Druiden-Prophetie

M. J. Krück von Porturzyn: Druiden-Prophetie. Aus: Licht im Aufgang. Ein Weihnachtsbuch. Zusammengestellt von Barbara Nordmeyer. Verlag Urachhaus, 1964, S. 17-25.


Cathal, der oberste Druidenpriester, hatte das Feuer auf dem Gipfel des kleinen Berges Dun-I entzündet wie allmorgendlich, wenn die Sonne über die östlichen Inselketten stieg, und schritt langsam abwärts auf winterdürrem Gras, zwischen Gneisfelsen, die schlüpfrig waren von den feuchtenden Nebeln der Nacht. Schafe sprangen auf ihre Füße, äugten nach der Menschengestalt im weißwollenen Mantel, und auf den Klippen über dem Ufersand hielten schwarze Kormorane Ausschau übers Meer. Cathal hatte die jüngeren Priester geheißen, nach den Aschenresten des Opfers zu sehen, denn Unruhe war in seiner Seele, bald schien es wie Warnung vor drohendem Unheil, bald wie eine glockenhelle Stimme, die aus dem weiten Umkreis die Geister des Meeres rief. Es begann die heiligste Zeit des Jahres, in der es galt, die Wachstumskräfte des kommenden Frühlings, Krankheitsgefahren und Stellung der Sterne auf Monde hinaus zu erforschen. Tagelang schon hatten die Druiden gefastet und gebetet, aber das Dunkel lag auf ihnen, keine Schau erhellte ihre Versunkenheit, nur einer der Schüler war schreiend aus schwerem Schlaf erwacht: die Sonne sei herabgefallen wie ein Stern, Wehklagen und Jubel gehe durch die Kreise der Geister; er wollte es nicht glauben, bis er es mit eigenen Augen sah, daß die heilige Insel Iona friedvoll im Meere lag wie je.

Duvach, der Fremdling aus Irland; vertrat Cathal den Weg, gerade als er um die letzte Felsenecke bog, unter deren Windschutz auch winters über das gelbe Labkraut wuchs, dessen Dolden, aus winzigen Kreuzen zusammengesetzt, in allen Ländern der Druiden Verehrung genossen. „Cathal“, sagte Duvach mit gepreßtem Atem, „Bride, meine Tochter, ist heute nicht aufgestanden. Bleich wie vom Tod berührt liegt sie auf ihrem Lager. Cathal, ich flehe dich an, komm mit mir. Wenn einer sie zurückrufen kann auf die Erde, so nur du ...“

„War sie krank?“ fragte der oberste Druidenpriester. „Nein, Vater, munter und gesund legte sie sich gestern zum Schlaf.“

Cathal senkte die Lider, als er vor Brides Lager trat, er nahm des Mädchens erkaltende Hand und forschte nach Atem und Pulsschlag. Zuletzt sprach er Worte, die sonst an keines Weibes Ohr ertönen durften, Worte, deren magische Kraft die Seelen der Entrückten aus geheimnisvollem Weiheschlaf zurück in das Gehäuse des Körpers rief. Doch blieb Bride reglos wie zuvor.

„Vielleicht haben wir uns getäuscht“, sagte Cathal verdüsterten Gesichts, „als wir glaubten, Bride sei zu besonderem Leben bestimmt. Vielleicht deutet die weiße Blume, die wir auf ihrem Schoße sahen, auf frühe Berufung zu anderen Sphären. Laßt sie in Frieden ruhen, und wenn wir zum dritten Mal ab heute das Opfer bringen, mag sich entscheiden, was ihr bestimmt ist.“

Duvach, der Vater, schwieg, kein Laut seines gramerfüllten Herzens sollte sie stören auf ihrem Weg in die Ewigkeit, er trieb die Hunde hinaus zu den Schafen und hielt selbst Wache an der Tür. Nur die Vögel fütterte er, die wie immer zu Bride kamen, und bat Kinder und Frauen, die nach dem Mädchen fragten, ihrer gedenkend nach Hause zu gehen. Die Winterstürme tosten übers Meer, doch schonten sie das Eiland, auf dem Brides junger Körper kühl und wächsern lag, in den dürren Eichen raschelte kein Laub, und das weiße Pferd, ihr Freund, stand an der Treppe, ohne zu fressen.

In der dritten Nacht brach der Mond aus dem Gewölk, und Duvach, auf das Antlitz seiner Tochter sehend, meinte, ee sei um viele Jahre gealtert, der starre Körper fühlte sich kalt an wie Stein. Doch die Luft um sie her blieb rein, ja ihm war, als röche er den Duft von Rosen unter seinem Binsendach in der Dezembernacht. Dann fielen ihm die Augen zu vom langen Wachen und vom langen Schweigen und dem schweren Gram um das tote Kind.

Als er erwachte, wagte er sich eine Weile nicht zu rühren, denn er wußte nicht, ob seine Seele träumte oder ob das, was er sah und hörte, wirklich auf Erden geschah. Cathal stand im Zimmer, und das Mädchen saß lebendig und von stillem Glück erleuchtet auf seinem Lager. „Ich habe ihn gesehen“, sagte sie mit heller Stimme, „er ist geboren worden. In diesen meinen Armen habe ich ihn gehalten und mit meinen eigenen Händen in ein Tuch wickeln dürfen, das war gewebt aus der Wolle von unseren Schafen. Seine Mutter ist jung und der Vater bitterarm. Niemand weiß es noch, nur den Hirten, die rings auf den Feldern ihre Tiere hüten, hat es ein Engel gesagt, wer da liegt, und sie kamen, um ihn anzubeten.“

Cathal, der Druide, stand nicht mehr aufrecht, er war niedergesunken, mit gebeugtem Kopf und zuckenden Schultern. „Sag, Bride, wie ist Sein Name?“

„Jesus heißt er. Und der Gott, dem du die Opfer entzündest, beim Sonnenaufgang auf dem Dun-I, steigt durch alle Kreise herab auf ihn. Weit gegen Morgen liegt der Ort seiner Geburt, doch du findest ihn leicht, denn er strahlt wie ein Stern.“

Sie schwiegen alle drei, Cathal, Duvach und das Mädchen, sie schwiegen so lange, daß sie die Zeit vergaßen, und erst als ein mächtiges Schnaufen von der Türe her hörbar wurde, hob Duvach den Kopf. Ein Stier hatte sich an der Schwelle der Hütte niedergelassen, von dem breiten Haupt, zwischen den weitaufragenden Hörnern, fiel eine hellbraune Mähne in sein Gesicht. „Er ist hungrig, ich habe ihn vergessen“, murmelte Duvach, aber Bride lächelte: „Nein, auch er will die Botschaft hören.“

Da stand Cathal auf und ging über die Wiesen und Felsen, seine Genossen zu sammeln. Ehe die Sonne sank und die ersten Sterne heraufzogen, wollte er selbst den heiligen Schlaf tun, um zu erfahren, ob Bride wahr geschaut; um zu wissen, ob das Opfer, das man von nun an bringen würde, dem zur Erde gestiegenen Gotte galt. Bevor er sich niederlegte, hieß er in die heiligen Steine ritzen, daß Bride drei Tage nach der Wintersonnenwende drei Weihenächte erlebt und Dinge geschaut habe, für deren Erkundung die Druiden Ionas ihr Leben hingeben würden.

Als dreiunddreißig Jahre nach jener Weihenacht auf lona vergangen waren, geschah es, daß sich auch mit König Conchuba in Irland etwas Merkwürdiges ereignete. Schon lange hatte er gefühlt, daß Luft und Licht und Wasser in seinem Lande sich geändert hatten, die Regenbogen nicht mehr als Brücken am Himmel standen, sondern sich wie breite, siebenfarbige Schleier über die Landschaft legten, und aus dem Spiel der Lichter um die zerstäubende Brandung etwas wie ferne Musik erklang. Manchmal zog sich diese Musik auch durch seine Nächte, dann sah er den Lebensbaum, den wunderbaren, der aus den Weltentiefen in den Himmel wuchs und den ganzen Umkreis umspannte. Neuerdings aber ging diese Musik über in ein Lied und aus dem Liede tönten von Woche zu Woche immer deutlichere Worte. Die Worte wurden zur Klage, und es schien ihm, als sänge es aus dem Holz des Weltenbaumes, unter dem er, Conchuba, im Traume lag, still und horchend hingegeben dem Raunen der Welt.

„Was ist es, wovon du seit Jahren sprichst und was auch ich zu ahnen beginne?“ fragte König Conchuba seinen obersten Druidenpriester. Sie gingen über die grenzenlos weiten Ebenen, wo nur ein paar Bäume über dem welligen Grasland standen, das im ersten sprossenden Grün erglänzte, ein Windstoß kam von Ost und huschte vorüber.

„Oben der Himmel, unten die Erde und der Kreis des Horizontes um uns“, antwortete Ruthwell, der Druide, indes seine hellen Augen an dem König vorbei in die Ferne blickten. „Oben der Geist, unten der Vater, und in der Mitte der Umkreis, an dem alle Sterne grüßend auf- und untergehen; der große Kreis, der um jeden von uns ist, immer gegenwärtig, auch wenn wir ihn nicht sehen. 0 großer Umkreis, welcher Wille waltet in Deiner Mitte?“

„Welcher andere Wille kann es sein als der Wille dessen, der die Sonne regiert?“ sagte der König. „Zieht nicht die Sonne in täglichem Segenskreis um die Erde, um uns alle?

Die beiden Männer waren dem Hügel nahegekommen, dem heiligen Hügel, um den im weiten Kreis 32 Druidensteine standen. Hier öffnete sich die Pforte der Tiefe, zu dem unterirdischen Tempel, vor dessen Altären nur die Eingeweihten Irlands erscheinen durften, und auf diesem Boden war Conchuba, der König, nur der erste Schüler des Wissendsten unter den Druiden. Denn Ruthwell erkannte die Bahn der Sterne, nach der Saat und Ernte, Krankheit und Heilung sich bestimmten, er erschaute im Weben des Lichtes, im Spiel des Schattens, im Hauche der Luft die dienenden Geister der Götterwelt. Dann sprach er: „Ich sehe die Kreise der Sonne sich enger und enger ziehen“, sagte er, „ich sehe die Farben des Sonnengottes in Wasser und Luft sich spiegeln, ich sehe Sein Bild sich in die Sphären prägen, indes Er abwärts steigt, herunter auf unsere Erde.“

„Ist es deshalb, daß der Weltenbaum klagt?“ fragte Conchuba mit gepreßtem Atem, denn er gedachte seiner Träume und der Klage des Holzes.

Sie waren hinuntergestiegen zu der tönenden Halle, dem domartigen Saal, und knieten an seinem äußersten Ende nieder, von wo man durch die Öffnung des Eingangs jenen Stein sah, der nur wenn die Sonne am höchsten stand, am Mittag der Sommerwende, aufleuchtete im vollen Licht. „Dreizehn Tage nach der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche, der Tag der Venus und die neunte Stunde“, flüsterte Ruthwell, als gälte es, sich den Augenblick einzuprägen; „was sagtest du? Vom Weltenbaum und seiner Klage weiß ich nichts, ich weiß nur, daß die Erde geschmückt ist mit den farbigen Schleiern ihrer Elemente wie eine Braut. Sie sehnt sich, Ihn zu empfangen, den sie seit Urbeginn erwartet hat, und uns geziemt es zu warten, bis wir Ihn sehen.“

Wie das nur möglich sein könne, da es doch über allen Menschenverstand gehe, wollte Conchuba wissen, aber Ruthwell schwieg. Als sie heimwärts wandelten über das sprossende Land, im Licht der höhersteigenden Sonne, an Erlen und Eschen vorbei, umschattete Trauer des Druiden sonst stillfrohes Gesicht, und plötzlich griff er sich ans Herz und mußte sich setzen.

„Was ist dir?“ fragte Conchuba erschrocken, „soll ich um Hilfe blasen?“ Ratlos stand der König und wagte keinen Finger zu rühren, ihm war, als zittere die Erde. Allmählich kehrte der Blick in Ruthwells erloschene Augen zurück. „Ich habe gesehen“, sagte er stammelnd, „daß der Gott der Sonne im fernen Land von Menschen an ein Kreuz genagelt worden ist. Und die Sonne, Sein Stern, verfinsterte sich.“

Conchuba war ein gerechter Herrscher, aber er konnte auch von plötzlichem Zorn erfaßt werden, und dann war es nicht gut, ihm entgegenzutreten. Seinen mächtigsten Gegner hatte er einst besiegt und getötet, obwohl ihm dieser den Kopf bereits gespalten hatte, daß das Gehirn herausquoll. Es hieß, die Druiden hätten ihm danach ein Stück vom Gehirn seines Feindes in den Schädel nähen müssen, um ihn zu heilen. In diesem Augenblick, da Ruthwell das Ungeheuerliche meldete, am Karfreitag, um die Stunde der Kreuzigung auf Golgatha, sprang ihm das Blut mit solcher Wucht zu Kopf, daß er seine Axt aus dem Gürtel riß und auf die schuldlosen Eschen einhieb, als seien sie die Kreuziger oder die Balken des Todesholzes. Aber die Anstrengung war zu viel für Conchubas Kopf, die alte Wunde platzte, das Gehirn drang heraus, und sterbend fiel er nieder zu Ruthwells Füßen. Ruthwell aber lehrte, was er an diesem Tag und den folgenden geschaut.

So kam die christliche Lehre nicht als ein Fremdes, sondern als herrlichstes Geschenk des urlang bekannten Gottes, von dessen Niederstieg die Elementengeister gezeugt hatten durch all die Jahre hindurch. Kein Pergament hat es aufbewahrt, aber in Legenden und Liedern ist es lebendig geblieben bis heute. Die gleichen Druiden, die der Sonne geopfert hatten, brachen nun Christi Brot über den unterirdischen Tempeln, die niemand zerstörte; mit dem alten Sternenwissen der Druiden bebauten jetzt Mönche die Erde. Die Erde war Sein Haus, und alle ihre Bewohner würden einmal Christen werden, auch die Vögel, die Kühe und Fische. Spiegelte nicht längst das Licht, das Wasser, die Luft Sein Bildnis? Zeigte sich nicht im kleinen Kleeblatt das Abbild der Dreifaltigkeit, der Einheit in der Dreiheit? Als die Kunde übers Wasser kam, durch Schiffer und Soldaten gebracht, von dem, was Jahrhunderte zuvor auf Golgatha geschehen, dienten die Kelten auf den westlichen Inseln längst auf ihre Weise dem Christusgott.

M. J. Krück v. Poturzyn