St. Nikolaus und sein Esel

von Wilhelm Scharrelmann, aus: Nun leuchtet uns ein heller Schein. Evangelische Verlagsanstalt, 1961.


Zu der Zeit, als der gute St. Nikolaus noch alljährlich in den Tagen vor Weihnachten mit seinem Eselchen durch die Dörfer und Städte zog, war er einmal in einer dunklen Dezembernacht zu einem der verlassensten Dörfer im Teufelsmoor unterwegs. Wie er dabei über den Berg nach Worpswede und auf die gepflasterte Dorfstraße kommt, merkt er, wie das Tier, das ihn schon auf so mancher Fahrt begleitete, auf einem Fuß lahmt, und wie er nachschaut, was es damit für eine Bewandtnis hat, sieht er, daß sich eins der silbernen Hufeisen gelockert hat, die es trägt.

Wie er nun vor die Schmiede zieht, um den Schaden wiedergutmachen zu lassen, liegt der Schmied zu der späten Stunde schon längst im Schlaf, will auch wegen einer solchen Kleinigkeit, und einem unbekannten Kunden zuliebe, nicht wieder aus dem Bett, so daß der Alte unverrichteter Dinge weitermuß.

Besorgt um das Tier, das unter seinen Säcken lahm und müde hinter ihm hertrottet, achtet der Alte wenig auf den Weg, und kaum, daß er eine Viertelstunde weit ins Moor hinausgewandert ist, verirrt er sich dort in der rabenschwarzen Nacht so sehr, daß er zuletzt weder vorwärts noch rückwärts weiß.

Nun hat er wohl ein Laternchen bei sich gehabt, aber so hoch er es auch hebt, findet er sich doch in dem engen Lichtkreis nicht zurecht und kann hinterher noch von Glück sagen, daß er nicht unversehens in einen Moorgraben geraten ist, der so breit und finster vor ihm liegt, daß ihm nichts anderes übrigbleibt, als daran entlangzuwandern und zu sehen, wohin er kommt. Das wäre nun alles weiter nicht so schlimm gewesen, wenn nicht der Esel bei jedem Schritt in den weichen Moorgrund gesunken wäre und zuletzt fast nicht mehr weiterkam. Aber so einem Freudenbringer wie dem Alten muß auch das Abwegigste noch irgendwie zum Guten geraten, und er wundert sich darum gar nicht, als er bald darauf ein leeres Torfschiff auf dem Wasser hegen sieht. Zufrieden steigt er darin ein, zieht das erschöpfte Tier nach sich und beginnt in der Freude, seinem Weggenossen eine Ruhepause gewähren zu können, den Graben hinunterzufahren.

Nach einer traumstillen Fahrt, zuletzt über überschwemmtes Land hinweg, kommt er so an einen Moordamm und in ein Dorf, das so weltvergessen unter dem Schein der Sterne hegt, daß er meint, er habe es noch nie gesehen. In den Häusern ist freilich nirgends mehr Licht, und als er doch versucht, an den Türen Hilfe für sein Tier zu erbitten, meint man in den dumpfen Schlafbutzen, daß sich jemand einen Scherz machen will, dreht sich auf die Seite und schläft weiter. Ist jemand vielleicht schon mit einem Esel durchs Moor gezogen, und dazu bei dunkler Nacht?

Beim zweiten und dritten Haus geht es dem Alten um nichts besser; aber im letzten, der kleinsten Häuslerwohnung, ist noch Licht, und als er dort an die Tür klopft, steckt eine junge Frau den Kopf heraus. Die hat am Abend eine frischmilchende Kuh bekommen und muß nun während der Nacht noch wieder melken, wenn alles seine Richtigkeit kriegen soll.

Als ihr der Alte nun seine Not mit dem Esel klagt, meint sie, daß es ein reisender Händler ist, der da draußen steht, läßt ihn darum nach dem ersten Erschrecken über den späten Besuch auf die Diele, sucht auch einen Hammer und ein paar Hufnägel herbei, damit der Alte am Herd den Schaden notdürftig bessern kann, und hält ihm bei der ungewohnten Arbeit die Laterne.

Froh über die Hilfe, klopft der Alte denn auch den Beschlag wieder fest, kühlt dem Esel das geschwollene Gelenk, will aber nicht wieder gehen, ohne sich in seiner Weise dankbar gezeigt zu haben, und fragt sie, womit er ihr eine Freude machen könne, er habe so vielerlei in seinen Säcken, daß sie nur zu wünschen brauche.

Die junge Frau meint, daß es nur ein Scherz ist, was der Alte da redet, bietet ihm eine Tasse warme Milch an und fragt, er komme wohl weit her, ganz von Bremen vielleicht? Nein, ein Stück weiter noch, antwortet er und lächelt in in seinen Bart. Dann vielleicht gar von Hamburg? Nun, er kann ihr das nicht so genau sagen. Es ist ja auch nicht weiter wichtig, sie soll nur anfangen, sich etwas zu wünschen.

Ach, meint sie, nun will er mir etwas verkaufen, aber ich habe kein Geld und mag es ihm nicht einmal sagen. Dabei denkt sie an die Tasse auf dem Wandbort und die paar Groschen, die sie darin verwahrt. Der Alte aber, der ihre Gedanken errät, sagt ihr, daß sie sich keine Sorge machen soll, denn alles, was er bei sich führe, habe er nur mitgenommen, um es zu verschenken. Aber das glaubt sie nun erst recht nicht, nein, will ihn aber auch nicht kränken und steht nur und lächelt.

Da bleibt ihm denn nichts anderes, als einen seiner Säcke vor ihr aufzutun und sie hineinschauen zu lassen. Aber so weihnachtlich ihr über dem Anblick auch wird und soviel Glanz sich vor ihr auftut, daß ihr fast der Atem darüber vergeht – es ist alles doch nicht das, was sie sich im stillen wünscht. Denn wenn sie es verlauten lassen darf, wären ihr ein Kleidchen für ihr Kind und ein Paar Schuhe, wenn es im kommenden Jahr nun laufen lernen wird, noch heber als die schimmernde Herrlichkeit da vorihren Augen. Aber so große Dinge kann sie nicht erwarten, nein, und sie hat es nur so hingesagt, und er solle nur um Gottes willen nicht denken, daß sie so unbescheiden sei.

Aber der Alte lächelt nur und knüpft dafür nun den andern Sack auf – ein richtiger Segeltuchsack ist es gewesen, der jedes Wetter hat vertragen können – und nimmt heraus, was sie sich wünscht: ein Kleidchen, rot gewürfelt und mit einer silbernen Litze am Halsausschnitt, und ein Paar Erstlingsschuhe aus blankem Leder und mit goldenen Knöpfen, und legt ihr die Sachen hin, als müßte das so sein.

Ach, das träume ich ja bloß, sagt sie, und weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Gibt es auch jemand, der bei dunkler Nacht stundenlang durchs Moor läuft, nur um den Leuten unter ihren Strohdächern etwas zu Weihnachten zu schenken? Und nun gar so schöne Dinge? Aber ansehen muß sie die Sachen immer wieder und wieder und kann sich von dem Anblick so wenig trennen, daß sie sich erst abwendet, als der Kleine in der Wiege neben dem Herd zu weinen beginnt und sie ihn herausnehmen muß. Dann setzt sie sich auf den Binsenstuhl am Herd, und der Alte, der ihr zusieht, weiß nicht, ist es ein Glanz von innen her oder ist es nur der Widerschein des Herdfeuers, der aus ihrem Gesicht erstrahlt? Aber wie er so steht, kommt es wie ein Erinnern über ihn, ein Erinnern an eine der Kammern seiner ewigen Heimat, in denen die Ereignisse der Welt aufbewahrt werden, so, wie die Himmlischen sie sehen – und er kann nicht anders, er muß seinen Mantel, blau wie der nächtige Himmel über der Hütte, der jungen Frau über die Schultern legen und vor ihr das Knie beugen, die hier in Armut und Einsamkeit ihr Kind nährt.

Dann tappt er leise, den Esel hinter sich, ins Freie hinaus, und die junge Mutter, eingesponnen in lauter Traum, hört kaum, daß die Tür geht.

Draußen aber ist nun der Mond aufgegangen und legt einen breiten Streifen von Licht über das überschwemmte Moor, als ginge eine Straße geradewegs von der nachtdunklen Erde zu den Sternenwiesen des Himmels hinauf, auf der der Alte nun wieder auf gewohntem Weg zu steigen beginnt, seinen Esel, der immer noch ein wenig hinkt, am Zaum hinter sich führend.