Vom Wiederfinden des Fühlens

Holger Niederhausen: Vom Wiederfinden des Fühlens. Books on Demand, 2016. Paperback, 240 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-7412-2829-2.


Erschienen am 24. Juni 2016.              > Bestellen: BoD | Amazon <              > Reaktionen und Rezensionen < [noch keine]

Inhalt


Das Fühlen ist die Mittelpunktskraft der Seele, ihr geheimes Leben. Aber was geschieht, wenn es immer schwächer und oberflächlicher wird, wenn die Seele immer weniger fühlt? Sie verliert ihr Leben, sie stirbt... Das wahre Wesen der Seele geht zugrunde. Genüsse und Ablenkungen können dies nicht verhindern, nur beschleunigen. Kann sie gerettet werden? Kann sie ein neues Leben finden? Sie kann es. Dies setzt nur eines voraus: Eine wirkliche Sehnsucht...

Leseprobe 1


Als Kind sah ich das Märchen ,Die Schneekönigin’ als Zeichentrickfilm im Fernsehen – das Märchen von Gerda und Kay und von dem Splitter der Schneekönigin, der in Kays Herz gerät und es empfindungslos macht. Die plötzliche Wandlung von Kay zur Lieblosigkeit hatte mich damals sehr erschüttert. Ich fühlte mit Gerda mit, die diese Wandlung ebensowenig verstand – und ich war tief berührt von ihrer innigen Treue, mit der sie Kay, den sie so liebte wie ihren eigenen Bruder, durch alle Irrnisse und Wirrnisse hindurch suchen ging, nachdem er mit der Schneekönigin mitgegangen war.

Heute, fast vierzig Jahre später, ist mir sehr deutlich, dass wir als Menschheit durch ein ähnliches Geschehen gehen. In einem sehr, sehr langsamen Prozess ist die Menschheit dabei, ein ähnliches Schicksal durchzumachen wie der Junge Kay. Die Welt wird kälter – und die Herzen werden es.

Wenn man dies in den großen Entwicklungen nicht gleich erkennen kann oder will, so kennt man wohl in jedem Fall eine andere Entwicklung sehr genau: die des einzelnen Menschen. Findet nicht derselbe Prozess auch während eines Menschenlebens statt? Er findet statt. Und die meisten Menschen stehen erschüttert und hilflos davor, wenn sie bemerken, dass er stattgefunden hat – wenn sie bemerken, dass sie überhaupt nicht mehr so viel fühlen wie früher. Immer weniger...

Menschen werden alt – und das Fühlen wird auch alt. Wir wissen nicht, wie wir das Fühlen jung, lebendig halten können – und wie wir es in eine Reife, in eine Tiefe führen können. Das alles wissen wir nicht. Und so fühlen wir letztlich den Splitter im Herzen...

Die einzelnen Menschen und die ganze Menschheit – beide stehen vor einem Schicksal, das dem von Kay ähnlich ist. Es unterscheidet sich nur in seiner schleichenden Natur, in seiner bloßen Tendenzhaftigkeit. Und doch geht es um Kälte, um Armut, um Oberflächlichkeit des Fühlens – und um ein Spüren, dass dies geschieht. Etwas in uns kann dies spüren – und kann eine Sehnsucht nach dem wirklichen Leben des Fühlens haben. Aber was kann uns dieses verlorene Leben des Herzens retten? Gibt es auch für uns eine Gerda, eine liebende Schwesterseele, die uns erlösen kann?

Was ist der Eissplitter? Und wie kann er schmelzen? Wie finden wir das wirkliche Fühlen wieder?

Möge dieses Buch vielen Menschen eine Hilfe sein, die Antwort zu finden ... und zu empfinden.

Leseprobe 2

Bevor der Leib stirbt, wird er alt und krank.

Bevor die Seele stirbt, wird sie empfindungsarm und oberflächlich.

Was nützt ein langes Leben des Leibes, wenn Herz und Seele nicht mehr lebendig sind – oder ihr Leben immer mehr verlieren? Was nützt überhaupt ein Tag – und viele solche Tage –, wenn das Erleben oberflächlich bleibt und die Seele das tiefe Empfinden gar nicht mehr kennt?

Kann man sich noch an selige Gefühle erinnern, die man als Kind einmal hatte? An tiefe Erlebnisse, die die Seele gleichsam märchenhaft berührt haben? An Augenblicke tiefsten Glückes? An ein Glücklichsein inmitten von allem, was einen umgab – und das wie ein Strom des Glückes in einen einzuströmen schien?

An welchem Punkt ging dies verloren? An welchem Punkt wurde es weniger, und schwächer? In welchem Moment verlor unsere Seele die Tiefe?

Wann begann dies alles – und warum?

Und ... gibt es Wege, das wirkliche Erleben der Seele wiederzufinden – in der Tiefe, die es kannte, als wir das Glück noch kannten? Das unglaubliche, das tiefe, das reine Glück...?

                                                                                                                            *

Ein Kind sitzt auf einem sandigen Waldweg und spielt. Es braucht nicht mehr als seine Hände, den Sand, ein paar Zweige, Kiefernzapfen... Es fühlt, es atmet, es spürt die Wärme des Sandes, das zarte Rieseln, den Geruch des Sommers – und das eigene tiefe Glück... Es braucht nichts. Es braucht nur das, was es hat – und es hat alles. Und wenn es sich später an die Momente des größten Glückes erinnern soll, würde es, wenn seine Erinnerung bis dahin zurückreicht, an solche Augenblicke zurückdenken ... und zurückfühlen...

Ein älteres Kind hat ein Smartphone in der Hand und ,spielt’ Minecraft. Es baut aus lauter eckigen Elementen irgendwelche eckigen Behausungen. Je nach seinen Fingerbewegungen wechselt die Blickperspektive wie durch eine Kamera ruckartig – aber egal, wohin man ,blickt’, alles, wirklich alles, ist eckig, künstlich, virtuell. Dennoch ist das Kind gefesselt. Die Technik, der Bildschirm, die glatte Oberfläche, die Inhalte des Displays, die leichte Beeinflussung des Geschehens, das bequeme ,Handeln’, gleichsam wie von Zauberhand, das alles fasziniert – und das Kind denkt nicht an die Hausarbeiten, denkt auch nicht an andere Spiele oder anderes Spielzeug, nicht an irgendein Basteln mit echten Dingen. Es könnte, wenn es dürfte, stundenlang spielen – den ganzen Tag. Und es könnte sein, dass, wenn es dann aufhören müsste, sich sehr, sehr langweilen würde. Oder gereizt wäre, wütend darüber, dass es aufhören soll...

Ein Erwachsener sitzt auf dem Sofa vor dem Fernseher. Er sucht sich aus der Fülle der Sender das Programm aus, das ihm am meisten zusagt – und folgt dem Geschehen am Bildschirm, bis er müde wird. Dann geht er ins Bett...

                                                                                                                            *

Die Menschen, die keine Fragen an das Leben haben, werden in diesem Buch kaum etwas finden, was ihnen etwas sagen kann – und sie werden es nicht einmal zur Hand nehmen. Suchen und finden werden ein solches Buch nur Menschen die Fragen haben, weil etwas in ihrem Leben begonnen hat, ,hohl’ zu werden – hohl und oberflächlich. Und weil sie dies erleben.