Hoffnungslos

Holger Niederhausen: Hoffnungslos. Books on Demand, 2015. Paperback, 220 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-7392-0739-1.


Erschienen am 11. November 2015.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen < [noch keine]

Inhalt


Als Sebastian Schäfer im Kino am Durchlass einer jungen Frau begegnet, verliebt er sich in einem einzigen Augenblick in sie.

Er versucht, sie wiederzusehen und sie kennenzulernen, doch sie wehrt dies ab, und immer verzweifelter steht er vor der Situation, dass er sie unendlich liebt, diese Liebe aber zur Hoffnungslosigkeit verurteilt scheint. Dennoch ändert diese Liebe sein ganzes Leben...

Leseprobe 1


Sie trennten sich. Er tat so, als ob er auch langsam vor zur Hauptstraße ging, tat dies auch, bis Hoppe außer Sicht war – und kehrte dann um. Er wollte das Mädchen noch einmal sehen. Er wollte ... er würde sie am liebsten ansprechen. Aber wie? Verdammt noch mal, wie sprach man ein Mädchen an, das vielleicht neunzehn Jahre alt war, vielleicht auch erst siebzehn – während man selbst fünfunddreißig war, doppelt so alt, ein hoffnungslos alter Knacker in ihren Augen...
Er betrat das Kino erneut. Es waren nicht mehr viele Leute im Foyer. Die Zehn-Uhr-Vorstellungen hatten längst begonnen. Er sah sie hinten am Durchlass noch immer stehen. Jetzt könnte er sie ansprechen. Im Moment war sie ganz allein. Nicht einmal weiteres Personal stand da. Ob der Junge von vorhin ihr Freund war? Wahrscheinlich auch nur ein Kollege. Aber sicher hatte sie doch einen Freund. Mit neunzehn? Oder siebzehn? Ach, sie stand da ... und er wagte es nicht.
Jetzt schaute sie in seine Richtung. Von hier aus konnte er nicht einmal ihr Gesicht sehen, nicht einmal ihre Augen... Beschämt drehte er sich um – und ging. Er war verzweifelt. Und dennoch tat es so gut, ihre Augen zumindest im Rücken zu fühlen...

Draußen empfing ihn die kühle Abendluft. Seine Verzweiflung stieg. Er wollte noch einmal hineingehen, aber er konnte keine Entscheidung treffen. Er wusste nicht, wie er es tun sollte. Er hatte keine ,Methode’. Hoppe hätte hundert Methoden gehabt – aber keine von ihnen hätte er anwenden wollen. Er wollte diesem Mädchen begegnen, aber er hatte keine einzige Methode und keine einzige Hoffnung. Minutenlang stand er vor dem Kino und litt. Dann gab er auf. Er konnte nichts tun. Er konnte ihr nicht einmal unter die Augen treten. Einen einzigen Blick von ihr hätte er so gerne empfangen – aber selbst das vermochte er nicht.

Er ging zu Fuß nach Hause. Es war ein Weg von fast einer Dreiviertelstunde, aber das war ihm jetzt egal.
Es war ein Weg, der mit der Verzweiflung des Mädchens aus dem Film große Ähnlichkeit hatte. Auch er war in gewisser Weise empfindungslos, denn das Leid löschte alle anderen Empfindungen aus. Aber das Leid war sehr groß – der Kummer, die Sehnsucht, das Leid...
Dieses Mädchen... Es war wirklich das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Ihr blondes Haar. Ihr Gesicht, ihr schönes Gesicht. Ihr Mund – ein so schöner Mund! So sinnlich – und doch so unschuldig wie das ganze Gesicht. Es war ein unendliches Leid, sich von diesem Mädchen zu entfernen. Immer weiter! Alles in einem wehrte sich eigentlich. Es war, wie wenn man in die Einsamkeit ging – eine Einsamkeit, die man ja längst kannte, aber die Einsamkeit, in die man jetzt ging, kannte man noch nicht. Es war eine neue Einsamkeit – eine Welt ohne dieses Mädchen...

Als er etwa zwanzig Minuten gegangen war, hielt er es nicht mehr aus. Er kehrte abermals um...
Er beschleunigte seinen Schritt. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nur, dass er sie wiedersehen wollte. Die fortgeschrittene Stunde, die Einsamkeit des nächtlichen Gehweges gab ihm neuen Mut, zumindest in der Vorstellung, vielleicht auch real – er musste es einfach auf sich zukommen lassen. Aber er wollte nicht weglaufen, er wollte zu ihr hin. Alles in ihm zog ihn zu ihr hin...
Je näher er dem Kino kam, desto mehr stieg wieder die Angst in ihm auf. Was könnte er sagen? Gab es überhaupt irgendetwas, was er sagen konnte? Außer ‚ich würde dich gerne kennenlernen’, ‚ich würde so gerne mit dir sprechen...’ Es war die Wahrheit – aber was nützte die Wahrheit? Er hatte nichts anderes als sie – doch damit würde er unbedingt scheitern. Aber lieber scheitern, als es nicht zu versuchen; als nicht ein einziges Mal ihren Blick zu erleben, zu spüren...

Als er in die Straße einbog, an der wenige Meter weiter das Kino lag, erreichte seine Furcht ihren Höhepunkt. Wenig später erreichte er die Eingangsfront und sah schon durch die Glasscheiben, dass das Foyer nun wirklich verlassen war. Die Abendvorstellungen liefen, weitere Spätvorstellungen würde es nicht mehr geben. Unsicher betrat er das Foyer. Zwei Mitarbeiter räumten hinter dem Tresen auf. Am Durchlass stand niemand mehr. Kein Mädchen mehr...

Der Mann und die Frau hinter dem Tresen hatten ihn gesehen. Noch zögernd ging er auf sie zu. Wenn er jetzt keinen Mut hatte, wann sollte er ihn dann haben?
Als er am Tresen angekommen war und vor allem die Frau ihn ansah, während der Mann weiterarbeitete, fragte er mit großer Selbstüberwindung:
„Entschuldigung...“
„Ja?“
„Hier arbeitete heute Abend da vorn am Durchlass ein Mädchen... Können Sie mir sagen, wie sie heißt...?“
Er fühlte sich von der Frau einen Moment lang gemustert.
Dann sagte sie:
„Nein, tut mir leid.“
Die Antwort war wie ein Stich...
„Heißt das“, fragte er fast furchtsam, „Sie wissen es nicht ... oder Sie können es nicht sagen?“
„Ich weiß es nicht. Wir haben so viele studentische Helfer, ich kenne sie nicht.“
„Niemanden?“
„Niemanden von heute Abend.“
„Wen könnte ich fragen...“
„Klaus, kennst du die Mädchen von heute Abend?“
Allein bei dem Wort ,Mädchen’ schlug sein Herz schneller...
„Nee. Wen meint er denn?“
„Ein blondes Mädchen – mit einem schönen Gesicht...“, sagte er schnell.
„Keine Ahnung. Dürfen wir ja eigentlich sowieso nicht rausgeben, so was.“
Er schämte sich fast für seine Frage. Man kam sich fast wie ein Verbrecher vor...
„Hören Sie, bitte sagen Sie mir, wen ich fragen könnte. Es ist wichtig...“
„Ja, natürlich ist es wichtig“, sagte der Mann. „Aber es wird Ihnen jeder dasselbe sagen. Sonst könnte ja jeder kommen.“
Er war verzweifelt.
„Nichts gegen Sie“, sagte der Mann. „Aber so ist es eben.“
Nun konnte er nichts mehr tun. Aber doch ... eine Möglichkeit gab es noch.
„Ich will doch nur wissen, wann sie wieder hier arbeitet – damit ich sie selbst fragen kann.“
„Die Einteilung macht Frau Hasse – aber bei der werden Sie kein Glück haben.“
„Und wie erreiche ich sie?“
„Die Nummer müsste auf der Webseite stehen. Im Impressum, unter ,Management’ oder so.“
„Und erreicht man sie auch irgendwie persönlich? Ich meine direkt?“
„Das ist die direkte Nummer.“
„Nein, persönlich – so wie jetzt hier.“
„Nee. Keine Chance.“
Er seufzte.
„Gut, danke...“
„Alles klar.“
Geschlagen verließ er das verlassene Kino...

Nun nahm er doch den Bus nach Hause. Es war nach elf Uhr, als er zuhause war. Nun konnte er das Mädchen nicht mehr vergessen. Er konnte überhaupt keinen anderen Gedanken mehr denken. In jedem Gedanken kam sie vor. Nur sie...
Er konnte sich nicht erinnern, jemals so verliebt gewesen zu sein. Was war das? War er verliebt? Natürlich war er es. Er konnte sich auch nicht erinnern, jemals ein Mädchen gesehen zu haben, das so schön war. Dabei hatte er es noch nicht einmal richtig gesehen – nur flüchtig. Aber selbst das hatte schon gereicht... Er war unendlich verliebt.
Sein Herz spielte verrückt. Er bedauerte es zutiefst, nur diese wenigen Sekunden gehabt zu haben. Sekunden in Begleitung seines Kollegen, und nicht einen einzigen Blick von ihr selbst... Er bedauerte es, dass er nicht die Zeit angehalten hatte, irgendetwas getan hatte, um ihr begegnen zu können, ihr ein wenig länger in die Augen sehen zu können, sie irgendetwas fragen zu können. Warum hatte er sie nichts gefragt? Warum war er nicht einfach stehengeblieben und hatte sie etwas gefragt?
Aber er wusste, dass das eine Illusion war – niemals hätte er dazu den Mut gehabt.

Und doch schien es ihm so, und je länger er darüber nachdachte, desto mehr, dass er hier an etwas vorbeigegangen war, bei dem es nicht einfach nur um Mut ging, sondern geradezu um eine Lebensnotwendigkeit. Er war an etwas vorbeigegangen, ohne dass er gar nicht mehr leben konnte. An dem Mädchen, dass er unbedingt kennenlernen musste. Er wusste, dass er überhaupt nicht mehr glücklich werden konnte, wenn er sie nicht wiedersah...

...

Leseprobe 2


„Und wo ist die junge Frau, die Sie kennenlernen wollen?“
Er schämte sich, darüber zu sprechen. Dann tat er es aber doch.
„Im Kino...“
„Im Kino!?“
„Bitte nicht so laut...“, bat er verzweifelt.
„Oh, tut mir leid.“
Die junge Frau hatte unmittelbar Verständnis.
„Und wie ... ich meine...“, fragte sie vorsichtig.
Er seufzte.
„Ich war am Wochenende im Kino, und da stand sie am Durchlass. Ich habe sie nur ganz kurz gesehen. Beim Hineingehen und beim Hinausgehen... Aber seitdem konnte ich sie nicht mehr vergessen...“
Dass er sie heute doch vorübergehend vergessen hatte, erwähnte er nicht...
„Also Sie haben sich wirklich verliebt...“, sagte die junge Frau nachdenklich.
„Ja...“
„Aber wahrscheinlich werden Sie doch gar keine Chance haben“, sagte sie nun.
Ihre Antwort gab ihm einen Stich ins Herz – auch wenn es stimmen mochte.
„Es tut weh, dass Sie mir das so ins Gesicht sagen...“
„Ich wollte Ihnen nicht weh tun“, sagte sie entschuldigend. „Aber wird es nicht so sein?“
„Doch ... vielleicht...“
Er schaute auf seinen fast leeren Teller.
„Wahrscheinlich sogar... Und außerdem ... wenn dieses Mädchen keinen Freund hat, dann würde ich die Welt tatsächlich nicht mehr verstehen. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Aber daran will ich auch gar nicht denken. Ich wollte noch nie jemanden so sehr kennenlernen. Ich muss sie kennenlernen...“

„Entschlossenheit ist wahrscheinlich immer gut“, lächelte sie.
„Ja, aber wenn es nun alles nichts hilft...“
„Sie wollen ja vielleicht nicht gleich ihr neuer Freund werden...“
Wieder gab ihm die Antwort einen Stich. Aber was sollte er antworten? Er wäre ja wirklich verrückt, wenn er dies ernsthaft hoffen würde...
„Was soll ich dazu sagen...“, erwiderte er traurig.
„Ja, ich kann mir vorstellen, dass Sie das wollen. Aber realistisch genug wäre doch, überhaupt ihre Freundschaft zu gewinnen. Ich meine, selbst das erscheint mir nicht unmittelbar realistisch, aber doch zumindest denkbar...“
„Sie können einem ja wirklich Mut machen!“, sagte er mit trauriger Ironie.
Die junge Frau sah ihn verständnisvoll an.
„Ich will Ihnen Ihre Hoffnung ja gar nicht nehmen. Ich will Ihnen nur auch nicht falsche Hoffnungen machen. Das würde Ihnen doch bestimmt gar nicht helfen...“
„Nein, Sie haben Recht. Aber haben Sie denn nicht vielleicht doch noch auch irgendeinen Rat? Sie sind doch auch eine junge Frau...“
Voller Sehnsucht hoffte er, dass sie ihm irgendetwas sagen könnte, was ihm helfen könnte.
Sie überlegte und aß nachdenklich von den noch übrigen Resten auf ihrem Teller.
„Hmm...“
Nach einer Weile sagte sie:
„Wissen Sie, ich glaube, dass Wichtigste ist, zu merken, dass jemand einen wirklich gern hat. Ich meine, wirklich...“

Diese Antwort gab ihm tatsächlich eine winzige neue Zuversicht. Dennoch klammerte er sich nun ganz an diesen Strohhalm und sprach unmittelbar von seiner nächsten Verzweiflung.
„Aber was ist, wenn sie nun wirklich einen Freund hat?“
Die junge Frau sah ihn nachdenklich an.
Dann fragte sie:
„Wollen Sie denn wirklich eine solche Freundschaft ... na ja ... kaputtmachen?“
„Nein...“, erwiderte er entsetzt. „Aber ... ach, was soll ich denn tun? Ich ... habe mich noch nie so sehr nach jemandem gesehnt. Ich liebe sie einfach unendlich...“
„Aber Sie kennen sie doch noch gar nicht!“
„Ja“, seufzte er.
Was sollte er darauf überhaupt erwidern?
„Das ist beim Sich-Verlieben nun einmal so. Und doch weiß man sofort ... dass man ... dass man sie kennenlernen muss. Und ... ja ... auch, dass sie es ist. Dass sie die Richtige ist. Dass es nur sie sein kann...“
„Das heißt“, sagte die junge Frau langsam, „Sie wollen wirklich am liebsten ihr Freund sein...“
„Nicht am liebsten, sondern ohne ,am liebsten’...“
Sie nickte nachdenklich.
Ihr Schweigen machte ihn wieder ratlos.
„Sagen Sie nicht, dass es hoffnungslos ist...“, bat er.
„Nein“, sagte sie vorsichtig. „Hoffnungslos ist ja nichts... Aber...“
„Ja?“
„Aber ich wüsste auch nicht, was ich Ihnen weiter sagen könnte...“
„Ja...“, erwiderte er traurig.
„Außer die Entschlossenheit. Aber so, dass sie Ihnen immer sagen kann, wenn sie es nicht möchte...“
Schweigend nickte er traurig. Dies war nichts, was er nicht schon wusste. Dennoch tat es gut, es aus ihrem Mund noch einmal zu hören.

Sie sah ihn an und bat mit ihrem Blick um Verständnis – dafür, dass sie nicht mehr tun konnte.
Er verstand dies ja. Dennoch sehnte er sich noch nach irgendeinem weiteren Strohhalm, wenn es einen solchen gab. Vielleicht gab es ja noch etwas...
„Sie können also nichts mehr sagen?“, fragte er. „Ist zum Beispiel ... ist zum Beispiel das Aussehen eines Menschen für ein so junges Mädchen wichtig...?“
Er schenkte ihr nun wirklich sein ganzes Vertrauen – aber er spürte, dass sie es nicht enttäuschen würde.
Sie sah ihn lange an. Dann sagte sie:
„Das kommt vielleicht auf das Mädchen an... Und ... ganz unwichtig ist es natürlich nicht. Aber ... ich glaube, es ist wesentlich weniger wichtig als für die Männer...“
Beschämt schwieg er – und war zugleich zutiefst dankbar für diese Antwort.
Ist sie hübsch?“, fragte sie nun.
„Ja, sehr...“
Er spürte, wie er rot wurde.
„Warum ist das den Männern so unglaublich wichtig?“, fragte sie, fast wie zu sich selbst.
Er fragte es sich nun auch. Vielleicht musste er dazu erst noch das Buch lesen, das zu Hause auf ihn wartete...
Schließlich sagte er:
„Wissen Sie, es gibt Mädchen, die sind so schön, dass man für sie alles tun würde...“
„Alles tun?“, fragte die junge Frau verwundert.
„Ja.“
„Sie meinen – Sie wollen mit ihr nicht nur ... Sie wissen schon...“
„Nein!“, wehrte er bestürzt ab. „Ich ... will zwar ihr Freund werden, wirklich auch ihr Freund, aber selbst wenn sie ... nehmen wir einmal an, selbst wenn sie dann nie ... mit mir, na, Sie wissen auch schon... selbst dann wäre ich unendlich glücklich. Einfach nur, weil sie mich trotz allem ... liebt.“
„Aber wenn man sich liebt, dann will man das doch auch...“
„Ja, aber ich meinte nur, wenn... Ich wollte damit sagen, dass es mir nicht darauf ankommt, sondern auf ihre Freundschaft, ihre Liebe... Dafür würde ich alles tun...“
„Also sogar eine Liebe ohne das...?“
„Ja.“
„Dann lieben Sie sie wirklich...“
Er spürte fast, wie die Tränen in seine Augen treten wollten. Er war über diese Worte so glücklich – und wusste selbst kaum, warum...

...