Ein Urlaub für's Leben

Holger Niederhausen: Ein Urlaub für's Leben. Roman. Books on Demand, 2015. Paperback, 320 Seiten, 12,90 Euro. ISBN 978-3-7386-4891-1.


Erschienen am 28. September 2015.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen <

Inhalt


Die 15-jährige Cindy sieht schlimmen Sommerferien entgegen.
Während ihre Freundin Alina mit ihren Eltern nach New York fliegt, haben ihre Eltern wie immer ein Wellnesshotel in den Bergen gebucht. Langeweile und Streit scheinen vorprogrammiert zu sein.

Doch ihre Verzweiflung findet schlagartig ein Ende, als sie den alten Holzschnitzer Johannes kennenlernt. Tag für Tag taucht sie nun ein in die tiefen Fragen und Geheimnisse des Lebens…



Leseprobe 1


„Cindy, Frühstück!“

Früher oder später musste dieser Ruf kommen. Sie erhob sich vom Bett, in dem sie schon einige Zeit wach gelegen hatte – genauer gesagt: auch schon angezogen –, und ging in Richtung Frühstückstisch. Sie wusste nicht recht, wie sie an den gestrigen Abend anknüpfen sollte – oder vielmehr nicht anknüpfen –, und wiederum formte sich ein etwas unbehagliches Gefühl in ihrer Magengegend.
„Na, Cindy? Bist du gestern einfach so eingeschlafen?“
Erleichtert stellte sie fest, dass ihr Vater die Sache von gestern offenbar nicht fortsetzen wollte. Anscheinend hatte er heute sogar wieder gute Laune.
„Hm.“
Missmut und Verletzung wagten sich wieder etwas hervor und nahmen versuchsweise mit Platz.
„Komm schon, wir wollen uns heute nicht die Stimmung verderben lassen!“, sagte ihr Vater in einem Ton, der freundlich war, aber auch keinen Widerspruch erlaubte – es sei denn, man wollte Gefahr laufen, wiederum genau da zu landen, wo man gestern geendet hatte.
Die eigenen Gefühle waren aber gar nicht in Stimmung, wie auch? Also begann Cindy schweigend, sich ein Brötchen aufzuschneiden und es mit Butter zu bestreichen. Sie versuchte, fröhlich genug zu gucken, dass sie ihren Vater nicht reizte, trotzdem aber noch immer so verletzt zu sein, wie es ging.
„Cindy“, sagte ihr Vater in bestimmtem Ton. „Wir fahren heute in den Urlaub. Also verdirb uns nicht schon jetzt die Laune. Wir werden jetzt nichts mehr ändern. Aber –“, fuhr er in etwas gemäßigterem Tonfall fort, „nächstes Jahr bist du sechzehn. Da werden wir einmal sehen, ob wir für dich etwas organisieren können, was dir besser gefällt.“
Halb versöhnt mit dieser Aussage, der zumindest den Ferien-Leidensweg von drei auf ein Jahr zu verkürzen schien, sagte sie nochmals „Hm“ und bemühte sich, hier wirklich ein halbes Entgegenkommen anzudeuten.
Es schien beim Vater angekommen zu sein, denn er sagte nun zufrieden:
„Okay.“
Dann nahm er sich ebenfalls ein Brötchen, schnitt es auf, schaute dann seine Frau an, die noch immer abwartete, und sagte:
„Was ist? Guten Appetit!“

Es war seltsam. Das weitere Frühstück verlief ohne größere Zwischenfälle. Wie leicht man sich doch in sein Schicksal fügen konnte. Manchmal wünschte sie sich, dass sie größere Zwischenfälle verursachen könnte – so wie andere Teenager. Davon hörte man doch immer – oder sah es doch auch in manchen Filmen? Laute Streits, Türenknallen, fliegende Gegenstände, weglaufende Töchter und Söhne, Szenen, Tränen und vielleicht auch wieder lautstarke Versöhnung...
Sie konnte das alles nicht. Manchmal, nein eigentlich oft, fühlte sie sich zu normal, zu still, zu brav, zu wenig ... sie selbst. Aber das Laute war sie eben auch nicht. Wer war sie eigentlich?
Fragen über Fragen, wenn man erst einmal anfing, darüber nachzudenken. Aber sie hatte ja nun zwei Wochen Zeit... – Wenigstens ihre Ironie war ihr treu.
Als sie im Flieger saßen, fragte ihr Vater sie leutselig:
„Na, Cindy, was wirst du als erstes machen, wenn wir angekommen sind?“
„Wandern.“
„Wie bitte?“
„Wandern.“
„Das ist wieder ein Scherz, oder?“
„Ihr wollt doch immer, dass ich was mache – und jetzt glaubt ihr es nicht mal?“
„Also kein Scherz. Gut. Ja, gut, prima. Großartig. Aber heute wirst du nicht mehr wandern können. Wir kommen gegen vier Uhr im Hotel an. Das reicht gerade noch für einen Spaziergang.“
„Gut, dann eben Spaziergang. Und dann schaue ich mir auf der Karte an, wo ich die nächsten zwei Wochen wandern gehe.“
„Ähm, yep.“ Einen Moment lang schien ihr Vater die Sprache verloren zu haben, dann sagte er:
„Aber willst du nicht –“
Nein, will ich nicht“, unterbrach sie ihn entschieden.
„Okay. Gut. Alles klar. Aber du machst keine Hochgebirgstouren oder so. Alles, was gefährlich ist oder werden könnte, geht nur zu zweit. ... Aber ohne mich.“
„Nein, keine Hochgebirgstouren.“
Etwas verunsichert schaute der Vater sie an. Dann entschloss er sich offenbar, es bei diesem unerklärlichen Rätsel bewenden zu lassen.
„Gut. Okay. Großartig. Na dann... Dann steht unserem gemeinsamen Urlaub ja nichts mehr im Wege!“
Mit einer seltsamen Mischung aus Spott und einer rätselhaften Spur von Mitleid wandte Cindy sich dem Fenster zu und betrachtete die Wolken, an denen sie vorüberflog...
Nach einer Minute sagte sie:
„Abends können wir ja dann zusammen Canasta spielen.“
„Ja, das machen wir!“, sagte ihre Mutter.
Mit einem kurzen Blick sah sie, dass auch ihr Vater sich zu freuen schien.

                                                                                                                            *

Als sie sich in ihrem eigenen Hotelzimmer zehn Minuten auf dem bequemen Bett ausgeruht hatte, klopfte sie bei ihren Eltern, öffnete die Tür und sagte: „Ich geh’ dann mal.“
„Und wann bist du wieder da?“, fragte ihre Mutter.
„Weiß nicht. In ein, zwei Stunden?“
„Okay. Hast du dein Handy mit?“
„Natürlich.“
„Na dann – bis später, also. Wenn wir nicht hier sind, sind wir unten in der Sauna.“
„Alles klar.“
„Viel Spaß!“, rief ihr Vater noch schnell, bevor sie die Tür schloss.
„Danke!“

Als sie am Empfang vorbeiging, nickte der Mann ihr zu. Wie hieß er noch gleich? Sie vergaß den Namen jedes Jahr. War ja auch nicht wichtig. Nur seine Art, die ihr schleimig vorkam, störte sie jedes Jahr wieder neu.
Sie trat ins Freie und atmete einmal tief ein.
Wohin sollte sie gehen?

...

Leseprobe 2


„Warum müsst ihr euch immer anschauen? Was ist denn!?“, fragte Cindy verbittert.
„Tut mir leid, Schatz“, sagte die Mutter schnell. „Ich meine nur ... das sind etwas ... ungewöhnliche Themen, und –“
„Und was?“, schnitt sie ihrer Mutter das Wort ab. „Und jetzt denkt ihr, bin ich bei einem Mann aus einer Sekte gelandet oder so was? Ja? Ist es das, was ihr denkt?“
Die Schärfe ihrer Worte durchdrang das eintretende Schweigen.
„Nein...“, sagte ihre Mutter daraufhin beschwichtigend. „Nur, es ist doch klar, dass wir uns Sorgen machen, wenn –“
„Gar nichts ist klar!“, sagte Cindy. „Ihr kümmert euch um nichts, ich muss ganz alleine was unternehmen, aber wenn ich was unternehme, dann macht ihr euch auf einmal Sorgen! Ihr könnt nicht mal zuhören, ich kann nicht mal zuende erzählen; kaum sage ich etwas, schaut ihr euch immer so an! Ich kann nichts machen!“
Wieder schneidendes Schweigen...
„Deine Mutter hat sich doch entschuldigt“, begann ihr Vater mit einem etwas strengen Unterton.
„Nein, hat sie nicht!“, beharrte Cindy. „Sie hat nur gesagt, es ist doch klar, dass ihr euch Sorgen macht. Ist es aber nicht! Ihr braucht nur bis zuende zuhören – dann braucht ihr euch auch keine Sorgen zu machen! Aber wenn ihr euch ständig anschaut, könnt ihr gar nicht zuhören – und dann kann ich auch nichts mehr sagen, weil das einfach furchtbar ist! Ich halte das nicht mehr aus!“
„Schatz...“, begann ihre Mutter.
„...und das ‚Schatz’ halte ich auch nicht mehr aus!“
Wieder schaute die Mutter zum Vater.
Jetzt sollten sie ruhig schauen. Jetzt mussten sie mal eine Lösung finden.
Sie hörte ihren Vater wieder ausatmen. Diesmal nicht beschwichtigend, sondern sehr unzufrieden.
„Okay“, sagte ihre Mutter. „Ich versuche, nicht mehr ‚Schatz’ zu sagen. Und ich will dich ja ausreden lassen – ich will ja, dass du erzählst! Komm schon, Cindy! Mach es uns nicht so schwer. Ich mache mir auch keine Sorgen mehr, in Ordnung? Ja, Sch... – oh, entschuldige!“
Cindy musste lachen. Wieder einmal rettete dies die ganze Situation...
Und dann konnte sie tatsächlich manches von dem erzählen, was ihr an diesem Tag wichtig gewesen war. [...]

Mehr oder weniger versöhnt durch diesen Ausgang wollte Cindy nun auch von ihren Eltern etwas wissen.
„Warum interessiert euch das denn eigentlich nicht, ob es so etwas wie ein Schicksal oder eine göttliche Welt gibt?“
„Na ja, Cindy“, antwortete ihre Mutter, „sieh mal. Man kann das glauben oder nicht glauben. Aber das eigentliche Leben spielt sich doch hier auf der Erde ab.“
Über diese Antwort war sie wiederum empört.
„Hat das etwa nicht mit dem eigentlichen Leben zu tun, dass sich Schicksalswege von Menschen begegnen?“
Ihr Vater sagte:
„Das ist doch völlig irrelevant. Nenne es nun ‚Schicksal’ oder sonstwie. Wenn sich die Menschen begegnen, dann begegnen sie sich, und wenn nicht, dann nicht.“
Dieses Desinteresse war für sie einfach unfassbar.
„Ist dir das ganz egal? Ich meine – ob dahinter ein Sinn steckt; ob das vielleicht so sein soll?“
„Was heißt soll? Ja, das ist mir völlig egal. Denn es ist ja so. Ob es ‚soll’ oder nicht – wen interessiert das? Und überhaupt: Wer will das wissen?“

...