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Gedichte


Folgen wir den Dichtern in der Chronologie ihrer Geburt:

Friedrich Schiller (1759-1805): Sprüche des Confucius, Licht und Wärme, Die Worte des Wahns
Novalis (1772-1801): Eigene Seiten >
Friedrich Hölderlin (1784-1843): Lebenslauf
Joseph von Eichendorff (1788-1857): Mondnacht, Morgengebet, Abschied, Waldgespräch
Ferdinand Stolle (1806-1872): Wenn eine Mutter betet
Ferdinand Freiligrath (1810-1876): O lieb solang
Christian Friedrich Hebbel (1813-1863): Herbstlied
Emanuel Geibel (1815-1884): Die beiden Engel
Hermann Lingg (1820-1905): Zehn verschiedene Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898): Das heilige Feuer, Möwenflug, Chor der Toten
Karl Siebel (1836-1868): Flog ein bunter Falter
Karl May (1842-1912): Mein Engel, Dein Engel
Ada Christen (1839-1901): Vagabund
Isolde Kurz (1853-1944): Wegwarte
Richard Zoozmann (1863-1934): Königsseelen
Friedrich Lienhard (1865-1929): Einsamer Fels
Hermann Löns (1866-1914): Der Bohrturm, Claire
Christian Morgenstern (1871-1914): Eigene Seite >
Hugo von Hofmannsthal (1874-1929): Ballade des äußeren Lebens
Rainer Maria Rilke (1875-1926): Der Engel, auch eigene Seite >
Hermann Hesse (1877-1962): Der Schmetterling, Weg nach innen, Wintertag
Stefan Zweig (1881-1942): Landschaft
Georg Heym (1887-1912): Letzte Wache
Georg Trakl (1887-1914): Die tote Kirche
Franz Werfel (1890-1945): Was ein jeder
Ernst Penzoldt (1892-1955): Den Gottsuchern
Marie Luise Kaschnitz (1901-1974): Auferstehung

und einige weitere kostbarste Gedichte hier...

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Sprüche des Confucius

                   1.

Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.

Keine Ungeduld beflügelt
Ihren Schritt, wenn sie verweilt.
Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt
Ihre Lauf, wenn sie enteilt.
Keine Reu', kein Zaubersegen
Kann die Stehende bewegen.

Möchtest du beglückt und weise
Endigen des Lebens Reise,
Nimm die Zögernde zum Rath,
Nicht zum Werkzeug deiner That.
Wähle nicht die Fliehende zum Freund,
Nicht die Bleibende zum Feind.

                    2.

Dreifach ist des Raumes Maß:
Rastlos fort ohn' Unterlaß
Strebt die Länge: fort ins Weite
Endlos gießet sich die Breite;
Grundlos senkt die Tiefe sich.

Dir ein Bild sind sie gegeben:
Rastlos vorwärts mußt du streben,
Nie ermüdet stille stehn,
Willst du die Vollendung sehn;
Mußt ins Breite dich entfalten,
Soll sich dir die Welt gestalten;
In die Tiefe mußt du steigen,
Soll sich dir das Wesen zeigen.
Nur Beharrung führt zum Ziel,
Nur die Fülle führt zur Klarheit,
Und im Abgrund wohnt die Wahrheit.

Friedrich Schiller (1759-1805)               

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Licht und Wärme

Der beßre Mensch tritt in die Welt
Mit fröhlichem Vertrauen;
Er glaubt, was ihm die Seele schwellt,
Auch außer sich zu schauen,
Und weiht, von edlem Eifer warm,
Der Wahrheit seinen treuen Arm.

Doch Alles ist so klein, so eng;
Hat er es erst erfahren,
Da sucht er in dem Weltgedräng
Sich selbst nur zu bewahren;
Das Herz, in kalter, stolzer Ruh,
Schließt endlich sich der Liebe zu.

Sie geben, ach! nicht immer Gluth,
Der Wahrheit helle Strahlen.
Wohl Denen, die des Wissens Gut
Nicht mit dem Herzen zahlen.
Drum paart, zu eurem schönsten Glück,
Mit Schwärmers Ernst des Weltmanns Blick.

Friedrich Schiller (1759-1805)


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Die Worte des Wahns

Drei Worte hört man, bedeutungschwer,
Im Munde der Guten und Besten.
Sie schallen vergeblich, ihr Klang ist leer,
Sie können nicht helfen und trösten.
Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht,
So lang er die Schatten zu haschen sucht.

So lang er glaubt an die goldene Zeit,
Wo das Rechte, das Gute wird siegen –
Das Rechte, das Gute führt ewig Streit,
Nie wird der Feind ihm erliegen,
Und erstickst du ihn nicht in den Lüften frei,
Stets wächst ihm die Kraft auf der Erde neu.

So lang er glaubt, daß das buhlende Glück
Sich dem Edeln vereinigen werde –
Dem Schlechten folgt es mit Liebesblick;
Nicht dem Guten gehöret die Erde,
Er ist ein Fremdling, er wandert aus
Und suchet ein unvergänglich Haus.

So lang er glaubt, daß dem ird'schen Verstand
Die Wahrheit je wird erscheinen –
Ihren Schleier hebt keine sterbliche Hand;
Wir können nur rathen und meinen.
Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.

Drum, edle Seele, entreiß dich dem Wahn
Und den himmlischen Glauben bewahre!
Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn,
Es ist dennoch das Schöne, das Wahre!
Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor;
Es ist in dir, du bringst es ewig hervor.

Friedrich Schiller (1759-1805)


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Lebenslauf

Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt
All uns nieder, das Leid beuget gewaltiger,
Doch es kehret umsonst nicht
Unser Bogen, woher er kommt.

Aufwärts oder hinab! herrschet in heilger Nacht,
Wo die stumme Natur werdende Tage sinnt,
Herrscht im schiefesten Orkus
Nicht ein Grades, ein Recht noch auch?

Dies erfuhr ich. Denn nie, sterblichen Meistern gleich,
Habt ihr Himmlischen, ihr Alleserhaltenden,
Daß ich wüßte, mit Vorsicht
Mich des ebenen Pfads geführt.

Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern',
Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.

Friedrich Hölderlin (1784-1843)

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Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff (1788-1857)

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Morgengebet

O wunderbares, tiefes Schweigen,
Wie einsam ist's noch auf der Welt!
Die Wälder nur sich leise neigen,
Als ging' der Herr durchs stille Feld.

Ich fühl mich recht wie neu geschaffen
Wo ist die Sorge nun und Not?
Was mich noch gestern wollt erschlaffen,
Ich schäm mich des im Morgenrot.

Die Welt mit ihrem Gram und Glücke
Will ich, ein Pilger, frohbereit
Betreten nur wie eine Brücke
Zu dir, Herr, übern Strom der Zeit.

Und buhlt mein Lied, auf Weltgunst lauernd,
Um schnöden Sold der Eitelkeit:
Zerschlag mein Saitenspiel, und schauernd
Schweig ich vor dir in Ewigkeit.

Joseph von Eichendorff (1788-1857)


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Abschied
Im Walde bei Lubowitz

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäftge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!

Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Daß dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!

Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte, schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Wards unaussprechlich klar.

Bald werd ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernsts Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.

Joseph von Eichendorff (1788-1857)

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Waldgespräch

Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Was reitst du einsam durch den Wald?
Der Wald ist lang, du bist allein,
Du schöne Braut! Ich führ dich heim!

„Groß ist der Männer Trug und List,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
Wohl irrt das Waldhorn her und hin,
O flieh! Du weißt nicht, wer ich bin.“

So reich geschmückt ist Roß und Weib,
So wunderschön der junge Leib,
Jetzt kenn ich dich – Gott steh mir bei!
Du bist die Hexe Lorelei.

„Du kennst mich wohl – von hohem Stein
Schaut still mein Schloß tief in den Rhein.
Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Kommst nimmermehr aus diesem Wald!“

Joseph von Eichendorff (1788-1857)

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Wenn eine Mutter betet für ihr Kind

Der reinste Ton, der durch das Weltall klingt,
Der hellste Strahl, der zu dem Himmel dringt,
Die heiligste der Blumen, die da blüht,
Die reinste aller Flammen, die da glüht,
Ihr findet sie allein, wo fromm gesinnt,
Still eine Mutter betet für ihr Kind.

Der Tränen werden viele, ach, geweint,
So lange uns des Lebens Sonne scheint;
Und mancher Engel, er ist auserwählt,
Auf daß er unsre stillen Tränen zählt –
Doch aller Tränen heiligste sie rinnt,
Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

O schaut das Hüttchen dorten, still und klein,
Nur matt erhellt von einer Lampe Schein,
Es sieht so trüb’, so arm, so öde aus –
Und gleichwohl ist’s ein kleines Gotteshaus,
Denn drinnen betet, fromn gesinnt,
Ja eine Mutter für ihr Kind.

O nennt getrost es einen schönen Wahn,
Weil nimmer es des Leibes Augen sah’n,
Ich lasse mir die Botschaft rauben nicht,
Die Himmelsbotschaft, welche uns verspricht:
Daß Engel Gottes stets versammelt sind,
Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

Ferdinand Stolle (1806-1872)

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O Lieb, solang du lieben kannst!

O lieb, solang du lieben kannst!
O lieb, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!

Und wer dir seine Brust erschließt,
O tu ihm, was du kannst, zulieb!
Und mach ihm jede Stunde froh,
Und mach ihm keine Stunde trüb!

Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, -
Der andre aber geht und klagt.

O lieb, solang du lieben kannst!
O lieb, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und naß,
- Sie sehn den andern nimmermehr -
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.

Und sprichst: O schau auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, daß ich gekränkt dich hab!
O Gott, es war nicht bös gemeint!

Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!

Er tat's, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort -
Doch still - er ruht, er ist am Ziel!

O lieb, solang du lieben kannst!
O lieb, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Ferdinand Freiligrath (1810-1876)

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Herbstlied

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält;
denn heute löst sich von den Zweigen nur,
was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Christian Friedrich Hebbel (1813-1863)

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Die beiden Engel

O kennst du, Herz, die beiden Schwesterengel,
Herabgestiegen aus dem Himmelreich:
Stillsegnend Freundschaft mit dem Lilienstengel,
Entzündend Liebe mit dem Rosenzweig?

Schwarzlockig ist die Liebe, feurig glühend,
Schön wie der Lenz, der hastig sprossen will;
Die Freundschaft blond, in sanftern Farben blühend,
Und wie die Sommernacht so mild und still;

Die Lieb'; ein brausend Meer, wo im Gewimmel
Vieltausendfältig Wog' an Woge schlägt;
Freundschaft ein tiefer Bergsee, der den Himmel
Klar widerspiegelnd in den Fluten trägt.

Die Liebe bricht herein wie Wetterblitzen,
Die Freundschaft kommt wie dämmernd Mondenlicht;
Die Liebe will erwerben und besitzen,
Die Freundschaft opfert, doch sie fordert nicht.

Doch dreimal selig, dreimal hoch zu preisen
Das Herz, wo beide freundlich eingekehrt,
Und wo die Glut der Rose nicht dem leisen,
Geheimnisvollen Blühn der Lilie wehrt.

Emanuel Geibel (1815-1884)

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Lied

Kalt und schneidend
Weht der Wind,
Und mein Herz ist bang und leidend
Deinetwegen, schönes Kind!

Deinetwegen,
Süße Macht,
Ist mein Tagwerk ohne Segen
Und ist schlaflos meine Nacht.

Stürme tosen
Winterlich,
Aber blühten auch schon Rosen,
Was sind Rosen ohne dich?

Hermann Lingg (1820-1905)

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Lied


Wenn etwas in dir leise spricht,
Daß dir mein Herz ergeben,
So zweifle, Holde, nicht,
Du leuchtest in mein Leben!

Doch nie wirst du von mir begehrt;
Wo schön're Sterne funkeln,
Sei dir ein Loos beschert,
Ich bete nur im Dunkeln.

Ich liebe dich, wie man Musik
Und wie man liebt die Rose,
Du bist mir, wie ein Blick
In's Blaue, Wolkenlose.

In Freude nur gedenke mein,
Mir aber wird ein Segen
Dein Angedenken sein
Auf allen meinen Wegen.

Denn Glück genug besitz' ich doch,
Und wär' mir nichts geblieben,
Als dieses Eine noch,
Ein Herz, um dich zu lieben.

Hermann Lingg (1820-1905)

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Dämmerstunde


Der Abend findet mich allein,
Allein bei dir nur in Gedanken,
Ich möcht' zu dir, möcht' bei dir sein,
Dein Händchen halten, deinen schlanken
Geliebten Leib umspannen, jedes Wort
Und jeden Hauch von deinen Lippen saugen,
Und schau'n und schau'n in deine lieben Augen
In einem fort.

Denn etwas schmerzt mich tief, daß nie,
Im Schwarm der Menschen mir begegnet
Dein Blick in rascher Sympathie
Und still und insgeheim mich segnet.
"Hat dich auch nicht ein Wort von mir verletzt?"
Möcht' ich dich oft mit einem Blicke fragen,
Und oft möcht' ich zu deiner Seele sagen:
Wo bist du jetzt?

Hermann Lingg (1820-1905)

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Märchen


Man sagt, durch's Zimmer walle
Ein schönes Engelkind,
Wenn plötzlich schweigen alle,
Die drinn beisammen sind.

Dies sagen wir uns immer
Und stille küssen wir,
Ein Engel geht durch's Zimmer,
Ein Engel ist bei mir.

Hermann Lingg (1820-1905)

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Für immer


Einmal hast du - o der Stunde!
Schlummernd mir im Arm geruht,
Meinen Kuß noch auf dem Munde,
Auf den Wangen welche Glut!

O wie da die Pulse flogen!
Lauschend jedem Athemzug,
Fühlt' ich an des Busens Wogen
Wie dein Herz an meines schlug.

Das wird nie vergessen werden,
Das verlöscht kein andrer Tag,
Nicht das größte Glück auf Erden,
Nicht des Unglücks schwerster Schlag.

Eine Flamme, nie verglühend,
Ein lebend'ger Edelstein,
Lebt mir der Gedanke blühend
Einmal so und ewig mein!

Hermann Lingg (1820-1905)

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Dir


Im Anschau'n deiner Schönheit nur versunken,
Vergess' ich, daß die Welt mich höhnt und schmäht,
Ich bin zu sehr von deiner Liebe trunken,
Als daß ich's merkte, wenn mich wer verräth.

Den Lorbeer selbst, um den ich heiß gerungen,
Entbehren könnt' ich ihn, wie leicht, da du
Mir Alles bist und gibst - die Huldigungen
Des höchsten Ruhms und mehr - dein Herz dazu.

Hermann Lingg (1820-1905)

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Aus Nacht


Dein Herz, so liebevoll und schön,
O wär' es mir gewogen!
Ich schaute dann in lichte Höh'n
Aus dunklen Lebenswogen.
Ich würde nicht im Streit mit mir
Wild hin und her getrieben,
Ich würde fromm sein und mit dir
Die Welt und Alles lieben

Hermann Lingg (1820-1905)

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Ich liebte dich


Ich liebte dich, wie konnt' ich schweigen?
Mein tiefst Gemüth lag frei vor dir;
Ich wagt' es, dir mich ganz zu zeigen,
Du aber ließest doch von mir.

Doch ach, wie konnt ich jemals hoffen,
Du würdest ruhn an einer Brust,
Die selbst noch allen Stürmen offen,
Von keinem Frieden je gewußt?

Ich liebte dich - ich darf es sagen!
Ich hoffte - und mit welchem Schmerz!
Ich hab' den Muth mich anzuklagen;
O, unaussprechlich litt mein Herz!

Leb' wohl! und mög' dich Gott bewahren,
Auch ein Atom nur jener Gluth,
Die mich verzehrte, zu erfahren;
Nur mein Herz dulde, bis es ruht!

Hermann Lingg (1820-1905)

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Zum Abschied


Als alles feindlich mich verlassen,
Ich selbst von Qual zu Qual mich trieb,
Da warst es du in all dem Hassen,
Nur du allein, die hold mir blieb.

Du sahest in der dichten Wildnis,
Die meinen Geist mit Nacht umgab,
Ein Licht, ein Stern, ein Gnadenbildnis
Zu mir in stiller Huld herab.

Beleidigt dich nicht der Gedanke,
Daß dir mein Herz, mein düstres, schlug,
Zürnst du mir nicht, wenn ich dir danke,
So gibt mir das schon Trost genug.

Leb wohl! Vergiß und laß den Schwärmer,
Den Sohn der Schwermut, der ich bin,
Ob auch um eine Hoffnung ärmer,
In sein Verhängnis weiter ziehn!

Für dich ist noch ein Glück verborgen,
Mich schmerzt nur, was die Welt mir gab.
Mich ruft die Nacht, dir winkt der Morgen,
Du blühst empor, ich muß hinab.

Hermann Lingg (1820-1905)

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Frühlingsanfang


Es kommt so still der Frühlingstag,
So heilig hergezogen,
Kaum daß ein Hauch bewegen mag
Des Flieders blaue Wogen.

Es grüßt mich durch die klare Luft
Ein Tönen halbverklungen,
Und aus der Blume stillem Duft
Tauchen Erinnerungen.

Hermann Lingg (1820-1905)

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Flog ein bunter Falter

Flog ein bunter Falter
Tändelnd hin und her,
Duftende Grüße sandte
Rings das Blumenmeer.
Eine blaue Blume
stand im Feld allein;
Keine der andern dachte
An dies Schwesterlein.
Warum bunter Falter –
Warum – sage mir –
Fliegest du immer wieder,
Wieder hin zu ihr?

Karl Siebel (1836-1868)

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Das heilige Feuer


Auf das Feuer mit dem goldnen Strahle
Heftet sich in tiefer Mitternacht
Schlummerlos das Auge der Vestale,
Die der Göttin ewig Licht bewacht.

Wenn sie schlummerte, wenn sie entschliefe,
Wenn erstürbe die versäumte Glut,
Eingesargt in Gruft und Grabestiefe
Würde sie, wo Staub und Moder ruht!

Eine Flamme zittert mir im Busen,
Lodert warm zu jeder Zeit und Frist,
Die entzündet durch den Hauch der Musen
Ihnen ein beständig Opfer ist

Und ich hüte sie mit heil’ger Scheue,
Daß sie brenne rein und ungekränkt;
Denn ich weiß, es wird der ungetreue
Wächter lebend in die Gruft versenkt.

Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)

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Möwenflug


Möwen sah um einen Felsen kreisen
Ich in unermüdlich gleichen Gleisen,
Auf gespannter Schwinge schweben bleibend,
Eine schimmernd weisse Bahn beschreibend,
Und zugleich in grünem Meeresspiegel
Sah ich um dieselben Felsenspitzen
Eine helle Jagd gestreckter Flügel
Unermüdlich durch die Tiefe blitzen.
Und der Spiegel hatte solche Klarheit,
Dass sich anders nicht die Flügel hoben
Tief im Meer als hoch in Lüften oben,
Dass sich völlig glichen Trug und Wahrheit.

Allgemach beschlich es mich wie Grauen,
Schein und Wesen so verwandt zu schauen,
Und ich fragte mich, am Strand verharrend,
Ins gespenstische Geflatter starrend:
Und du selber? Bist du echt beflügelt?
Oder nur gemalt und abgespiegelt?
Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen?
Oder hast du Blut in deinen Schwingen?

Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)

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Chor der Toten


Wir Toten, wir Toten sind größere Heere
Als Ihr auf der Erde, als Ihr auf dem Meere!
Wir pflügten das Feld mit geduldigen Taten,
Ihr schwinget die Sicheln und schneidet die Saaten,

Und was wir vollendet und was wir begonnen,
Das füllt noch dort oben die rauschenden Bronnen,
Und all unser Lieben und Hassen und Hadern,
Das klopft noch dort oben in sterblichen Adern,

Und was wir an gültigen Sätzen gefunden,
Dran bleibt aller irdische Wandel gebunden,
Und unsere Töne, Gebilde, Gedichte
Erkämpfen den Lorbeer im strahlenden Lichte,

Wir suchen noch immer die menschlichen Ziele,
Drum ehret und opfert! Denn unser sind viele!

Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)

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Vagabund

Was fragst du den Mann
Nach Heimat und Haus?
Er hat sie nicht –
Du horchest nach Vater
Und Mutter ihn aus,
Er kennt sie nicht.

Was fragst du den Mann
Nach Kind und nach Weib?
Er klagt doch nicht,
Daß sie ihn verließ
Mit Seele und Leib
Um einen Wicht ...

Was fragst du den Mann
Nach seinem Gott?
Er suchte Licht! –
Warum blieb es dunkel
In Elend und Spott?
Er weiß es nicht. – –

Ada Christen (1839-1901)

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Mein Engel

Ich saß im lieben, trauten Stübchen,
grad als der Tag dem Abend wich.
Mein kleines, süßes Herzensbübchen
schlang seine Ärmchen warm um mich.
Da strich, nicht etwa von der Sonne,
an uns vorbei ein lichter Schein,
und ich gedachte voller Wonne:
"Das wird des Kindes Engel sein!"

Ich wachte an dem Krankenlager.
es war so düster in dem Raum!
Der Leidenden Gesicht so hager;
man unterschied die Züge kaum.
Wir beteten; da plötzlich legte
sich um ihr Haupt ein lichter Schein,
der den Gedanken in mir regte:
"Das wird der Kranken Engel sein!"

Er stand vor mir im halben Dunkel,
die Klinge in der Faust bereit;
des Aug's verräterisch Gefunkel
gab mir zum Weichen nicht mehr Zeit.
Da, als er auszuholen wagte,
floss zwischen uns ein heller Schein;
es sank die Hand; ich aber sagte:
"Das wird vielleicht dein Engel sein!"

Es lag die Bibel aufgeschlagen,
und der Verleumder stand dabei,
um auf das heilge Buch zu sagen,
dass seine Lüge Wahrheit sei.
Da war ein fremder Ton zu hören,
wie überirdisch, warnend, fein.
Der Mann schrie auf: "Ich will nicht schwören,
denn das, das wird mein Engel sein!"

Bin ich dereinst bereit zum Scheiden,
und ihr steht weinend um mich her,
so mag es Tröstung euch bereiten,
dass ich zurück zum Vater kehr.
Habt Acht auf einen lichten Schimmer;
auf einen Ton, ersterbend lind,
und trifft es ein, so zweifelt nimmer,
dass dies dann meine Engel sind!

Karl May (1842-1912)

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Dein Engel

Glaube nicht, du seist verlassen,
wenn dir kein Mensch zur Seite steht.
Lern nur den leisen Hauch erfassen,
der, wenn du klagst, dich lind umweht.
Es zieht ein sinnenfremdes Mahnen
dein geistig Wesen zu sich hin:
"Willst du, willst du denn gar nicht ahnen,
dass ich, dein Engel, bei dir bin?"

O wolle nicht darüber trauern,
dass dich kein Mensch im Herzen trägt.
Dort, jenseits unsrer Kirchhofsmauern,
gibt’s einen Puls, der für dich schlägt.
Er hat für dich schon hier geschlagen,
und fühlst du ihn, so sagt er dir:
"Du wirst auf Flügeln stets getragen;
ich bin dein Engel; glaub es mir!"

O lass dir nicht ins Auge steigen
des Leides stille Tränenflut.
Wiss, dass grad in den schmerzensreichen
Geschicken tiefe Weisheit ruht.

Grad in des Lebens schwersten Stunden
spricht tröstend dir dein Engel zu:
"Durchs Leiden hast du mich gefunden;
ich bin getrost; nun sei's auch du!"

Karl May (1842-1912)

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Wegwarte

Mit nackten Füßchen am Wegesrand,
Die Augen still ins Weite gewandt,
Saht ihr bei Ginster und Heide
Das Mädchen im blauen Kleide?

– Das Glück kommt nicht in mein armes Haus,
Drum stell' ich mich hier an den Weg heraus:
Und kommt es zu Pferde, zu Fuße,
Ich tret' ihm entgegen mit Gruße.

Es ziehen der Wanderer mancherlei
Zu Pferd, zu Fuß, zu Wagen vorbei.
– Habt ihr das Glück nicht gesehen?
Die lassen sie lachend stehen.

Der Weg wird stille, der Weg wird leer.
– So kommt denn heute das Glück nicht mehr.
Die Sonne geht rötlich nieder,
Ihr starren im Wind die Glieder.

Der Regen klatscht ihr ins Angesicht,
Sie steht noch immer, sie merkt es nicht:
– Vielleicht es ist schon gekommen,
Hat die andere Straße genommen.

Die Füßchen wurzeln am Boden ein,
Zu Blumen wurde der Augen Schein,
Sie fühlt's und fühlt's wie im Traume,
Sie wartet am Wegessaume.

Isolde Kurz (1853-1944)

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Königsseelen

Du findest oft in Bettlern Königsseelen,
Die sich traumwandlerisch durchs Leben stehlen.
Herabgestiegen scheinen sie von Thronen,
Um büßend in der Niedrigkeit zu wohnen;
Als hätt’ sie eines dunklen Schicksals Wille
Verbannt in diese würdelose Hülle.
Ob Stolz und Trotz auch ihre Augen feuchtet,
Auf ihren Stirnen edle Trauer leuchtet.
Selbst ihrer Armut Kleid, zerlumpt und nieder,
Wie Königspurpur fällt’s um ihre Glieder.
Und legst du, stillbewegt in ihre Hände,
Die widerwillig-offnen, eine Spende –
Kein Dank kommt über ihren Mund – sie beugen
Den Nacken nicht und hüllen sich in Schweigen.
Und sind sie königlich davongegangen –
Du stehst beschämt, als hättest du empfangen!

Richard Zoozmann (1863-1934)

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Einsamer Fels

Mich lockt ein Fels im Golde der Luft,
Hoch und allein.
Um seinen Gipfel ist Heideduft
Und Abendschein.
Ein treues Bienchen läutet im Kraut
Blumenglöckchen ruhig-rein.
Wer von dort in die Lande schaut –
Die Welt ist sein!

Friedrich Lienhard (1865-1929)

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Der Bohrturm

Es steht ein schwarzes Gespenst im Moor;
Das ragt über Büsche und Bäume empor.
Es steht da groß und steif und stumm;
Sieht lauernd sich im Kreise um.
In Rosenrot prangt das Heideland;
»Ich ziehe dir an ein schwarzes Gewand.«
Es liegt das Dorf so still und klein;
»Dich mache ich groß und laut und gemein.«
Es blitzt der Bach im Sonnenschein;
»Bald wirst du schwarz und schmutzig sein.«
Es braust der Wald so stark und stolz;
»Dich fälle ich zu Grubenholz.«
Die Flamme loht, die Kette klirrt,
Es zischt der Dampf, der Ruß, der schwirrt,
Der Meißel frißt sich in den Sand;
Der schwarze Tod geht durch das Land.

Hermann Löns (1866-1914)

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Claire

Wie ein Hauch hast du mein Leben gestreift,
Wie ein leiser, lauer Wind,
Eine Liebe, die man kaum begreift,
Die wie ein Traum uns umspinnt.

Wie Samt deine Wange, wie Seide dein Haar,
Die Augen vergißmeinnichtmild,
Wie Quellflut im Glase dein Denken so klar,
Ein allzu engelhaft Bild.

Ein Rosenschein überfloß dein Gesicht,
Mein Herz schlug ahnungsfroh,
Doch kam es zur Liebesbesinnung nicht,
Ach, damals empfand ich so roh.

Ich träumte hinter dem Hauche her!
Was war das, was ist mir geschehn,
Ich sah dich nicht, weißblonde Claire,
Mein rauhes Leben durchwehn ...

Eine Liebe war’s, die man kaum begreift,
Die wie ein Traum uns entrinnt, -
Wie ein Hauch hast du mein Leben gestreift,
Wie ein leiser, lauer Wind.

Hermann Löns (1866-1914)

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Ballade des äußeren Lebens

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
und alle Menschen gehen ihre Wege.

Und süße Früchte werden aus den herben
und fallen nachts wie tote Vögel nieder
und liegen wenig Tage und verderben.

Und immer weht der Wind, und immer wieder
vernehmen wir und reden viele Worte
und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.

Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen,
und drohende, und totenhaft verdorrte...

Wozu sind diese aufgebaut? Und gleichen
einander nie? Und sind unzählig viele?
Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?

Was frommt das alles uns und diese Spiele,
die wir doch groß und ewig einsam sind
und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?

Was frommt's, dergleichen viel gesehen haben?
Und dennoch sagt der viel, der „Abend“ sagt,
ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt
wie schwerer Honig aus den hohlen Waben

Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)

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Der Engel

Mit einem Neigen seiner Stirne weist
er weit von sich was einschränkt und verpflichtet;
denn durch sein Herz geht riesig aufgerichtet
das ewig Kommende das kreist.

Die tiefen Himmel stehn ihm voll Gestalten,
und jede kann ihm rufen: komm, erkenn –.
Gieb seinen leichten Händen nichts zu halten
aus deinem Lastenden. Sie kämen denn

bei Nacht zu dir, dich ringender zu prüfen,
und gingen wie Erzürnte durch das Haus
und griffen dich als ob sie dich erschüfen
und brächen dich aus deiner Form heraus.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)


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Der Schmetterling

Mir war ein Weh geschehen,
Und da ich durch die Felder ging,
Da sah ich einen Schmetterling,
Der war so weiß und dunkelrot,
Im blauen Winde wehen.

O du! In Kinderzeiten,
Da noch die Welt so morgenklar
Und noch so nah der Himmel war,
Da sah ich dich zum letztenmal
Die schönen Flügel breiten.

Du farbig weiches Wehen,
Das mir vom Paradiese kam,
Wie fremd muß ich und voller Scham
Vor deinem tiefen Gottesglanz
Mit spröden Augen stehen!

Feldeinwärts ward getrieben
Der weiß' und rote Schmetterling,
Und da ich träumend weiterging,
War mir vom Paradiese her
Ein stiller Glanz geblieben.

Hermann Hesse (1877-1962)

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Weg nach Innen

Wer den Weg nach innen fand,
Wer in glühndem Sichversenken
Je der Weisheit Kern geahnt,
Daß sein Sinn sich Gott und Welt
Nur als Bild und Gleichnis wähle:
Ihm wird jedes Tun und Denken
Zwiegespräch mit seiner eignen Seele,
Welche Welt und Gott enthält.

Hermann Hesse (1877-1962)

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Wintertag

O wie schön das Licht
heut im Schnee verblüht,
o wie zart die rosige Ferne glüht! -
Aber Sommer, Sommer ist es nicht.

Du, zu der mein Lied allstündlich spricht.
Ferne Brautgestalt,
O wie zart mir deine Freundschaft strahlt! -
Aber Liebe, Liebe ist es nicht.

Lang muss Mondschein der Freundschaft blühn,
lange muss ich stehn im Schnee,
bis einst du und Himmel, Berg und See
tief im Sommerbrand der Liebe glühn.

Hermann Hesse (1877-1962)

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Landschaft

Nacht. – Die schlummernden Saaten hauchen
Heißen sinnbetäubenden Duft,
Dünste steigen in silbernen Rauchen
Aus der schwülen stockenden Luft.

Fernher droht ein Gewitterleuchten
Über dem dunkelnden Horizont.
Wolken umkreisen gleich aufgescheuchten
Vögeln den gelblich glimmenden Mond.

Und die Donner grollen mit schweren
Rufen in das harrende Land.
Über die reifen rauschenden Ähren
Streift es wie eine schweigende Hand ...

Stefan Zweig (1881-1942)

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Letzte Wache

Wie dunkel sind deine Schläfen.
Und deine Hände so schwer.
Bist du schon weit von dannen,
Und hörst mich nicht mehr.

Unter dem flackenden Lichte
Bist du so traurig und alt,
Und deine Lippen sind grausam
In ewiger Starre gekrallt.

Morgen schon ist hier das Schweigen
Und vielleicht in der Luft
Noch das Rascheln von Kränzen
Und ein verwesender Duft.

Aber die Nächte werden
Leerer nun, Jahr um Jahr.
Hier wo dein Haupt lag, und leise
Immer dein Atem war.

Georg Heym (1887-1912)

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Die tote Kirche

Auf dunklen Bänken sitzen sie gedrängt
Und heben die erloschnen Blicke auf
Zum Kreuz. Die Lichter schimmern wie verhängt,
Und trüb und wie verhängt das Wundenhaupt.
Der Weihrauch steigt aus güldenem Gefäß
Zur Höhe auf, hinsterbender Gesang
Verhaucht, und ungewiß und süß verdämmert
Wie heimgesucht der Raum. Der Priester schreitet
Vor den Altar; doch übt mit müdem Geist er
Die frommen Bräuche – ein jämmerlicher Spieler,
Vor schlechten Betern mit erstarrten Herzen,
In seelenlosem Spiel mit Brot und Wein.
Die Glocke klingt! Die Lichter flackern trüber –
Und bleicher, wie verhängt das Wundenhaupt!
Die Orgel rauscht! In toten Herzen schauert
Erinnerung auf! Ein blutend Schmerzensantlitz
Hüllt sich in Dunkelheit und die Verzweiflung
Starrt ihm aus vielen Augen nach ins Leere.
Und eine, die wie aller Stimmen klang,
Schluchzt auf – indes das Grauen wuchs im Raum,
Das Todesgrauen wuchs: Erbarme dich unser –
Herr!

Georg Trakl (1887-1914)

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Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll

Niemals wieder will ich
Eines Menschen Antlitz verlachen.
Niemals wieder will ich
Eines Menschen Wesen richten.

Wohl gibt es Kannibalen -Stirnen.
Wohl gibt es Kuppler-Augen
Wohl gibt es Vielfraß-Lippen.

Aber plötzlich
Aus der dumpfen Rede
Des leichthin Gerichteten,
Aus einem hilflosen Schulterzucken
Wehte mir zarter Lindenduft
Unserer fernen seligen Heimat,
Und ich bereute gerissenes Urteil.

Noch im schlammigsten Antlitz
Harret das Gott-Licht seiner Entfaltung.
Die gierigen Herzen greifen nach Kot -
Aber in jedem
Geborenen Menschen
Ist mir die Heimkunft des Heilands verheißen.

Franz Werfel (1890-1945)

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Den Gottsuchern

Die einst als Knaben Gottes Anlitz kannten
In ihren Augen haftet noch sein Licht.
Sie aber schweigen oder wissen´s nicht,
Daß sie Ihn gestern noch: Mein Vater! nannten.
Doch wenn sie Ihn in andern wieder fanden
Verhüllten sie ihr flammend Angesicht
Und leugneten den Glanz von seinem Licht
An dem sie, bis innen wie mit Fackeln brannten.
So leiden sie, bis ihnen Gott begegnet.
Der allen Irrtum, der nicht lieblos klang
Mit seiner größten Liebe segnet.
In seinem Munde sind die Unerlösten
Die immer suchend seien sich entblößten
Um ihrer Sehnsucht willen Lobgesang.

Ernst Penzoldt (1892-1955)

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Auferstehung


Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)