Das Märchen von Christi Himmelfahrt und Pfingsten

aus: Adelheid Petersen: Christus-Märchen. Rose Verlag, 1963.


Dies ist eine Geschichte von den beiden großen Festen, welche in die schöne Zeit des vollen Frühlings fallen, wo alles nach Herzenslust grünt und blüht! Da feiern die Menschen das Fest von Christi Himmelfahrt und das Pfingstfest, und das sind Feste, wo die Blumenwiesen, die Wälder, die ganze weite schöne Welt mitfeiern! 

Diese Zeit aber ist für die unzähligen Geister und Geister­chen draußen in Wald und Feld, in der Erde und in der Luft so richtig die Zeit ihrer angestrengtesten Arbeit. Sie haben Tag und Nacht zu tun. Sie müssen dafür sorgen, daß die Saaten wachsen, daß die Früchte nach der Blüte ansetzen. Sie müssen Sonnenschein und Regen, Wärme und Abkühlung richtig len­ken und verteilen, daß alles zu seiner Zeit und in seiner Art richtig gedeihen kann.

Ihr müßt euch selber einmal ausdenken, was alles die Geister draußen schaffen müssen, damit ihr Brot und Obst, Milch und Gemüse und Honig haben könnt!

Und dabei liegen sie immer im Kampf gegen ihre Feinde, die bos­haften häßlichen Geister des Teufels, welche das Werk der guten Geister stören und verderben wollen mit Hagelschlag, Unge­ziefer, unzeitigen Frösten, mit Dürre oder übermäßiger Nässe und was alles solcher Plagen noch mehr sind!

Seit das Blut von Jesus Christ in die Erde geflossen ist wie ein heilender Trank gegen allen Schaden, den ihr der Teufel angetan hat, und seit Jesus Christ dann auferstanden ist, um nun immer bei der Erde und den Menschen zu bleiben, ist nämlich der Teufel mit all seinem Volk ganz besonders wild und wütend und versucht mit aller Macht, gegen Jesus Christ und seine Engel zu kämp­fen und den Menschen mit der Erde doch noch in seine Gewalt zu bringen.

Deshalb vergiftet er den Menschen die Herzen mit Lüge und allem Bösen, damit sie nicht an Jesus Christ glauben sollen. Daher tun die Menschen sich untereinander so viel Leid an und bringen dadurch Not und Elend und Verwüstung über sich.

Es gibt Zeiten, wo es so arg zugeht unter den Menschen, daß der Teufel lacht und sicher ist, daß er über Jesus Christ siegen wird und daß die Menschen ihm zufallen.

Das aber wird niemals sein. Und warum das nicht sein wird, davon erzählt die Geschichte über Christi Himmelfahrt und Pfingsten.

Als Jesus Christ aus seinem Felsengrab hervorging, da war sein Leib nun nicht mehr so, wie er vor seinem Tode gewesen war, aus festem dichtem Fleisch mit harten Knochen drin wie wir unsere Leiber haben, die schwer sind, so daß wir es spüren, wenn wir auf einen Berg oder einen Turm steigen: sondern sein Leib war nun ganz leuchtend und durchsichtig, wie aus Licht zusammengewoben.

Wo die Wunden von den Nägeln am Kreuz und von dem Lanzenstoß nach seinem Herzen gewesen waren, da drangen jetzt goldne Strahlen hervor und um ihn her war ein Regenbogenglanz.

Jesus Christ brauchte auch nicht mehr so Schritt für Schritt zu gehen, wie wir das tun müssen. Er konnte überall sein, wo er nur wollte und konnte durch verschlossen Türen und dicke Mauern hindurch.
Und so zog er nun über die Erde, um sich den Menschen zu zeigen, damit sie ihn sehen sollten!
Er hatte ja vor seinem Tode gesagt, daß er auferstehen und dann immer bei den Menschen bleiben werde. Nun sollten sie sehen, daß es so gekommen war, wie er ver­sprochen hatte.

Aber die Menschen sahen ihn nicht! Der Teufel hatte ihnen ihre Augen verdunkelt, daß sie nur noch die gewöhnliche Welt sahen, wie sie immer um uns herum ist, aber nicht Jesus Christ in seiner Gestalt aus himmlischem Licht.
Denn um ihn so zu sehen, dazu müssen die Augen selber etwas von himmlischem Licht haben, von innen, aus dem Herzen heraus. Und die Her­zen haben so viel Böses, Eigensinniges, Hartes durch den Teufel in sich aufgenommen und sind dunkel geworden.

Nur ganz we­nige Menschen sahen ihn. Das waren seine Mutter und seine Apostel, bei denen aber nun der Zwölfte fehlte. Denn das war Judas gewesen, der ihn an seine Feinde verraten und nachher aus Reue sich selbst umgebracht hatte. Die sahen und erkannten ihn. Er war jeden Tag bei ihnen und sprach mit ihnen und sie waren froh und glückselig mit ihm zusammen.

Jesus Christ aber war traurig darüber, daß die Menschen ihn nicht sehen konnten und seine Worte nicht hörten, wenn er zu ihnen sprach! Er hörte den Teufel lachen und sah das schreckliche Elend voraus, in das die Menschen geraten würden, weil sie ihn nicht aufnahmen.

So saß er einmal in einer Morgenfrühe - es waren vierzig Tage vergangen, seitdem er aus dem Grabe auferstanden war - allein in einem großen, weiten, wunderschönen Wald.
Die Sonne ging gerade auf und schien zwischen den Bäumen herein, die im ersten vollen Frühlingslaub leuchteten. Im Moos wuchsen Lichtnelken und Glockenblumen. Der Waldmeister duftete. Die Erdbeeren blühten. Ein helles Bächlein floß vorbei, von Vergiß­meinnicht und Sumpfdotterblumen gesäumt.

Wie Jesus Christ so da saß, in Nachsinnen über die Men­schen versunken, da ging ein Flüstern und Huschen und Flattern ganz zart und vorsichtig durch den Wald.
Ein Vöglein zwitscherte es dem andern zu und sie trugen es weiter überall in die Tiefen des Waldes:
Jesus Christ ist da! Jesus Christ ist da!

Dann sammelten sich alle Vög­lein in den Kronen der Bäume, unter denen er saß. Und aus dem Dickicht kamen leise die Tiere herbei - Has und Reh und Hirsch, Fuchs, Wolf und Bär, die es damals noch im Walde gab. Aus der Erde guckten das Mäuslein, der Hamster, der Dachs, der Biber, auf einem Ast saß das Eichhörnchen - kurz, alles was es an Tieren gibt, kam, um Jesus Christ zu sehen und sie lagen alle lautlos und friedlich nebeneinander.

Die Baumstämme aber und die Aste des Buschwerks waren über und über bedeckt von Schmetterlingen aller Arten mit ihren wunderbaren Farben und überall schillerte es bunt von all den ungezählten Käferlein! Auch die Bienen waren da, und auf der Erde waren die Ameisen herbeigewandert. Unterm Kraut am Bachufer kamen die Schnecken hervor und hockten Fröschlein und Unken.

Keines wollte fehlen, wo Jesus Christ da war.

Aber damit ist es noch nicht genug. Denn nun stiegen aus der Erde die Scharen und Scharen der Zwerglein herauf mit ihrem König und ihren Für­sten: die Kristallzwerge, die Edelsteinzwerge, die Gold- und Silberzwerge, überhaupt die verschiedenen Metallzwerge. Dann waren da die Wurzelzwerge, welche dafür sorgen müssen, daß die Wurzeln der Pflanzen richtig fest in der Erde sitzen und ihre Schossen nach oben treiben können. Und weiter die Erd­zwerge, welche die Erde immer im richtigen Zustand halten müssen, damit Wärme und Feuchtigkeit in gutem Maße ein­dringen können.

Aus den Bäumen traten die wunderschönen feierlichen Baumgeister heraus in ihren zart grünleuchtenden Gewändern. Aus den Blumen flogen die buntschimmernden Blumenelfen auf, aus Bächen und Teichen kamen die silbernen Undinen. Es kamen die kleinen Quellgeisterchen, die Moos­- und Holzleutlein. Auf den Sonnenstrahlen saßen die Luftgeister, die guten Sylphen. Und es kam, wie aus dem Unsichtbaren der Luft heraus, mit seinem ganzen strahlenden Volk der Feuerkönig, der goldene Salamander.

Das ist der Mächtigste in diesem ganzen Reich der Geister; denn ihm und seinen Untertanen obliegt es, das Sonnenfeuer auf die Erde herunter zu tragen, damit es über alles ausströme und alles durchdringe. Während des Winters hüten sie es im Inneren der Erde, damit die Frostunholde nicht die Pflanzen­wurzeln und Pflanzenkeime und auch nicht die Tiere, die sich zum Winterschlaf verschlüpfen, durch ihre Kälte töten können. Die Feuergeister zünden auch die Wärme im Blut des Men­schen an, und ohne Wärme könnte kein Leben auf der Erde bestehen.
Weil also der Feuerkönig ein so wichtiges Amt hat, war er von den Geistern zu ihrem Sprecher bestimmt worden.

Alle ordneten sich in einem Kreis um Jesus Christ.

Währenddessen aber waren auch noch Menschen vom Waldrand her gekommen.
Das waren die Mutter von Jesus Christ und seine Apostel. Er war noch nicht bei ihnen gewesen, und so hatten sie sich aufgemacht, um ihm zu begegnen.
Als sie aber die große stille feierliche Versammlung um ihn her sahen - alle die Tiere und die vielen leuchtenden Geister -, blieben sie stehen, um ja nicht zu stören, was sich da begab. Aber sie wunderten sich sehr.

Nun trat der Feuerkönig mit seinen drei vornehmsten Rittern vor. Sie trugen goldene Rüstungen, und der König hatte eine Flammenkrone auf dem Haupt. Vier strahlende Feuer­knaben hielten den Saum seines weiten goldroten Mantels. Er kniete vor Jesus Christ nieder und kreuzte die Hände vor der Brust.

Da sah Jesus Christ aus seinem Sinnen auf und erblickte die Tiere und Geister und seine Mutter mit den Aposteln, wie sie ein wenig in der Entfernung standen.

Er lächelte und segnete sie alle und sprach dann zum Feuerkönig: „Sage, was willst du von mir?“
Der Feuerkönig antwortete: „O Herr, im Namen von all diesen komme ich mit einer großen Bitte zu Dir!“
Jesus Christ neigte sich freundlich zu ihm und sagte: „Und was für eine Bitte habt ihr an mich?“ 

„O Herr“, begann der Feuerkönig, „seitdem uns damals der Engel Ostara Botschaft schickte, daß Du aus dem Tode aufer­standen bist, sind wir all Deinen Wegen gefolgt. Wir wußten, daß Du nun zu den Menschen gingst, um Dich ihnen zu zei­gen. Wir glaubten, daß sie Dich mit Freude, mit Jubel be­grüßen würden. Aber nun erfahren wir, daß sie Dich gar nicht sehen, nicht hören, Deine Nähe nicht empfinden. Daß ihre Augen blind, ihre Ohren taub, ihre Herzen verschlossen sind für Dich!

Und nun, da die Menschen Dich nicht aufnehmen, bitten wir Dich, komm zu uns! Lehre uns! - Wir sind gebunden in unserem Dienst, und wir müssen der Erde dienen um des Men­schen willen, bis er sein Ziel erreicht hat Es muß ein hohes, heiliges Ziel sein, das der Erde und den Menschen gesetzt ist. Aber wir wissen es nicht. Wir wissen viele Geheimnisse der Welt, welche der Mensch nicht weiß. Aber das Geheimnis des Menschen wissen wir nicht! Wir erleben nur, daß der Mensch schlechter und liebloser ist, als er früher war, wo er uns noch sah. Und unser Kampf gegen die bösen Geister der Vernichtung wird immer härter. Wohl wissen wir, daß wir durch Dich zu­letzt über sie siegen werden; denn Dein Blut glüht in der Erde, vom Engel des Lebens gehütet, und wird schließlich die Erde ganz durchdringen. Aber der Teufel schickt seine Diener zu uns, und sie versuchen, die Unseren aufzureizen gegen Gottvater und seine Engel, die uns nur zum Dienen bestimmt hätten ohne Dank und Lohn. Sie machen ihnen Versprechungen, und immer wieder gibt es unter uns solche, die ihnen verfallen und zu den schlimmen Scharen übergehen. Komm zu uns, o Herr, hilf uns, lehre uns! Sage uns das göttliche Geheimnis des Menschen, das auch unser Geheimnis ist.“

Jesus Christ schwieg lange.

Es war ganz seltsam bei seinem langen Schweigen. Nichts rührte sich, nicht das kleinste Blättchen oder Grashälmchen und nicht einmal das Bächlein war mehr zu hören. Und es war sogar, als ob der Sonnenschein matter würde und als ob Jesus Christ selber undeutlicher zu sehen wäre, als wolle er verschwinden.

Aber auf einmal leuch­tete seine Gestalt herrlicher als vorher, daß alles ringsherum davon angestrahlt war und der Sonnenschein war wie eine goldene Flamme um ihn her.
„Ich will eure Bitte erhören“, sprach er. „Aber zuvor schicke den schnellsten deiner Geister zur Sonne, daß er mir den Erz­engel Michael hole, meinen treuesten Helfer.“
Der Feuerkönig winkte einem seiner Ritter, welcher als­bald wie eine Flamme aufloderte und verschwand.
In kaum so viel Zeit als man zu einem Atemzug braucht, stand schon Michael in seinem goldenen Gewand mit seinem großen gol­denen Schwert vor Jesus Christ. Er ist der mächtigste aller Sonnengel und er liebt Jesus Christ über alles; er liebt ihn mehr als alle andern Engel es tun.

Jesus Christ sprach:

„Hört mich an! Ihr wißt, wie es um die Menschen sieht! So werde ich nun für eine ganze Zeit aus dem Reich der Menschen verschwinden und ins Geisterreich gehen, das zu der Erde gehört, wie die Geister gebeten haben. Aber ich werde doch die Menschen nicht verlassen. Ich werde ihnen mein lebendiges Bild schenken, in dem mein ganzes Wesen darin ist, und werde es in ihr allerinnerstes Herz einschließen. Das wird erst nur wie ein kleinwinziges Licht in einer großen schwe­ren Finsternis sein. Aber so wie die Kraft meines Blutes in der Erde immer stärker wird, so wird auch dies Bild von mir wach­sen und mächtiger werden - wenn das auch bei manchen Men­schen lange, lange Zeiten brauchen wird. Sie werden das Bild vor sich sehen, wenn sie nach dem Sterben im Lebensreich auf­wachen und dort nun ernten, was sie hier unten auf Erden ge­sät haben: Gutes und Böses. Und es wird sich wieder in ihr Herz einsenken, wenn sie zu einer neuen Erdenwanderschaft herun­tersteigen, um Neues zu lernen und ein Stück weiter zu kom­men auf ihrem Weg zum Ziel.

Mit allem Guten, was ein Mensch tut, wird mein Bild in ihm wachsen und ihn immer mehr er­füllen, bis er sich schließlich ganz zu mir wendet. Dann wird das Bild aus ihm heraustreten und Wirklichkeit werden: ich werde vor ihm stehen und er wird mich schauen in diesem un­sterblichen Leibe, den alle Menschen einmal haben werden. Denn in dem Maße, wie sie sich zu mir wenden und mich in ihr Herz aufnehmen, wird in jedem Erdenleben ein Stück­chen ihres Leibes zur Unsterblichkeit verwandelt: das Herz, mit dem sie mich und die Menschen lieben; die Hände, mit denen sie das Gute tun; das Hirn, mit dem sie Gedanken der Wahrheit denken; die Augen, mit denen sie freundlich auf die Welt schauen und so immer mehr. Teil um Teil wird vom Licht der Ewigkeit durchdrungen und die Engel der Menschen bewahren es auf und fügen es zusammen nach jedem vollbrachten Erden­leben, bis schließlich der ganze Leib des Menschen aus dem Licht der Ewigkeit aufgebaut ist. Dann gibt es kein Sterben mehr. Dann gleichen die Menschen mir und gehören zu mir. Dann ist die Erde dem Teufel entrissen und wird mit allen ihren Geistern zu einer strahlenden Sonne verwandelt, auf der die Menschen und die Geister unter meiner Hut ein neues höheres Dasein führen werden.

So geh nun, Michael, du mein Getreuester, und lasse dir vom Mondenengel seine silberne Schale geben. Dann geh zum Thron Gottvaters und bitte ihn, daß er dich aus seinem Herzen das Lebenslicht der Ewigkeit schöpfen lasse. Damit fülle die Schale ganz voll und forme daraus mit deinen helfenden Engeln mein lebendiges Bild, so wie du mich hier siehst: für jeden Menschen mein Bild. Und wenn du damit fertig bist, so lasse die Bilder mit der Morgensonne hinunterdringen in die Herzen der Men­schen! Und für die, welche jetzt nicht unten auf der Erde, son­dern im Lebensreich sind, werden ihre Engel die Bilder be­wahren.“

Da leuchtete Michaels Angesicht vor Freude über diesen Auf­trag. Er neigte sich tief vor Jesus Christ und schwang sich dann auf, um nach seinem Geheiß zu tun.

Nun wendete sich Jesus Christ zu seiner Mutter und den Aposteln und sagte:
„Da ich jetzt ins Erdenreich der Geister gehe und unsichtbar werde für die Menschen, kann ich auch bei euch nicht mehr so sein, wie ich es bisher war, ihr könnt mich nun auch nicht mehr sehen und müßt allein weiterleben. Aber seid nicht traurig darüber, wartet in Geduld, bis Michael mein Bild fertig hat. Ihr werdet es empfangen, wie alle andern Menschen. Aber während die andern nichts davon wissen und nur wenige et­was davon spüren, werdet ihr es gleich ganz erleben und dann werdet ihr mich in eurem Herzen fühlen und schauen und hören!“
Sie knieten vor ihm nieder und er neigte sich zu jedem von ihnen und jeder fühlte, wie sehr ihn Jesus Christ liebte.
Dann traten sie zurück zwischen die Bäume, wo sie vorher gestan­den hatten. 

Jesus Christ aber erhob sich, breitete seine Arme aus und rief:
„Und nun all ihr Geister groß und klein in Erde, Wasser, Luft und Feuer komme ich zu euch, wie ihr es erbeten habt.“
Da brachen alle Geister in Jubel aus, daß es klang wie e i n mächtiger großer Akkord.

Den Aposteln und der Mutter schien es, als werde Jesus Christ immer größer und herrlicher und hebe sich von der Erde in alle Weiten empor.

Aus seinen Hän­den und Füßen und aus seinem Herzen - die Strahlen wurden immer mächtiger und flossen zusammen, daß es zuletzt wie die Sonne selbst flammte und es war wie bei der Auferste­hung, als sei Gottvater auf seinem Throne da und halte alles in seinem Mantel umfaßt.
Die Apostel und die Mutter mußten die Augen schließen vor dem Übermaß des Lichtes.
Als sie wieder um sich schauen konn­ten, war der Wald still und leer, und nur ein zarter Regen­bogenschimmer hing zwischen den Stämmen.

Sie kamen sich so verlassen vor in der Einsamkeit, daß sie zu weinen anfingen. Da standen plötzlich zwei Engel vor ihnen und der eine sagte: „Ich bin der Engel des Lebens“, und der andere sagte: „Ich bin der Engel der Liebe. Jesus Christ schickt uns zu euch in eurem Kummer, um euch daran zu erinnern, was er euch versprochen hat.“
Dann verschwanden sie.

Die Apostel und die Mutter gingen heim. Aber trotzdem sie fest auf Jesus Christ vertrauten, kam ihnen alles so leer und traurig vor ohne ihn, daß sie sich nicht zu helfen wußten.
Sie saßen immer still beisammen, denn einer allein wäre sich ganz verloren vorgekommen. So warteten sie Tag für Tag auf das wunderbare Geschehen, das Jesus Christ ihnen verheißen hatte. Und die Herzen waren ihnen schwer.

Unterdessen aber wob Michael oben im Sonnenreich mit seinen Sonnenengeln das Bild von Jesus Christ aus dem Lebenslicht der Ewigkeit, das ihm Gottvater aus seinem Herzen gespendet hatte.

Am zehnten Tag in der Morgenfrühe hatten sie alles beendet. Sie hatten alle fertigen Bilder in den Schalen der großen goldenen Waage gesammelt, auf der Michael die Erdentaten der Menschen wägt, wenn sie nach dem Tode im Lebensreich erwachen.
Als nun die Sonne aufging über der Erde, gossen die Engel diese Schalen aus in den Strom ihres Lichtes, damit die Bilder mit ihm ihren Weg zu den Menschen nehmen konnten. Und die Engel flogen ihnen zur Seite mit ihren mächtigen Flügeln. 

An diesem Morgen saßen in aller Frühe die Apostel mit der Mutter in einem kleinen Garten bei ihrem Hause.
Jeder hing stumm seinen Gedanken nach und dachte voller Sehnsucht an Jesus Christ, und wie schön es gewesen, als er noch bei ihnen war.

Indem ging die Sonne auf, und mit ihren ersten Strahlen hörten sie das Rauschen der Engelsflügel, das anders klang als das Rauschen von gewöhnlichem Wind. Sie sprangen auf und horchten in die Höhe.
Wie sie so lauschend standen, war auf einmal all ihre Traurigkeit und Herzensschwere von ihnen ge­nommen und sie wurden ganz warm und hell und froh in ihrem Innern. Und jeder von ihnen erlebte, als sei Jesus Christ bei ihm - gerade und ganz besonders bei ihm! Er sah ihn, er hörte ihn, er fühlte seinen liebenden Blick! Er fühlte: nun war Jesus Christ für immer da!

Wie froh sie waren, das läßt sich gar nicht erzählen. Sie fielen einander um den Hals, sie hielten sich bei den Händen. Sie lachten und weinten in einem vor lauter Glückseligkeit. Wie sie dann um sich schauten, schien ihnen die Luft von lauter goldenen Flammen erfüllt. Das wa­ren aber die lebendigen Bilder von Jesus Christ, welche die Engel in die Menschenherzen hineintrugen.

Und nun kamen die Leute herbeigelaufen und riefen nach den Aposteln. Das waren gute Menschen, welche beteten und nach der Wahrheit und dem Rechten strebten, und es waren manche dabei, die Jesus Christ während seines Erdenlebens be­gegnet waren. Deshalb konnten sie das Flügelrauschen der Engel hören und fühlten sich auch im Herzen so seltsam stark und froh.
Sie wollten von den Aposteln wissen, was sich denn da begebe. Und die Apostel fingen an, ihnen von Jesus Christ zu erzählen. Dabei war es ihnen, als ob Jesus Christ ihnen alles vorsage, was sie sagen sollten.
Und das Wunderbarste war, daß unter den Zuhörern Menschen aus fremden Ländern wa­ren, welche andere Sprachen hatten als die Apostel. Und doch verstanden sie alles, was die Apostel sagten.

So fing es an, daß die Geschichte von Jesus Christ unter die Menschen kam.

Und nun hängt es von jedem einzelnen ab, wie bald das lebendige Bild von Jesus Christ in ihm mächtig wer­den kann. Denn der Mensch soll sich aus eigener innerer Kraft für das Gute oder das Böse entscheiden. 

Zur Erinnerung an den Tag, wo Jesus Christ sich ausgegossen hat in das Erdenreich der Geister, feiern die Menschen das Fest, das sie Christi Himmelfahrt nennen, weil er sich im Sonnen­licht über die Erde erhoben hat.

Früher zogen die Menschen an diesem Tage hinaus in die Wälder, auf die Berge, in die schönen Wiesentäler, pflückten Blumen, machten Kränze, die sie an die Bäume hingen oder auch in Bäche und Teiche warfen - Jesus Christ zu Ehren und als Gabe für alle guten Geister.
Wem heute die Augen aufgetan sind für das Geisterwesen - für Zwerglein, Undinen, Sylphen, Feuergeister und alle andern -, der sieht sie zur Himmelfahrtszeit und später gegen Johanni hin abends und nachts in Waldesstille Feste feiern, und er sieht sie umgeben von einem ganz besonderen Glanz: das ist das Licht von Jesus Christ. –

Am Pfingstfest feiern wir das Ausgießen der lebendigen Bilder von Jesus Christ in die Her­zen.
Vielfach wurden die Häuser mit Blumen und Kränzen ge­schmückt und Lieder vom Heiligen Geist gesungen.
Denn so wurde die Kraft und Wärme genannt, die mit dem Bilde in das Herz gekommen war.