Das Märchen vom Satan

aus: Adelheid Petersen: Christus-Märchen. Rose Verlag, 1963.


Es ist nicht leicht, etwas vom Satan zu erzählen.
Er ist ein fin­sterer unholder Geist von furchtbarer Macht und Kraft. Er will einsam und unerkannt sein und strebt die Gedanken zu ver­wirren, wenn man ihn zu erfassen sucht.

Er will sich immer hinter Luzifer, seinem Gesellen, verbergen. Das hatte er auch so gut fertiggebracht, daß noch heute die meisten Menschen, welche überhaupt nach solchen Geheimnissen fragen, glauben, die beiden Worte, die in der Bibel vorkommen, nämlich Satan und Teufel, seien nur zwei Bezeichnungen für e i n Wesen, näm­lich Luzifer. Aber das ist nicht so. Der Satan ist viel gewaltiger und stärker als Luzifer. Er war einmal einer der mächtigsten Engel Gottvaters in urvordenklichen Zeiten, lange ehe es jenen alten Sonnengarten gab, von dem ich erzählt habe.

Damals war überhaupt noch keine erschaffene Welt. Es war nur die innerste Himmelsherrlichkeit Gottvaters da mit allen Engelsscharen, und an seinem Herzen ruhte Christus, sein ewi­ger Sohn.

Gottvater hatte den Plan zur Erdenschöpfung gefaßt: wie sie werden sollte mit allen ihren Wesen und Dingen, von Sonne, Mond und Sternen beschienen, von allen Engeln umhegt. So be­rief er alle seine Schöpferengel, um ihnen das neue Werk anzu­kündigen, sie dafür vorzubereiten, und auch um sie auf ihre innere Gesinnung hin zu prüfen.

Sie sammelten sich alle um Gottvaters Thron. Ihm zu Füßen saß Christus, den alle liebten. Gottvater zeigte ihnen nun die Bilder der künftigen Welt. Er belehrte sie, wie sie von ihnen erschaffen werden solle. Dann wies er ihnen das letzte Ziel der Schöpfung, den Menschen. Die Engel staunten über seine Schönheit und Erhabenheit. Sie waren voller Freude, daß sie dieses herrliche Wesen gestalten sollten.

Als Gottvater diese Schaffenslust seiner Engel wahrnahm, schloß er die Schatzkammern seiner Ewigkeit vor ihnen auf, damit jeder sich daraus nehmen sollte, was ihm gut dünkte als Rüstzeug für das bevorstehende große Werk.

Diese Schatzkammern der Ewigkeit, sie lassen sich mit keinem Wort unserer Menschensprache auch nur von ferne beschrei­ben. Wenn man sich das Edelste, Schönste, Vollkommenste denkt, was es nur geben kann, den kostbarsten Edelstein, das größte Kunstwerk -, wenn man den verklärtesten Sonnen­untergang, den reinsten Sonnenaufgang sich vorstellt, ja den Glanz des ganzen Himmels mit allen Sternen zusammennimmt: es ist nichts vor Gottvaters Schätzen der Ewigkeit.

Sie erfüllen den, der sie besitzt, mit unversieglicher Kraft des Lebens und Schaffens, und je mehr er davon verbraucht, desto mehr wächst immer wieder nach.

Da sind Kronen, die zu Trägern der göttlichen Liebe machen; Kelche gefüllt mit dem ewigen Licht; feuergoldene Rüstungen für solche, die Gottvaters Willen verwalten wollen. Da sind Ringe, welche der ewigen Weisheit teilhaftig machen; Szepter des Herrschertums über alle Kräfte des Lebens. Da gibt es köst­liche, wunderbar geheimnisvolle Werkzeuge, um alles zu for­men, was es nur geben kann; vom winzigen Farbenstäubchen eines Schmetterlingsflügels, vom zartesten Vogelfläumchen, vom fast unsichtbaren Moos und Sandkörnlein an bis zum gewaltig. aufgetürmten Hochgebirge, bis zur Gestalt des Menschen, bis zur Gestalt des ganzen Weltalls.

Unermeßliches an solchen Schätzen erblickten die Engel, und es war ein solches Übermaß des Glanzes, daß sie ihre Augen davor bargen. Sie standen schier hilflos und erschreckt vor der grenzenlosen Fülle. Sie wußten nicht, wohin sich wenden, wo beginnen, was erwählen?

Gottvater sprach zu ihnen:

„Seid nicht verzagt! Jeder besinne sich still für sich, in wel­cher Weise er am liebsten an der Schöpfung mitarbeiten möchte. Dann soll er wählen. Aber merkt: es darf jeder nur von e i ­n e r Art der Schätze sich nehmen und bei dem einmal Ge­wählten muß er bleiben. Wenn ihr dann euer Werk beginnt, sollt ihr alle brüderlich zusammenwirken. Jeder soll mit dem andern im Schaffen und Bilden seine Schätze tauschen, so daß alle an allem teilhaben, jeder von jedem empfängt, jeder je­dem gibt, jeder vom andern lernt und den andern lehrt: denn die verschiedenen Kräfte eurer Schätze sollen zusammenströ­men in der Krönung eures Werkes, dem Menschen. Von euch allen wird er etwas in sich tragen. Er wird euch in alle Ewig­keit ein Bild eurer Schöpfergemeinschaft sein.“

Als die Engel diese Worte Gottvaters vernommen hatten, kam Zuversicht über sie. Jeder bedachte sich, was er am liebsten tun würde, um darnach seine Wahl zu treffen. Und es war so, daß jeder in seinem Herzen Zwiesprache hielt mit Christus, und daß es jedem war, als berate er sich ganz besonders mit ihm und empfange von ihm den Entschluß, was er ergreifen solle.

Da nun alle gewählt hatten, ließ sie Gottvater um seinen Thron zusammentreten, und zwar so, daß immer die beieinan­der standen, welche sich das gleiche erlesen hatten. Da zeigte sich nun das Wunderbare: Es war aus jeglicher Schatzkammer der Ewigkeit geschöpft worden. Nicht etwa aber aus der einen viel und aus einer andern wenig, sondern aus allen im gleichen Maß, so daß die verschiedenen Engelscharen ganz genau zusam­menstimmten.

So ordnete sich Gottvaters himmlisches Schöpfer­gesinde zu den Chören der Engel, die ihre Würden und Auf­gaben nach dem von ihnen Gewählten hatten. Da sind die höch­sten Geister, die aus der göttlichen Liebe heraus schaffen, und die Hüter des ewigen Lichtes; das sind Seraphim und Cheru­bim. Ihnen zunächst stehen die mächtigen Geister, welche den göttlichen Willen als innerste Grundfesten in alles einsenken. Dann die segnenden Spender der Weisheit, die mächtigen Be­herrscher aller bewegenden Kräfte, und die großen Bildner, von denen alles seine Form und Gestalt erhält - und weiterhin alle ihre unzähligen Helfer, Diener und Boten. Sie alle waren in froher Bereitschaft für das neue Werk und voller Erwartung, es zu beginnen.

Nun war einer unter ihnen - einer der höchsten, mächtigsten - den hatte, als die Schatzkammern der Ewigkeit aufgetan waren und Gottvater seine Weisung gab, eine wilde Gier über­fallen. Er mochte sich zu keiner Wahl entschließen, er wollte von allem besitzen, ungemessen, unbegrenzt: „Dann wäre ich mäch­tig, selbst eine Welt zu schaffen, wie Gottvater“, dachte er, „und alle müßten mir dienen, sogar der Christus.“

Da er nun alle damit beschäftigt sah, unter den Schätzen zu wählen, be­schloß er, sich heimlich aus jeder Kammer etwas anzueignen.
Aber als er in die erste eintrat, schlug ihm eine Feuerflamme entgegen, die ihn mit unerträglichem Schmerz zu versengen drohte. Er mußte zurückweichen, während neben ihm seine Ge­fährten ruhig das ihrige sich nahmen.
Ebenso erging es ihm in der nächsten Kammer und so überall, wohin er sich wendete.

Keiner der Engel schien das zu bemerken und ihn überhaupt zu sehen, wie er so herumschlich und sich vergeblich bemühte. Das kam aber daher, daß seine bösen Gedanken schon eine Finsternis um ihn gewoben hatten, die ihn vom himmlischen Lichte schied. Seine Brüder sahen ihn nicht mehr.

Nur Gott­vaters allsehendes Auge und des Christus Liebe und seine Trauer um ihn erreichten ihn. Sie waren es, die er als die brennende Lohe empfand, vor der er immer wieder zurückweichen mußte.
Er vernahm Gottvaters Stimme: „Was sinnst du, was beginnst du?“
Und des Christus Bitte: „Hüte dich, kehre um!“
Aber da er sein beginnendes Gelüst nicht von Anfang an ge­zähmt und überwunden hatte, war aus seinem Herzen schon die selige Wärme, von welcher die Engel erfüllt sind, gewichen. Wie ihn äußere Finsternis umspannte, wurde es auch in ihm finster, hart und kalt. Er war nur noch von dem Willen beses­sen, in den Besitz der Schätze zu gelangen, wie es auch gehen möge.

Als nun die Engel alle ganz mit ihren Vorbereitungen und dem Beginn des neuen Weltenbaues beschäftigt waren, schlich er zwischen ihnen umher und stahl ihnen von ihren Schätzen, so viel er nur raffen konnte und barg es im Mantel seiner schlim­men Finsternis.
Die Engel aber in ihrem frohen Fleiß merkten es nicht. Es mangelt ihnen auch das Gestohlene nicht, denn, so viel er ihnen wegnahm, so viel wuchs immer wieder nach.

Gott­vater aber schaute ihm zu, ohne ihm zu wehren. Deshalb schwieg auch Christus.
So brachte er einen großen Raub zusammen und freute sich sehr darüber.

Aber allmählich wurde die Last für ihn zu schwer. Sie drückte und wuchtete ihn abwärts, so sehr er sich auch da­gegen stemmte, abwärts, immer tiefer hinunter in den Abgrund einer eiskalten Einsamkeit.
Da saß er nun - der erste aus dem Himmel gefallene Engel.
Aber er war nicht etwa traurig und bestürzt, sondern voll wilder Pläne und Gedanken.

Während nun im Lichte Gottvaters die Schöpferengel mit ihren Helfern und Dienern die Welt zu bilden begannen, schuf auch der große gefallene Engel, der fortan Satan genannt wurde, sich eine Welt - seine Welt.
Er konnte das. Er hatte sich ja Schätze der Ewigkeit geraubt, und sie verliehen ihrem Besitzer die Kraft des Hervorbringens und Gestaltens.

Freilich, in seinen Händen war ihr göttliches Leben und Leuchten erloschen und ihre Kräfte hatten sich in ihr Gegenteil verkehrt: die Liebe in Haß; die Wahrhaftigkeit in Lüge; der Wille zum Guten in Trotz und Verstockung; der strömende beschenkende Segen in Habsucht und Geiz; die ewige Weisheit in kalte und herzlose Klugheit, welche erbarmungslos ihre Zwecke verfolgte.

So schmiedete er an seinem Werk. Mit ungeheurer Entschlos­senheit arbeitete und formte, mischte und ballte er zusammen, bis es ihm gelang, Geschöpfe hervorzubringen ohne eigenen Wil­len, ohne Herz, die nicht wußten, was Wahrheit und Liebe war. Sie bestanden aus Haß und Lüge. Für sich selbst waren sie gar nichts. Sie lebten einzig aus dem Willen des Satans als seine Sklaven, die er wieder zertrat, wenn es ihm gerade so paßte.

Er begabte sie aber mit großem Verstand, mit Schlau­heit, tückischer Listigkeit und mit einer unbegrenzten Verstel­lungskunst, in welcher er sie unablässig übte, so daß sie schließ­lich die Gestalt himmlischer Geister, zuletzt sogar die Gestalt von Engeln annehmen konnten. Denn wenn er auch aus dem Himmel gestürzt war: er hatte ihm als ein Großer angehört; er trug sein Bild in sich, er kannte Gottvaters Plan für die Er­schaffung der Welt und des Menschen.

Seine Absicht aber war, den Menschen, dies auserwählte Geschöpf, dies Ziel des Engel­schaffens, in seine Gewalt zu bekommen, durch ihn sein Macht­reich zu gründen und die ganze Schöpfung dem Himmel zu entreißen.

Er war sicher, es mußte ihm gelingen. Denn durch die Schätze der Ewigkeit - wenn auch durch ihn verderbt - hatte er teil an der Schöpferwelt, und die Engel konnten ihn wohl bekämpfen, aber sein Wirken nicht verhindern.

Es vergingen Zeiten auf Zeiten, unermeßlich - wenn wir an das Maß unserer Erdentage und Jahre denken.

Die Schöpfer­engel vermochten nicht gleich den Menschen zu formen. In lan­ger Arbeit übten sie sich dafür und ruhten dazwischen immer wieder aus, selig in Gottvaters Mantel gehüllt.

Dann kam die Zeit, als im Garten der Sonne die Menschen in den Blumen schliefen und Luzifer sich gegen Gottvater auf­lehnte, so daß er aus dem Kreis der Engel verbannt wurde.

Obwohl der Satan sich darüber freute, daß außer ihm noch einer gekommen war, der Gottvater trotzte, so war er doch un­ruhig, was Luzifer wohl vorhabe, und ob er ihm den Menschen vielleicht streitig machen wolle.
So hob er sich aus seiner kalten Tiefe empor, um Luzifer zu suchen.

Luzifer war nicht in Abgrund und Einsamkeit gesunken. Er liebte das Licht und die Schönheit und die Farbigkeit der Welt. Er liebte Freiheit und ungebundenes Schweifen. Er wollte ein Reich der Herrlichkeit gründen, das ganz nur von seinem Geist belebt und erfüllt sein sollte.

Zwischen der Höhe und der Tiefe begegneten sich Luzifer und der Satan.

Sie merkten bald, daß jeder den Menschen für sich begehrte und jeder sein eigenes Reich haben wollte.
Da sie aber einig waren in ihrem Kampf gegen die Engel, schlossen sie einen Bund miteinander, um die Men­schen zunächst dem Himmel zu entreißen. Dann sollten sie zwischen ihnen ausgezählt werden und zwar so, daß der Satan von zwölfen immer sieben, Luzifer aber fünf erhalten sollte. Das verlangte der Satan als der ältere und mächtigere von beiden. Luzifer gab sich zufrieden. Heimlich aber dachte jeder, den anderen doch noch zu überlisten und alleiniger Herr über das Menschengeschlecht zu werden.

Endlich kamen die Engel an ihre letzte höchste Aufgabe und schufen nach der Anweisung der großen Schöpfergeister aller Form die Gestalt des Menschen.
Sie mußten den Leib bilden aus allen Stoffen der Erde und ihm die lebendigen Kräfte des gan­zen Sternenhimmels einverweben. So trägt der Mensch in seinem Leibe die Stoffe und Kräfte vom Himmel und der Erde.
Wie er so anfänglich aus den Händen der Engel hervorging, hatte er himmlische Schönheit und leuchtete im Licht der Gestirne. Er war auch nicht mit unserer heutigen Erdengröße zu messen, sondern er hatte Himmelsmaß wie es die Engel haben.

Die Engel waren voller Seligkeit über ihr eigenes Werk. Sie brach­ten es Gottvater dar, als das Beste und Reinste, was sie je zu vollbringen vermochten, und es war ihnen ein Heiligtum, in dem sie Gottvater verehrten. Denn nach seinem Wort war es entstanden. Und Gottvater segnete sie.

Dann winkte Christus die sieben mächtigsten Geister der Form, welche die leitenden Meister bei der Gestaltung des Menschen gewesen waren, zu sich und flüsterte ihnen ein Wort zu, das niemand vernahm als nur sie allein.
Sie gingen damit zum Menschen, der noch nicht die Augen geöffnet und noch keine Bewegung gemacht hatte, und hauchten es ihm in die Ohren und in die Nase, auf die Stirn, die Augen und den Mund.
Da tat der Mensch die Augen auf und rief: “Ich bin.“
Denn durch Christi Wort hatte er eine unsterbliche Seele empfangen und damit die Sprache.

Nun trat Christus selbst an den Men­schen heran und legte den Funken der göttlichen Liebe in sein Herz, wie es Gottvater dereinst verheißen hatte.
Und der Mensch schaute um sich.
Er gewahrte die Schönheit der Welt. Er sah die Engel, die ihn umringten. Er sah in der Höhe den Glorienschein Gottvaters, aus dem Christus herniederblickte, er hob seine Arme und tat den ersten Schritt.
Dann kniete er nieder und sprach sein erstes Gebet.

Große Freude herrschte im Himmel über das vollendete Werk, und der erste Sonntag wur­de gefeiert.
Die Engel hegten und lehrten die Menschen und wandelten mit ihnen auf der Erde, welche damals noch nicht vom Himmel geschieden war.

Der Satan und Luzifer hatten das alles genau belauert.

Luzifer war voller Entzücken über die Herrlichkeit des Menschengeschlechts. In Satan aber er­wachten Haß und Neid auf seine Auserwähltheit. Er beschloß, die Menschen zu verderben und zu vernichten, um sich alles an­zueignen, was die Engel ihrem Geschöpf geschenkt hatten, und Luzifer mit seinen Plänen sollte ihm zu seinem Zweck dienen.

So begann der Kampf der beiden Widersacher gegen die göttliche Welt um den Menschen.

„Ich werde ihn verführen“, sagte Luzifer.
„Ich werde ihn verwirren“, sagte der Satan.

Nun streute Luzifer mit vollen Händen seine Schätze über die Erde und die Menschen aus.
Als der Große, Weisheitsvolle, welcher er unter den Engeln gewesen war, besaß er deren viele. Er schmückte die Welt mit vielfältigem funkelndem Glanz und Schein, wie es die Engel nicht getan haben.

Die Schönheit, wel­che den Engeln eigen ist und die sie ihren Werken verleihen, ist anderer Art als die Schönheit, welche von Luzifer stammt. Man kann sie nicht ohne weiteres mit den gewöhnlichen Augen wahrnehmen; sie ist geheimnisvoll innen hineingelegt in das Herz der Dinge und Geschöpfe. Man muß sie mit dem Herzen finden. Man muß ein inneres Auge haben, um sie zu erschauen. Es sind nicht viele Menschen heute, die das vermögen. Wer aber dazu fähig ist, der sieht überall im Irdischen schon ein Stück vom Himmel und kann nie mehr ganz verzweifelt und unglücklich sein, nie mehr wirklich hart und böse werden.
Die Schönheit aber, die von Luzifer kommt, strahlt und leuchtet nach außen. Sie verzaubert und lockt. Sie reizt die Begehrlichkeit, daß man das haben will, was einem gefällt; daß man immer mehr haben will als man schon hat; daß man stolz wird auf den eigenen Besitz und neidisch auf den des anderen.

Es kam alles, wie Gottvater es vorausgesagt hatte beim Sturze Luzifers.

Er weckte Weisheit und Fähigkeit zu großen Erden­werken in den Menschen. Er beschenkte sie mit Künsten und Wissenschaften. Aber er verdarb ihnen zugleich ihre Herzen. Sie wurden ehrgeizig, eitel, hochmütig und selbstgefällig. Sie wendeten sich weg von ihrem Hingegebensein an den Himmel und ihrem Gehorsam gegen die Engel, welche sie Götter nann­ten und anfänglich über alles fromm verehrt hatten.

Immer mehr bekamen die Menschen Lust am Wohlleben und am Be­sitz. Daraus aber erwuchs Unterdrückung der Armen, es kamen Unfrieden und Unbarmherzigkeit.

Bei allem dem aber hatte der Satan mit seiner ganzen Gewalt die Hand im Spiel.

Er schichte seine bösen Wesen aus, in Ge­stalt all der guten Geister, welche als Diener der Engel in der Natur und am Menschen helfend, ordnend, pflegend tätig sind: der Gnomen, Elfen, Undinen und wie sie alle heißen.

Die bösen Gesellen sollten sich unter die anderen einschleichen und allem, besonders auch dem Menschen, die Kälte und Finsternis des Satans beimischen. Das taten sie mit großem Eifer.

Allmäh­lich verlor die Erde mit ihrem Gestein, den Pflanzen und Tieren, ihr inneres Leuchten und ihre durchsichtige Reinheit. Sie wurde hart, dicht und schwer. Der Leib des Menschen verlor sei­nen Sternenglanz und schrumpfte zusammen in dem Maß, als der Mensch unter den Einfluß von Satan und Luzifer kam. Viele Tiere wurden wild und reißend und fraßen sich gegenseitig auf, während sie anfänglich friedlich miteinander gelebt und sich von Pflanzen ernährt hatten. Auch die Menschen hatten nur von Milch, Früchten, Pflanzenspeisen gelebt. Jetzt erlegten und schlachteten sie Tiere und verzehrten sie. Viele Pflanzen wurden giftig. Unwetter und Mißwachs kamen auf, Eiseskälte des Win­ters, Krankheiten und der Tod.

Die Engel kämpften mit ihren guten Geistern gegen den Satan und Luzifer und ihre Scharen.

Vor allem war es der Erzengel Michael in seiner sonnenflam­menden Rüstung, der den Satan und Luzifer immer wieder zurückdrängte, der immer wieder das Gute in dem Menschen belebte, den Funken der göttlichen Liebe in ihren Herzen an­fachte. Er hatte es ja Christus versprochen, die Menschen ganz besonders zu behüten und ihnen beizustehen in der Gefahr, in die sie durch die Widersacher geraten würden.

Es gab auch im­mer Menschen, welche sich ihre Frömmigkeit bewahrten und die himmlische Weisheit pflegten, wie sie ihnen von den Engeln - ihren Göttern - eingepflanzt worden war. Sie bauten Tempel, in denen sie ihren Gottesdienst verrichteten, ihre Opfer und Gebete darbrachten. Sie lehrten und mahnten. Sie waren es auch, die noch am längsten ihre Götter wirklich schauen konnten.

Aber diese Menschen wurden immer weniger, denn der Satan blendete die Augen für das wahre himmlische Licht, indem er immer mehr Finsternis in sie hineingoß. So sahen die Menschen nur noch das Äußere aller Dinge. Das Licht von Sonne, Mond und Sternen war ihnen leer geworden, weil sie die darin lebenden und webenden Geister nicht mehr erblicken konnten.

Je mehr aber die Menschen den Himmel vergaßen, und sich ihren Erdensüchten hingaben, desto mehr wuchs die Macht, besonders des Satans.

Schon gab es Menschen, welche über die Götter spotteten und sagten, es gäbe in Wirklichkeit keine Göt­ter und keinen Gott. Alles sei so aus sich selbst geworden, und mit dem Sterben sei alles aus. Das waren zunächst nur ganz vereinzelte. Aber der Satan freute sich an ihnen und sah die Zeit voraus, wo die meisten Menschen so denken und dadurch ihm verfallen würden.

Denn darauf zielte er ab: die Menschen so zu verwirren, daß ihnen nur noch das Leben auf der Erde galt; daß sie nur noch für wirklich hielten, was sie mit ihren Erdensinnen wahrnehmen, mit ihrem Erdenverstand begreifen konnten - ja, daß sie einen Haß empfanden, wenn von Gott gesprochen wurde und es nicht anders wollten, als daß mit dem Tode alles zu Ende gehe.

Durch solche Gesinnung aber - das wußte der Satan - mußten die Menschen immer liebloser, selbstsüchtiger und grausamer werden und konnten nach dem Tode nicht mehr zum Himmel hinfinden.

Dann wollte er sie in seiner Finsternis fesseln, den Funken der Liebe in ihnen zertreten, ihre ursprünglichen Himmelskräfte ihnen aussaugen, und sie als seine willenlosen Diener immer wieder auf die Erde schicken, bis diese mit allem, was auf ihr lebte, sein Eigentum werde.

Die guten Götter, die Engel, mußten es erleben, wie die wach­sende Macht des Satans im Bunde mit Luzifer ihnen immer mehr die Menschen entriß.

Sie sahen, wie die wenigen, die ih­nen treu blieben und sich gegen die Widersacher wehrten, gehaßt und verfolgt wurden. Sie sahen immer mehr Kriege und Kriegsnöte sich ausbreiten, sie sahen unermeßliches Elend voraus, in das die Menschen sich durch ihr eigenes Tun bringen würden: Eine große Traurigkeit kam über sie, so groß, daß sie nicht mehr in den Tempeln der frommen Menschen, erschienen und zu ihnen sprachen.

Als diese sich von ihren Göttern verlassen sahen, legte sich über sie die Wolke von Traurigkeit. Denn die Göt­ter hatten ihnen verheißen, Gottvaters ewiger Sohn werde her­absteigen und die Menschen aus der Gewalt des Satans und Luzifers erlösen.

Nun aber waren die Götter ihnen entschwun­den, ohne daß der Erlöser erschienen war.

Der Satan aber und Luzifer triumphierten.

Die Engel beschlossen, ihr Leid vor Gottvaters Thron zu bringen, der Erzengel Michael sollte ihr Sprecher sein. So ge­schah es.

Als sie vor Gottvaters Thron niederknieten, übernahm sie ihr Leid. Sie weinten bitterlich.

Christus neigte sich zu ihnen und tröstete sie.
Gottvater aber sprach: „Redet, erleichtert eure Herzen.“
Der Erzengel Michael trat vor, neigte sich tief und berichtete allen, was sie bedrückte. Und er sagte:

„O Herr, wir wissen, daß Dir nichts verborgen ist von allem, was geschieht, je geschehen ist und geschehen wird jetzt und in alle Ewigkeit. Wir wissen, daß Du nicht unser Wort gebraucht hast, um zu wissen, was auf der Erde geschieht. Aber Du hast geschwiegen. Du hast die Widersacher groß werden lassen, ohne ihnen zu wehren, ohne Deinen Sohn hinabzusenden, ehe es mit der Erde und den Menschen so schlimm geworden ist, daß unsere Kräfte nicht mehr ausreichen im Kampf gegen das übel und das Böse. Wir verstehen nicht, warum das alles so sein muß. Vergib uns Herr, daß wir es nicht verstehen. Wir bitten Dich, hilf uns zur richtigen Einsicht, damit wir verstehen, war­um Du es hast geschehen lassen, daß durch den Satan Dein und unser liebstes Geschöpf, der Mensch, zugrunde geht. Hast Du ihn verstoßen, o Herr?“

Und wieder hob das schmerzliche Weinen an.

Gottvater aber antwortete ihnen:

„Stillet eure Tränen! Nein, ich habe den Menschen n i c h t verstoßen, und er wird auch nicht zugrunde geben. Ihr fragt, warum ich dem Satan und Luzifer nicht gewehrt habe? Das geschah, weil der Mensch, das wirklich auserwählte Geschöpf, sich stärken und bewähren, sich wirklich finden soll gerade durch den Kampf mit. dem Bösen. Er ist berufen, in der Finsternis das Licht zu entzünden, aus dem Haß die Liebe zu wecken. Er soll das Böse in Gutes verwandeln, und er wird die Kraft dazu in seinem Herzen finden, in dem der Funken der göttlichen Liebe wachsen und zur Flamme werden wird durch Christus, meinen Sohn, den ich jetzt zu den Menschen hinabsenden werde, als ihren Retter und Erlöser. Am Menschen sollen Satan und Luzifer die Schranken ihrer Macht er­leben.“

Froh erhoben sich die Engel und gelobten, mit aller Treue weiterzukämpfen für die Menschen.

„Werdet ihr den Menschen Treue halten, auch wenn sie das Furchtbarste tun, wenn sie scheinbar ganz im Böse versinken?“ fragte Christus.
„Ja“, antwortete der Erzengel Michael.
„Auch dann“, fragte Christus weiter, „wenn sie mich von sich stoßen, wenn sie Gottvater und den Himmel lästern und ver­fluchen?“
„Auch dann“, erwiderte Michael.
„So beginne ich mein Werk unter den Menschen“, sagte Christus. 

Er legte seine himmlische Herrlichkeit ab und wurde Mensch in Armut und Niedrigkeit, im Leibe des Jesus von Nazareth.

Johannes der Täufer bereitete die Menschen, welche auf ihn hörten, auf sein Wirken vor. Er sagte ihnen, daß die Kraft und das Licht des Himmels zu ihnen gekommen seien. Er tauchte sie betend unter in das heilige Wasser des Jordanflusses, damit die Finsternis des Satans aus ihrem Blick und ihrem Herzen wegge­waschen werde und sie den Heiland erkennen konnten, wenn er unter sie trete.

Auch Jesus Christ kam und ließ sich von Johannes dem Täufer untertauchen.
Nicht weil er es gebraucht hätte, sondern um die Taufe des Johannes ganz besonders zu heiligen.
Als er sein Haupt wieder aus dem Wasser erhob, sah Johannes, wie sich über ihm der Himmel öffnete und Gottvater seine Kraft, Weisheit und Liebe über ihn ausgoß. Den Um­stehenden aber schien es, als schwebe eine große weiße Taube mit ausgebreiteten Flügeln über ihm.

Jesus Christ ging still hinweg und wanderte in die Wüste hin­aus.
Er wollte sich in der Einsamkeit vorbereiten. Denn von jetzt ab wollte er lehrend und predigend, helfend und heilend unter den Menschen wandeln.

Der Satan aber und Luzifer nahmen wahr, daß plötzlich un­ter den Menschen einer lebte, der anders war als alle andern. Noch nie hatten sie einen solchen Menschen gesehen.

In ihm war keinerlei Dunkelheit, nicht einmal eine leiseste Trübung. Wenn man es auch nicht von außen sehen konnte, weil er ja auch den dichten, schweren Erdenleib hatte: sein Herz leuchtete in dem reinen Sternenglanz, den der Mensch uranfänglich be­sessen hatte, und alle göttliche Weisheit und göttliche Liebe lebte darin.

Darüber erschraken Satan und Luzifer. –
„Wir müssen ihn zu Fall bringen“, beschlossen sie, denn er kann uns ge­fährlich werden.“ 

Luzifer ging zuerst zu Jesus Christ, angetan mit seinem gan­zen Glanz.

Von dem Prunk seines Gewandes wurde die Nacht ganz hell und das Licht des Mondes und der Sterne erlosch davor, aber das stille Leuchten, das vom Herzen Jesus Christ ausfloß, war stärker als all dies Strahlen und Gleißen.

Luzifer trat heran und sprach einen Zauber aus. Da lag plötzlich tief zu ihren Füßen die Welt ausgebreitet im hellsten Sonnenschein mit all ihrer Schönheit, mit all ihren Reichtümern, mit allem, was die Menschen geschaffen und hervorgebracht haben. Präch­tige Städte und viele Dörfer schimmerten. Weite Kornfelder standen golden zur Ernte, Gärten voller Obst und Blumen, Wiesen und Wälder lockten bunt und grün. Ober die Meere, Seen, Flüsse zogen beladene Schiffe - überall war Leben und Bewegen. Die Menschen erschienen geschmückt und fröhlich. Sie streckten die Arme hinauf, jubelten und winkten.

„Das ist mein Reich“, sagte Luzifer.
„Dir will ich es schenken, wenn du mich als den wahren Herren der Welt anerkennst, wenn du mich verehrst und mir vertraust.“
Jesus Christ antwortete: „Ich kenne dich gut. Ich weiß, wer du bist und ich trage Leid um dich. Der wahre Herr der Welt, der Erde und des Himmels ist Gottvater. Ihn allein verehre ich und ihm allein vertraue ich.“
Bei diesen Worten Jesus Christ erlosch die Schau und die Nacht der Wüste umgab sie wieder.
Luzifer aber war zornig. 

Plötzlich stand auch der Satan da, schwarz und düster mit gro­ßen Fledermausflügeln.
Sie faßten Jesus Christ und rissen ihn aufwärts, immer höher durch wilden Sturm, auf eine senkrecht steile Felsenspitze. Sie fiel ab in eine furchtbare Tiefe voll scharfer Steine, über welche Schlangen krochen.

„Wenn du so auf Gottvater traust“, höhnten sie, „so beweise uns dein Vertrauen. Spring da hinunter! Wenn du das tust und er dir seine Engel schickt, um dich zu halten und zu tragen, dann wollen wir an ihn glauben und ihn und dich anbeten.“
Jesus Christ antwortete ihnen: Warum soll ich etwas so Törichtes und Frevelhaftes tun? Ich weiß, daß Gottvater immer und überall bei mir und bei allem ist, und daß ohne ihn nicht das Geringste geschieht.“
Als Jesus Christ so sprach, verschwand der Fels und sie stan­den wieder am früheren Platz in der Wüste.
Luzifer verließ sie voller Grimm. 

Aber der Satan blieb und stand finster vor Jesus Christ.

„Ich weiß, wer du bist“, sagte er, „ich hasse dich!“
Dann wies er auf die herumliegenden Steine: „Es ist viel Hunger unter den Menschen. Wenn du als Sohn Gottes kommst, um ihnen zu helfen, so mache die Steine zu Brot, damit es keine hungernden Armen mehr gibt.“
Jesus Christ antwortete: „Es gibt schlimmere Armut und schlimmeren Hunger als die des Leibes; wenn nämlich die Seelen zugrunde gehen, weil sie das nicht empfangen, was ihnen ihr ewiges Leben gibt. Diese Nahrung will ich ihnen für alle Zeit und Ewigkeit bringen.“

Der Satan aber brach in ein wildes Hohngelächter aus und rief: „Versuche das nur!“ 

Er ergriff eine Handvoll Steine und verwandelte sie in Geldstücke, gol­dene, silberne, kupferne.

„Siehst du, so mache ich Steine zu Brot. Die Menschen küm­mern sich wenig um Seelenspeisung, wenn sie Geld brauchen um zu leben; wenn sie es sich mit Mühe und Schweiß verdienen müssen - und wenn sie immer noch mehr haben wollen. Mit dem Geld und allem, was daraus erwächst, zwinge ich die Menschen in meine Gewalt.“

„Du wirst dein Ziel nicht erreichen, denn ich bin da“, ant­wortete Jesu Christ.
„Du?“ brüllte der Satan, „du? Ich werde dich töten! Durch das Geld werde ich dich töten.“
„Gerade dadurch werde ich leben“, sagte Jesus Christ.
„Verderben werde ich die Menschen“, schrie der Satan, in deinem Namen werde ich Streit und Krieg und Grausamkeit unter sie bringen. Haß werde ich in ihnen wecken gegen dich. Vergessen, verachten sollen sie dich. Sie sollen gegeneinander wüten und sich durch alles vernichten, was ich sie lehren werde. Mir werden sie verfallen. Ich werde der Herr der Erde sein. Sieh!“ 

Er schlug mit seinen Flügeln und ein greller häßlichgelber Schein verschlang alles rings umher. Eine unermeßliche Tiefe war aufgetan.

Aus ihrem Grunde stiegen Bilder herauf, un­zählige einander folgend: Bilder von allem, was die Menschen seit der Zeit Jesu Christi bis zu unseren Tagen und noch weit darüber hinaus getan und erreicht und gewirkt haben, und wei­ter tun und wirken werden.

Die Bilder waren lebendig. Sie ga­ben ein grauenhaftes Getöse von sich: Donnern, Dröhnen, Kra­chen, Klirren und Bersten, Jammergeschrei war zu hören, Stöh­nen, Flüche und Schimpfen und das Weinen von Kindern. Krieg auf Krieg jagte vorbei, Brand, Mord und Zerstörung.

Die Geister des Satans hockten auf den Schultern und den Köpfen der Menschen, sie umkrallten ihre Herzen, umschlangen ihre Hände und Füße und lenkten sie nach ihrem Willen. Sie gossen ihnen immer mehr den Verstand und Scharfsinn des Satans ein, so daß sie große Erfindungen und Entdeckungen machten und tiefe Geheimnisse der Natur sich ihnen auftaten. Aber sie wendeten sie nicht zum Segen an. Sie vergaßen den Himmel und Jesus Christ. Sie hielten den Menschen für das höchste We­sen der Welt.

Das Furchtbarste aber war, daß sie meinten, Gutes und Richtiges zu tun, und gerade Schlimmes und Falsches begingen, aus dem immer neues Elend hervorging. Immer schrecklichere Dinge erfanden sie mit Hilfe des Satans, um sich zu bekämpfen und zu vernichten.

Die ganze Erde schien ein Trümmerfeld, ein Leichenfeld zu werden. Unzählige Menschen starben, die niemals in ihrem Leben ein Gebet gesprochen hatten. Auf ihnen hockten dicht die Satansgeister, um sie nach dem Tod hinunterzureißen in die Finsternis.

,So wird es sein“, rief der Satan, „und es wird immer ärger werden. Du weißt, daß es so sein wird. Mein ist die Welt!“

Jesus Christ antwortete: „Das ist nicht alles, was geschieht. Nun soll erscheinen, was dir entzogen ist.“

Er hob seine Hände zum Himmel auf und betete.

Obwohl der Satan mit seinen Flügeln einen wilden Sturm dagegen er­regte, tat sich geheimnisvoll das Innere der Menschen auf, wie sie von der Zeit Jesu Christi an auf der Erde leben und sein werden.
Der Funken der göttlichen Liebe erschien, der in jedes Menschenherz eingesenkt ist und darin das Bild Jesu Christi in seiner Menschengestalt.
Das Bild war noch schwach und klein, aber es war lebendig und es bewahrte den Funken der Liebe vor dem Erlöschen, wenn auch die Menschen nichts da­von merkten und wußten.

Wo sich aber in einem Menschen Liebe und Güte regte - und es lebte eigentlich nie ein Mensch auf der Erde, der nicht irgend einmal etwas lieb gehabt, der nicht irgend einmal etwas Gutes und Freundliches getan hätte - wo sich so nur ein Winzigstes zeigte, wuchs das Bild Jesu Christi ein wenig.

Aus dem Herzen des Menschen spann sich ein feiner goldener Faden in die Welt hinaus und verknüpfte sich mit andern Menschenherzen zu einem goldenen Netz, das sich durch allen Graus und alles Böse der Welt hindurchwob. So dünn und schwach auch diese Fäden waren: sie zerrissen niemals wieder. Sie nahmen an Stärke zu mit jeder Liebesregung, mit jeder guten Tat, mit jedem guten Gedanken.

Es waren auch im­mer Menschen da, in deren Herzen das Bild Jesu Christi schon leuchtende Kraft gewonnen hatte, die ihn fühlten. und liebten, die weise Gedanken pflegten und große gute Werke schufen.
Von ihnen ging Sonnenlicht aus, und mitten in aller Verwüstung war es um sie wie blühende Gärten, aus denen sie Blumen und Früchte austeilten.
Gerade sie wurden am meisten gehaßt und verfolgt, denn der Satan wollte sie ausrotten und sie durch ihre Leiden irre machen an Jesus Christ. Doch das gelang ihm nicht. 

Jesus Christ aber erhob seine Hände noch höher zum Himmel, und es erschien das Tor, durch welches die Menschen beim Tode hindurchgehen in die andere Welt.
Es tat sich auf und es zeigte sich, was da geschieht, wenn die Menschen gestorben sind.

An der Schwelle steht der Erzengel Michael mit seiner großen goldenen Waage, auf der die Taten und Gedanken der Men­schen gewogen werden.
Jenseits der Schwelle aber warten die Engel der Menschen - jeder Mensch hat seinen Engel - und warten die Scharen des Satans auf das Urteil: ob ein Mensch mit seinem Engel himmelwärts wandern dürfe, oder ob er mit den Geistern der Finsternis gehen müsse.

Wenn nun der Mensch nach dem Spruch die Schwelle überschreitet, so tritt das Bild Jesu Christi aus seinem Herzen heraus, wächst und es ist Jesus Christ selber, der vor ihm steht.

Darf der Mensch mit seinem Engel himmelwärts ziehen, so begleitet ihn Jesus Christ auf seinem Wege und ist bei ihm, bis er wieder in ein neues Erden­leben heruntersteigt, bereichert und gestärkt durch alles, was er in den Reichen der Engel erlebte. Dann birgt sich das leben­dige Bild Jesu Christi wieder in seinem Herzen und macht ihn noch mehr als früher zu einem Helfer an allem Guten und Großen.

Ist aber ein Mensch dazu verurteilt, mit den Geistern des Satans zu gehen, so steht Jesus Christ schweigend vor ihm und schaut ihn an. Schaut ihn nur an voller Liebe, aber auch voller Traurigkeit.
Nun erkennt ihn der Mensch, der ihn im Leben nicht hat gelten lassen und das brennt als ein Vorwurf, und doch bekommt er zugleich Sehnsucht, bei ihm zu bleiben, mit ihm zu gehen. Aber die Geister der Finsternis reißen ihn mit und Jesus Christ verschwindet ihm.

Durch manche Zeit hin­durch muß dann ein solcher Mensch dem Satan dienen zu vielen bösen Dingen und wird von ihm verachtet und getreten, ver­höhnt und verspottet, weil er sich auf der Erde von ihm ver­wirren ließ und ihm zu Willen wir, ohne es zu wissen.
Jetzt aber weiß er es. Jetzt erkennt er alles Unrecht und Böse, das er verübte. Jetzt graut ihm vor ihm selbst. Jetzt hat er nur den einen Wunsch, seine schlechten Taten wieder gut zu machen an denen, welchen er sie zugefügt hat.
Er hat die eine große Sehn­sucht, Jesus Christ wieder zu sehen. 

Wenn nun aus dem Her­zen eines solchen Menschen während seines Erdenlebens auch nur ein einziger schwacher Goldfaden der Liebe und des Guten sich hinausgesponnen hat in die Welt, so zerreißt der Faden nicht, auch in dem finsteren Abgrund des Satans nicht, in dem der Mensch leiden und büßen muß. Ganz leise, ganz sacht und langsam hebt der Engel an diesem goldenen Faden den Men­schen heraus aus der Finsternis.

Der Satan muß ihn freigeben zu einem neuen Erdenleben, und der Engel senkt seinem Herzen wieder den Funken der göttlichen Liebe und das lebendige Bild Jesu Christi ein.

Auch der Satan durchwebt ihn mit sei­nen dunklen, bösen Kräften und das um so stärker, je mehr Böses der Mensch ehemals tat, je mehr er sich von Gott weg­gewendet hatte.

Das alles vergißt der Mensch, wenn er als Kind aufwacht auf der Erde und heranwächst. Aber er trägt es alles in sich. Es wirkt in ihm und lenkt ihn. Es treibt ihn, früher verübtes Unrecht gut zu machen, und die Kraft der Liebe wächst in ihm, wenn es auch viele Leben lang dauern kann, bis das Bild Jesu Christi in ihm so stark wird, daß er Jesus Christ auch auf der Erde erkennt und sich zu ihm wendet.

Immer wieder verwirrt der Satan die Menschen, aber trotzdem webt sich das goldene Netz der Liebe und des Guten allmählich im­mer dichter und fester und knüpft die Menschen zusammen, bis sie einst kein Leid mehr sich gegenseitig antun mögen.

Immer mehr durchdringt das Licht Jesu Christi die Erde und schält in langen, langen Zeiten aus aller Finsternis und Kälte des Satans eine neue leuchtende Erde heraus, die sich über die Macht des Bösen erhebt als das Reich Jesu Christi und aller, die ihm folgen.

Das alles zeigte sich vor Jesus Christ und dem Satan, als Jesus Christ seine Hände zum Himmel erhoben hielt.

Der Satan aber rief voller Wut: „Ich werde kämpfen ohne Unterlaß! Ich werde dich leiden lassen in den Menschen bis zum Unter­gang!“
Jesus Christ breitete die Arme aus, als ob er die ganze Welt schützen wolle und sagte:
„Tu was du mußt!“
Der Satan verschwand. 

Die Sonne ging auf und Jesus Christ trat seinen Weg an hin­aus zu den Menschen.
Er wurde verraten von Judas durch das Geld.
Er wurde gequält, verhöhnt, gekreuzigt durch die Grausamkeit und den Haß der Menschen.
Er stand auf aus dem Tode in seinem unsterblich gewordenen verklärten Menschen­leibe und ist bei den Menschen alle Tage bis zum Ziel der Erde.

Bis zum Ende wird der Satan kämpfen, aber es gilt die Tat und das Wort Jesu Christi:

„ I c h   h a b e   d a s   B ö s e   d e r   W e l t   ü b e r w u n d e n .“