Wie sich die Weisen wider Herodes erhoben

aus: Hans Baumann: Das Kind und die Tiere. Bertelsmann, 1956.


Als die Könige heimzu Herodes ein zweites Mal aufsuchen wollten, trat auch zu ihnen der Engel und sagte: "Kehrt heim, aber sucht einen anderen Weg! Der Mann, der euch auftrug: Kommt wieder! – der möchte seine Krone aufbehalten und will mit dem durstigen Schwert an die Krippe hintreten."

Der Mohr wurde dunkler, Blitze sprühten aus seinen Augen, er griff ans Gehänge, reckte sich auf, als stehe der andre schon da: "Soll nur kommen, der, ich werde im Weg sein. Mich hat noch keiner besiegt."
"Dein Gedächtnis ist kurz", sagte der Engel lächelnd. "Im Lehm vor der Krippe sind auch von dir zwei Mulden wie die einer Hand übriggeblieben, so wichtig waren deine Knie dort. Traf der Blick des Kindes nicht deinen Scheitel? Mag sein, dein krummer, scharfgeschliffener Säbel schlüge dem andern die Hand ab – das Blut wischt dir keiner mehr von der Klinge. Auch das gutmeinend vergossene sickert in dich, und künftig wäre Herodes in deinen Adern."

"So muß man reden mit ihm", sagte Melchior. "Er wird mich nicht überhören. Ich biete ihm meines Landes Schätze und trag' ihm ein Bündnis an. Im Purpur der Liebe mag er Einzug halten in jegliches Land."
"Ginge in Purpur die Liebe", sagte der Engel, "nähmen sie viele auf sich. Doch hat mich im Stall, eh' ihr dort wart, wenig an Königsprunk erinnert. Wo war ein Thron? Hie und da nur glänzte ein Strohbündel auf. Aber die Arme des Kindes sah ich gebreitet, so, als seien sie schon ausgespannt am Holz, unter dem er zum Hügel gehn wird, und dreimal niederbrechen, ehe sie ihn dran erhöhen. Wählt einen anderen Weg!"

Da versuchte es Kaspar auf eine Weise, die den Geflügel­ten erregte.
"Seit wann lügen Könige?" fragte der Engel. "List ist nichts anderes. Fast täte not, in dein Herz ein Fenster zu brechen. Was kommt, muß geschehen, daß die Erde ein Stern bleibt. Nahm er nicht die Myrrhe und übersah in den goldenen Gefäßen den Weihrauch?" Zür­nend hob sich der Engel und rückte den Stern weiter, auf daß sie die Wanderung endlich begännen.

Aber wie eben solche sind, die so offenbar auserkoren sich sehen – die werden immer leicht ungeduldig, von sich aus was beizusteuern und ein Verdienst zu erwerben, den Glanz einer Krone. Balthasar rief: "Unser Glaube wird Herodes einschüchtern." Melchior drauf: "Die Liebe entreißt ihn den Dornen seiner Begierden." Kaspar beharrte: "Und wenn ihn unser Eifer nicht zwingt und auch nicht die Pranke unseres Mutes, so setzen wir List gegen List."

Da sah der Engel, daß für die drei noch ein weiter Weg nötig sei. Er trug dem Höchsten sein Anliegen vor, und Gott versetzte die Könige in die Wüste, die vor Ägypten liegt: den einen als Löwen, als Adler den zweiten, den dritten als Skorpion. Auf Herodes sollten sie warten und ihre Waffen an ihm erproben, wenn er den Flüchtenden nicht einmal Atem vergönnte.

Im Palast des Judenkönigs aber geschah es, daß der Haupt­mann bleich vor Herodes trat und gestand:
"Wir taten nach deinem Befehl. Nicht ein Knäblein lebt mehr. Vom Wehklagen der Mütter ist der Himmel gesprungen. Und deine Knechte, unbegreiflich Gekrönter, sind zu Felsen geworden; vor den Toren der Stadt liegt nun ein Gebirge."
Sobald der Hauptmann seinen Bericht geendet, ward er zu Stein.

Herodes starrte ihn an, danach das Rote, das vom Säbel getropft war.

Da hob sich sein Schatten, der nie schlief, und sagte kaum hörbar: "Von jenem, der dir den Thron streitig macht, ist nicht ein Tropfen dabei. Nicht nur die Mohren haben dich hintergangen, auch der Zimmermann ist schon lange auf dem Wege. Aber auf einem Esel kommt man nicht weit."

Herodes schlüpfte in seinen Panzer, nahm dem Steingewor­denen vor ihm das Schwert ab und bestieg das Pferd, das sein Schatten ihm hielt. Schon den andern Morgen war er am Saum der ägyptischen Wüste. Deutlich waren im Sande die Spuren vom Eselshuf und von den bloßen Füßen des Zimmermanns.

Da war plötzlich dem Herodes ein Löwe im Weg und hob seine Pranke. Sie kämpften lange und erbittert. Der Löwe zerriß das Pferd. Aber ihn, den Verfolger, schützte der Panzer. Als das schimmernde Fell mit Blut überdeckt war, suchte der Löwe in der Wüste sein Heil.

"Weiter!" drängte der Schatten. "So lange darf der zweite dich nicht aufhalten, du trägst den Panzer nun selbst."
"Welcher zweite?" fragte Herodes.
Da stürzte aus der Sonne der Adler und brach mit dem ersten Zugriff den Säbel, ein Hieb warf die Krone vom Helm. Aber die Fänge drangen nicht durch den Panzer. Herodes würgte den Adler. Mit letzten Flügelschlägen ret­tete er sich ins Blau. Auch Herodes wankte, doch hielt ihn der Schatten.
Er riet ihm: "Laß deine Augen vorausgehen! Bei der Rast leg den Panzer nicht ab."
Da verkroch sich, als der Gepanzerte nah kam, der Skor­pion im Sand. Und Herodes zertrat ihm versehentlich den Stachel.

In der Nacht darauf entrückte der Engel auf des Höchsten Befehl die Weisen zum andernmal. Sie sahen Herodes, er war dem Kinde schon näher.

Da wurde der Esel unruhig. In der Nacht, um die Mutter nicht zu erschrecken, hielt er Zwiesprache mit Joseph. Doch dieser schob alles weit von sich ab und sagte andauernd: "Der Engel hat uns auf den Weg gebracht."
Verlegen nickte der Esel und schwieg, bis der Zimmermann schlief, legte sein großes Ohr an die Erde, scharrte ein wenig und siehe, da kam eine Wüstenmaus aus dem Boden. Ihr vertraute der Esel seine Besorgnis. Die Wüstenmaus sagte: "Ihr müßt weiter zum Meer, dort ist der Gepanzerte ratlos. Ihn trägt die Wüste, aber das Wasser nicht mehr."
"Wer bringt uns hinüber?" fragte der Esel.
"Gibt es nicht Fische genug?" versetzte die Maus, die, wenn sie stand, kaum höher war als der Huf. "Und du glaubst, es wäre einer, der nicht bei des Kindes erstem Wink seinen Rücken aus der Flut höbe?"

Da schwieg der Esel beschämt und stieß mit dem schweren Kopf an des Zimmermanns Schulter. Sie folgten der Maus, die den kürzesten Weg zum Meer innehatte wie eine ausgeworfene Taube den Heimflug.

Mit der Sonne kamen sie an das Wasser. Kaum trauten sie ihren Augen: eine Brücke glänzte – die umgebogenen Flossen am Rücken der Fische. Wie auf dem Trocknen trug der Esel die Frau und das Kind übers Meer. Joseph ging mit offenem Mund wie ein Fisch. Aber Herodes erblaßte, als vor seinen Blicken unterging, was die andern trug. Er wußte nicht weiter und wandte sich schon zurück in die Wüste. Sein Schatten hob sich, ein schwarzes Segel, und trieb ihn, bis er am Strand ein verlassenes Boot fand. So kam er, wenn er auch Stunden verlor, an das andere Ufer.

Anfangs flohen Maria und Joseph durch Gärten. Nirgends war Wald, den grünen Mantel um sie zu schlagen. Näher kam der Verfolger. Der Esel vernahm schon den stampfenden Schritt und das Schnau­ben des Wüters. Aber auf einmal – sie waren schon weiter im Norden – wurden die Felder in ihrem Rücken zu Bergen: also hat sie die Not des Kindes erbarmt.
Die Könige sahen es, und sie erschraken, als Herodes auch vorm Gebirge nicht hielt.
"Wartet nur", sagte der Engel, "bald wird ihm ein anderes Einhalt gebieten und stärker sein als der Schatten, der ihn Herr über alles Gewaltsame sein läßt."

Und dann erschauten die Könige, wie es geschah. Schon war Herodes so nah, daß die Mutter sich wandte und der Zimmermann Ausschau hielt nach dem Engel – da erhoben sich mit eifrigen Flügeln Wintervögel aus den frierenden Bäumen, schwangen sich auf bis an das Gewölk, klopften an mit zugefrorenen Schnäbeln und ließen nicht ab, bis aus dem Dunklen das Weiße niederkam.
Bald war die Spur mit hundert Schleiern bedeckt. Auf der Erde wuchs ins Unüberschaubare eine Mauer, die kein Gepanzerter zwingt. Mit steigendem Unmut schob den Verfolger der Schatten, aber das schwerelos Sinkende deckte ihn zu.
"Und das Kind?" fragte Melchior zitternd den Engel. Der aber sprach: "Ihm haben sich viele Türen aufgetan, auch für den Esel ein Stall.
Kehrt nun heim. Doch vorher kühlt euren Eifer! Nehmt eine Handvoll aus dem lockeren Weiß, das im Atem, Flocke um Flocke, zergeht."