Geschenke

von Eva Hoffmann-Aleith, aus: Maria Rathmann: Wir wandern zur Krippe. Evangelische Verlagsanstalt, 1962.


Der Stellmachermeister schob die Mütze in den Nacken. Jeder, der ihn kannte, hätte daraus geschlossen, daß ihm die Unterhaltung lästig wurde. Aber der Vertreter des Fotogeschäftes stand zum erstenmal hier. Außerdem hätte es wahrscheinlich deutlicherer Mißfallensäußerungen bedurft, um seinen Redefluß einzudämmen. Noch eine einzige Bestellung - und der Kundenblock wäre voll. Warum sollte nicht der Stellmacher Teske dieser letzte Kunde werden und damit die Provision gerade noch vor dem Fest zu einem artigen Sümmchen aufrunden!

Der Vertreter stemmte den Fuß unternehmend gegen einen Bretterstapel. Die Lehrjungen hatten ihn säuberlich aufschichten müssen. Dem Meister war es ein Greuel, wenn während der Feiertage überall etwas herumlag. Der Fuß des Reisenden tippte ungeduldig gegen das Holz.
„Eiche“, erklärte der Meister mit einem halben Seitenblick, „gut abgelagert.“
„Schönes Holz“, lobte der andere, der nicht das geringste davon verstand, „damit läßt sich etwas anfangen. Aber schauen Sie, hier habe ich auch etwas Schönes.“ Er schlug das Album auf, dem das Knie als Unterlage dienen mußte, und blätterte. „Schauen Sie, Aufnahmen, Vergrößerungen, handkolorierte Fotos, künstlerisch ausgeführt und überaus preiswert, geradezu geschenkt.“
„Na, na, verschenkt wird heutzutage nichts“, knurrte der Stellmacher. „Zu verschenken habe ich selbst nichts. Und Ihre Firma würde Ihnen schön auf den Kopf kommen.“
Der Vertreter hatte den Kopf so andächtig auf die Probeseite gesenkt, als könne er sich von dem Anblick nicht losreißen. Nun hob er die Stirn und warf die volle Haarsträhne zurück, die ihm seiner Ansicht nach einen künstlerhaften Zug verlieh. „Du lieber Himmel“, räumte er mit vertraulichem Lächeln und betonter Unbefangenheit ein, „jeder will leben, das bestreite ich gar nicht. Also wie wär's denn? Vielleicht ein Bild vom Fräulein Tochter farbig - oder eine Aufnahme der ganzen Familie unter dem Weihnachtsbaum - hier ist ein Muster. Na, ist das etwas Schönes oder nicht?“

Mit einem Sprung setzte der Reisende zur Tür der Werkstatt und versperrte mit dem hocherhobenen, weitgespreizten Album den Ausgang. Der breitschultrige Handwerker sah den schmalbrüstigen Künstler an wie eine Dogge einen Rehpinscher. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, um nicht der Versuchung zu erliegen, den Hartnäckigen mit einer Bewegung beiseite zu wischen. Aber dann rührte ihn der treuherzige Aufblick und die Hartnäckigkeit, die ihm das Verlassen der eigenen Werkstatt verwehrte. In einem Anflug grimmiger Höflichkeit musterte er die Seite, die ihm in Augenhöhe entgegengehalten wurde.

An dem Baum, dessen Zweige sehr grün wirkten, steckten bunte Kerzen, blaue, rote und weiße. Mit außergewöhnlich starken Strahlen funkelten sie auf die Gesellschaft herunter, die mit erhobenen Gläsern dem Beschauer entgegenlächelte und allem Augenschein nach schon sehr fröhlich Weihnachten feierte. Die hellgelben Locken der jungen Damen leuchteten wirkungsvoll über farbenfreudigen Blusen. Auf dem Gabentisch reckten sich einige Flaschenhälse. Auf einer großen Konfektschachtel prangte eine rosa Schleife.

Der Meister fand das Ganze scheußlich. Es gelang ihm, sich hart am Türrahmen vorbei ins Freie zu schieben, wobei er energisch erklärte, keinerlei Bedarf für das Angebot zu haben. Der Reisende ließ eilig das Album in die Tasche gleiten. Draußen fiel ein nasser Schnee, dessen Flocken auf dem gepflasterten Hof sogleich in Feuchtigkeit zerflossen. Unaufhörlich redend begleitete der Kunstverständige den Meister bis zu der kleinen überdachten Treppe der Wohnung. Abwehrend winkte der Stellmacher: „Geben Sie sich keine Mühe mehr!“ Und er fügte das vertröstende und unverbindliche Sätzchen hinzu: „Vielleicht ein anderes Mal!“
Der Begleiter machte Miene, ebenfalls die kleine Treppe emporzusteigen. „Dann dürfte ich wohl Frau Gemahlin fragen?“
Der Meister drehte sich mit einem Ruck um, stemmte die Arme in die Hüften und formte mit mahlenden Kiefern an einer Entgegnung, die den anderen endgültig zermalmen sollte. Der zog es vor, abzutreten, bevor der lautlose Entwurf sich in Worten entlud.
„Also dann ein andermal!“ Er streifte die Baskenmütze über und nickte im Abgehen vertraulich.

Die frisch aufgesteckten Scheibengardinen an der Verandatür zurechtzupfend, erkundigte sich die Meistersfrau: „Du wurdest ihn wohl nicht los?“
„Na, reden kann er nicht schlecht“, gestand der Meister widerwillig zu. „Aber das ist ja schließlich sein Brot. Jeder Kaufmann preist seine Ware an.“

In der Küche ging die große Säuberung vor sich. An Sonnabenden war sie besonders gründlich; heute vor dem Fest leitete sie gewissermaßen Weihnachten ein und gehörte beinahe schon mit dazu. Teske schrubbte und panschte, prustete mit ächzenden Lauten in dem Seifenschaum, während der Kopf in der Waschschüssel verschwand. Er kümmerte sich nicht darum, wenn es rechts und links über den Rand schwappte. Die Küche war mit Fliesen ausgelegt, und außerdem übte er nur sein gutes Recht.
Der Schwiegermutter waren diese ausgedehnten Waschungen in der Küche ein Dorn im Auge. „Wozu habt ihr denn die Badestube?“ hatte sie gelegentlich tadelnd bemerkt. Aber Frau Teske hatte ihrem Mann beigestanden, wenn auch unter Beimischung eines Wermutstropfens: „Sieh dir mal die Überschwernmung an, die er jedesmal anrichtet. Soll ich mich vielleicht am Abend noch hinstellen und die ganze Badestube aufwischen und das Waschbecken scheuern? Da nehme ich lieber hier schnell den Aufwischlappen!'
Teske liebte den altmodischen Ständer, der ihm dienstwillig die Schüssel hielt wie vordem seinem Vater. Er rieb sich trocken, gemächlich und genußvoll, und gähnte dabei aus Leibeskräften, weniger aus Müdigkeit als in dem behaglichen Bewußtsein, sich gehenlassen zu dürfen. In den letzten Tagen hatten sie ihm bald das Haus eingelaufen mit Bestellungen, Wünschen und Drängen. Aber jetzt war bis nach dem Fest endgültig Feierabend. Jetzt sollten sie ihn in Ruhe lassen.


An der Verandatür hörte er seine Frau sprechen. Der Tonfall setzte freundlich ein, wechselte allmählich zum Bedauern, wurde tröstend und mündete in die Versicherung, die von flinken näherkommenden Schritten untermalt wurde: „Ich werde mal fragen!“
Des Meisters Gesicht verdüsterte sich. Wollte da noch jemand etwas von ihm? Er dachte gar nicht daran, jetzt noch einen Handschlag zu tun. Das Handtuch zornig zusammenballend, blickte er seiner Frau mißtrauisch entgegen.
„Aus dem Pfarrhaus haben sie hergeschickt, ob du den Pastor gleich mal nach Waldflecken fahren würdest!“
„Jetzt? Heiligabend?“ Teskes Stimme kletterte in der empörten Frage zu ungewohnter Höhe.
„Ja, eben, er schafft es sonst nicht rechtzeitig zurück bis zur Christvesper. Von Waldflecken ist angerufen worden. Er soll der kranken Frau Keller das Abendmahl gehen!“
„Ausgerechnet heute! Die ist doch schon wer weiß wie lange krank! Und ausgerechnet heute muß das sein?“
„Ja, sie soll ins Krankenhaus und wird wahrscheinlich heute noch geholt. Da möchte sie vorher das Abendmahl nehmen. Du fährst doch, nicht wahr?“
„Meinetwegen“, sagte Teske verdrießlich.

Beim besten Willen hätte er nicht behaupten können, daß ihn die Aussicht entzückte. An sich versäumte er nichts zu Hause. Den Unfug mit Schenken und Beschenktwerden machte er nicht mit. Der war seit dem Heranwachsen der Kinder stillschweigend eingeschlafen. Zu seiner Frau pflegte er zu sagen: 'Wenn du etwas brauchst, dann kaufe ich es dir.' Und ihre schüchternen Versuche, ihm eine Kleinigkeit unter den Christbaum zu legen, der manchmal auch nur aus einem Strauß Tannengrün bestand, hatte er murmelnd zurückgewiesen: 'Meine neuen Socken und die Rasierseife kommen mir auch zupaß, wenn es nicht gerade Weihnachten ist. Gib sie mit lieber so! Dann brauche ich wenigstens nicht erst die trockenen Tannennadeln aus der Wolle herauszuzupfen.'
Er vermißte nichts, wenn Weihnachten wie jeder andere festliche Tag verlief. Die Lieder im Radio, die ihn an seine Kinderzeit erinnerten, hörte er gern, aber das war auch alles. Wenn seine Frau in die Kirche gehen wollte, konnte sie es tun. Er legte ihr nichts in den Weg. In den ersten Jahren hatte sie es getan. Dann war es allmählich unterblieben. 'Ich möchte meinen Mann nicht gerade zum Fest allein lassen', pflegte sie zu erläutern, und er fand das ganz in der Ordnung.

Als das Auto aus dem Dorf rollte, hatte der Meister seinen Ärger bezwungen. Die entschuldigenden und dankenden Worte des Pfarrers wehrte er jovial ab: „Na, was ist denn dabei, Herr Pastor. Ist ja man bloß Menschenpflicht!“
„In diesem Falle tun Sie mehr. Sie erfüllen eine Christenpflicht.“
Meister Teske wiegte bescheiden den Kopf und zog es vor, nicht weiter auf die freundliche Anerkennung einzugehen. Das Thema schien ihm gefährlich. Er war kein Kirchgänger und besaß dabei ein gutes Gewissen. Seinen Glauben hatte er doch, und den Pastor schätzte er. Hörte er ihn gelegentlich bei Hochzeiten oder Beerdigungen, rühmte er ihm stets wohlgefällig nach: 'Der Mann spricht gut.' Aber ein Urteil über saumselige Kirchgänger wollte er lieber nicht herausfordern. Wenn man sich auch nichts daraus machte, ärgern konnte es einen Menschen doch, wenn man es ihm auf den Kopf zusagte. Darin waren die Pastoren nun mal alle komisch.
So erkundigte sich der Meister lieber nach Frau Keller.
Ja, sie liege nun schon seit sechs Wochen und sei dankbar für jedes gute Wort. Ihr Ohrenleiden erschwere zwar eine Unterhaltung sehr. Man müsse fürchten, daß sie nicht alles verstehe. Deshalb sei es schön, daß ihr durch das heilige Abendmahl das Evangelium bezeugt würde.

„Ich habe noch nie gehört, daß jemand zu Weihnachten das Abendmahl nimmt“, stellte Teske kopfschüttelnd fest. „Dahin paßt es doch eigentlich gar nicht.“
Der Pfarrer sah ihn erstaunt an: „Wieso denn nicht?“
„Na ja, unsere Alten gingen Gründonnerstag oder Karfreitag. Da gehört es hin, weil der Herr Jesus es doch zum Gedächtnis an sein Sterben eingesetzt hat.“
Der Pfarrer zog die Augenbrauen hoch. Es kam ihm vor, als hätte er nicht den Stellmachermeister vor sich, sondern noch den schmalen, hochaufgeschossenen Jungen. Darum sprach er zu ihm wie zu seinem Konfirmanden:
„Weihnachten heißt: Gott bleibt nicht fern und fremd; er kommt durch Christus in unsere Welt. Im heiligen Abendmahl sagt Christus: Ich schenke dir alles, was mein Leben und Sterben bedeutet. Gerade das Abendmahl zur weihnachtlichen Zeit sagt so eindringlich: Für dich! Für dich! Dir ist der Heiland geboren. Dir gehört das Geschenk Gottes.“


„Das Geschenk -“ wiederholte Teske gedehnt.
„Natürlich“, erwiderte der Pfarrer frisch, „natürlich ist es ein Geschenk. Oder finden Sie etwa, wir hätten es verdient, daß Gott sich um uns kümmert? Daß er uns geradezu nachläuft, sooft die Glocken läuten?“
Teske wischte unzufrieden mit der flachen Hand über die Scheibe. Das Fenster war beschlagen, die Sicht ohnedies schlecht unter dem schweren bleigrauen Himmel. Man täte gut, noch beim letzten Tagesdämmern zurückzukehren. Er wollte noch etwas vom Abend haben. Der Pastor hatte es ja auch eilig - der Christvesper wegen.
Eine plötzliche Regung des Mitgefühls wallte in ihm auf. Wenn seine Lehrjungen schwänzten, dann gab es Machtmittel. Aber wenn die Kirchenbänke leer blieben?
„Sie haben es eigentlich schwer, Herr Pastor, Sie arbeiten Ihre Predigten aus, und dann müssen Sie abwarten, ob überhaupt Leute kommen, um sie zu hören.“
„Es ist schon richtig. Wir können nur anbieten und warten, ob jemand zulangt. Das ist bei Geschenken nicht anders. Annehmen läßt sich nicht erzwingen, sonst hört es auf, ein Geschenk zu sein.“
„Sie reden immer wieder vom Schenken. Gerade vor einer halben Stunde habe ich gesagt: Keiner hat etwas zu verschenken.“
„O doch“, entgegnete der Pastor leise und senkte nachdenklich den Kopf.

Nun fing Teske doch an, von seiner vielen Arbeit zu reden, die ihn förmlich auffresse, alltags wie sonntags. Er fände einfach keine Zeit, sich in die Kirche zu setzen wie andere Leute. Und wenn mal ein bißchen Zeit sei, dann wolle man schließlich mal raus - andere Eindrücke haben. Dann setze er sich mit seiner Frau ins Auto und fahre ein Stück in die Welt hinein.
„Verständlich, lieber Nachbar. Aber ließe es sich nicht doch einrichten, daß Sie bei Ihren Ausflügen dann und wann einen Gottesdienst erwischten?“ warf der Pfarrer ein. „Das gibt nicht nur andere Eindrücke, sondern auch andere Gedanken.“
Teske murmelte etwas, was er selbst nicht verstand. Der Pfarrer lachte leise: „Sehen Sie, Herr Nachbar: Von Ihrer knappen Freizeit haben Sie diese Stunde für die Fahrt gespendet, um der kranken Frau einen Gefallen zu erweisen.“
„Um es ehrlich zu sagen: um Ihnen gefällig zu sein, Herr Pastor“, warf Teske ein.
„Schön! Um anderen Leuten einen Gefallen zu tun, opfern Sie etwas von Ihrer Zeit. Ob Sie sich nicht einmal selbst einen Gefallen tun sollten und dafür eine Stunde drangeben?“
Teske hielt den Blick fest auf die Fahrbahn gerichtet und antwortete nicht. Die nassen Schneeflocken taumelten ihnen entgegen. Leise surrte der Scheibenwischer.

Um die Mundwinkel des Pfarrers zuckte es humorvoll. „Jetzt denken Sie sicherlich: Das hat man davon, wenn man sich mit solchen Leuten einläßt. Hätte er sich man aufs Fahrrad gesetzt, der 'Preester' - und ich wäre in meiner Sofaecke geblieben.“
Ein glucksendes Lachen antwortete. Es galt vor allem der Amtsbezeichnung, die hinter dem Rücken des Geistlichen von den älteren Leuten des Dorfes noch gern gebraucht wurde.
„Nichts für ungut, Nachbar“, der Pfarrer klopfte ihm leicht auf die Schulter, „ich rede nur so, weil es mir leid tut, wenn jemand sich das Beste entgehen läßt. Sie dürfen mir nicht böse sein.“
Schattenhaft flog dem Meister die Erinnerung an den hartnäckigen Besucher mit dem Fotoalbum durch den Sinn. „I bewahre, Herr Pastor. Weshalb sollte ich böse sein? Jeder preist seine Ware an.“
„Natürlich! Nur mit dem Unterschied, daß derjenige, der seine Ware anpreist, damit verdienen will. Aber wer mir meine Ware abnimmt, sichert nicht mir den Verdienst, sondern sich selbst.“
Hätte ich das im Examen gesagt, wäre ich durchgefallen, dachte der Pfarrer, das Evangelium als Ware - gar nicht auszudenken! Aber das Gewinnen - darauf kommt es an.


Unangenehm berührt verzog Teske das Gesicht und suchte abzulenken: „Wissen Sie, Herr Pastor, diese ganze Schenkerei zu Weihnachten ist doch eigentlich ein blühender Unfug. Ich mache da nicht mit.“
„Daran tun Sie recht.“
Teske war so verdutzt, daß er entgegen allen Regeln der Fahrkunst auf seinen Nachbarn zur Rechten starrte, bis der Wagen sich bedenklich den Chausseebäumen näherte. Schnell richtete er den Blick geradeaus, schüttelte aber nachdenklich den Kopf.
„Ich erwartete nicht, daß Sie mir zustimmen würden. Sonst regen sich alle über meine Ansicht auf. Nur meine Frau ist damit einverstanden.“
„Ihre Frau? Das wundert mich. Schenkt sie Ihnen auch nichts?“
„Bewahre! Das heißt - versucht hat sie es. Aber ich habe es mir verbeten.“
„Macht Ihre Frau dann wenigstens anderen Geschenke?“
„Na ja, den Kindern natürlich - das ist noch ein Überrest aus der Zeit, wo sie klein waren. Das läßt sich meine Frau nicht abgewöhnen. Dagegen habe ich auch nichts.“
„Das freut mich“, sagte der Pfarrer mit Bestimmtheit, „bei Ihrer Frau fände ich es nämlich grundfalsch, wenn sie das Schenken unterließe.“

Aus unerforschlichen Gründen tippte Teske auf den Knopf, der das Hupen auslöste. Die Straße war leer von Menschen und Hühnern. Nur eine Krähe hüpfte mißmutig und träge über die Ackerschollen.
„Das ist mir unbegreiflich, Herr Pastor, nehmen Sie es mir nicht übel. Einmal sind Sie gegen das Schenken zu Weihnachten und einmal dafür. Warum machen Sie da Unterschiede?“
Der Pfarrer lächelte in sich hinein. Man merkte es an seiner Stimme. „Tja! Ich denke so: Schenken dürfen ist ein Vorrecht. Dieses Vorrecht hat nur derjenige, der in dem Geschehen von Weihnachten das große Geschenk Gottes sieht: Mir ist der Heiland geboren - wer das weiß, der kann seine Freude nur dadurch ausdrücken, daß er auch anderen Freude bereitet. Bedeutet ihm aber der Heiland nichts, dann soll er die Hände vom Bescheren lassen. Das ist bei ihm dann nichts anderes als Gedankenlosigkeit oder Mitmachen oder Krampf. Es könnte einem angst und bange werden, wenn man bedenkt, wie viele Menschen ihrer Meinung nach Weihnachten feiern und doch gar nicht wissen, was Weihnachten eigentlich ist.“
„Stimmt, stimmt, Herr Pastor. Ich habe heute ein Weihnachtsbild gesehen, ein Foto, so ein farbiges. Mit spinatgrünem Baum und knalligen Lichtern dran. Eine angeheiterte Gesellschaft drunter - nein, wissen Sie, dann doch lieber gar nicht!“
„Darin sind wir wieder ganz einer Meinung.“
Die Fahrt ging jetzt durch niedrigen Mischwald. Der Himmel wurde dunkler. „Das gibt noch mehr Schnee.“

Waldflecken war eine kleine Siedlung, die im Sommer einen freundlichen Eindruck machte. Jetzt standen die vereinzelten Häuser wie verloren zwischen dem kahlen Strauchwerk. Teske klopfte sich eine Zigarette auf dem Handrücken zurecht und sah dem Pfarrer nach, der eben mit der Aktentasche unter dem Arm hinter der Haustür verschwand. Rund und prall sah sie aus, diese Aktentasche. Sie mußte nicht nur den Talar beherbergen, sondern auch die Abendmahlsgeräte. Dazu gehörte ein Leinentuch, ein Kreuz zum Aufstellen und Kerzen. Auch eine Feier am Krankenbett solle in würdiger Weise vor sich gehen, so hatte der Pfarrer gemeint und mit einem Aufblitzen der Augen bedeutungsvoll hinzugefügt: „Einen würdigen Rahmen sind wir Gottes Geschenken schuldig.“'


Behaglich streckte Teske die Beine aus, lehnte sich zurück und träumte ein Weilchen vor sich hin. Plötzlich entdeckte er zwischen den beiden Sitzen ein Buch, das halb in der Polsterung verschwand. Du meine Güte, der Pastor hatte sein Gesangbuch vergessen, das in der Ledertasche keinen Platz mehr gefunden hatte. Die Zigarette wurde eilig ausgedrückt. Der Autoschlag klappte. In wenigen Sekunden stand der Meister in der Küche des Siedlungshauses und horchte an der Tür, die in die Stube führte. Nein, da konnte er nicht mehr stören - die Feier hatte schon begonnen. Man hörte den Pfarrer laut und deutlich sprechen: „Unser Herr Jesus Christus spricht: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“

Unschlüssig betrachtete Teske das Gesangbuch. Er konnte es hier doch nicht einfach auf den Tisch legen! Also nahm er es eben wieder mit ins Auto. Leise drückte er die Türklinke nieder, prallte aber zurück. Ein wildes Schneegestöber hatte eingesetzt. Der Sturm warf die Flocken fast waagerecht auf die Hausfront zu und ihm entgegen, als habe ihm ein mutwilliger Junge eine Handvoll losen Schnee ins Gesicht geschleudert. Schnell schloß er die Haustür von innen. Weshalb sollte er jetzt in das Unwetter hinaus? Das hatte in wenigen Minuten ausgetobt. Hier in der wohlig durchwärmten Küche ließ es sich angenehm warten. Die roten Fliesen waren sauber gescheuert. Auf dem Herd summte der heiße Wasserkessel.

Er war allein. Nur die Worte, die nebenan gesprochen wurden, drangen zu ihm - feierlich, eindringlich, volltönend. Die kranke Frau war ja schwerhörig. Der Pastor mußte laut reden. Es ging alles ganz natürlich zu. Und doch kam sich der Meister vor wie verzaubert. Als Junge hatte er leidenschaftlich gern Indianergeschichten gelesen. Da stand mitunter, wie jemand von einem Lasso umschlungen wurde, so kunstvoll und unerwartet, daß er sich nicht mehr bewegen konnte. Fügten die Worte sich nicht aneinander wie zu einem Strick, der ihn festband?

„Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot...“ Wie lange hatte er das nicht mehr gehört! Zuletzt wahrscheinlich, als er und seine Frau den konfirmierten Jungen zum ersten Abendmahl begleiteten. „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib.“ Jesus schenkt sich - so ungefähr mußte der Pastor vorhin im Auto erklärt haben. Das war nicht einfach hergeredet. Jesus hatte es selbst gesagt, und er hatte es auch getan. Sich selbst schenken - ein größeres Geschenk gab es nicht.

„...dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden -.“ Da war es wieder, das Geschenk des eigenen Lebens. Das ließ sich nicht mehr ungeschehen machen. „Für euch!“ Das ließ sich nicht auslöschen, auch wenn es einem unbequem war. Auch dann nicht, wenn man ein solches Opfer, eine solche Gabe, die bis ins Tiefste und Letzte reichte, gar nicht wollte.
War ein solches Geschenk nicht weit mehr eine Last, die man einfach nicht los wurde? Wenn man das ein einziges Mal annahm, nicht als Zugeständnis an eine Sitte, sondern weil man bewußt zu denen gehörte, denen diese Gabe zugedacht war, dann mußte das eine Bindung schaffen, die sich nicht mehr abstreifen ließ.
Nimm hin und iß - nimm hin und trink -. Vielleicht wollte man sich nur deshalb nichts schenken lassen, weil man sich gegen die Bindung wehrte?

Er hätte das, was ihm durch den Sinn flog, während draußen der Sturm sauste und drin der Wasserkessel summte, nicht in klare Sätze fassen können. Aber er fühlte es - weit deutlicher, als er es dachte. - Verwirrt fuhr er zusammen, als der Pfarrer zu ihm trat. „Sie wollten mir das Gesangbuch bringen - wie nett von Ihnen. Aber das Wichtigste weiß ich auswendig. Ich nehme es eigentlich nur aus Gewohnheit mit.“


Auf der Rückfahrt gab Meister Teske nur einsilbige Antworten. Dem Pfarrer war die schweigsame Fahrt recht. Aber innerlich schüttelte er doch den Kopf. Ein merkwürdiger Mensch, dieser alte Stellmacher. Auf dem Hinweg so redselig, und jetzt tat er, als habe es ihm gänzlich die Sprache verschlagen. Er mußte wohl auf den Weg achten. Der kurze Dezembernachmittag ertrank in einem häßlichen Zwielicht. Von dem Schnee war nur Nässe übriggeblieben.

Über die Dächer des Dorfes wehten Glockenschläge, volltönend, eindringlich wie feierliche Worte. Lauschend hob der Pfarrer den Kopf. „Hören Sie, Meister Teske? Wir kommen gerade zum Vorläuten zurecht. Wenn Sie nicht ausgeholfen hätten - ich bin Ihnen wirklich von Herzen dankbar.“

Als das Auto in die Straße einbog, in der das Pfarrhaus stand, äugte Teske scharf nach der gegenüberliegenden Häuserreihe. Sein Gesicht hellte sich auf. Tatsächlich, im Konsum war noch Licht. Da mußte noch etwas zu haben sein, eine Schachtel Konfekt oder eine Packung Honigkuchen - irgend etwas. Was, war ja im Grunde gleichgültig.

Abschiednehmend drückte der Pfarrer dem Stellmacher die Hand. „Na, Meister, jetzt geht es wohl auf dem schnellsten Wege nach Hause.“ „Gleich, Herr Pastor, ich habe bloß noch eine Kleinigkeit zu besorgen.“