Die tiefste Sehnsucht

Holger Niederhausen: Die tiefste Sehnsucht. Books on Demand, 2015. Paperback, 192 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-7386-4888-1.


Erschienen am 28. September 2015.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen <

Inhalt


Was ist des Menschen tiefste Sehnsucht?
Was ist sein wahres Wesen? Können wir in einer Zeit, in der das abstrakte Denken und der nüchterne Intellekt, aber auch das Bedürfnis nach Genuss und Unterhaltung immer stärker zu werden scheinen, Wege zu einem ganz anderen seelischen Erleben finden? Auf welchen Wegen kann die Seele wieder die Möglichkeit finden, reine und tiefe Gedanken, Empfindungen und Willensimpulse in sich zu erwecken? 

Dieses Buch möchte den Leser zu einem tieferen Erleben der eigenen Seele führen – zu einem Erleben, wo der Mensch beginnt, wirklich sich selbst zu begegnen, seine tiefste Sehnsucht zu empfinden und immer mehr das wahre Wesen des Menschen zu ahnen.



Leseprobe 1


Mit diesem Buch geht es um das Wesen des Menschen.
Jeder Einzelne von uns steht innerlich und äußerlich an einem anderen Ort – und doch lebt tief innerlich in jedem Menschen eine Sehnsucht, die allen Menschen gemeinsam ist.

Was ist Ihre tiefste Sehnsucht? Fühlen Sie einmal tief in sich hinein...
Wenn Sie dies tun, werden Sie vieles finden, was Ihnen wesentlich ist. Und je ernsthafter und wahrhaftiger Sie dieser Frage nachgehen, werden Sie immer mehr fühlen, was Ihnen am wichtigsten ist, was Ihre tiefste Sehnsucht ist. Hören Sie nicht zu früh auf, nach einer Antwort zu suchen. Versuchen Sie einmal, eine ganze Zeit mit dieser Frage zu leben, vielleicht einige Tage, vielleicht sogar Wochen. Fragen Sie sich so aufrichtig wie möglich, was Ihre allertiefste Sehnsucht ist, womit sie zusammenhängt, auf was sie sich richtet...

Vielleicht sind Sie ein vielbeschäftigter Familienvater, der einen anstrengenden Beruf und zwei liebe oder weniger liebe Kinder hat; vielleicht sind Sie eine Frau, die beruflich oder als Mutter – oder beides – mitten im Leben steht. Vielleicht sind Sie auch in einer ganz anderen Situation – vielleicht sind Sie Studentin, Rentner, Hausfrau, alleinlebend, Millionärin, Nachtwächter. Was auch immer Ihre eigene Lebenssituation ist – Sie werden sich in das, wovon ich schreibe, hineinversetzen können. Sie können fühlen, was – in ähnlicher oder ganz anderer Form – auch für Sie Bedeutung hat; können Anteil nehmen an dem, was ich sage; können empfinden, worum es geht, und dem Weg der Gedanken folgen, der weiter in die Tiefe führen wird...

Dass Sie innerlich Anteil nehmen und innerlich aktiv – auch im Fühlen aktiv – mitlesen, ist wichtig, denn sonst wird jedes Buch der Welt nur zu einem bloß intellektuell verfolgten Text, der mit Ihnen selbst kaum mehr zu tun hat. Dann aber können Sie auch aus diesem Buch nichts Tieferes entnehmen, es wird in Ihnen nichts verändern, Sie werden sich nicht verändern. – Alles jedoch, woran man wahrhaft Anteil nimmt, verändert auch einen selbst. Wenn man sich auf dieses Abenteuer einlässt, wird man staunend entdecken können, welche innere Entwicklung uns Menschen möglich ist und auf welchen Wegen wir das Wesen des Menschen immer mehr finden...

Vielleicht also sind Sie ein vielbeschäftigter Familienvater... (Und wenn Sie es nicht sind: versetzen Sie sich hinein, nehmen Sie auch an dieser Situation Anteil; Sie werden sehr bald merken, was dadurch geschieht, wie regsam und lebendig das innere Erleben dadurch wird). Vielleicht haben Sie zwei Kinder und lieben sie, lieben auch Ihre Frau, auch Ihren Beruf. Vielleicht haben Sie nette Kollegen und Kolleginnen. Vielleicht aber ist auch nicht alles so schön – vielleicht haben Sie auch Ärger mit den Kindern, Streit mit der Frau, Schwierigkeiten im Beruf, eine kranke Mutter...

Je zufriedenstellender im Großen und Ganzen alles ist und geht, desto weniger Fragen stellen sich zunächst. Das Leben ist schön, erfolgreich; man hat alles, was man braucht, oder ist zumindest auf dem Wege dorthin. Man hat seine Überzeugungen, seine Lebensanschauung(en), es ist eigentlich größtenteils alles in Ordnung. Was noch?

Aber auch, wenn man viele Sorgen und manches Leid hat, kann es sein, dass man dem Leben zwar Vorwürfe macht, sich vielleicht auf der „Schattenseite des Lebens“ fühlt, aber trotz allem keine tieferen Fragen stellt. Man kann sich dann sehr leicht sagen: Ja, es gibt Menschen, die haben Zeit und Ruhe für solche „Luxus-Fragen“. Hätte ich ein paar Sorgen weniger, hätte ich diese Zeit und Ruhe auch... Nun aber muss ich sehen, wie ich überhaupt zurecht komme. In meinem Leben ist größtenteils eigentlich nichts in Ordnung – und was soll ich denn noch?
Hier haben wir zwei Extreme. Im zweiten Fall, da, wo der Mensch dem Leid und den Sorgen begegnet, ist man sich oft ein wenig mehr bewusst, dass es auch tiefere Fragen gibt, als sie sich der Mensch gewöhnlich stellt. Und dennoch wird auch hier oft vor diesen tieferen Fragen ... ausgewichen.
Man blickt also auf das Leben – es ist positiv oder negativ –, und man fragt sich: Was noch? Ist nicht alles, wie es ist, schön – oder schlimm – genug? Worum soll es denn noch gehen...?

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Auf diese Frage: „was noch?“, „geht es denn um noch mehr?“, muss jeder Mensch selbst die Antwort finden. Wenn er sich selbst sagt: „Um mehr geht es nicht“, dann kann ihn niemand umstimmen – es sei denn, er lässt sich irgendwann umstimmen, von anderen Menschen oder vom Leben selbst.

Je mehr man auf sich selbst konzentriert ist, nur auf sein eigenes Leben und den engen Umkreis, den man zu seinem eigenen Leben zählt – Frau/Mann, Kinder, Eltern, Freunde –, desto weniger und desto schwerer wird man zu dem Erleben kommen, dass es doch um „mehr“ gehen könnte; dass das Menschsein noch etwas ganz anderes bedeuten könnte, als nur diesen sehr kleinen, eigenen Kreis von Glück zu haben – eines Glücks, das überdies sehr gefährdet ist, oft überhaupt nicht vorhanden ist, obwohl es durch Werbung, Filme und andere Medien immer wieder als verbreitetes Standardbild, sozusagen als „Mehrheits-Wirklichkeit“ verbreitet wird.

Andererseits ist wohl auch niemand so hartherzig, dass er sich nicht schon einmal Gedanken über arme Waisenkinder, verhungernde Menschen, gequälte Tiere oder andere Not gemacht hätte, die über seinen persönlichen Umkreis hinausgeht. Und wieder kann man die Frage stellen: Geht es denn um noch mehr?

Jede Antwort auf diese Frage kann für einen selbst nur dann Gewicht und Bedeutung haben, wenn man sie selbst erlebt. Aber die Frage ist: Was geschieht eigentlich, wenn die Gedanken und Gefühle über den eigenen kleinen Umkreis hinausgehen – wenn sie weit werden? Was geschieht dann mit dem Menschen?

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Der Mensch mit einem zunächst kleinen, persönlichen Umkreis weiß nicht, was dann geschieht – und zugleich weiß er es tief innerlich doch. Denn je weiter, je tiefer und umfassender unsere Gedanken und unsere Gefühle werden, desto weiter, tiefer und umfassender wird auch unser ganzes Menschsein, unser Menschentum.

Was der Mensch sein kann, in Wirklichkeit, das ahnen wir in seltenen, besonderen Stunden... Und es lebt in uns auch eine große Sehnsucht nach diesem wahreren, weiteren Menschentum. Basiert nicht ein großer Teil der Literatur und Filmwelt auf der Idee, dass sich die Gefühle, die Gedanken, die Willensimpulse eines Menschen vertiefen können, dass sie lichtvoll und edel sein können?

Was ist die innerste Sehnsucht des erfolgreichen Geschäftsmannes? Sehnt er sich nach einer Ehefrau aus gutem Hause, die seinen eigenen Rang und Erfolg gebührend repräsentiert, eine tüchtige Gemahlin mit gehobenem Geschmack und gehobenem Anspruch, gleichsam „nach seinem Bilde“? Oder sehnt nicht selbst er sich im Innersten vielmehr nach der buchstäblich märchenhaften Jungfrau, deren äußere Schönheit nur das wahre Bild ihrer inneren Schönheit ist, weil ihr ganzes Wesen anmutig und unschuldig, rein und voller Hingabe, aber auch mutig und wahrhaftig ist...?

Und die Frauen? Sehnen sie sich nach äußerlich erfolgreichen Männern, die mit dem richtigen Job richtig viel Geld verdienen, um ihnen alles bieten zu können? Oder auch einem Mann, der ihren eigenen Karriereplänen Verständnis entgegenbringt? Oder sehnen Sie sich im Innersten nicht oft genug nach einem buchstäblich märchenhaften Ritter, dessen äußere Schönheit ein Wahrbild seiner inneren Schönheit ist, weil er in seinem ganzen Wesen ritterlich, mutig, aufrichtig und gerecht ist?

Wenn wir aber die Realität einer solchen oder ähnlichen Sehnsucht erleben, das heißt, uns klarmachen, dass solche Sehnsucht in unserem Innersten lebt, dann können wir doch auch erkennen, dass in solchen Vorstellungen etwas von demjenigen sichtbar wird, was für unser Innerstes wahres Menschentum bedeutet. Denn würden wir solche Sehnsucht haben und uns in Menschen verlieben, die dieser Sehnsucht nahekommen, wenn sich darin nicht gerade dies spiegeln würde: das wahre Geheimnis des Menschen? Tief innerlich wissen wir also um dieses Geheimnis – und sehnen uns danach.

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Versuchen Sie einmal, das folgende innere Erleben so intensiv wie möglich mitzuvollziehen – so, als wenn es Ihr eigenes wäre.

...

Leseprobe 2


Wir können von der Seele des Menschen und von seinem wahren Wesen nicht hoch genug denken. Alle Begriffe, die wir zunächst haben und die unseren Alltag ausmachen, reichen nicht aus, um zu einem Erleben allein schon des wahren Wesens der Seele zu kommen – von dem, was über sie vielleicht noch hinausgeht, ganz zu schweigen...

Wir müssen dahin kommen, immer mehr zu empfinden, wie profan die gewöhnliche Welt ist – wie gewöhnlich, im traurigen Sinn des Wortes. Das wahre Wesen des Menschen hat mit der Sphäre des Gewöhnlichen nichts zu tun, es kann in einer solchen Sphäre gewissermaßen gar nicht leben – denn es ist in jeder Hinsicht das Außergewöhnliche! Es ist das Heilige. Alles Unheilige widerspricht ihm, verbirgt es, deckt es zu, lässt es verstummen, begräbt es.

Das Wesen des Menschen hat nichts zu tun mit Steuererklärungen, Partys, Büroalltag, mit Sex, Ehekrach, Schnäppchenjagd, mit E-Bay, Tatort oder „Wer wird Millionär“. In der Art, wie wir gewöhnlich im Alltag stehen, ist das Wesen des Menschen überhaupt nicht zu finden – es geht dabei geradezu zugrunde. Wir selbst richten es zugrunde, durch die Art unseres gewöhnlichen Denkens, Fühlens, Handelns, Erlebens.

Um etwas von dem wahren Wesen der Seele erleben oder auch beschreiben zu können, muss man in eine Sphäre treten, die mit diesem Wesen zu tun hat. Wir müssen lernen, mit dem Begriff des Außer-Gewöhnlichen, des Über-Gewöhnlichen, des Heiligen wieder etwas Reales zu verbinden. Wir müssen das Heilige wieder erleben können – wir müssen lernen, es in uns selbst zu erwecken...

Man kommt schließlich wie von selbst zu Bildern. Die gewöhnlichen Worte sind zu schwach, diese ganz andere Sphäre zu erfassen. Die Bilder scheinen dann wie Gleichnisse, doch sie enthalten viel mehr von der Wirklichkeit als alle gewöhnlichen Worte. Die Bilder enthalten mehr Realität als alles, was wir gewöhnlich aussprechen und denken.

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Die Seele des Menschen gleicht einer Königin – einer unsagbar edlen, wunderschönen Königin. Ihre Schönheit und ihre Anmut ließen alle Worte verstummen. Wenn man ihr Wesen beschreiben wollte, hatte man den Wunsch, zu singen, es in Musik und Poesie auszudrücken. Die Liebe des Reiches zu seiner Königin war unbeschreiblich – und spiegelte doch nur ihr eigenes Wesen, ihre Liebe, ihre Schönheit...
Das Leben in ihrem Reich glich einem Märchen, es war ein Märchen, aber als Realität. Jeder Gedanke verkörperte das Wahre, in jedem Gefühl lebte Schönheit, alles Wollen und Tun war auf das Gute gerichtet und ließ es Wirklichkeit werden. Dies alles war das innere Leben des Reiches, dessen Schönheit sich in unendlicher Fülle immer wieder erneuerte. Die Königin aber war wie die Sonne, die dieses Leben nährte.
Im Reiche der Königin war das Glück eine immerwährende Wirklichkeit – nicht das bloß äußere, sondern das wirkliche Glück. Es gab keinen Mangel, denn nichts wurde als Mangel empfunden. Es gab keinen Hass, denn welchen Sinn hatte dieser? Es war nicht nur sinnlos, es war unmöglich zu hassen; man hätte es als eine Art Selbstmord empfunden... Es gab kein Unglück, denn was auch geschah, war gut und war aufgenommen in das Ganze. Alles war geheiligt...
Das Wesen der Königin aber war in seiner unendlichen Schönheit und Güte wie der Quell alles dessen. Jeder Blick ihres wunderbaren Wesens erweckte von neuem die besten Impulse. Jede unheilige Regung, wenn eine solche denkbar gewesen wäre, wäre unter ihrem sanften Blick von selbst und aus freiem Willen fromm geworden...

Doch eines Tages begann eine unheilvolle Kraft ihre Wirksamkeit im Reiche der Königin. Sie wurde von niemandem bemerkt. Absolut unmerklich jedoch begann die Kraft der Königin abzunehmen. Es war, als ob sie durch etwas geschwächt wurde – unendlich langsam, für niemanden sichtbar.

Die unheilvolle Kraft hatte Zeit, sie hatte alle Zeit der Welt... Es verging gleichsam eine Ewigkeit. Nur jemand, der das ganze ungeheure Geschehen von außen hätte verfolgen können; nur jemand, der stets alle Zeitpunkte und Zustände nebeneinander und gleichzeitig gegenwärtig hätte, hätte die Entwicklung bemerken und erleben können – alle anderen waren Teil dieser Entwicklung, ohne sich ihrer bewusst zu werden.
Das einst wunderbare und vollkommene Reich der Königin gewöhnte sich an die Veränderung, die es nicht wahrnahm. Niemand bemerkte, wie das innere Leben des Reiches unendlich langsam allmählich schwächer wurde. Wie das Wahre ein Weniges von seiner Kraft verlor; wie das Schöne in winzigen Schritten zu verblassen begann; wie das Gute ganz unmerklich schwächer wurde.

Eines Tages schließlich, nach einer sehr langen Zeit, war die Königin verschwunden. Auch dies bemerkte niemand, denn es schien noch immer eine Sonne, das Reich war noch immer durchlichtet und durchwärmt – anders als zuvor, aber der Unterschied war nicht erlebbar, denn jeder im Reich hatte bereits die gleiche Entwicklung durchgemacht. Alles, was geschah, war jeweils die Wirklichkeit. Das, was vergangen war, wurde nicht erinnert.
Vielleicht durchzog manchen eine ganz leise, traurige Erinnerung an etwas, was einmal da gewesen war, aber unaufhaltsam schwand sie, konnte nicht festgehalten werden. Zurück blieb, wenn überhaupt etwas, eine unendlich leise Traurigkeit, die nicht einmal wusste, woher sie kam, sich ihrer selbst auch gar nicht bewusst wurde...

Die Königin war immer noch da. Eines Tages hatte die unheilvolle Macht ihre Wirksamkeit begonnen und sich gleichsam unmerklich zwischen sie und ihr Reich geschoben. Diese Macht hatte unendlich langsam und leise alles durchdrungen und so immer mehr verhindert, dass das Wesen der Königin erlebt wurde.
Als diese Entwicklung weit genug vorgedrungen war, wurde die Königin in eine Art Gefangenschaft geführt. An ihre Stelle trat etwas, was sie ersetzte, ohne dass man den Verlust bemerkte.
Die Königin selbst fühlte sich immer mehr getrennt von ihrem Reich. Sie fühlte, wie sie gleichsam wie von einem lähmenden Nebel immer mehr umsponnen wurde; fühlte, wie sich schließlich etwas auf sie legte, wie sie im Laufe unendlicher Zeiträume schließlich zugedeckt wurde, durch eine schleichend, aber unaufhaltsam wachsende Last. Lebendig begraben – und vergessen...

Niemand erinnerte sich an das Gewesene. Die wunderschöne, unendlich sanfte Königin, die einst die Lebenssonne ihres ganzen Reiches gewesen war – sie war nicht mehr da, und auch ihr Reich war nicht mehr da. Es war etwas völlig anderes geworden.

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