Sonnenmädchen

Holger Niederhausen: Sonnenmädchen. Books on Demand, 2016. Paperback, 612 Seiten, 19,90 Euro. ISBN 978-3-8370-9487-9.

► Wichtiger Hinweis: Wer meinen würde, ich schriebe nur 'Mädchen-Bücher', der irrte essenziell - diese Mädchen sind Botinnen des immer verschütteteren Wesens der menschlichen Seele überhaupt.

Erschienen am 23. März 2016.              > Bestellen: BoD | Amazon | Bücher.de <              > Reaktionen und Rezensionen <

Inhalt


Als der 17-jährige Valentin in der Zeitung ein engelhaft schönes Mädchen sieht, das sich im Winter nur in einem weißen Kleid auf den Berliner Alexanderplatz stellt, um die Welt zu verändern, verliebt er sich auf den ersten Blick. Bei dem Versuch, ihr zu begegnen, gerät er in eine Entwicklung der Ereignisse, die er sich nicht einmal hätte träumen lassen. Denn dieses Mädchen will wirklich die Herzen aller Menschen erreichen, um sie zu befreien, und lässt sich durch nichts davon abbringen...

Ein Roman von der sanften Wucht eines Engelflügels... Mit ungeheurer Dichte und Intensität führt dieser Roman jugendliche und erwachsene Leser mitten hinein in das verlorene Geheimnis unserer Zeit. Wer dem Sonnenmädchen begegnet, wird nicht derselbe Mensch bleiben...

Siehe auch...


Die Kreuzigung der Hoffnung – und das feurige Herz des „Sonnenmädchens“. Von der Überwindung der Seelenlähmung unserer Zeit.

Vom Wiederfinden des Herzens oder: die Wucht eines Engelsflügels. 

Vom Offenbarwerden der Liebe. Das Sonnenmädchen und das Geheimnis der Auferstehung.

Warum nicht Aufklärung die Welt retten wird. Über einen tragischen Trugschluss linker Bewegungen.

Leseprobe 1


Am Montag galt die erste Pause wie gewöhnlich dem Austausch über das Wochenende. Seine eigenen Schachpartien interessierten Alex nicht, er dagegen hörte gern, was Alex so alles trieb. Seltsamerweise war es für ihn kein Problem, ihm stundenlang zuzuhören, welche Recherchen er zum Beispiel betrieben hatte, auch wenn er das nie selbst tun würde. Zumindest lernte er auf dem Umweg über Alex ständig etwas über die Welt – und das war ja nicht ganz sinnlos.
„Na, wie war dein Wochenende?“, fragte er, wie üblich.
„Syrien.“
„Syrien?“
„Ja.“
„Aha.“
Alex grinste.
„Geht’s auch etwas genauer?“
„Du weißt doch, wie es in Syrien aussieht. Ich hab mich einfach weiter in die ganzen Hintergründe vertieft. In die wirklichen Geschehnisse und in die Propaganda, auf allen Seiten.“
„Aha.“

Er wusste in Wirklichkeit nicht, wie es in Syrien aussah. Er wusste, dass es dort irgendeinen Krieg gab, aber mehr eigentlich nicht. Alex hatte es ihm vor ein paar Wochen einmal erklärt – aber er hatte nahezu alles wieder vergessen. Die Syrer kämpften gegeneinander, gegen ihren Präsidenten – wie hieß er noch gleich? –, und die IS hatte auch ihre Finger im Spiel. Und alle nahmen an den Kämpfen dort teil, auch deutsche Flieger. Mehr wusste er nicht. Warum, weshalb, wieso – es war ihm einfach zu kompliziert. Alex tauchte ständig ein in die ,Hintergründe’, ihm war das alles zu anstrengend... Alex konnte sie ihm erklären – und er konnte sie ein paar Tage später doch wieder vergessen und durcheinander gebracht haben.
„Aber weißt du, was gestern in den Morgennachrichten kam?“, fragte Alex nun.
„Nein, was?“
„Auf dem Alexanderplatz hat am Wochenende eine junge Frau für eine bessere Welt demonstriert.“
„Aha.“
„Einfach so.“
„Ja, und?“
„In einem weißen Kleid.“
„Ja – und?“
Nur in einem weißen Kleid.“
„Nur? Nichts anderes?“
„Ja – ein weißes Kleid ... und sogar barfuß.“
„Bei dieser Kälte?“
„Genau.“
„Und warum macht man so was?“
„Keine Ahnung. Am Samstagnachmittag wurde sie mit Unterkühlung ins Krankenhaus eingeliefert.“
„Ist doch verrückt.“
„Ich find’s extrem cool!“
„Und was hat das nun gebracht?“
„Ich weiß nicht. Es muss nicht immer etwas was bringen. Es war eine unglaublich coole Aktion – oder etwa nicht?“
„Weiß nicht.“
„Mensch, Valentin, sei doch nicht immer so gleichgültig!“
„Ich bin doch nicht gleichgültig – ich find’s nur nicht besonders vernünftig.“
„Sagte der, der schon zweieinhalb Jahre lang ,die Unerreichbare’ anhimmelt.“
„Was?“
„Vernünftig“, wiederholte Alex. „Wer ist nun vernünftiger? Du oder sie?“
Er überlegte kurz.
„Ich lass mich wenigstens nicht mit Unterkühlung ins Krankenhaus einliefern.“
„Das ist aber auch der einzige Unterschied. Dafür war ihre Aktion wesentlich sinnvoller.“
„Wieso?“
„Sie wollte etwas bewirken.“
„Ja, und? Ziemlich erfolglos würde ich sagen.“
„Nein, einfach extrem cool.“
„Ja, extrem cool. Viel zu kühl.“
„Valentin, du bist einfach unverbesserlich. Ich weiß jedenfalls, was ich heute Nachmittag recherchieren werde.“
„Die Frau“, sagte er ungläubig.
„Genau – ,die Frau’.“
„Na ja, wenn du meinst.“
„Ja, ich meine.“
Es klingelte – die Pause war zu Ende.

In der Geographiestunde, die folgte, wanderten seine Gedanken immer wieder zu ihrem Pausengespräch. Eine junge Frau im weißen Kleid, bei dieser Kälte. Barfuß ... unterkühlt ins Krankenhaus.
Ironischerweise behandelten sie gerade die Tropen. Aber dies ging an ihm vorbei wie ein Lied, das im Hintergrund spielte, während man Hausaufgaben machte. Er hörte die Stimme des Lehrers, aber nicht, was er sagte. Nicht, was die Schüler auf seine Fragen sagten. Er sah vor sich eine junge Frau in der Kälte, mit einem weißen Kleid. Er fragte sich, warum sie das machte. Aber die Vorstellung ließ ihn nicht los.
„Valentin?“
Verwirrt sah er auf, sah dem Lehrer in die Augen.
„Kannst du wiederholen, was Jasmin gerade gesagt hat?“
„Ich? Äh ... nein.“
Einige Schüler lachten.
„Das habe ich auch vermutet“, sagte Herr Martens. „Könntest du dich dazu bequemen, ab jetzt etwas mehr aufzupassen?“
„Ja, klar.“
Noch einmal lachten Einzelne.

Der Unterricht nahm seinen Fortgang. Er verfolgte angestrengt die Problematik der Regenwaldböden und der Unmöglichkeit eines nachhaltigen Landbaus nach Brandrodung, aber irgendwann ... war er wieder im Berliner Winter, und vor seinem inneren Auge stand eine junge Frau im weißen Kleid. Er wusste nicht einmal, ob sie Zettel verteilte, ob sie ein Schild hielt, ein Plakat, vielleicht ein bemaltes Laken oder so etwas...
Er wusste, als es klingelte, nicht einmal mehr, wann er angefangen hatte, sich vorzustellen, dass es Cordula war, die da stand, nur mit einem weißen Kleid...

Alex kam in der gesamten Pause nicht mehr auf das Thema zurück, belehrte ihn vielmehr mit weiteren Hintergründen zur Zerstörung der Regenwälder. Er versuchte, auch hier so gut wie möglich zu folgen, aber die ganzen Fakten gingen, so schlimm sie auch sein mochten, an ihm vorbei. Wer konnte sich das alles behalten – wer konnte sich für das alles interessieren? Er konnte es nicht.
Als die Pause sich ihrem Ende zuneigte, fragte er Alex vorsichtig:
„Also du recherchierst heute zu dieser ... Frau?“
Sein Freund sah ihn einen Moment irritiert an.
„Ja“, sagte er dann. „Wieso?“
„Sagst du mir morgen, wenn du noch was Interessantes rauskriegst?"
Noch einmal musterte Alex ihn.
„Ja, klar, kann ich machen – wieso?“
„Och“, sagte er betont gleichgültig, „nur so.“
„Wie jetzt? Interessiert es dich auf einmal doch?“
„Na ja – einfach so.“
Nochmals fühlte er sich von seinem Freund gemustert.
„Verstehe, wer will...“, kommentierte dieser dann.
Er schwieg.
„Oder“, hakte Alex nach, „findest du die Aktion jetzt etwa auf einmal auch cool?“
„Ich?“, erwiderte er, fast wie bei der Frage des Lehrers vorhin. Dann gab er zu: „Na ja, ein bisschen vielleicht...“

...

Leseprobe 2


„Es ist so wichtig...“, antwortete das Sonnenmädchen, „weil es so schön ist. Und es ist so schön, dass man es erleben muss; dass es wichtig ist, das zu erleben. Und du erlebst es doch auch! Aber wenn man gar nicht weiß, dass man es erlebt? Wenn man dann gleich sagt: ,Man weiß ja, dass es das Symbol für so-und-so ist’? Dann erlebt man es doch gar nicht wirklich! Man erlebt es zwar – aber man weiß es überhaupt nicht! Es ist fast wie mit dem Herzen. Man hat zwar die Sehnsucht nach einer ganz anderen Welt – aber man macht einfach weiter, wie immer... Das Schlimme ist, seine Gefühle nicht ernst zu nehmen, da und auch hier!
Weiß – das ist die schönste Farbe, die ich kenne! Das muss man nicht finden, das meine ich gar nicht. Aber ich habe nie verstanden, wie mir Menschen sagen konnten: Weiß ist gar keine Farbe. Natürlich ist Weiß eine Farbe! Und sie ist nicht nur eine Farbe, sie ist die schönste von allen. Gerade weil sie scheinbar keine Farbe ist. Es ist, wie wenn sie ganz darauf verzichtet, Farbe zu sein – aber sie kann es ja nicht ändern, sie bleibt trotzdem Farbe ... nur wird sie so zur schönsten von allen... Die anderen strengen sich alle an, schön zu sein. Sie strengt sich an, keine Farbe mehr zu sein – und wird so noch schöner als alle anderen... Ich weiß nicht, ob ihr das versteht...
Aber weiß wie Schnee... Warum fühlen wir denn den Schnee als ein solches Wunder? Wenn er alles bedeckt, nach und nach, so sanft, so weich, so vollkommen schön? Die ganze Welt wird wie ein Märchen... Alles Hässliche wird bedeckt, alles wird schön, so schön wie der Schnee. Ja, es ist die Reinheit. Und natürlich auch die Unschuld. Das ist doch dasselbe. Weiß ist eine heilige Farbe. Es ist die Farbe aller Farben. Es ist...“
Das Sonnenmädchen musste aufhören zu sprechen, weil es keine Worte mehr fand. Dann aber sagte es leise:
„Es ist Sehnsucht und Erfüllung zugleich. Wenn alles so wäre wie das Weiß – dann wäre alles ein Wunder... Weiß ist die Farbe des Wunders...“

Die Wärme ihrer Stimme erfüllte den Raum. Es war, wie wenn die Welt weiß geworden wäre, wie wenn das Wunder sie einhüllte. Er erinnerte sich an ein Gefühl, das er gehabt hatte, wenn er als kleines Kind die Schneeflocken vom Himmel schweben sah...
„Die Farbe des Wunders?“, fragte Sandra, und wieder hätte er sie durchschütteln können. „Und was sind dann diese weißen, kalten Wände in Krankenhäusern? In Büros? Versuchslaboren? Schlachthäusern?“
Es war ihm fast unerträglich – dieser Einbruch der hässlichen Welt in das Wunder...
Auch das Sonnenmädchen zuckte innerlich zusammen, wie verwundet. Sein ganzes Mitleid war bei ihr. Aber sie sah ihre Freundin an und erwiderte leise:
„Das weiß ich nicht... Die Menschen streichen alles weiß und denken, dann ist alles in Ordnung. Aber das Weiß muss ja hier sein“, sie legte eine Hand unter ihre Brust, auf ihr Herz, „wenn es draußen ist, in der Menschenwelt draußen, dann nützt es gar nichts... Weiße Kacheln, auf denen Tiere getötet werden, weil man...“, ihre Stimme wurde wacklig, „weil man sie wieder schön sauber wischen kann ... das ist Verrat an der heiligen Farbe... Man schändet die Tiere, und man schändet das Weiß... Man weiß gar nicht, was das Weiß ist! Würde man im Schnee die Tiere auch noch töten? Da, wo das Blut für immer sichtbar bleiben würde... Im Schnee? Weiß wie Schnee, rot wie Blut – rot wie das arme Blut der Tiere!“
Das Sonnenmädchen musste eine Pause machen.
„Nein, Sandra“, sagte sie dann gequält, „die Menschen wissen nicht, was das Weiß ist... Sie missbrauchen es – wie alles andere...“

...

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