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15.09.2002

Alterndes Geld ist nur innerhalb der Dreigliederung ein Heilmittel

Gegendarstellung zu „Diagnose: Geldzirkulationsschwäche“ von Frank Bohner im „Goetheanum“ 38/2002, Veröffentlicht im „Goetheanum“ vom 27.9.2002 (Nr. 40).


In einem Aufsatz in der vorletzten Ausgabe des Goetheanum vertritt Frank Bohner folgende Argumentation: Im heutigen Geldsystem zwingt der (Kredit-)Zins den Unternehmer zum Wachstum und ist damit für Arbeitsplatzver­nich­tung und Umweltzerstörung verantwortlich. Zugleich bewirkt er eine Konzentration und Stauung von Reichtum, der die Verschuldung anderer und die finanzielle Austrocknung ganzer Gesellschaftsbereiche gegen­überstehen. „Alterndes“ Bar- und Giralgeld[1] dagegen würde den Geldkreislauf wieder beleben, nämlich vermehrt in den Konsum bzw. in Spargeldanlagen fließen. Durch letzteres erhöhte sich das Geldangebot und die Kreditzinsen könnten sinken. Zusammen mit dem gestiegenen Konsum werden mehr Investitionen möglich, was Arbeitsplätze schafft. Der Niedrigzins würde außerdem z.B. kapitalintensive, bisher unrentable Umwelttechnologie ermöglichen.

„Alterndes Geld“ schlugen vor rund 85 Jahren Silvio Gesell und Rudolf Steiner vor, offenbar ohne von­einander zu wissen.[2] Während jedoch Gesell die gesellschaftlichen Probleme durch „alterndes Geld“ und Abschaffung des Bodeneigentums lösen will, entwickelt Steiner den umfassenden Impuls der sozialen Dreigliederung, innerhalb der „alterndes Geld“ nur ein einzelner, gegen die geistlose Selbstvermehrung des Geldes gerichteter Vorschlag ist. Ich will im folgenden zeigen, daß der isolierte Ansatz des „alternden Geldes“ die oft in ihn gesetzten Erwartungen nicht einlösen kann.

Das einzige, was eine Geldalterung mit Sicherheit bewirkt, ist exakt die zeitliche Schrumpfung eines Geldvermögens. Die meisten übrigen erhofften Wirkungen hängen mit der Erwartung zusammen, daß „alterndes Bargeld“ vermehrt ausgegeben oder gespart wird. Da die Banken das Spargeld verleihen können, würden über das vermehrte Geldangebot die Kredit- und Spargeldzinsen sinken. Erst wenn dies alles wirklich geschieht, würde mehr investiert und andererseits die Konzentration von Geldvermögen gestoppt.

Das Sinken der Zinsen ist jedoch schon deshalb unwahrscheinlich, weil die Geldanlagen bereits heute das Bargeld­vermögen um ein Vielfaches übersteigen. Die Sparquote bzw. die verleihbare Geldmenge kann also gar nicht nennenswert steigen. Außerdem würde bei sinkenden Geldanlagezinsen der relative Vorteil gegenüber dem Bargeld genau wieder den heuti­gen Verhältnissen entsprechen, also gar kein höherer Sparanreiz mehr da sein. Überhaupt scheint es, daß der Geldumlauf sich nennenswert erst bei drastischer Inflation (oder Geldalterung) erhöht. In Deutschland summierten sich Zins und Inflation 1981 sogar auf 17%, ohne daß die Zirkulation groß zunahm.

Nehmen wir aber hypothetisch an, durch „alterndes Geld“ könnte die Sparquote erhöht werden und dies würde zu niedrigen Zinsen führen. Dies wird zu Investitionen, also wirtschaftlichem Wachstum führen. Paradox ist, wenn andererseits gefordert wird, das Wirtschaftswachstum zu beenden und in dieser Hinsicht der Wachstumszwang des Zinses angeprangert wird. Hohe Zinsen zwingen den Investor zu Wachstum, halten aber auch von Investitionen ab. Niedrige Zinsen zwingen nicht zu Wachstum, laden aber dazu ein, was einen noch stärkeren Effekt hat (wenn die Konjunktur gedrosselt werden soll, erhöhen die Zentralbanken die Leitzinsen). Sicherlich, gewünscht ist „qualitatives“ und „umweltverträgliches“ Wachstum. Fraglos aber würden niedrige Zinsen Investitionen aller Art begünstigen. Relativ am stärksten verbilligt würden sogar kapi­talintensive Investitionen, die nur zum geringsten Teil umweltfreundlich sind (Solaranlagen), zum größten Teil aber menschenfeindlich (wie bisher schon: Rationalisierungen aller Art). Warum eine profitorientierte Unternehmens­führung gerade bei billigen Krediten auf die gute alte menschliche Arbeitskraft zurückgreifen sollte, ist nicht zu ver­stehen. Richtig ist, daß auch sozialen und anderen Projekten die billigen Kredite zur Verfügung stünden, doch gerade dieser ganze Bereich ist umfassend auf Schenkungen angewiesen. Außerdem würde die wachsende Nachfrage nach billigen Krediten zuletzt doch wieder dem Angebot entsprechen und die Zinsen erneut hochtreiben.

Es scheint also, als würde „alterndes Geld“ überhaupt keine nennenswerte Auswirkung auf die Zinsen haben bzw., wenn es sie hätte, ganz überwiegend das bisherige quantitative, kapital- und technologie-intensive Wirtschaftswachstum fördern.

Wenn sich daran etwas ändern soll, müßte man schon in die Verteilung des Geldes direkt eingreifen. Genau dies schlägt Steiner in seinen Vorträgen vor, in denen er die Idee der Dreigliederung beispielhaft konkretisiert. Im Bereich des Rechtslebens müßte die Erkenntnis wachsen, daß es einen Besitz an Unternehmen nicht geben darf (warum sollte ein Mensch oder eine Gruppe von Investoren, die einmal eine Investition tätigten, zeitlebens Besitzer einer Firma sein und womöglich den Erben ein Jahrzehnt später ein Weltkonzern gehören?). Dazu müßte dann der selbstlose Erkenntniswille kommen, daß für die Gesellschaft allein heilsam sein kann die Dreiheit von Kauf-, Leih- und Schenkgeld. Das Geld, das dem Unternehmensbereich aus dem Konsumbereich wieder zufließt, könnte als „wert-frei“ betrachtet werden. Da die Unternehmen niemandes Eigentum sind, könnte dieses Geld von „Asso­ziations­ban­ken“ so verteilt werden, wie es gesellschaftlich wünschenswert ist.[3]

Diese Andeutungen können nur zum eigenen Studium anregen. In jedem Fall aber zeigen die vorangegangenen Überlegungen, daß die mächtigen Impulse des heutigen Geld- und Wirtschaftssystems nur durch einen umfassenden Ansatz zu überwinden sind und ein menschengemäßes Wirtschaftssystem ganz anders zu gestalten wäre. Dazu müssen wir alle zunächst neue Begriffe denken lernen und dann auch ihnen gemäß handeln wollen. Die Idee der sozialen Dreigliederung gibt zunächst nur einen Rahmen. Als solche aber will sie ein Impuls sein.

Im Goetheanum vom 27.10.2002 (Nr. 44) enthielt eine Replik von Bohner folgende Gedanken:


- Richtig ist: Hohe Zinsen zwingen zum Wachstum und halten doch von Investitionen ab. Niedrige Zinsen begünstigen Wachstum, solange Knappheit herrscht. Bei Marktsättigung gibt es keine Investitionen – dauerhaftes Wirtschaftswachstum wäre also nicht zu befürchten.

- Menschenfeindliches, technologieintensives Wachstum haben wir heute nur, weil der Staat (als einziger Nachfrager!) Projekte wie Atomkraft, Rüstung, Transrapid, Rhein-Main-Donau-Kanal u.a. begünstigt (hat). Diese Projekte verstärken die Nachfrage nach Geldkapital und halten künstlich die Zinsen hoch. Der Staat sichert auf diese Weise die Geldkapitalrenditen und verhindert Stockung des Geldumlaufs (Geldhortung bei Niedrigzins).

- Sinkende Zinsen begünstigen Investitionen und stärken die Massenkaufkraft – es käme mittelfristig zur Vollbeschäftigung, Rationalisierung könnte dann zu einer Verkürzung der Arbeitszeit für alle führen.

- Es geht nicht um eine Erhöhung sondern Verstetigung des Geldumlaufes. Dadurch könnte die Notenbank die ausgegebene Geldmenge exakt an die Wirtschaftsleistung anfallen, die Inflation sänke auf Null, der Zins könnte um den Inflationsanteil zurückgehen.

- Der Anreiz zum Sparen wäre weiter vorhanden wegen Wertstabilität des Geldes und Vermeiden der Geldhaltegebühr.

- Die Geldreform bedarf auf jeden Fall eines sozialen Bodenrechts, damit das Geld nicht in den Boden „flieht“, so gesehen ist alterndes Geld nur innerhalb der Dreigliederung ein Heilmittel.

Dazu schrieb ich folgenden Kommentar:

Alterndes Geld und falsche Hoffnungen

Frank Bohner schreibt, „alterndes Geld“ (bzw. das Vermeiden der Alterung über langfristige Sparanlagen) würde zu einer Verstetigung des Geldumlaufes führen, wodurch die Notenbank die Geldmenge exakt der Wirtschaftsleistung anpassen und der Zins um den Inflationsfaktor sinken könnte. Sinkende Zinsen begünstigen Investitionen und stärken die Massenkaufkraft, was mittelfristig zur Vollbeschäftigung führen würde.

Es hat aber die Bundesbank auf die inflationäre Geldmengenausweitung gar keinen direkten Einfluß. Der Großteil der gesamten Geldmenge ist reines Buchgeld, und die Banken können im Zuge der Kreditvergabe eine faktisch unbegrenzte Geldschöpfung betreiben, weil sie nur etwa 10% eines Kredits als Sicherheit halten müssen und bereits neue Kredite ausgeben, ehe die alten zurückgezahlt sind.

Aber selbst wenn die Kreditzinsen um den Inflationsanteil sänken, wenn es keine Inflation gäbe, wäre der Realzins der gleiche – und in jedem Fall immer noch viel zu hoch für unternehmerische Investitionen. Ganz abgesehen davon, daß in einem geschlossenen Wirtschaftskreislauf jeder Zins zu hoch ist.

Unklar ist, wie sinkende Zinsen die Massenkaufkraft stärken – etwa auf Pump? Oder sollten die Unternehmen ihre etwas gesunkenen Zinsverpflichtungen etwa in Lohnerhöhungen verwandeln? Und wie soll es dann zur Vollbeschäftigung kommen? Doch nur über weiteres Wachstum (sonst erübrigt sich der Hinweis auf die Massenkaufkraft). Bei Marktsättigung, die heute zunehmend gegeben ist, finden aber auch bei niedrigeren Zinsen keinerlei Investitionen statt, wie Herr Bohner selbst schreibt.

Arbeitszeitverkürzung wäre schon jetzt möglich, wird aber nicht gemacht, weil sie zumeist nicht profitabel ist. Niedrige Zinsen begünstigen weitere kapitalintensive Rationalisierungen, aber nicht Arbeitszeitverkürzungen.

Insgesamt ist auch mit „alterndem Geld“ eine Vollbeschäftigung nicht in Sicht. Die heutige Wertschöpfung gäbe allen Menschen Arbeit, aber mit indirekten „Ansätzen“ über alterndes Geld oder die Stärkung der Massenkaufkraft wird man nichts Wesentliches erreichen. Es muß nach wie vor betont werden, daß die Grundfragen von „Eigentum“ und „Arbeit“ überhaupt angegangen werden müssen, wenn man hier wirklich Lösungen sucht.

Fußnoten


[1] In der Folge beides als „Bargeld“ bezeichnet

 

[2] Gesells „Natürliche Wirtschaftsordnung“ erschien 1916, Steiners „Kernpunkte der sozialen Frage“ 1919, sein „Nationalökonomischer Kurs“ 1922

 

[3] vgl. neben Steiners Werken beispielhaft die Werke von W. Schmundt: Erkenntnisübungen zur Dreigliederung des sozialen Organismus und Zeitgemäße Wirtschaftsgesetze.