Wunder eines Sommers

Holger Niederhausen: Wunder eines Sommers. Roman. Books on Demand, 2015. Paperback, 204 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-7386-4893-5.


Erschienen am 28. September 2015.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen <

Inhalt


Der 16-jährige Tom hat es nicht leicht: Sein arbeitsloser Vater hat ein Alkoholproblem, seine Freundin Lea hat etwas gegen sein ‚Gegrapsche’, er selbst will cool sein, läuft vor Fehlern aber schnell davon und fühlt sich ebenso schnell wie das fünfte Rad am Wagen.

Durch spezielle Umstände begegnet er einem alten Holzschnitzer – und diese Begegnung ist der Beginn einer fundamentalen Wende in seinem Leben ... die zugleich seine ganze Umgebung in eine ganz ungeahnte Veränderung mit hineinzieht.



Leseprobe 1

Er hatte schlechte Laune – und das war weit untertrieben. Es war mitten in den Sommerferien, und seine idiotischen Eltern hatten nicht einmal genug Kohle, um irgendwie Urlaub zu machen. Vor acht Monaten hatte sein Vater seinen Job bei einer Spedition verloren, den er ebenfalls nicht lange gehabt hatte. Und seine Mutter? Saß nur zuhause und las Frauenzeitschriften. Jetzt saß sein Vater auch zuhause und hatte ein Alkoholproblem.
Und er? Er saß hier fest mit diesen idiotischen Eltern, in diesem absolut öden, langweiligen Ort, in dem alle Welt Ferien machte, während er hier täglich leben musste. Noch zwei Jahre, dann war er erwachsen. Und dann? Dann hätte er noch knapp zwei Schuljahre vor sich, weil er in dieser bescheuerten siebten Klasse einmal sitzengeblieben war. Danach endlich Abitur – und dann Schluss mit dem ganzen Mist. Was dann kam, das wollte er jetzt überhaupt noch nicht wissen. Auf jeden Fall was anderes als seine Eltern! Raus – weg von zuhause, wie auch immer.

Aber wie sollte er verdammt nochmal jetzt erst einmal die letzten Ferienwochen überstehen? Er schickte eine SMS an Lea. Er war mit ihr seit drei Monaten zusammen. David und Jan hatten ganz schön geguckt, als er Arm in Arm mit ihr angekommen war. Die Versager versuchten sich auch mal an der und mal an jener – und konnten von Glück sagen, dass sie zur Zeit auch beide eine Freundin hatten, Nina und Anna. Man konnte Wetten abschließen, wie lange das hielt!
Am liebsten würde er jetzt mit Lea ein Eis essen gehen und danach hier auf dem Brunnen am Marktplatz sitzen und mit ihr rumknutschen. Aber nein – sie war natürlich im Urlaub! Zum Glück waren David und Jan bereits wieder da. Er rief sie an, und sie verabredeten sich beim Eiscafé.
Er wartete noch zehn Minuten, dann glitt er vom Brunnenrand und schlenderte gemütlich die Straße entlang. Am anderen Ende kamen ihm die beiden auch schon entgegen. Sie wohnten fast nebeneinander und konnten sich so nie verfehlen.

„Hi, Tom“, sagte David.
„Hi“, sagte er. Tom war sein Spitzname – Tom für Thomas. „Na, zur Feier des Tages ‘n Eis? Weil wir auch diesen Ferientag schon halb überlebt haben?“
Die beiden grinsten.
„Klar“, sagte Jan.

...

Leseprobe 2


Irgendwann kamen Jan und David an.
„Hey, wo warst du gestern? Wir haben auf dich gewartet!“, sagte Jan.
„War halt nicht da.“
Er hatte keine Lust zu sprechen.
„Ist was?“
„Blitzmerker.“
„Und was?“
„Mann, frag nicht.“
David fragte:
„Hat Lea mit dir Schluss gemacht, oder was?“
Er stöhnte.
„Oah – könnt ihr mich nicht einmal in Ruhe lassen?“
„Sollen wir wieder gehen, oder was?“
Das wollte er irgendwie auch nicht.
„Nein, ihr sollt mich nur in Ruhe lassen.“
Jan sagte:
„Wir können uns dann ja auf die andere Seite des Brunnens setzen...“
„Toller Witz!“, kommentierte er trocken.
„Ja, was denn? Wir sollen dich in Ruhe lassen, aber gehen sollen wir auch nicht. Wie macht man das dann, bitteschön?“
„Mann, alles muss man euch erklären! Ihr könnt alles machen, was ihr wollt. Nur nicht mich ausfragen!“
„Okay – dann schlag du doch was vor“, sagte Jan.
„Keine Ahnung – und auch keine Lust zu irgendwas.“
„Also, wenn du nichts erzählen willst, wir auch nicht fragen dürfen und du auch keine andere Idee hast, dann können wir hier entweder einfach nur rumsitzen oder aber wieder gehen“, folgerte David messerscharf.
„Ja, wird dann wohl so sein“, erwiderte er.
Er konnte jetzt auf niemanden eingehen und wollte am liebsten doch einfach alleine sein.
„Na, prima. Komm, Jan, wir gehen.“
„Na gut. Ciao dann“, sagte Jan.
„Ciao.“

Toll – von aller Welt verlassen. Niemand verstand ihn, er verstand auch niemanden. Nur der Brunnen hielt zu ihm. Er ließ ihn immer auf sich sitzen, er fragte nicht, er nervte nicht; vielleicht würde er sogar zuhören, wenn er ihm seine Probleme erzählte... Trotz allem Unglück fühlte er sich hier, auf dem Brunnenrand, wohl.

                                                                                                                            *

Es war aber noch früher Nachmittag, und so beschloss er, zu dem alten Holzschnitzer zu gehen.

Die Tür der Hütte war offen.
„Hallo?“
Er ging durch den Verkaufsraum, bis zur hinteren Tür, und dort sagte er noch einmal:
„Hallo?“
„Ja“, kam deutlich eine Antwort.
Er folgte ihr und kam in einen kleinen Werkstattraum, in dem der Holzschnitzer bei der Arbeit war.
„Oh, hallo Thomas, komm rein.“
„Hallo.“
Der Alte hatte sich wieder seiner Arbeit zugewandt.
Jetzt fragte er, indem er kurz aufschaute:
„Wie geht es dir?“
„Ach...“
Der Alte legte sein Werkzeug aus der Hand und wandte sich ihm zu. Nun sah er wieder in diese aufmerksamen, warmen Augen. Sie taten irgendwie so wohl...
„Was ist denn, Thomas?“
Hier konnte er wohl alles sagen – und er wollte es auch. Ja, er vertraute diesem alten Holzschnitzer völlig und erwartete unbewusst auch eine Lösung von diesem besonderen Mann.
„Ach – es ist alles beschissen...“
„Thomas... Nimm bitte andere Worte – mir zuliebe. Darf ich dir noch einmal kurz erklären, warum? Danach werde ich dir auch ganz und gar zuhören...“
„Ja, gut, erklären Sie.“
Er hatte eigentlich ein wenig bemitleidet werden wollen. Nun hatte er stattdessen schon wieder was falsch gemacht. Aber er wollte nichts falsch machen. Irgendwie hatte er es auch schon geahnt, dass es nicht ganz richtig war...

Der Alte dachte nach. Dann sagte er:
„Worte sind Wirklichkeiten, Thomas. Wenn man sich ihrer bedient, schenken sie einem ihre Wirklichkeit – oder ziehen einen im negativen Sinne in ihren Bereich. Du kannst dich mit Worten in die heiligsten Höhen erheben, oder in die unheiligsten Abgründe versenken. Ich weiß, dass du das Wort nicht magst oder noch nicht verstehst, aber ich benutze es ganz bewusst wiederum. Vielleicht verstehst du es inzwischen auch schon ein bisschen besser.
Man kann mit den Worten nicht folgenlos herumjonglieren. Wir haben als Menschen eine Seele, und mit jedem Wort wird die Seele entweder edler, schöner, mutiger, leuchtender – oder aber, nun ... gewöhnlicher, niedriger, härter, hässlicher, vulgärer und finsterer. Wenn sie aber auf diese Weise den in das Niedere führenden Weg wählt, schließt sie sich selbst ab von allem Schönen, Hohen, Guten. Sie schließt sich selbst ab und kann es dadurch nicht erreichen – und mit der Zeit kann sie es noch nicht einmal mehr sehen, spüren, verstehen. Sie verliert allmählich all ihre Sehnsucht danach, und schließlich wird das Niedrige, Empfindungsarme, Vulgäre ihre ganze Welt, ihre einzige Welt, ihr eigenes Wesen...“
Er wollte doch etwas einwenden.
„Ist es wirklich so schlimm? Wenn man einmal ein Wort sagt?“

...