Die Anbetung der Fischer

von Hilde Heisinger, aus: Maria Rathmann: Wir wandern zur Krippe. Evangelische Verlagsanstalt, 1962.


Niemand hatte etwas bemerkt. Nur der alte Fischer, der so hellhörig war, daß er den Kopf wandte, wenn neben ihm die Flaumfeder einer Möwe in den Dünensand fiel, hob die Augenbrauen und horchte.
Die Fischer hielten in ihrer Beschäftigung inne und warteten auf das Wort des Alten.

Sie waren dabei, ihr Netz zu flicken, in das die zappelnden Dorsche beim gestrigen Fang ein Loch gerissen hatten. Es war ein guter Fang gewesen. Abends hatten die Frauen über dem Holzfeuer die Fische gebraten und sie den Männern gereicht. Sie hatten den öligsüßen Wein der blauen Trauben dazu geschlürft, und eine satte Zufriedenheit erfüllte ihre Herzen. Nun arbeiteten sie am Strand, wuschen die Netze und spannten sie über die Pflöcke, damit der Seewind sie trockne.

Der alte Fischer richtete sich auf und blickte über das Meer, in das die Sonne soeben versunken war. Auf den heranrollenden Wellen lag ein perlmutterfarbener Glanz, und rosa Nebelschleier wogten zu unsichtbaren Ufern.

Einer der Männer feuchtete den Finger an und hielt ihn gegen den Wind. „Kommt Sturm auf?“ fragte er. Der Alte schüttelte den Kopf. „Eine Kunde kommt über das Meer. Mit dem Wind und mit dem Flügelrauschen der Vögel...“

Sie warteten noch eine Weile. Aber als nichts geschah, machten sie sich auf den Heimweg zu ihren Hütten.

Der alte Fischer blieb zurück. Er setzte sich auf den Rand der Schaluppe, die halb im Wasser lag und halb auf den Strand gezogen war. Einer der jungen sah es, kehrte zurück und warf sich in den Sand neben den Alten.

Er betrachtete die kleinen Muscheln, die auf der Unterseite des Bootes klebten, und das blaßgrüne Gewirr von Algen und Seetang, aus denen das Meerwasser tropfte. Er horchte auf die Brandung, die unablässig die Klippe umspülte und dort Seesterne und durchsichtige Quallen zurückließ. Dann wanderte sein Blick zu dem alten Mann, von dem er alles gelernt hatte, was ein Fischer wissen muß: wie man die Taue zu seltsamen Knoten schlingt, wie man die Netze flickt und das Wetter nach dem Ton der Brandung voraussagen kann. Dann lauschte er auf den Wind, der an der Küste entlangstrich und den Seesand wandern machte. Er hörte ein Geräusch, das wie das Blöken eines Schafes klang, und als er aufsah, stand ein weißes Lamm vor ihm und rieb mit klagendem Laut den Kopf an seinem Knie.

Während er noch überlegte, aus welchem Pferch es entlaufen sein mochte, kam ein Hirte den Dünenhang herab.

„Gottes Engel hat uns die Kunde gebracht“, sagte er, „nun machen wir uns auf, das Kindlein anzubeten!“ Er nahm das Lamm in seine Arme. Als er den Dünenhang emporstieg, leuchtete im Osten der Himmel von den Strahlen eines neuen Sternes, und gegen die Helligkeit sahen der alte und der junge Fischer den wandernden Zug der Hirten.

Das Licht des Sternes funkelte auf dem dunklen Wasser und bildete eine goldene Straße, die sich bis in die Unendlichkeit verlor. Das Meer begann zu leuchten. Aus den Wellen hoben sich die Fische und Delphine und Seehunde, und es wurden immer mehr und mehr, denn auch die Tiere im Wasser haben ihre eigene Sprache. Sie trugen die Kunde von Ufer zu Ufer rings um die ganze Welt. „Du sollst dich auf machen und das Kindlein anbeten“, sagte der alte Fischer, der die Sprache verstand, zu dem jungen.

Kaum hatte er es gesagt, da hob sich eine Welle aus dem Meer und lief zum Ufer. Das Wasser der Woge rundete sich zu einem Gefäß und erstarrte. In der durchsichtigen Kugel schwamm, von Meerwasser umspült, ein Fisch. Es war ein seltsamer Fisch, wie man ihn noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Er war so groß wie eine Männerhand. Die Schuppen waren aus gleichmäßigem Gold. Die Augen waren dunkel umrandet und so ausdrucksvoll, als begriffen sie das Wunder.

Der Junge hob die gläserne Kugel auf. Der Goldfisch darin schwamm immer in einer Richtung wie zu einem unsichtbaren Ziel. Seine zarten Flossen berührten dabei die Wände des Gefäßes und gaben einen hellen Laut.

Dieser Laut begleitete den jungen Fischer auf dem Weg nach Bethlehem. Er ging geradewegs durch Dünen, Heide und Wälder, über Berge und Täler, bis er vor der Hütte stand, die der Stern im Osten ihm gewiesen hatte.

Und so geschah es, daß neben den Hirten, die ihre Lämmer dem Kindlein in der Krippe darbrachten, auch ein Fischer kniete, der in seinen Händen eine gläserne Kugel trug mit der Gabe des Meeres.

Es ist eine alte Überlieferung, die am Heiligen Abend auf einer der kleinen holländischen Inseln die Fischer den Kindern erzählen, während draußen das Meer rauscht und die Herzen sich bereitmachen für das große Wunder dieser Nacht.