Um Gottes willen

Holger Niederhausen: Um Gottes willen. Roman. Books on Demand, 2015. Paperback, 232 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-7386-4896-6.


Erschienen am 28. September 2015.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen < [noch keine]

Inhalt


Die 16-jährige Juliane führt ein tief religiöses Leben. Als sie eine weitreichende Entscheidung trifft, ist sie dem Spott und der Verfolgung ihrer Umgebung ausgesetzt, die sie bereitwillig erduldet.

Dann lernt sie einen Jungen kennen, aber ihr Glück ist nur von kurzer Dauer und wird von neuem Leid abgelöst. Doch wieviel kann eine reine Seele ertragen?



Leseprobe 1


Sie kniete in der Kirchenbank und hatte die Hände gefaltet. Ihr Kopf lag auf den betenden Händen, und angestrengt versuchte sie, innig an Gott zu denken.
Auch als schließlich ihre Knie zu schmerzen begannen, hielt sie weiter aus. Immer weiter...
Als es nicht mehr ging, blickte sie noch einmal lange auf das Kreuz auf dem Altar, dann setzte sie sich ... und blickte von neuem innig das Kreuz an.
Sehnsucht war es, was sie fühlte. Sehnsucht und Hingabe...
Nach einer sehr langen Zeit stand sie auf, hielt die Hände noch immer andächtig gefaltet und ging langsam in Richtung Ausgang.
Vorsichtig schloss sie die Kirchentür. Dann ging sie tief erfüllt und froh wieder den üblichen Kilometer auf der um diese Tageszeit kaum befahrenen Straße, bis sie bei dem Ferienhäuschen ankam. Leise ging sie auf ihr Zimmer und legte sich noch einmal still in ihr Bett.

Wie so oft in den Jahren zuvor, war sie noch einmal eingeschlafen und erwachte, als auch ihre Eltern aufstanden. Sie deckte den Frühstückstisch, kochte Kaffee und freute sich, mit ihren Eltern auf der Terrasse sitzen zu können. Zwei schöne Ferienwochen lagen vor ihnen...
Beim Frühstück fragte ihr Vater:
„Na, Juliane, bist du heute tatsächlich wieder um sechs aufgestanden und in die Kirche gegangen?“
„Ja, zwanzig nach sechs...“
„Aber du hättest doch wenigstens heute einmal ausschlafen können. Es sind doch wirklich nicht einmal zwölf Stunden vergangen, seit du gestern Abend da warst!“
Das stimmte. Sie war, als sie gestern Abend angekommen waren, als erstes ebenfalls zur Kirche gegangen.
„Das war gestern“, sagte sie sanft.
„Ja, ich weiß“, erwiderte ihr Vater. „Du willst hier jeden Tag in die Kirche gehen. Und das schon, seit du zwölf bist. Ich wundere mich nur, wie du das durchhältst. Damals hast du immerhin noch den einen oder anderen Tag ausgelassen, weil du zum Beispiel verschlafen hattest. Ich hätte nie gedacht, dass das länger als ein, zwei Jahre anhält. Aber nun bist du sechzehn – wo soll das nur hinführen? Zum Glück machst du das nur hier im Urlaub...“
Auch das stimmte – die Kirche hier in den Bergen war etwas Besonderes, und außerdem war sie immer offen, ganz im Gegensatz zu den Kirchen in ihrer Heimatstadt. Aber die Worte ihres Vaters hatten ihr wehgetan. Sie verstand nicht, was so schlimm daran war, an Gott zu glauben, und wie man in dieser Weise darüber sprechen konnte. Immer wieder hoffte sie, dass das Gespräch nicht diesen Verlauf nahm, und wie so oft schwieg sie hierzu...
Ihrem Vater war dieses Schweigen immer sehr unangenehm, spürte er dadurch doch stets sehr genau, was er angerichtet hatte. Diesmal entschloss er sich jedoch zur Flucht nach vorn, im Grunde wider besseres Wissen, und beharrte:

„Nein, Juliane, wirklich – was ist denn eigentlich der Sinn des Ganzen?“
Traurig und verletzt sah sie ihren Vater an.
„Der Sinn des Ganzen ist, dass ... Gott mir einfach wichtig ist.“
Mit den ausgesprochenen Worten war sie unmittelbar tief unzufrieden, sie hörten sich überhaupt nicht mehr so an, wie sie es innerlich fühlte. Gesprochen klang es so armselig...
„Was heißt ‚wichtig’? Was machst du in der Kirche eigentlich überhaupt?“
„Gerd, lass sie doch!“, warf nun ihre Mutter ein.
Dankbar schwieg sie und barg sich im Schatten der mütterlichen Worte...
Doch ihr Vater entfloh dem drohenden Unrecht, indem er weiter auf seinen Fragen beharrte.
„Es kann doch nicht so schwer sein, darauf zu antworten! Wenn es ihr so wichtig ist, kann sie doch sicher auch dazu stehen. Außerdem meine ich es doch überhaupt nicht böse. Ich will nur wissen, was sie da in der Kirche eigentlich wirklich macht!“
Noch immer barg sie sich im Schutz der Mutter und schaute ihren Vater an. Dieser schaute sie an, und sie sah, dass er wartete. Da sagte sie schließlich:
„Ich bete.“
„Und was betest du?“
„Ich versuche zu beten.“
„Ja, aber was denn?“
Unglücklich mit dem ganzen Verlauf, der ihre intimsten Erlebnisse an eine Oberfläche zerrte, auf der sie sowieso nicht verstanden werden würde, sagte sie wahrheitsgemäß:
„Ich denke einfach an Gott...“
„Das ist doch kein Beten“, erwiderte ihr Vater. „Und warum brauchst du dazu eine Kirche?“
Diese Fragen hatte sie sich selbst oft genug mehr oder weniger deutlich gestellt. Doch obwohl sie darauf keine endgültige Antwort hatte, war eine Kirche sehr wohl etwas Besonderes, und war ihr morgendlicher Gang zur Kirche eine Art Opfer, das sie sehr gern bringen wollte.
„Man betet doch in einer Kirche. Warum soll ich nicht hingehen dürfen?“
„Du darfst ja. Ich verstehe nur nicht, wozu man Kirchen überhaupt braucht. Entweder man glaubt überall an Gott oder nirgends.“
„Ja“, erwiderte sie, „aber du glaubst ja sowieso nirgends an Gott. Manches verstehst du einfach nicht...“

In diesen Worten lag ihr ganzer Schmerz, und doch tat er dies nur in einer ungeheuren Sanftheit, sie wollte ihren Vater keineswegs verletzen.
Ihr Vater jedoch musste weiter darauf beharren, dass alles Unverständnis seinerseits seine volle Berechtigung hatte, und erwiderte:
„Richtig – und ich finde, es ist auch nicht zu verstehen, wenn man jeden Tag früh aufsteht, kilometerweit zu einer Kirche geht, um dort an Gott zu denken, wenn man das auch bequem da tun könnte, wo man gerade ist.“
„Vielleicht will man es einfach nicht bequem tun“, erwiderte sie, während der Schmerz in ihrem Herzen wie ein sanfter Strom dahinfloss.
„Meinetwegen nicht bequem“, gestand der Vater ein, „aber wozu eine Kirche?“
„Weil eine Kirche etwas Heiliges ist.“
„Sie ist auch nur von Menschen gebaut.“
„Gerd“, mischte sich von neuem die Mutter ein, „was soll das jetzt eigentlich?“
Sie wollte nicht, dass sich nun auch noch ihre Eltern zu streiten begannen, und erwiderte ihrem Vater:
„Für etwas Heiliges. Damit man darin betet...“
„Ja – damit die Kirche Macht über ihre Schäfchen hat!“, entgegnete ihr Vater.
„Gerd!“, erwiderte seine Frau scharf. „Nun mach aber mal einen Punkt! Über Juliane hat keine Kirche Macht – sie betet ganz für sich allein, und das weißt du sehr gut!“
„Mag sein“, reagierte ihr Vater unmittelbar, „aber wer weiß, wo das noch hinführt! Wer weiß, welcher Kirche oder –“, er unterbrach sich, „wem auch immer sie sich noch anschließen wird. Religion ist ein Gebiet mit tausend Irrwegen – und das weißt auch du sehr gut!“
Todunglücklich über den Streit verteidigte sie sich:
„Ohne Religion gibt es nur Irrwege!“
Auch diese Worte klangen gesprochen unmittelbar anders, als sie sie innerlich empfunden und gemeint hatte – und ihr Vater ließ es sich nicht nehmen, sie als neuerliche Kampfansage zu erwidern...

...

Leseprobe 2


„Na, kleine Nonne – wohin des Weges?“, zischte dicht neben ihr Frank und verstellte ihr den Weg. Sie blickte in ein böses, hämisch grinsendes Gesicht.
Obwohl neben ihr noch andere Schüler die Treppe hinuntergingen, war sie von dem Schrecken der plötzlichen Begegnung überwältigt und fühlte unmittelbar eine große Angst.
„Lass mich in Ruhe!“, sagte sie mit heftigem Herzklopfen. „Ich bin mit Brendan verabredet. Wenn du mir etwas tust, wird er dich sofort verprügeln!“
Sie hatte die Antwort ohne jede Überlegung ausgesprochen. Und ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Frank funkelte sie noch einen fast unerträglich langen Moment an, dann ließ er sie, fast ohne seine Position zu verändern, haarscharf an sich vorbeigehen.
Unmittelbar darauf stieß er ihr boshaft und sarkastisch die Worte hinterher:
„Dann bin ich mal gespannt, wie lange eine Nonne unter seinem Schutz stehen wird...“

Gedemütigt und mit bebenden Nerven rannte sie die Treppe ganz herunter und blickte wie ein gehetztes Reh über den Schulhof. Brendan war nicht da! Hoffentlich kam er gleich! Wo war er? Sie schaute sich um. Frank war noch nicht hinter ihr. Sie rannte zum Schultor. Hier am Ausgang fühlte sie sich irgendwie sicherer. Da sah sie Frank aus dem Gebäude kommen. Voller Angst blickte sie sich um. Würde ihr irgendjemand helfen, wenn etwas passierte? In kleinen Gruppen strömten andere Schüler an ihr vorbei. Auf dem Gehweg kamen auch andere Passanten. Hier konnte Frank ihr nichts tun, wahrscheinlich...
In größter Erleichterung sah sie nun auch Brendan aus dem Gebäude kommen. Sie heftete ihre Blicke auf ihn und behielt zwischendurch Frank im Auge, der nun auf sie zukam und sehen musste, dass sie Brendan bereits erblickt hatte... Als er an ihr vorbeiging, zischte er: „Tief gesunken, Nonne! Jetzt brauchst du schon Hilfe. Mal sehen, wie lange sie dir erhalten bleibt...“

Ihr Herz schlug noch immer bis zum Halse, als Brendan bei ihr ankam und Frank schon fast außer Sicht war.
Lächelnd fragte Brendan:
„Was ist? Du siehst so nervös aus...“
„Frank hat mich wieder bedroht“, brachte sie hervor.
„Was hat er gesagt?“
„Ich weiß nicht mehr... Er stand im Treppenhaus plötzlich vor mir und wollte mich nicht durchlassen.“
Flehend sah sie Brendan an und sagte:
„Es ist so furchtbar Brendan – ich kann nicht mehr...“
Am liebsten hätte sie sich an ihn gedrückt – oder zumindest um seine Hand gebeten. Aber sie wagte weder das eine noch das andere...
Er schien ihren Zustand ein wenig zu begreifen.
„Ist ja gut...“, sagte er besänftigend. „Dir passiert nichts...“

...