Die Krippe

von Edith Dreher, aus: Maria Rathmann: Wir wandern zur Krippe. Evangelische Verlagsanstalt, 1962.


Ich habe lange im Verborgenen gestanden, unter Geräten, Brettern und Strohbündeln versteckt. Irgend jemand hat mich in den dunkelsten Stallwinkel geschoben, und weil niemand mich brauchte, haben sie mich vergessen. Das ist wohl so in der Welt, und man müßte sich damit abfinden...

Ich aber wartete...

Der mich gemacht hat, war ein uralter Mann, einer von denen, die nach dem Kommenden Ausschau hielten. Sie hießen ihn Amos und schalten ihn einen Narren, dieweil er zu ihnen über seltsame Dinge redete. Sie verlachten ihn, und die Kinder riefen Spottnamen hinter ihm drein, wiewohl er ihnen Pfeifen aus Rohr schnitt, heilkräftige Kräuter und seltene Steine wies. Mich hat er in einer seltsamen Nacht zusammengefügt. Ein kleiner, hellhaariger Knabe stand neben ihm und reichte ihm die Bretter zu. Wie er in den Stall gekommen ist, weiß ich nicht; keine Tür ist gegangen, weder früher noch später...

„Ist es schwer, eine Krippe zu machen?“
„Nichts ist schwer, wenn du die rechte Lieb' dazu hast!“
„Kann man auch ein Ding lieben?“

Der Alte kreuzte zwei Bretter, wog sie in der Hand und schlug einen Nagel hinein - gerade in die Mitte. Dann blickte er auf und sah den Knaben lange an. „Die Menschen sind gott-los geworden! Darum haben sie auch den Weg zu den Dingen verloren1 Selbst die Sprache der Tiere verstehen sie nicht mehr!“

„Warum haben sie Gott losgelassen?“

Noch einmal kreuzte der Alte zwei Bretter. „Sie wollten lieber im Finstern wandern als im Licht! Wie Schafe sind sie, die keinen Hirten haben, die sich in den Felsen versteigen und in den Bergen verlaufen!“

„Kann ihnen keiner nachgehen und sie wieder zurückbringen?“

Eine Zeitlang werkte der Uralte, ohne zu antworten. Er wählte zwischen den Brettern, maß sie, sägte und brach sie über dem Knie auseinander.

„Das wird ihn viel kosten“, murmelte er; seine Augen waren hell und übersichtig wie die eines Sperbers.
„Was würde es ihn kosten?“

Dumpf hallten die Schläge durch den Stall. Mit jedem Schlag saß ein Nagel im Holz, ein Brett am andern. Gleich einem Särglein wuchs ich unter den Händen des Mannes heran.

„Das Leben würd' es ihn kosten!“

Und er schlug die gekreuzten Bretter wider die seitlichen Wände, so daß das Särglein nun kein Särglein mehr war, sondern einen festen Stand haben konnte. Der Knabe betrachtete mich lange. Vielleicht dachte er etwas, das kein Mensch fassen kann und weit über sein junges Leben hinausging...

Dies alles ist lange her. Viele Tiere haben Nahrung aus mir genommen: Rinder und Esel, Maultiere und Schafe. Junge Lämmer drängten um mich, rupften erste, zarte Hälmlein... Hirten gingen aus und ein, bärtige Männer mit rauhen Stimmen und zerfurchten Gesichtern.

Nicht aller Menschen Nähe rührt die Dinge an; die meisten sind so weit von uns entfernt, daß wir nicht mehr mit ihnen zu reden vermögen. Anders war es, als die beiden hereinkamen, die junge Frau und der stille, freundliche Mann, der sie geleitete. Ihre Stimmen klangen gedämpft, und die Worte fielen spärlich zwischen ihnen. Auf ein Bündlein Stroh hockte das junge Weib sich nieder, müde und reglos saß sie, den Rücken gegen einen Pfosten gelehnt. Aber man spürte, daß ein Geheimnis ihre Seele beschattete.

Der Mann ging umher, trug dies und das herzu. In jeden Winkel leuchtete er, groß fiel sein Schatten gegen die Wände. Sie fragte, was er suche.

„Wohin sollen wir ihn denn legen?“ murmelte er scheu und ratlos. Ein leises Lächeln glitt über ihr Gesicht, und sie wies mit der Hand: „Dort steht eine Krippe, siehst du?“

Da zog er mich hervor, rückte mich zurecht, schüttete Heu und Stroh und kramte weißes Linnen aus dem Bündlein hervor. Alles, was er tat, geschah sorgsam und feierlich, als verrichte er eine Andacht.

„Es ist eine klare Nacht! Sie werden die Herden in die Hürden treiben draußen auf den Weiden!“ Es sollte ein Trost sein; er dachte wohl, sie fürchte sich vor dem Eindringen fremder Menschen, bevor ihre schwere Stunde gekommen war. Aber sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen waren weit aufgetan, und es dünkte mich, als dringe langsam ein Stiller, heller Glanz durch die Wände des Stalles. Drängten sie nicht herein, die Ebenen, Felder, Hügel und Berge Judäas, der Himmel voller Gestirne über der Stadt Bethlehem? „Sie werden hereinkommen!“ flüsterte die junge Frau und umfaßte meinen Rand mit ihren schmalen, hellen Händen, als suche sie einen Halt. „Viele, viele sehe ich hereinkommen - Hirten sind da und Männer in kostbaren Mänteln, Könige und die, welche die Zeichen der Sterne deuten... Kinder und Alte, Bauern und Fischer, Arme und Reiche, Knechte und Freie... Ein langer Zug ist es - und sie alle wollen das Kind sehen...“

Er strich ihr gut und voll Angst über die Schulter. Nein, er verstand sie nicht ganz in dieser Stunde, das fühlte ich wohl.

Es ist wohl ein tiefer Schlaf über mich gefallen - weiß nicht, wie lange! Weiß auch nicht, wie er zur Welt gekommen ist, der Heiland! Durch eine verborgene Tür muß er eingetreten sein, wie vormals der junge, blonde Knabe... Nun lag das Kind in Windeln gewickelt, und ich fühlte, wie die süße Nähe und Last seines Daseins mich durchdrang. Kleine, lichte Gestalten standen neben mir, um mich, hoben sich auf die Zehen, wehrten mit ihren zarten Händen den Mücken und Fliegen, das Kind zu stören.

Aus dem Dunkel des Daches neigten sich Gesichter, leuchtende, helle, und ein unendlich zarter Gesang, lieblich wie der Duft von Rosen, war um mich her. Konnte nichts anderes sein denn die himmlische Musik der Engel!

Hirtenpfeifen - Lieder - Flöten und Geigen - und von fernher das Rauschen gewaltiger Instrumente - viele Pfeifen und Flöten, silberne und goldene, durch die der Wind ging wie durch große, dunkle Wälder... In hohen, lichterhellten Räumen viele Menschen, die sangen - sie sangen von dem Kindlein, das Frieden bringen werde auf die Erde - in vielen Sprachen und Zungen Hellhäutige Männer sah ich, Greise, Frauen und Kinder - braune und gelbe, rote und schwarze. Und sie alle trugen eine Last herbei, legten sie vor dem Kinde nieder - und sie alle entzündeten an seinem Licht, an dem hellen Licht seiner Freundlichkeit und am Sonnenglanz seiner Augen, die Kerze oder die Lampe oder die Fackel, die sie dunkel in ihren Händen getragen hatten...

Es ist nun nichts Armseliges oder Trauriges mehr, eine Krippe zu sein! Ich habe ihn getragen, wie seine Mutter ihn getragen hat. Gefäß durfte ich sein, durfte ihn bergen in meinem Rund, ihn, das Licht der Welt, das Brot des Lebens, das Weizenkorn, das in die Erde fällt, ihn, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt...