschrift]

Von der Unwahrhaftigkeit der Waldorfbewegung

Die Aufsätze, die sich mit der Waldorfpädagogik beschäftigen, und jene, die den Geisteskampf um Mieke Mosmuller betreffen, gehen ineinander über – denn gerade um ihr Buch „Eine Klasse voller Engel“ über die Waldorfpädagogik entbrannte ein besonders heftiger Geisteskampf.

Eher allgemein die Frage der spirituellen Grundlage wahrer Waldorfpädagogik verfolgten folgende Aufsätze:

Über die Bedeutung der Ehrfurcht.
Rudolf Steiner über Ehrfurcht als Grundlage der Pädagogik. [Zitate]
Der Waldorfschüler – das unbekannte Wesen.
Der Waldorflehrer – das unbekannte Wesen.
Von der Aufgabe der Moral in der Erziehung.
Wieviel Steiner braucht die Waldorfschule? Oder: Der einzige Weg zum Wesen des Kindes. Gedanken nach einem Seminar mit Mieke Mosmuller.
„Im Grunde will die Waldorfschul-Pädagogik gar nicht erziehen...“ - Gedanken im Anschluss an Rudolf Steiners "Pädagogischen Jugendkurs".
Von der heiligen Aufgabe der Selbsterziehung der Erziehenden.
Schule als Ersatz für überforderte Elternhäuser? oder: vom Auftrag einer Waldorfschule [am Beispiel Internet].
Zusammenarbeit und Begeisterung - keine Waldorfpädagogik ohne diese beiden.
Das Kind als Problem - vom Selbstbetrug der Waldorfbewegung.
Vertiefte Begegnung zwischen Eltern und Lehrern – keine Zeit? 
Vom weihnachtlichen Geheimnis der Zeit. Eine Besinnung.

Der Konflikt um „Eine Klasse voller Engel“ trat zu Jahresanfang an die Öffentlichkeit, nachdem zuvor ein halbes Jahr lang – seit Juni 2009 – versucht worden war, das Buch totzuschweigen (Zeitschriften wie „Die Drei“ verwiesen auf die „Erziehungskunst“, diese jedoch brachte ganz bewusst keinerlei Besprechung, nicht einmal eine negative!). Im Januar erschien dann gleich in zwei Schweizer Periodika ein Verriss von Thomas Stöckli, dem Leiter der Akademie für anthroposophische Pädagogik in Dornach – worauf ich meine Entgegnung auf einen „Machtspruch von der Kanzel“ schrieb.

Ende März nahm ich zu einem sehr problematischen „Goetheanum“-Interview von Prof. Jost Schieren Stellung: Der Professor für Waldorfpädagogik und der tote Intellekt. Das „Goetheanum“ druckte in mehreren folgenden Ausgaben nicht nur einen kurzen Leserbrief von mir, sondern ebenso kritische Reaktionen anderer Leser ab. Dennoch verteidigte Thomas Stöckli (s.o.) seinen Kollegen Schieren in einem weiteren Leserbrief, auf den ich in folgendem Aufsatz reagierte: "Der Leiter der pädagogischen Akademie in Dornach offenbart die Spaltung - von den Angriffen auf den Kern der Waldorfpädagogik".

Interessanterweise erschien eine Woche später (Mitte Mai) ein Gespräch zwischen Stöckli und Heinz Zimmermann, das ebenfalls sehr bedenkliche Passagen enthielt. So entstand der Aufsatz "Reden über das Christuswirken im Ätherischen – und die Wirklichkeit?".

Die Lage der Waldorfbewegung offenbarte dann im Oktober unfreiwillig der bisherige Leiter der Pädagogischen Sektion am Goetheanum, Christoph Wiechert. Ich besprach sein neu erschienenes Büchlein ausführlich im Aufsatz: "Lust aufs Lehrersein?! – Die freilassende Offenbarung der Katastrophe".

Doch damit, dass ich es gewagt hatte, die ersten beiden „hohen Herren“ – Stöckli und Schieren – zu kritisieren, war offenbar „das Maß bereits voll“, denn schon im Juni erhielt ich meine Kündigung... Diese ist Teil der Unwahrhaftigkeit, auf die ich – auch durch meine Webseite www.wesen-der-paedagogik.de – hinzuweisen versuche. Wie kann man als angeblich „anthroposophische“ Institution jemals Erkenntnisfragen auf die Rechtsebene ziehen, um sich unliebsamer Denker zu entledigen? Die Waldorfbewegung sollte einst eine Vorreiterin für ein freies Geistesleben sein, stattdessen ist sie längst Vorreiterin der Unwahrhaftigkeit! Die Erkenntnisfrage ist: Was sind die Essenz und die Grundlagen der Waldorfpädagogik und wie steht es um sie heute? Die Frage wird unter dem Teppich gehalten, und die innere Not wird Tag um Tag größer...

Mieke Mosmuller und ihre Gegner

2010 erschienen drei Bücher von Mieke Mosmuller, zu denen ich jeweils eine Besprechung schrieb:

Das Tor zur geistigen Welt. Helles Licht auf eine entscheidende Frage – zum neuesten Buch von Mieke Mosmuller.
Meditation – vom Weg der Auferstehung.
Himmlische Rose - von der hohen Würde des Menschenwesens.

Dann begannen die Gegner von Mieke Mosmuller sich zu formieren.

An eine Besprechung ihrer Widerlegung von Judith von Halle („Stigmata und Geist-Erkenntnis“, 2008) hatte sich noch niemand herangewagt – und meine Besprechung war nirgendwo gedruckt worden. Auch zu „Der lebendige Rudolf Steiner“ (2009) erschien nach meiner Besprechung im „Europäer“ und in der „Gegenwart“ lange Zeit keine einzige Rezension, erst zehn Monate später ein zwiespältiger Aufsatz in „Die Drei“ (siehe meine damalige Erwiderung). Mieke Mosmullers Auseinandersetzung mit Ken Wilber („Arabeske“, 2009) erging es ähnlich: Keine Rezensionen außer meiner Besprechung in der „Gegenwart“...

Dann folgten in Bezug auf „Eine Klasse voller Engel“ (2009) im Januar die erwähnten Verrisse von Thomas Stöckli, der mit seinen Ansätzen der „Praxisforschung“ usw. ganz auf der Linie der „Masterisierung“ und weiteren Veräußerlichung der Ausbildungen liegt, wodurch seine Reaktion mehr als zu erwarten war (wenn auch nicht in Stil und Heftigkeit).

Als dann im Juni „Das Tor zur geistigen Welt“ erschien – eine Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen Untersuchungen von Michael Muschalle und Renatus Ziegler –, schwieg die „anthroposophische Welt“ wieder (bis auf eine diffamierende Rundmail vom Info3-Verlag). Meine Besprechung wurde vom „Goetheanum“ nicht einmal mehr zurückgewiesen, selbst vielfache Nachfragen meinerseits blieben einfach unbeantwortet...

So hatte die offizielle „anthroposophische“ Bewegung es also seit Anfang 2008 geschafft, fünf wesentliche Bücher von Mieke Mosmuller zu wichtigsten Fragen einfach totzuschweigen – über zweieinhalb Jahre lang...

Dann aber glänzte dieselbe Bewegung ab Herbst 2010 mit neuen Verrissen (von „Das Tor zur geistigen Welt“), die sich an Verständnislosigkeit und Diffamierung teilweise gegenseitig überboten:

Im Michaeli-Heft der „Anthroposophie“ erschien ein Aufsatz von Rüdiger Blankertz, im November im „Europäer“ einer von Steinmann/Decressonnière, im Winterheft der „Gegenwart“ eine Stellungnahme von Renatus Ziegler selbst, im Weihnachtsheft der „Anthroposophie“ ein Aufsatz von Irene Diet – und ein weiterer im Rundbrief des Lochmann-Verlages! Ich habe auf diese Texte in folgenden Aufsätzen erwidert:

Zeitschrift „Anthroposophie“ als Sprachrohr okkult angehauchter Diffamierungen?
Das Verstandesdenken – keine Diffamierung, sondern eine Tatsache.
Erwiderung auf Ziegler: Ausgrenzung oder Vereinnahmung?
Irene Diet und der Höhepunkt irreführender Polemik.
Irene Diet: Trauriger Tiefpunkt zum Jahresende.

Interessant sind die Zusammenhänge:

Steinmann/Decressonnière sind ganz offensichtlich völlig überzeugte Verfechter oder vielleicht auch Freunde von Renatus Ziegler. Blankertz und Diet sind selbst zwei Personen, die ganz an der Peripherie der anthroposophischen Bewegung stehen: Blankertz selbst ein Kritiker, Diet weitgehend unbekannt. Der Lochmann-Verlag ist sonst ebenfalls ein scharfer Kritiker der offiziellen anthroposophischen Bewegung – nun aber gibt er jemandem wie Irene Diet Raum für ein geradezu hasserfülltes, fast jeglicher Logik entbehrendes Machwerk gegen Mieke Mosmuller. Und die „Anthroposophie“, das offizielle Organ der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (einer der drei Redakteure ist Prof. Jost Schieren) brachte gleich in zwei Ausgaben Texte von Diet und Blankertz, die – wie spätestens die Lochmann-Version zeigt – bei ihrer Verleumdungskampagne engstens zusammenarbeiteten!

Die Aufsätze dieser vier Personen sind alle derart problematisch (siehe meine Erwiderungen), dass sie ihrem Inhalt nach nicht wirklich ernst genommen werden können. Was aber ihre Veröffentlichung und Verbreitung angeht, prägt jeder einzelne von ihnen bei einer sehr großen Zahl von Lesern – Menschen, die die Anthroposophie suchen – ein völlig falsches Bild von Mieke Mosmuller.

Für jene Kräfte, denen an der Diskreditierung von Mieke Mosmuller gelegen ist – ihrer Arbeit, ihrer Bücher, ihrer Person, ihres Aufrufes; desjenigen, worauf sie hinweisen will –, spielt es keine Rolle, wie substanzlos und indiskutabel, ja schlimm, die erschienenen Aufsätze sind. Das Hauptziel dieser Kräfte ist, so viel Verwirrung, Irrtümer und Lügen wie möglich zu verbreiten, damit die wahre Bedeutung von Mieke Mosmullers Büchern nicht erkannt wird.

Das Wesen der Anthroposophie soll nicht erkannt werden – denn damit würde der gesamte jetzige „Betrieb“ der sogenannten „anthroposophischen Bewegung“ auf weniger als tönernen Füßen stehen und in sich zusammenfallen. Man wehrt sich natürlich gegen diese (Selbst-)Erkenntnis, aber neben dem individuellen Sich-Sträuben gibt es eben auch Kräfte, die ganz bewusst für den Erhalt des Bestehenden, des Etablierten kämpfen, für die gegenwärtige Illusion – und damit gegen die Wahrheit, gegen die reale Anthroposophie und ihre Erkenntnis...

Wahrheit oder Harmonie?

Die größte Waffe der Widersachermächte – neben aller sonstigen Irreführung, Verleumdung usw. – ist vielleicht immer wieder das „Harmonie“-Dogma. Es besagt im Grunde folgendes: Die Wahrheit liegt in der Harmonie.

Gerade weil dieses Dogma so wunderbar klingt bzw. sich anfühlt, ist es so verführerisch. Es ist eine Dreiviertelwahrheit und darum als Lüge kaum zu durchschauen.

Nur eine Variante dieses umfassenderen Dogmas ist das Diskurs-Dogma. Denn obwohl der Diskurs sehr wohl auch einmal heftig geführt werden kann, ist es in „anthroposophischen Kreisen“ doch üblich, dass er „sachlich“ und „gesittet“ bleibt. Ich habe in zahlreichen Aufsätzen z.B. des letzten Jahres immer wieder nachgewiesen, wie in einem solchen Diskurs die Wahrheits-Frage sozusagen unmittelbar verlorengeht.

Was ist dann aber wahr? Wahr ist, dass die Harmonie erst jenseits der Wahrheit gefunden wird. Sie wird erst in der Wahrheit gefunden. In der Wahrheit kann man sich begegnen. Will man Wahrheit und Harmonie vorher zusammenmischen, versündigt man sich immer an beiden: An der Wahrheit, weil man sie um der Harmonie willen verbiegt, oft ganz und gar ohne es zu merken. Und an der Harmonie, weil sie selbst dadurch ebenfalls unwahr, scheinheilig wird. Weder Wahrheit noch Harmonie kann man erzwingen. Die Wahrheit ist unbestechlich. Findet man sich aber nicht wirklich in einer Wahrheit, ist auch wirkliche Harmonie nicht möglich. Die Harmonie ist aber auch unbestechlich – ist sie unwahr, wird man dies früher oder später bitter erkennen müssen.

Die Frage der Wahrheit ist also die primäre. Man kann zwar, wenn man auf dem Schulungsweg weit, weit gekommen ist, in Harmonie auf die Suche nach der Wahrheit gehen – aber die reale „anthroposophische“ Bewegung ist davon weit, weit entfernt. In ihr gilt das Diskurs-Dogma, welches mit der Harmonie-Sehnsucht vermischt zu einer heillosen Scheinheiligkeit führt, in der die Wahrheit und die ernstesten Wahrheitskämpfer auf der Strecke bleiben.

Die Wahrheit verträgt keine Toleranz – darum ist eine Gesellschaft, die dem Toleranz-Dogma folgt, den echten Wahrheitssuchern gegenüber gnadenlos intolerant: sie werden aus der „Diskurs-Gemeinschaft“ sehr schnell ausgestoßen. Das Toleranz-Dogma aber verkennt eine grundlegende Wahrheit: Man kann den einzelnen Menschen und ihren persönlichen Wahrheiten gegenüber tolerant sein, aber wenn es um die Frage nach der Wahrheit geht, darf man keine Kompromisse machen. Man kann jeden einzelnen Menschen achten oder sogar lieben – und dennoch muss man ganz klar aussprechen dürfen, was man als wahr und als falsch, als gut und ungut usw. erkannt zu haben glaubt.

In Bezug auf die Wahrheit kann nicht das Harmonie-Dogma gelten – sondern die Wahrheit in Bezug auf Wahrheitsfragen ist der Geisteskampf. Harmonie gibt es nur, wenn man sich wirklich und wahrhaftig in einer Wahrheit begegnet. Gibt es Standpunkte, die sich nicht ergänzen, sondern die nachweislich unvereinbar sind, muss ein Standpunkt der Wahrheit widersprechen – mindestens einer... Vor dieser Wahrheit hat man Angst, weil man sich so nach der Harmonie sehnt. Die Anthroposophie ist aber ein Erkenntnisweg.

Die Harmonie kann nur die Frucht der Erkenntnis sein. Weisheit soll zu Liebe werden – zunächst aber muss sie als Weisheit überhaupt erst einmal errungen sein...! Ich kann den einzelnen Menschen lieben, doch wenn ich dafür die Liebe zur Wahrheit aufgebe, liebe ich auch den einzelnen Menschen nicht wirklich. Der Mensch soll im Reiche der Wahrheit leben lernen. Ist mir in meiner Liebe zu den Menschen die Wahrheit egal, so „liebe“ ich die Menschen nur so, wie eine Mutter ihr Kind „liebt“, dem sie alles erlaubt – gerade diese „Liebe“ ist eigentlich nur Selbstliebe. Erst aus der wirklichen Liebe zur Wahrheit kann auch die wirkliche Liebe zum Mitmenschen erwachsen – und in dieser Liebe ist nicht immer alles harmonisch!

Zu dieser ganzen Fragestellung, aus der immer wieder eine große Unsicherheit, eine Angst vor klaren Erkenntnisurteilen entspringt, habe ich zahlreiche Aufsätze veröffentlicht:

Zum Dogma der (falsch verstandenen) „individuellen Wahrheit“.
Von der Notwendigkeit der wichtigsten Frage – eine Widerlegung des Harmonie-Dogma.
Von der Kraft der Wahrheit und der Kraftlosigkeit des heutigen Denkens.
Über die Hintergründe von Urteilen über Mieke Mosmuller.
„Der Ton macht die Musik“? Von Wahrheitsliebe, dem Erbe der 68er und der nicht überwundenen Katastrophe.
Alles darf sein – nur die Wahrheit nicht? Von der Intoleranz der Toleranz. Über Beliebigkeit im Namen der Anthroposophie – und die Erstarrung einer ganzen Bewegung.
„Überzeuge mich – und ich glaube Dir“?
Was hindert einen, zum Wesentlichen zu kommen? Eine Essenz der letzten Aufsätze.
Zur Erkenntnis des „anthroposophischen“ Intellekts.
Vom Wesen dieser Seiten und vom Wesen der Erkenntnis – ein sokratisches Gespräch.
Eine Frage um Leben und Tod – aber warum kämpfen?

Die Frage im Licht des Christus

Die Harmonie wird immer wieder als „christlich“ empfunden. Daran ist auch vieles wahr – und dennoch wird sie unchristlich, wenn sie um den Preis der Wahrheit zu erreichen versucht wird. Dann nämlich versündigt man sich gegen den Heiligen Geist – und gerade dadurch entsteht eben die Scheinheiligkeit...

Christus selbst verhieß den Jüngern, den Geist der Wahrheit zu senden – wie könnte man glauben, je außerhalb der vollen Wahrheit die Essenz des Christlichen finden zu können? Michael, der ernste, unbeirrbare Streiter für die Wahrheit, ist das Antlitz Christi!

Christus trieb die Wechsler aus dem Tempel, die es mit der Wahrheit des Gottesdienstes nicht so ernst nahmen. Und dem reichen Jüngling verwies Jesus sogar, ihn „guter Meister“ zu nennen: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.“ (Mk 10,18). Nehmen wir es mit der Wahrheit einmal so ernst?

Bedenken wir, dass im nachtodlichen Erleben die Wahrheitsfragen ohne falsche Rücksichten betrachtet werden werden? Hier wird deutlich, dass es auch um moralische Fragen geht. Auch scheinheilige Harmonie wird sich im nachtodlichen Erleben als unwahr herausstellen...

Christus sprach:
Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. (Joh. 14,27).

Gerade wenn man die Wahrheit liebt, kann man den wahrhaftigen Frieden finden – und im Inneren sogar Frieden mit dem ärgsten Feind halten, selbst im stärksten Konflikt. Der Geisteskampf ist notwendig – aber im Herzen kann und soll trotzdem der Friede leben! Darum: Unser Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht vor dem Geisteskampf! Dafür braucht es Mut, und der damit verbundene (innere) Friede ist nicht friedlich, wenn es um die Wahrheit geht...

Obwohl die Weihnachtszeit gerade die Zeit des tiefsten inneren Friedens sein will, wird in den Episteln zur Adventszeit aus der „kleinen Apokalypse“ (Lukas 21) gelesen!

Der Christus hat auch gesprochen:
Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. (Mt 10,38).

Glauben wir wirklich, wir würden Ihm nachfolgen, wenn uns an den Erkenntnis- und Wahrheitsfragen so wenig liegt, dass wir gar keine Erkenntnisse wagen? Aus falscher Rücksicht oder aus Angst, jemanden zu „verletzen“ oder uns selbst Unmut zuzuziehen...?

Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg. Das Denken soll christlich werden. Dafür aber muss es zunächst auferstehen – es muss eine Wirklichkeit werden, die es noch gar nicht ist... Erst wenn es stark geworden, eine Realität geworden ist, ereignet sich die Auferstehung. Die geistige Welt wartet auf den Menschen, sie wartet auf den Geistesmut der Menschen...!