Was war der Mensch?

Holger Niederhausen: Was war der Mensch? Books on Demand, 2015. Paperback, 192 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-7386-4900-0.


Erschienen am 28. September 2015.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen <

Inhalt


Das wahre Wesen des Menschen war ein Mysterium, und die Welt war voller Wunder.

Doch der Weg in das Mysterium und in das Reich der Wunder erforderte wahre Sehnsucht und Entschlossenheit. Denn man würde einen Weg betreten, dessen Erfahrungen in der Realität dem gleichkamen, was die Märchen nur in Bildern schilderten. Der aber, der ihn ging, würde Unendliches finden...



Leseprobe 1


Was war der Mensch?
Wann war man Mensch? Wenn man vor einem Bildschirm saß und seine tägliche Arbeit tat? Wenn man müde von der Arbeit nach Hause fuhr, in überfüllten Bussen saß oder zu Fuß den Weg nach Hause überbrückte? Wenn man einmal frei von jeder Pflicht durch eine Sommerwiese ging? Wenn man einmal nichts tat, als sich hinzulegen und den ziehenden Wolken zuzuschauen? Oder wenn man der Liebe seines Lebens begegnete?
Was war der Mensch?

Tat man dies überhaupt? Ging man einmal frei von jeder Pflicht durch eine Sommerwiese? Oder war man noch nie im Leben wirklich durch blühende Blumen gegangen? Oder war man schon jahrelang nicht mehr frei von jeder Pflicht – oder von Gedanken daran? Wie sehr war man überhaupt eingeengt – in Pflichten, in Gedanken, in Gefühlsarmut, die einem den Atem nahm, ohne dass man es ... merkte?
Wer hatte diese Momente, dass er einmal alles abschüttelte und im Spätsommer durch ein reifendes Getreidefeld ging, den sanften Wind spürte, seine Hände ausstreckte und das sanfte Streicheln der Ähren unter den Handflächen spürte? Dass er dabei in tiefstem Glück und in absoluter Freiheit seine Lungen mit Luft füllte, um sie in tiefster Dankbarkeit wieder auszuatmen?
Kannte man überhaupt solche Momente tiefsten Glücks? Momente in denen einen nichts belastete, weil man alles loslassen konnte – alles, außer das, was man gerade erlebte? Den Duft des Getreides, das Gefühl des Windes, das Streicheln der Ähren...
Konnte man das überhaupt erleben? Oder würde man durch das Getreide gehen, die Grannen fühlen, ein wenig aufatmen, aber doch ... nichts fühlen? Oder fast nichts... Was musste geschehen, damit man Glück empfinden konnte? Was musste, was konnte man tun, um glücklich zu sein – zumindest für einen Moment?

War es nicht so, dass man auch sich selbst ein bisschen loslassen musste? Also nicht nur die Pflichten, die Sorgen, die ewigen Gedanken, sondern auch das Übrige? Was war dieses Übrige? Was war es, das machte, dass man nur die Grannen fühlte, aber nicht das Glück – nicht das große, tiefe, wunderbare Glück, das einen von selbst unendlich tief einatmen und wieder ausatmen ließ?
Es gab doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Welt war gar nicht so schön, dass man glücklich sein konnte... Was war schon ein reifendes Getreidefeld... Das war die eine Möglichkeit. Oder aber man selbst war es, der sich im Wege stand, der einfach verlernt hatte, wie es war, sich glücklich zu fühlen; wie man das machte. Was man tun konnte, damit dieses Gefühl in einen einströmen, in einem aufsteigen, sich in einem ausbreiten konnte...
Wer aber ehrlich zu sich selbst war, musste doch empfinden, dass es irgendwie nur die zweite Möglichkeit geben konnte? Man stand sich selbst im Weg. Man tat fortwährend etwas, was verhinderte, dass man, selbst in einem reifenden Getreidefeld an einem friedlichen, goldenen Sommertag, glücklich war. Oder man tat fortwährend etwas nicht, wodurch man das Glück unmittelbar würde empfinden können. Aber was war es?

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Leseprobe 2


Der Weg, nach dessen Ziel die eigene Sehnsucht ging, war einer, der sich im Inneren vollziehen würde. Aber er war äußeren Wegen vergleichbar, die einen über abenteuerliche Abgründe führten, durch tiefe Schluchten, durch Wüsten, durch Sümpfe, über wogende Meere... Es war ein Weg, für den wiederum ungezählte Märchen Urbilder gaben. Der Weg, ein anderer Mensch zu werden, war kein einfacher und kein schneller – es war ein Lebensweg, es war bei jedem Schritt ein existentielles Geschehen.
Dieser Weg war nicht immer gefährlich, aber er war oft unwegsam, Hindernisse taten sich auf, die immer mit einem selbst zu tun hatten, die einen umherirren ließen, auch zurückwarfen. Man würde vor einem Kampf gegen sich selbst stehen... Und man würde nach und nach erleben, dass hinter diesem Kampf noch andere Wesenheiten standen oder vielleicht stehen mochten, die einen von dem, was man immer stärker wollte, immer stärker abzubringen versuchten...
Aber der erste Schritt war doch, sich über seine eigene Sehnsucht, sein eigenes Vorhaben und sein eigenes Streben innerste Rechenschaft abzulegen. Man würde diese abenteuerliche, alle Kräfte in Anspruch nehmende innere Reise nur bestehen können, wenn man sich von Anfang an über seine eigene Sehnsucht zutiefst klar war. Man würde einfach nach kurzer Zeit steckenbleiben und nicht mehr den notwendigen Willen entfalten, wenn der Wille schon am Anfang eigentlich nicht wirklich ein realer gewesen war.
Der erste Schritt war also, die Sehnsucht nach dem, was man erreichen wollte, so stark zu machen, dass man es tatsächlich mit seinem ganzen Wesen erreichen wollte. Man musste lernen, wirklich zu wollen.
Und schon hier lernte man die verschiedenen Anteile des eigenen Wesens sehr genau kennen. Man entdeckte eigentlich erst jetzt, wie wenig oder wie schwach man nur ‚wollen’ konnte. Man entdeckte, was eigentlich der Wille war – und man entdeckte, dass man ihn zunächst gar nicht hatte ... fast nicht hatte. Es war zwar schön, sich vorzustellen, was man erreichen wollte; es war schön, sich bereits das Erreichthaben vorzustellen, die Wirklichkeit des Zieles – aber es war sehr schwer, auch nur den ersten Schritt dorthin wirklich zu tun, der einen von seinem gegenwärtigen So-Sein entfernen sollte und würde...

Wenn aber der Entschluss, sein Wesen zu verwandeln, wirklich da war, wenn man den realen Willen fühlte, dies zu tun; wenn eine Begeisterung dafür erwacht war, Anstrengungen zu erbringen, Opfer zu bringen, wie bei einem harten Training oder sogar Kampf in der äußeren Welt, dann konnte man mit Entschlossenheit und Zuversicht den Weg betreten. Der wirkliche Entschluss war der erste Schritt, mit dem man den Weg der inneren Entwicklung betrat...
Man sollte die Bedeutung dieses Momentes nicht übersehen. Es lag in diesem ersten Schritt bereits eine bedeutsamste Kraft. Man konnte natürlich mit Schritten und Übungen beginnen, ohne einen rechten Entschluss gefasst zu haben; einfach aus der noch unbestimmten Sehnsucht heraus und um es einmal auszuprobieren. Möglich war dies auch. Doch entweder würde man nach kurzer Zeit nicht mehr weitermachen, oder es würde dann jener erste Entschluss notwendig.
In jedem Fall brauchte es diesen einen, entscheidenden Moment eines möglichst klaren, bewussten, kräftigen Entschlusses. In diesem einen Moment lag die volle Freiheit. Und je mehr dieser Moment den ganzen Charakter eines feierlichen, ja heiligen Entschlusses, gewissermaßen eines Gelöbnisses bekam, desto mehr lag in diesem einen Moment eine reale Kraft, die gar nicht überschätzt werden konnte.
Auch dies war dann ein Moment, in dem höhere Wesenheiten, die aber nun diese Entwicklung hüteten und unterstützten, wirksam werden konnten. Man brauchte davon am Anfang noch nicht das Geringste zu merken oder zu wissen – man würde es mit der Zeit immer mehr ahnen und empfinden können.
In jedem Fall war der wirkliche Entschluss eines Menschen eine allerstärkste Kraft. Wenn es ein wirklicher Entschluss war, so lag darin die Willenskraft des eigenen Wesens – und diese würde sich durch alle Hindernisse hindurch aufrechterhalten können, würde an keinem Hindernis haltmachen, würde immer weiter streben. Das war das Mysterium eines wirklichen Entschlusses, solange er wirksam war und nicht wieder aufgegeben wurde...

Ein nächster Schritt konnte dann in verschiedenen Gestalten gemacht werden. Im Grunde war die Herausforderung immer, dass der Schritt zum wirklichen guten Willen und zur wirklichen Unschuld des Herzens nur ein einziger war – dass es aber dennoch fast unmöglich scheinen konnte oder war, ihn als diesen einen Schritt zu tun, und dass man viele Schritte brauchte, um den einen Schritt tun zu können, der dann im Grunde die gewachsene Frucht dieser vielen Schritte war.

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