02.09.2008

Gronbach – ein Gegner der Anthroposophie

Der folgende Aufsatz ist ein Nachtrag zu „Mission Irreführung“ und macht noch einmal deutlich, wo die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Sebastian Gronbach („Missionen“) und Rudolf Steiner liegen.


Gronbach ist ein Gegner der Anthroposophie. Um zu diesem Urteil zu kommen, muss man (a) sein Buch „Missionen“ lesen, (b) zumindest eine lebendige Ahnung vom Wesen der Anthroposophie und (c) ein gesundes Wahrheitsempfinden und daran anschließendes Urteilsvermögen haben.

Nachdem ich diese „Feststellung“ um der Klarheit willen vorausgeschickt habe, werde ich sie im Folgenden ausführlich entwickeln.

Von Authentizität und Scheinheiligkeit

Wo man Gronbach zunächst Recht geben muss, das ist seine Betonung von Authentisch-Sein. Er weist damit auf das reale Problem der Scheinheiligkeit unter sehr vielen Anthroposophen: Man stellt sich besser dar, als man ist. Man urteilt insgeheim über den anderen, ist aber natürlich sonst immer „nett zueinander“. Man lauscht andächtig erhabenen Vorträgen, hat aber nichts davon verinnerlicht oder vielleicht nicht mal verstanden – und so weiter. Das sind zweifellos unsägliche Zustände, die schon Rudolf Steiner immer wieder gegeißelt hat.

Aber: Mit dem „Authentischsein“ hat man zunächst nur erreicht, dass man sich nicht besser macht, als man ist. Eigentlich sollte das eine Selbstverständlichkeit gerade für „Anthroposophen“ sein. Dass man die heute vorherrschende Scheinheiligkeit mit der Anthroposophie identifiziert, ist eine wirkliche Tragik. Wenn Gronbach mit dieser Scheinheiligkeit aufräumt, ist das dringend notwendig. Damit aber hört das Verdienst seines Buches auch schon auf. Der Rest begräbt das wahre Wesen der Anthroposophie nur unter einer um so dickeren Zementschicht...

Mit seiner Authentizität ist Gronbach vielleicht in seiner eigenen Wirklichkeit (und der allgemeinen des 21. Jahrhunderts) angekommen, aber diese besteht eben zunächst aus dem armseligen, egoistischen, meinetwegen auch „zerrissenen“ Alltags-Ich. Hier müsste dann der eigentliche Weg beginnen. Aber Gronbach geht ihn erstens in eine falsche Richtung, zweitens nimmt er auf der ganzen Strecke sein egoistisches Ich unverändert mit, und drittens nimmt er sein völlig falsches Verständnis von Rudolf Steiner zu Hilfe und führt nicht nur sich, sondern auch den Leser in die Irre – bis er bei dem großen All-Eins-MENSCHEN anlangt, dem er vor dem Computer das erste Mal begegnet ist... Er zieht damit die Wirklichkeit der geistigen Welten auf ein Niveau herunter, das einem nur immer wieder die Sprache verschlagen kann.

Doch bleiben wir zunächst noch bei der Frage der Authentizität, ihrer Berechtigung und ihrer Grenzen.

„Anthroposophen“, die ehrfürchtig auf die „Lehren der Anthroposophie“ blicken, ohne sich selbst kraftvoll zu ergreifen, zu entwickeln und zu verwandeln, werden zu blutleeren Gattungsexemplaren – zu Vertretern einer Gattung, die stets nur die Karikatur und das Gegenteil eines wahren zur Anthroposophie strebenden Menschen darstellen kann. Es ist wahr, dass diese blutleere Gruppenseelenhaftigkeit in „anthroposophischen Kreisen“ eine außerordentlich verbreitete, ja oft sogar die Regel bildende, furchtbare Tatsache ist. Insofern hat Gronbach Recht, wenn er mit kräftigen Hammerschlägen auf die Authentizität pocht. Wer authentisch ist, findet zu sich selbst – auch wenn es (naturgemäß) zunächst nur das niedere Ich ist.

Rudolf Steiner selbst hat die passive Gefolgschaft auch stets angeprangert – er wollte keine konsumierenden „Theosophen“, die genießend die hehre Esoterik aufnehmen, sondern er wollte kraftvoll strebende Anthroposophen, die seine Worte und Schriften wirklich als das nehmen konnten, was sie waren: Unendlich vielfältige Anregungen, um das Geistige in der Welt wirklich mehr und mehr erkennen und erleben zu können, die Lebenspraxis zu befruchten, das Leben zu stärken, zu vertiefen, zu erhöhen.

Wahre Erkenntnis setzt Entwicklung ...

Also: Authentizität auf jeden Fall. Eigene Entwicklung auf jeden Fall. Authentizität an sich ist noch nicht viel wert. Wichtig ist ja der „innere Gehalt“ der Sache. Gronbach mit seinem Narzissmus kann einen an gewisse Selbsthilfegruppen erinnern: Dort wird auch die ganze Seele nach außen gekehrt, und hinterher kann man sich besser fühlen. Ich genieße Alkohol, Sex und anderes mehr, und ich gebe es auch noch zu – wunderbar! So in etwa kommt Gronbach einem vor. Traurig ist nur, dass er damit vielen Menschen sogar noch eine Lebenshilfe bedeutet – Menschen, die zwischen ihren unverwandelten Trieben und ihrem schlechten Gewissen hilflos wie ein Fähnchen im Wind hin und her schwanken.

Dass die Menschen heute so furchtbar viele „Alltagsprobleme“ haben, hängt damit zusammen, dass sie ihr höheres Ich nicht einmal im Ansatz spüren. Dann wird natürlich alles zum Dogma, bleibt alles äußerlich. Entweder man verinnerlicht „erfolgreich“ die Vorstellung vom „guten Anthroposophen“ und wird dann ebenjenes blutleere Gattungsexemplar, oder man leidet fortwährend unter Depressionen, dass man doch so schwach und unfähig ist (oder beides). Oder aber man ist zumindest mit einem starken Ego „gesegnet“, das man dann nach außen kehren und mit dem man seine „Authentizität“ feiern kann – wie es Gronbach tut. Er ist damit zwar in gewisser Weise einen Schritt weiter als jene anderen, aber trotzdem noch kaum im Vorhof der Anthroposophie angekommen.

Gronbach selbst kommt sich durch seine Authentizität bereits furchtbar anthroposophisch vor. Dabei ist das eine furchtbare Halbwahrheit. Wahr ist eben nur, dass Unwahrhaftigkeit und Scheinheiligkeit schon immer die Anthroposophie verdunkelt und unmöglich gemacht hat. Aber Gronbach mit seinem Ego-Trip macht sie eben genauso unmöglich, und das ist sein schwarzer Fleck, den er nicht erkennen kann. Der Weg zur Anthroposophie hat eben zwei Voraussetzungen: Wahrhaftigkeit und Selbstlosigkeit. Authentisch sein allein bringt eben noch überhaupt nichts. Man muss seinen Narzissmus verwandeln wollen. Nur darin darf der Egoismus wirken: Im Streben nach Vervollkommnung. Dann könnte aus einem solchen Narzissmus eine ungewöhnliche Ich-Stärke hervorgehen, aber bis dahin ist es noch ein sehr, sehr langer Weg. Und so lange wird Gronbach weiterhin die Anthroposophie jovial auf sein Niveau herunterziehen und sich über alles stellen („Ich bin ein Steiner-Fan“ usw.).

Ähnlich ist es auch mit dem Sprechen über Sex. Auch hier mischt Gronbach alles in einen Topf. Natürlich ist es schlecht, wenn man persönlich das Thema verdrängt und ein verklemmter Mensch wird, weil man meint, das gehöre sich als Anthroposoph so. Da ist wieder die Unwahrhaftigkeit – in diesem Fall sich selbst gegenüber, denn Verdrängung versklavt den Menschen, es kann immer nur um Verwandlung gehen. Gronbach schlägt nun wieder ins andere Extrem: Sex gehört dazu, womöglich reite ich auf den Wogen von Sex und Bier sogar direkt in die geistige Welt hinein... Tatsache aber ist, dass beides miteinander überhaupt nichts zu tun hat. Das eine sind die leiblichen Bedürfnisse, das andere ist der innere geistige Entwicklungsweg. Allenfalls kommt man dahin, durch diesen Entwicklungsweg die seelisch-geistigen Aspekte der Liebe tiefer zu erleben. Doch wie man sich als Einzelner zum Thema Sex und den damit zusammenhängenden leiblichen Bedürfnissen stellt, ist eine vollkommen private Frage. Anthroposophie und Sex schließen sich nicht aus, auch nicht ein – sie haben zunächst überhaupt keinen unmittelbaren Zusammenhang miteinander! Ich verstehe nicht, warum man sich dazu so oder so überhaupt äußert. Anthroposophie ist das, was Anthroposophen verbindet oder verbinden sollte – als gemeinsames Streben –, und Sex ist reine Privatsache, die jeder halten kann wie er will!

... und Selbstlosigkeit voraus

Also Wahrhaftigkeit und Selbstlosigkeit. Denn Erkenntnis ist nur durch Selbstlosigkeit möglich. Ich meine nicht Ich-losigkeit, sondern ich-starke Selbstlosigkeit! Von mir kann ich nur etwas erkennen, wenn ich mich selbstlos von außen anschaue, wie einen anderen Menschen. Solange irgendwo der eigene Narzissmus, das normale Alltags-Ich dabeibleibt, mag ich manches erkennen, aber es wird nie ganz wahr sein. Und für die Geistigkeit in der Welt gilt das ebenso streng.

Die Wahrheit ist völlig unabhängig von meinen Sympathien und Antipathien. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass schon die Vorstellung von Wesenheiten wie Michael oder Christus für Gronbach unsympathisch ist und dass er sich zu einem Begriff dieser Wesenheiten überhaupt nicht erheben kann. Das hängt natürlich miteinander zusammen: Wenn er bei den Vorstellungen stehen bleiben muss, werden diese natürlich zum Dogma – und ein solches muss er abwehren. Der Punkt ist nur, dass es in der Anthroposophie kein einziges Dogma gibt, sondern dass man sich zu all dem, was Steiner geschildert hat, erheben und es nach und nach selbst erkennend begreifen muss. Dagegen zu behaupten, gerade diese Wesenheiten seien ein nettes Bild, was Steiner aufgegriffen hat, um die „eigentliche Wirklichkeit“ (welche denn?) verständlich zu machen, bedeutet den Tod der Anthroposophie. Es ist, als ob man ein gigantisches Bauwerk sprengt, um eine Gartenlaube daraus zu machen. Gronbach leugnet in der Tat den unermesslichen Umfang der Geistwelt, um sie mit seinem Vorstellungsniveau „kompatibel“ zu machen – das wäre auch seine Sprache...

Ich glaube ihm sofort, dass er die von ihm beschriebenen Erlebnisse während seiner PC-Erleuchtung wirklich gehabt hat. Aber sein All-Eins-MENSCH bleibt eine ahrimanische Vorstellung. Das wird Gronbach allerdings auch weiterhin nicht erkennen. Vorbedingung dafür wäre, dass er aufhört zu meinen, er hätte mit seiner Vorstellung vom All-Eins-MENSCHEN auch nur irgendetwas von Rudolf Steiner begriffen oder ihn gar auf eine neue Stufe gehoben bzw. modernisiert oder entmüllt oder was auch immer – und dass er seinen Narzissmus nach und nach verwandelt und überwindet.

Es gibt sicher unzählige individuelle Wege in der geistigen Welt – Rudolf Steiner hat immer wieder betont, dass jeder andere Aspekte aus der unendlich vielfältigen Wirklichkeit kennenlernen wird. Aber was Gronbach macht, ist ja gerade, zu bestreiten, was Rudolf Steiner geschildert hat – er deutet ihn um und behauptet, es wäre in seinem Sinne! Er „schafft“ Michael und Christus kurzerhand „ab“ und behauptet, das wäre etwas, was in der geistigen Welt „nicht wirklich“ vorkommt! Gronbach ist also geradezu ein Gegner jener Vielfalt. Er ist überhaupt noch nicht auf dem Weg in die geistigen Welten, geschweige denn darinnen. So zahlreich und individuell die Wege in der geistigen Weg sind – so wenige Wege in die geistige Welt gibt es. Um die geistigen Welten potentiell so umfassend erkennen zu können, wie Rudolf Steiner sie geschildert hat, gibt es vielleicht überhaupt nur die beiden Wege, die er beschrieb. Für den westlichen Menschen gilt dies allemal.

Erleuchtungserlebnisse am Computer sind genau wie Drogenerlebnisse, wenn überhaupt, „unerlaubte“ „Einbrüche“ in die geistige Welt, die kurzzeitig ein Erleben nach sich ziehen, das man nicht klar durchschauen kann. Man weiß schlicht und einfach nicht, wie man das Erlebte beurteilen muss. Die eigene Interpretation muss daher falsch sein. Der einzige richtige Weg – richtig, weil hier ein Irrtum ausgeschlossen ist –, ist der, auf dem ich in jedem Moment weiß, was ich tue und wie ich zu der Wahrnehmung gekommen bin, die ich habe. Das ist ein wirklicher Weg mit vielen Schritten und auch vielen Rückschlägen. Nur auf einem solchen Weg offenbart sich die geistige Welt nach und nach, immer vielfältiger, immer höher... Wie kann Gronbach glauben, dass er am Computer die höchste Wirklichkeit des MENSCHEN geschaut hätte? Er hat nicht einmal die niedrigste Offenbarung der Wirklichkeit geschaut, sondern schlicht und einfach eine Lüge! Zur Wirklichkeit kann man sich nur durch harte, innere Arbeit erheben. Dass Gronbach darauf keine Lust hat, kann ich verstehen... Was er da als seine Vision beschreibt, hat aber überhaupt nichts mit dem zu tun, was Rudolf Steiner als Wirklichkeit des Menschenwesens beschrieben hat. Es ist gewissermaßen das genaue Gegenbild.

Dogmengläubigkeit oder Wahrheitsempfinden?

Man muss selbst noch nicht ein klar bewusstes Erleben des Christuswesens oder des Wesens Michaels gehabt haben und kann dennoch den Vorwurf der Dogmengläubigkeit von sich weisen. Rudolf Steiner hat immer wieder betont, dass man die Schilderungen des Geistesforschers mit dem gesunden Menschenverstand nachvollziehen kann – und genau so ist es. Was er über Michael und Christus schildert, fügt sich in großartiger Weise nahtlos ein in das, was er an umfassenden Schilderungen über das Menschenwesen, die Weltentwicklung, das menschliche Denken, die Aufgabe der Spiritualisierung dieses Denkens usw. geschildert hat. Alle diese Schilderungen sind für ein unvoreingenommenes Denken nachzuvollziehen, nirgendwo ergibt sich ein bleibender Widerspruch.

Dazu kommt nun das Erleben der Wahrhaftigkeit dieses Mannes. Rudolf Steiner schildert ja alles aus einer größten Ernsthaftigkeit heraus. Man kann doch nicht den Großteil ernst nehmen und bei gewissen Dingen meinen, er erzähle „Märchen“? Wenn man dagegen Gronbach danebenhält, ergibt sich schon im Stil ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Auch an seinem Stil kann man unmittelbar herauslesen und empfinden, wo er innerlich seelisch steht – er müsste es nicht einmal offen und authentisch zugeben. Wer aber so mit seinem Alltags-Ich verstrickt ist, der kann doch in bezug auf höhere Wahrheiten gar keine Sicherheit beanspruchen, geschweige denn von seinen Lesern ein entsprechendes Vertrauen erwarten? Ganz im Kontrast dazu steht nun aber die Verve und der „Missions“-Eifer, mit dem Gronbach seine Leser überzeugen will, ihm nicht nur seine Liebe für Wein, Weib und Gesang abzunehmen, sondern auch seine einsame Großtat, aufgedeckt zu haben, dass sich Steiner in bezug auf die höheren Wesenheiten schlicht und einfach simpler, altmodischer Mythen bedient habe...!

Hätte Steiner seine Hörer in dieser Weise belügen wollen oder auch nur können? Hätte er etwa, wenn er aus welchen Gründen auch immer, weiter östlich geboren worden wäre, plötzlich nicht mehr behauptet, das Christus-Wesen und seine Taten wären das Mittelpunktereignis der Erde? Man muss sich doch klar machen, dass es hier um Weltenereignisse und nicht einfach nur innermenschliche Fragen (und sei es in aufgepeppter „transpersonaler“ New-Age-Terminologie) geht. Dieses Christus-Wesen, Michael, die Volksgeister und so weiter sind echte, erhabene Realitäten. Der merkwürdige Gronbach‘sche All-Eins-MENSCH, in den immer wieder alles eingehen soll (wo bleibt da überhaupt die ewige Individualität jedes einzelnen Menschen?) ist eine nebelhafte, zugleich als Vorstellung ganz sinnlose, fratzenhafte Vorstellung, die aber auch nichts Erhabenes hat, nur die Ausstrahlung eines – ich muss es wieder sagen: ahrimanischen – Big Brother, wirklich einer Gruppenseele, die es für den Menschen aber nicht gibt und nicht geben darf! Es ist eine ahrimanische Suggestion.

Wenn man sich trotz der Schilderungen Rudolf Steiners unter Michael und Christus nicht sehr viel (bzw. nicht mehr als mythische Bilder) vorstellen kann, dann lese man einmal zwei Bücher einer von mir sehr hochgeschätzten niederländischen Anthroposophin: Mieke Mosmuller. In „Der Heilige Gral“ beschreibt sie ihre eigene Erfahrungen mit dem seit 20 Jahren begangenen Schulungsweg des reinen Denkens. Diese Erfahrungen stehen in einer erschütternden, aber völlig durchschauten, selbstständigen Weise mit dem Christuswesen in engstem Zusammenhang. In „Der lebendige Rudolf Steiner“ nähert sie sich in einer einmaligen Weise dem Wesen der Anthroposophie und des Menschen Rudolf Steiners, damit aber auch all dem, was er aus den geistigen Welten geschildert hat.

All das zuvor Gesagte kann man im Grunde folgendermaßen zusammenfassen. Gronbachs Buch hat zwei Aussagen: Ich bin authentisch, sei Du`s auch! Und: Hör endlich auf, an das zu glauben, was Steiner nur als Mythos genutzt hat! Im ersten Punkt hat er völlig Recht und trifft mitten in die Unwahrhaftigkeit der heutigen Karikatur einer anthroposophischen Bewegung. Im zweiten Punkt hat er absolut Unrecht. Die Kluft zwischen beiden Punkten liegt in seiner noch überhaupt nicht durchgemachten Selbsterziehung. Und darum wird auch sein erster Punkt für ihn selbst so peinlich: Authentizität ohne Selbsterziehung ist zunächst mal nur die Zurschaustellung des eigenen Egoismus... Und gerade das macht es eigentlich so leicht, Steiner und seinen Schilderungen in jeder Hinsicht mehr zu vertrauen, und zwar ohne auch nur eine Minute zu zögern. Und wenn man es dennoch durchdenkt und überlegt, kommt man immer wieder nur zu demselben Schluss...

Gronbachs Mythos von Steiner als Märchenonkel

Wenn man trotz allem bei der Regel bleibt, dass man nichts „glaubt“, was man nicht überprüft hat – also angeblich nicht beurteilen kann, ob Steiners oder Gronbachs Schilderungen der Wirklichkeit entsprechen – dann versuche man einmal ernsthaft, die Gronbach‘sche Erleuchtungs-Vorstellung vom All-Eins-MENSCHEN zu denken. Hat sie überhaupt irgendeinen Inhalt? So viel ich daran herumgedacht habe, so leer blieb sie. Und ich konnte sie auch nicht im geringsten mit der ewigen Individualität der sich reinkarnierenden einzelnen Menschen zusammendenken. Entweder man wird von dieser Gruppenseele nach dem Tod aufgesaugt und andere Menschen werden wieder ausgespuckt, oder es gibt diesen All-Eins-MENSCHEN Gronbach‘scher PC-Erleuchtung in der Realität einfach nicht.

Rudolf Steiner hat den Weg der Geistseele nach dem Tod und ihr Zusammenwirken mit höheren Wesenheiten ganz detailliert beschrieben. Diese Wesenheiten gibt es dann nach Gronbach offenbar auch nicht. Man muss sich also schon entscheiden, wem von beiden man mehr Vertrauen schenken (ich sage nicht „glauben“) will – Gronbach oder Rudolf Steiner. Man muss es sich ganz klar vor die Seele stellen: Gronbach wirft Rudolf Steiner vor, in seiner „Rücksicht auf die Hörer“ zu weit gegangen zu sein. Er hätte bei der „Philosophie der Freiheit“ bleiben sollen, dann hätte sich nicht so ein illusionäres Gespinst falscher Vorstellungen über die gesamte Anthroposophenwelt gelegt, von wegen, Michael und Christus gebe es wirklich... Wer merkt denn hier noch immer nicht, dass Gronbach damit Rudolf Steiner von vorn bis hinten interpretiert und glaubt, er dürfe das? Er ist es, der behauptet, Rudolf Steiner habe nur deshalb zu den Bildern gegriffen, weil sonst niemand verstanden hätte, was er eigentlich meint. Das Eigentliche wäre nicht Michael oder Christus, sondern er habe diese Bilder nur benutzt (reinszeniert), um etwas zu transportieren, um das es ihm eigentlich ginge. Besser wäre es gewesen, er hätte Michael und Christus gleich weggelassen, denn um die gehe es nicht, weil es sie gar nicht gebe. Rudolf Steiner wird also als Lügner hingestellt! Ist es auch nur irgendwie denkbar, dass ein solcher Eingeweihter ein Vierteljahrhundert immer wieder von Christus und Michael redete – und dies sogar in immer größerer Tiefe, über die Evangelienzyklen bis hin zu den Michael-Zyklen und den Leitsätzen kurz vor seinem Lebensende – wenn er selbst wüsste, dass es diese Dinge gar nicht gibt!?

Den Waldorflehrern legte Rudolf Steiner ans Herz: „Der Lehrer soll ein Mensch sein, der in seinem Inneren nie ein Kompromiss schließt mit dem Unwahren.“ Das gleiche gilt für den Anthroposophen überhaupt. Die Wahrhaftigkeit ist die absolute Grundlage jedes Schulungsweges. Und da soll Steiner 25 Jahre lang Mythen erzählt haben, weil es angeblich zu schwer gewesen sein soll, das Eigentliche zu vermitteln? Während es für Gronbach heute übrigens offenbar kein Problem ist! Er kann ja ganz locker beschreiben, wie es sich mit dem All-Eins-MENSCHEN verhält, also was Steiner eigentlich gemeint hat, aber eben zeitlebens in seinem Herzen verschließen musste...

Und noch etwas: Wenn es Michael, Christus und so weiter gar nicht gibt, dann hätte ja Steiner selbst zumindest nicht daran glauben müssen, nicht wahr? Wie erklärt sich dann aber, dass er nach Berichten seiner Zeitgenossen jeden Tag laut das Vaterunser betete? War das auch nur, weil man ihn ja eventuell durch die Zimmertür hören könnte und ihm so seine Mythen noch besser abnähme, die er aber doch eigentlich nur deswegen an den Mann zu bringen versuchte, weil das andere zu kompliziert für die Menschen war (bis Gronbach kam...). Also, man kommt eigentlich nur in lauter Widersprüche, wenn man zumindest hypothetisch versucht, Gronbach soviel Ehre zu tun, seine These gegen besseres Wissen dennoch durchzudenken. Es geht einfach nicht. Und dieses Urteil muss man als wahrhaftiger Anthroposoph am Ende – wenn es denn solange dauert – einfach fällen.

Unbefangenheit oder verlorenes Urteilsvermögen?

Dann ist da noch die Frage der Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie. Von außen wirft man ihr ja immer vor, das sei nur ein schmückendes Wort, wenn es ernst gemeint wäre, müsste man ja auch Michael und Christus beweisen können... Es gibt nun sogar „Anthroposophen“, die nicht wirklich verstanden haben, worin diese Wissenschaftlichkeit besteht. Wenn die von Steiner in den Nebenübungen für den Schulungsweg angegebene (Vor)Urteilslosigkeit – genauer: Unbefangenheit! – so weit geht, dass man Schilderungen Steiners und Gronbachs unterschiedslos nebeneinanderstellt („ich habe beides noch nicht selbst erlebt“), dann geht diese Urteilslosigkeit eben zu weit! Das Ich soll nicht überhaupt nicht urteilen – es soll nur nicht zu früh urteilen! Wenn es dagegen überhaupt nicht erlebt, wann es urteilsfähig wird, so ist die ganze „Übung“ ganz im Sinne der Widersacher in ein völlig falsches Extrem geraten. Das Ziel ist, sich die Fähigkeit zu einem wahren Urteil zu erringen – und nicht, das Urteilsvermögen überhaupt zu verlieren!

Es ist völlig richtig, dass man sich kein Urteil erlauben darf, wo man nichts versteht. Aber zwischen Verstehen und „selbst erlebt haben“ ist doch noch ein Unterschied – und Steiner hat doch so oft den Blick seiner Hörer darauf gelenkt! Man kann das, was er aus eigenem Erleben und geistiger Forschung mitteilt, mit seinem gesunden Menschenverstand verstehen – auch wenn man ohne eigene entsprechend erübte Erkraftung des Denkens und echter seelisch-geistiger Beobachtung das Geschilderte noch nicht selbst erlebend „verifizieren“ kann. Die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie besteht eben darin, dass diese Schilderungen potentiell jeder dann nach und nach bestätigen könnte, wenn er sein eigenes Denken, Fühlen und Wollen zu so kräftigen, selbstlosen (aber ich-durchdrungenen) Wahrnehmungsorganen gemacht hat, dass sie von diesen Realitäten berührt werden können. (Was man dann finden und wie erschütternd man die Realität einer geistigen Welt bestätigen kann, wird man in dem erwähnten Buch von Mieke Mosmuller sehen können).

Die Unwissenschaftlichkeit der übrigen Anthroposophen besteht in der Tat darin, mit den Begriffen unbedarft herumzujonglieren und zu glauben, sie hätten damit schon eine Realität erfasst. Gronbach ist aber nicht besser, sondern noch schlimmer. Auch dafür hat Steiner oft ein Bild gebraucht: Der Blinde behauptet, es gäbe die Farbe nicht... Das Schlimmste ist, dass er sogar behauptet, er habe Steiner als einziger wirklich verstanden. Im Grunde macht Gronbach doch nichts anderes als der materialistische Physiker: Es gibt keine Farbe (die ist nur subjektiver Bild-Eindruck, ein Mythos), sondern nur die dahinter liegende Wirklichkeit (ob man das nun Teilchen/Welle nennt oder das transpersonale Selbst). Weil seine Zuhörer das nicht verstanden, habe Steiner kurzerhand etwas Farbe darübergeklatscht, denn die Mythen kannten die Leute...

Man kann zu Gronbach ein ganz klares Urteil haben, wenn man den folgenden Gedankengang vollziehen kann und damit alle Elemente für das Urteil zur Verfügung hat:

„Einige Schilderungen von Steiner konnte ich bisher selbst als reale Wirklichkeiten im eigenen Erleben bestätigen. Außerdem habe ich das eigene Erleben der absoluten Wahrhaftigkeit dieses Mannes aus dem Stil seiner Worte (dies hat mich im Anfang außerdem auch erst dazu bewegt, mich mit ihm auseinanderzusetzen). Nun kommt ein junger Mensch daher, der von sich behauptet, er sei ein „Fan von Rudolf Steiner“ und sich Anthroposoph nennt. Ich erlebe, wie unverwandelt sein ganzes Inneres ist, wie stark er sein Ego ins Zentrum seiner Worte, seines Buches stellt. Ich habe die Beschreibung von Steiner, was Anthroposophie ist: Das wissenschaftliche Ergreifen seelischer Vorgänge und geistiger Realitäten durch das energische Verwandeln der eigenen Seelenfähigkeiten zu selbstlosen Organen für diese geistige Welt. Ich weiß, dass dies noch wesentlich schwieriger ist, als eben mal den Begriff des Kreises oder gar des Integrals zu fassen... Nun kommt dieser Mensch, der sich „Anthroposoph“ nennt und von dem ich klar erkenne, dass er seine Seele noch kaum verwandelt hat – und er behauptet, dass es die Wesenheiten, von denen Rudolf Steiner spricht, gar nicht gebe, dass Steiner Mythen reinszeniert habe, um auf Wahrheiten zu weisen, die wir erst heute als weiterentwickelte Menschen mit Hilfe von Ken Wilber usw. erkennen könnten, und dass er (Gronbach) als offenbar einziger Anthroposoph das bisher erkannt habe...“


Wer an diesem Punkt noch immer zu keinem eigenen Urteil kommt, der hat sein Urteilsvermögen wirklich erfolgreich begraben! Man schaut unbedarft zu, wie ein anderer (Gronbach) seine Urteilsgrenzen meilenweit überschreitet – und nicht nur das, sondern: sie seiner Umwelt und seinen Lesern geradezu mit dem Hammer einbläuen will. Wie kann jemand, der am PC auf einer Wilber-Internetseite eine „Erleuchtung“ hatte, einen Eingeweihten, der 25 Jahre immer tiefer von Michael und Christus sprach, mal eben als Märchenonkel darstellen? 

„Mit einer solchen Gesellschaft will ich nichts zu tun haben!“ 

Nun kann man Gronbachs Buch wegen seiner Authentizität und seiner konkreten „Lebenshilfe“ theoretisch immer noch „gut“ und „wichtig“ finden. Jemand sprach in einer Rezension sogar von einem gewaltigen „Modernisierungsschub“! Ich kann nur sagen: Die Gronbach‘schen Lebenshilfen bewegen sich lediglich auf dem Niveau, was heute psychologisches Allgemeinwissen sein sollte und was man in jedem besseren Lebensratgeber nachlesen könnte. Wer dies auf eine Stufe mit dem stellt, was Gronbach in seinem Buch noch tut – nämlich die Anthroposophie komplett zu vernichten –, der hat keinerlei Empfinden für die Wagschalen, um die es hier geht. Wenn die nächste Generation von „Anthroposophen“ so aussehen sollte, dann ist die Anthroposophie und mit ihr die Welt wirklich in Finsternis versunken...

Dazu fällt mir jenes Ereignis ein, das Frau Mosmuller in ihrem Buch „Der lebendige Rudolf Steiner“ zitiert:

„Es hatte damals in der Anthroposophischen Gesellschaft eine Verleumdung Rudolf Steiners gegeben, während er noch lebte. Es war die Anklage durch Dr. Goesch im Jahre 1915. Rudolf Steiner hat sich das alles angehört, auch wie die Mitglieder darauf eingingen. Danach stand er auf, sagte: ‚Mit einer solchen Gesellschaft will ich nichts zu tun haben!‘ und verließ mit seiner Frau den Saal.“


Für einen wahren Anthroposophen sind Steiner oder andere Menschen keine Autoritäten, denen man Dinge glauben muss. Sondern was man an eigenen Erfahrungen in der Beschäftigung mit diesen Menschen und ihren Werken gemacht hat, verbürgt einem, dass es sich hier um Wahrheiten und um eine entsprechende geistige Größe handelt. Sondern was man an eigenen Erfahrungen in der Man weiß dann aus eigener Erfahrung mit Sicherheit, dass man sich den Dingen, die Steiner schildert, durch eigene Bemühungen annähern kann, bis sie auch konkret eigene Erfahrungen werden – und dass Dinge wie die Gronbachsche PC-Erleuchtung etwas sind, was man links liegen lassen muss, wenn man in der Wahrheit weiterkommen will. Es ist auch nicht nur die „Stil“-Frage, die diese Sicherheit vermittelt, sondern das Denken selbst. Denn alles, was Steiner schildert, kann man nach-denken, mit-denken, weiter-denken – überall gibt es Querbezüge, Zusammenhänge, keine dauerhaften Widersprüche. Den Gronbachschen MENSCHEN kann man nicht wirklich denken, er ist inhaltslos, ist auch mit der ewigen Individualität des Menschen nicht vereinbar usw. 

Also: Es gibt in der Anthroposophie keine Dogmen. Aber ohne das ernsthafte Ringen um ein eigenständiges Verständnis und Erkennen der als Anthroposophie durch Rudolf Steiner geschilderten Erkenntnisse (was nur auf den ebenfalls gegebenen Erkenntniswegen möglich wird) gibt es überhaupt keine Anthroposophie! Dogmenfreiheit bedeutet: Alles soll nach und nach selbst errungen werden! Die Kirche hat Dogmen, weil sie behauptet, man könne diese Erkenntnisse nicht selbst gewinnen (Offenbarungs- bzw. Schrift-Prinzip). Dogmenfreiheit bedeutet nicht: Steiner interpretieren, uminterpretieren, relativieren, die Anthroposophie „entmythologisieren“.

Wer dies tut, sollte erst einmal klar und eindeutig beweisen, dass er dazu das innere Recht hat, das heißt, selbst ein Eingeweihter ist. Gronbach beweist durch sein Buch völlig eindeutig das Gegenteil: Er ist ein ganz normaler, sehr ego-betonter, narzisstischer Mann, der sich mit Steiner beschäftigt hat, ein „Fan von ihm“ ist und sich nach einer PC-Erleuchtung (offensichtlich erst während des Schreibens seines Buches!) bemüßigt fühlt, diesen Steiner zu korrigieren und sogar noch zu betonen, dass er fast der Einzige ist, der ihn wirklich verstanden hat... Würde Steiner noch leben – er würde auch heute wieder den Saal verlassen: „Mit solchen ‚Anthroposophen‘ habe ich nichts zu tun“. – Mit Gronbach selbstverständlich nicht, aber auch mit allen, die zuwenig Urteilsfähigkeit oder Urteilsmut besitzen, um sich einem solchen Gegner der Anthroposophie entschieden entgegenzustellen.