'Ich will Ihn suchen...'

Holger Niederhausen: 'Ich will Ihn suchen...'. Roman. Books on Demand, 2015. Paperback, 236 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-7386-4895-9.


Erschienen am 28. September 2015.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen <

Inhalt


Die 13-jährige Lara geht auf die Konfirmation zu, aber sie hat viele Fragen.
Sie ist sich über ihre eigene religiöse Sehnsucht unsicher – und mehr noch über das Ziel dieser Sehnsucht...

Voller Hoffnung erwartet sie die Wiederbegegnung mit einem alten Holzschnitzer. Er könnte ihre wahren Fragen vielleicht beantworten. Als tatsächlich die Gelegenheit da ist, mit ihm zu sprechen, beginnt für sie ein Weg, auf dem sie viel tiefer in ihre Fragen und ihre wahre Sehnsucht hineingeführt wird, als sie es je zu hoffen gewagt hatte...



Leseprobe 1


Aufgeregt schlug ihr Herz, als sie auf die Hütte zugingen. Sie hatte eine große Frage auf dem Herzen und eine sehr große Hoffnung... Ob der alte Holzschnitzer noch da war? Ob er sich an damals erinnern würde? Ob er ihr Antworten geben könnte? Sie wusste nicht, wie das dann gehen sollte, aber sie hatte jenen kurzen Moment von damals nie vergessen...

Sie sah die Engel schon von weitem. Sie standen noch immer vor der Hütte – größere und kleinere Holzengel. Sie meinte, sich zu erinnern, dass es sogar ganz dieselben waren. Hier war es gewesen – doch der Alte war jetzt nicht da, er war wahrscheinlich drinnen. Ihre Eltern betraten den großen Raum, der als Verkaufsraum diente und wo, wie damals, viele verschiedene Holzsachen auf großen, zusammengestellten Tischen in der Mitte standen und auch in Regalen an den Wänden ausgestellt waren. Unschlüssig ging sie wieder nach draußen. Wenn er gleich käme, was sollte sie sagen? Ihre Eltern wussten nichts von ihren Gedanken; sie selbst überblickte sie auch nicht weiter als bis zu jener Frage, die sie ihm stellen wollte...

Jetzt hörte sie die Stimme des alten Holzschnitzers. Sicher hatte er ihre Eltern gehört und war aus seiner Werkstatt gekommen. Sie versuchte, etwas zu erkennen, aber hier draußen schien die Sonne, und von hier aus schien das Innere der Hütte ganz dunkel zu sein. Sie trat wieder an den Eingang heran – und jetzt sah sie den Alten mit ihren Eltern. Ja, er war es, und er hatte auch noch denselben grauweißen Bart wie damals. Sie erinnerte sich wieder genau an seine Stimme. Wieder ging sie die zwei Schritte zu den Engeln. Wie könnte sie mit ihm reden, ohne dass ihre Eltern dabei waren und alles hörten? Verzweifelt spürte sie jenes Gefühl in der Brust zunehmen, das man hatte, wenn eine wesentliche Gelegenheit sich näherte und die Gefahr immer größer wurde, dass man sie ungenutzt vorübergehen ließ...

Dann stand der alte Holzschnitzer auf einmal an der Tür.
„Hallo“, sagte er lächelnd. „Du bleibst lieber hier draußen?“
„Ich, äh...“, ihr Herz schlug ihr nun bis zum Halse, „darf ich Sie etwas fragen?“, brachte sie hastig heraus.
„Aber natürlich.“
Sie sah das warme Lächeln des Alten. Nun würde es sich entscheiden...
„Wir waren vor vier Jahren schon mal hier. Als ich neun war. Damals stand ich auch hier, und Sie waren dort. Und ich hatte sie gefragt: Glauben Sie an Engel?“ Und nun legte sich all ihre bange Erwartung in die entscheidende Frage: „Erinnern Sie sich?“
Sie hatte das Gefühl, dass ihr Herz vor Anspannung aussetzte.
„Ja, ich erinnere mich“, sagte der Alte mit warmer Stimme. „Und du bist ziemlich groß geworden...“
Das war jetzt unwesentlich. Hastig fuhr sie fort:
„Sie antworteten damals: Die Engel sind die Diener des Christus. Erinnern Sie sich auch daran?“
„Natürlich tue ich das...“
Sie spürte, wie ihre Anspannung ein wenig nachließ und leise einer großen Hoffnung Platz machte, die sie so innig und heimlich in ihrem Herzen verschlossen hegte.
„Die Art, wie Sie das gesagt haben, habe ich nie vergessen. Ich habe seitdem immer geglaubt, dass Sie etwas von diesen Dingen wissen. Wissen Sie etwas von Christus?“
Der Alte lächelte überrascht.
„Oh! Du stellst die größte Frage, die man überhaupt stellen kann! Ja, ich weiß sehr viel von Christus...“
„Na, Lara, was machst du denn hier draußen?“
Ihre Mutter war wieder an die Tür gekommen.
Sie antwortete verzweifelt:
„Oh Mama, bitte, kann ich noch kurz allein mit dem Mann sprechen?“
„Was?“, fragte ihre Mutter verwirrt. „Äh, ja doch, natürlich – wenn du willst...“
Noch immer irritiert wandte sie sich zögernd um und ging wieder hinein. Ihre Mutter tat ihr leid, aber was sollte sie tun?
Der Alte sagte ruhig:
„Wir könnten uns kurz auf die Bank setzen, die um die Ecke steht. Wollen wir das tun? Das kannst du deinen Eltern sagen...“
Ja, das war wunderbar!
„Sehr gerne!“
Sie betrat eilig den Raum, in dem ihr Vater noch immer die ausgestellten Holzstücke betrachtete und ihre Mutter sich sofort wieder nach ihr umdrehte, als sie sie sah.
„Mama, Papa – ich muss mit dem Mann etwas besprechen. Wir sitzen um die Ecke auf der Bank.“
„Was denn aber, Lara? Was musst du mit ihm besprechen?“
„Das erkläre ich euch nachher!“
Und schon war sie wieder draußen. Der Alte lächelte und ging ihr voran auf die rechte Seite, wo an der Wand der Hütte tatsächlich eine einfache Bank in der Sonne stand.

...

Leseprobe 2


Der Teekessel begann zu pfeifen. Der Alte lächelte.
„Entschuldigung...“
Er stand auf, nahm den Kessel vom Herd und nahm dann ein Kräuterbündel, um es aufzuknüpfen und einige der Kräuter in eine Kanne zu tun, die er dann mit dem kochenden Wasser aufgoss.
„Lara – möchtest du jetzt nicht vielleicht doch auch einmal einen Tee probieren?“
„Ja, doch“, sagte sie.
Sie fühlte sich auf einmal unbeschreiblich wohl bei diesem alten Holzschnitzer – und sie wollte sehr gerne annehmen, was er ihr so freundlich anbot. War dies das Vertrauen, was zwischen Menschen entstand, die sich kennenlernten und mochten?
Der Alte kehrte mit der Kanne, einem darauf liegenden Sieb und zwei schönen, dickwandigen Keramik-Bechern an den Tisch zurück. In der Kanne steckten die Kräuter, von denen man einige Stengel leicht über den Rand ragen sah.
Sie musste lachen.
„Was ist?“, fragte der Alte und sah sie verwundert an.
„Ich habe noch nie wirklich so frischen Tee gesehen...“
„Wirklich? Dabei sind die Kräuter doch sogar schon getrocknet gewesen.“
„Ja, aber wie sie da drin stecken!“
Wieder musste sie kichern. Der Alte freute sich still mit ihr.
„Schön, dass es dir so gut geht, Lara...“
Der Alte bewegte die Stengel ein wenig hin und her.
„Er muss noch etwas ziehen...“, sagte er. Dann schaute er schweigend die Kanne an, von der der Duft der Kräuter emporstieg.
Sie genoss die kurze Stille, die eintrat. Mit diesem alten Holzschnitzer zu schweigen, war auch schön...

Weil sie sich aber gerade so wohlfühlte, fragte sie redselig:
„Warum ist es eigentlich manchmal so schön, zu schweigen?“
Der Alte sah sie überrascht an.
„Das ist eine sehr schöne Frage! Es ist so schön, weil ... aber das kannst du vielleicht selbst beantworten?“
Sie dachte nach.
„Weil man sich einfach wohlfühlt?“
„Ja. Weil es keine leere Stille ist, die gefüllt werden muss, wodurch man unruhig wird und vielleicht eine Langeweile empfindet und all dies ... sondern weil es eine Stille ist, die schon erfüllt ist, eine volle Stille. Solch eine Stille bedarf nichts weiter. Sie ist so schön wie frischer, weißer Schnee. Er fällt zart vom Himmel, legt sich genauso zart auf die Erde – und ist dann einfach da, in seiner ganzen Wunder-Schönheit. Manch einer möchte dann sofort Fußspuren hinterlassen und alles Mögliche damit tun – doch ein anderer möchte ihn einfach nur anschauen und möglichst unberührt lassen...“
Dieses Bild berührte sie sehr – und es traf genau zu.
„Woher ... haben Sie so schöne Beispiele?“, fragte sie schließlich.
Lächelnd sagte der Alte:
„Eines Tages wirst du auch so schöne Beispiele finden. Sie sind ja wirklich da. Und die Seele findet sie um so leichter, je mehr sie wirklich mit der Welt mitleben kann. Und dieses Mitleben ist etwas, was genau auf deinem Weg liegt. Auf dem Weg, von dem wir hier immer wieder sprechen.“

Er goss die zwei Becher voll und reichte ihr den einen.
„Danke.“
Sie probierte vorsichtig einen winzigen Schluck von dem dampfenden Tee.
„Kenne ich davon was?“, fragte sie.
Der Alte brach in ein herzliches Lachen aus.
„Ich weiß nicht, was du kennst!“
„Ist da so eine kleine Pflanze drin? Ich glaube, sie blüht rosa oder violett. So winzige Blüten...“
„Ja, du hast recht. Da ist Thymian drin. Das hast du ja großartig erkannt!“
Sie lächelte stolz.
„Und er schmeckt gut!“, sagte sie.
„Das freut mich“, erwiderte der Alte.
Er nahm ebenfalls einen vorsichtigen Schluck. Dann sagte er:
„Also gut, kehren wir zu den Engeln zurück, Lara. Oder zu den Menschen. Was brauchen wir für ein religiöses Empfinden? Was tut die Seele da? Was sind das für innere Stimmungen und wirklich auch Handlungen, die wir brauchen und tun müssen, wenn wir in ein tieferes religiöses Empfinden wirklich hineinkommen wollen?“
Sie versuchte, zu finden, was der Alte meinte.
„Ich weiß nicht... Sie wendet sich zu Gott? Sie ist fromm? Was meinen Sie?“
„Ja, das alles meine ich auch. Aber wie ist die Seele fromm? Kann sie das einfach so? Was tut sie da?“
Sie überlegte.
„Ja, ich denke, das kann sie. Wenn sie will, kann sie es doch?“
„Das ist schön...“, sagte der Alte. „Das ist wunderbar, wenn die Seele fromm sein kann, wenn sie das will...!“
„Stimmt das etwa nicht?“, fragte sie unsicher.
„Doch, das stimmt“, erwiderte der Alte lächelnd. „Und doch können viele Menschen das nicht einfach so – oder sogar gar nicht. Aber wenn es richtig ist, was du sagst, dann bedeutet das: Sie könnten es wohl, wenn sie wirklich wollten, aber sie wollen eigentlich nicht...“
„Aber warum nicht?“
„Nun, dafür gibt es viele Gründe. Einer ist der Zweifel... Denn was soll man tun, wenn man gar nicht sicher weiß, ob das, dem man sich fromm zuwenden könnte, überhaupt existiert? Ein anderer ist mangelnder Mut. Denn was soll man tun, wenn man der Einzige ist, der fromm sein will, und man ist umgeben von Menschen, die nicht oder nicht genauso stark fromm sein wollen? Ein Drittes ist mangelndes Verständnis. Was soll man tun, wenn man nicht wirklich versteht, was das eigentlich ist, dem gegenüber man fromm sein könnte...? Ein Viertes ist Bequemlichkeit und Faulheit. Was soll man tun, wenn man gar keine ‚Lust’ hat, fromm zu sein? Wenn es einem – nun ... zu anstrengend ist?“
„Das sind ja ganz schön viele Gründe!“, sagte sie, ein wenig erschrocken.
„Ja“, nickte der Alte leise. „Es sind ganz schön viele... Und sicher habe ich noch viele nicht genannt...“

Eine Frage drängte in ihr nun auf Antwort.

...