Drei kleine Sterne

von Georg W. Pijet, aus: Rut und Rudolf Brock (Hg.): Wunderweiße Nacht. Henschel Verlag, 1970.


Am Tage vor Weihnachten traten die drei kleinsten Sterne aus der Milchstraße in die himmlische Kanzlei und baten dar­um, Weihnachten zu den Menschen gehen zu dürfen.

„Was wollt ihr denn auf der Erde?“ fragte sie der alte Oberstern­meister verwundert.
„Wir wollen den Menschen nur ein bißchen Licht und Wärme bringen“, antworteten die Sterne.
„Schenkt ihr ihnen nicht das ganze Jahr genug Licht?“
„Es ist aber doch Weihnachten, Herr Obersternmeister“, ba­ten die Sterne.
„Nun gut, geht zu den Menschen, aber schenkt nicht all euer Licht fort, sonst findet ihr nicht mehr nach Hause und müßt auf der Erde bleiben.“
So sprach der würdige Obersternmeister.

Die Sterne nickten froh und machten sich auf den Weg zur Erde. Sie kamen in eine Stadt, die so dunkel war, als hätte ein Riese seinen Hut über sie gestülpt. Eines der Sternchen lief von Haus zu Haus und hauchte ein wenig gegen die Scheiben. Da entzündete sich überall ein Licht dahinter. Sogar die Menschen bekamen frohe Augen. Das zweite Sternlein war ins Haus getreten. Überall fand es nur kalte Öfen und tote Herdfeuer vor, und die Men­schen in den Stuben froren bitterlich. Da trat das Sternlein ans Herdloch und blies eine helle Flamme an, die den ganzen Raum durchwärmte. In vielen kalten Stuben begannen die Öfen warm zu werden und die Herde zu prasseln. Damit hatte auch das zweite Sternlein seine Gaben verschenkt und kehrte in den Himmel zurück.

Das dritte Sternlein begegnete auf einer einsamen Straße einem Blinden, der mühsam seinen Stock vor sich her setzte, um damit den Weg abzutasten. Aber er hatte seinen Weg ver­loren und stand hilflos in der Finsternis. Er rief um Hilfe und klopfte mit seinem Stock an die Wände längs der Straße, aber niemand wohnte in den Ruinen. Da trat das Sternlein zu ihm und schenkte ihm etwas von seinem Licht, aber es war zu we­nig. Erst als das Sternlein all sein Licht an den Blinden ver­schenkt hatte, begannen dessen Augen zu leben. Er sah wie­der, und obwohl es eine ärmliche und traurige Welt war, die er um sich erblickte, weinte er darüber vor Freude helle Trä­nen. Den kleinen Stern neben sich aber gewahrte er nicht mehr, denn er hatte all seinen Glanz verloren. Das Sternlein fand nun nicht mehr den Weg nach Hause. So mußte es wohl für immer auf der Erde bleiben, und die Menschen würden es für einen Stein halten und darüber hinwegtreten, denn Steine hatten die Menschen genug.

Als die beiden Sterne in den Himmel zurückkehrten, fragte sie der Obersternmeister böse, wo sie ihren Gefährten gelassen hätten. „Wir haben ihn verloren“, antworteten die Sterne. Da richtete der alte Herr sein Fernrohr auf die Erde und suchte nach dem verlorenen Stern. Und er sah ihn, ohne Licht und grau wie ein Stein, auf der einsamen Straße liegen. „Warnte ich ihn nicht, sein ganzes Licht zu vertun? Nun darf er nicht mehr nach Hause“, schimpfte der Obersternmeister.

„Wenn wir ihm alle ein bißchen von unserem Lichte abgeben, darf er dann nicht zurückkehren?“ baten die Sterne.

Der Obersternmeister überlegte eine Weile, und weil es gerade Weihnachten war, mochte er nicht nein sagen. Er nickte nur. Da fuhren die beiden Sternlein auf einem Windstoß durch die Milchstraße und sammelten überall die Lichtspenden ein. Es ward so viel, daß sie es gar nicht mehr tragen konnten. Da fuhren sie in einer Kutsche zur Erde nieder, um dem erlosche­nen Sternlein das Licht zu bringen. Wie freute es sich, als es wieder leuchtete, und es funkelte schöner und herrlicher als früher. Nun steht es wieder am Himmel. Mitten in der Milch­straße. Wer will, suche es schnell mal vor dem Schlafengehen.