Gegenkräfte der Gemeinschaftsbildung

Wesentliche Abschnitte aus Rudolf Steiners Gesamtwerk zu den Gegenkräften einer Gemeinschaftsbildung.


Inhalt
Unwahrhaftigkeit und Veräußerlichung
Mangel an lebendiger Begeisterung


Unwahrhaftigkeit und Veräußerlichung

GA 197, Fünfter Vortrag, 24.6.1920 (Stuttgart), S. 87-94. | Weitere Zitate zur Wahrhaftigkeit


Nun wird es ja nicht so bleiben können, wie es jetzt ist, aber daß es nicht so bleiben kann, dazu muß mitgearbeitet werden. So kann es aus dem Grunde nicht bleiben, weil alles das, was geschieht, sei es für die Waldorfschule, sei es für den Dreigliederungsbund, sei es für den „Kommenden Tag“, ja auf der Grundlage der geistigen Arbeit entsteht. Ohne die geistige Arbeit, die geleistet worden ist und weiter geleistet werden muß, hat ja das alles keinen Sinn. Diese geistige Arbeit muß dem Ganzen Konfiguration, muß dem Ganzen Kraft und Inhalt geben. Wenn wir dazu kommen, wozu wir kommen würden, wenn die Sache so weitergehen würde, so wäre die Folge, daß die jetzigen Einrichtungen die ursprüngliche geistige Bewegung auffressen würden; da entziehen wir der Sache ihre ursprünglichen Grundlagen. Es darf das, was herauswächst aus der anthroposophischen Bewegung, nicht auffressen diese anthroposophische Bewegung selbst. (S. 87f) [...]

Es muß eben selbstverständlich der andere Pol entwickelt werden, der Pol, der die fortwährend vorhandenen, aus dem Wesen jeder geistigen Bewegung entstehenden Kämpfe – weil jede geistige Bewegung auf die Individualität hinarbeitet – überwinden muß. Es muß der andere Pol vorhanden sein, der Pol der Menschenverständigung, der Pol, der darin besteht, daß man in den Menschen eindringen kann, daß man in die Lebensimpulse eines andern Menschen sich vertiefen kann und so weiter. Es muß möglich sein, daß dasjenige, was wir jetzt als Dreigliederungsarbeit, was wir als „Kommender Tag“, was wir als Waldorfschule treiben, getragen wird von einer guten, moralischen Grundlage unserer anthroposophischen Bewegung hier in Stuttgart, von derjenigen moralischen Grundlage, die erarbeitet worden ist seit Jahrzehnten, oder wenigstens erarbeitet werden sollte. Davon muß es getragen sein, denn nur so kommen wir weiter und können uns wiederum ein Gleichgewicht zurückerobern zwischen dem Leben in Sitzungen und dem notwendigen geistigen Arbeiten, das doch die Grundlage bilden muß.

Aber wir kommen natürlich nicht dazu, wenn fortwährend solche Dinge sich abspielen hier wie etwa, daß man gesagt bekommt: Da ist wiederum etwas Schreckliches geschehen, da ist ein Mensch, der stänkert fortwährend, der ist schädlich für alle übrigen. – Das mag sein, das kann richtig sein. Aber mir ist es bis jetzt, trotzdem mir solche Dinge während meiner jetzigen Anwesenheit unzählige Male entgegengetreten sind, nicht gelungen, eine solche Sache so weit zu verfolgen, daß, wenn ich zu dem zweiten gekommen bin, er mir dasselbe gesagt hätte wie der erste. Und beim fünften, sechsten wurde es schon das Gegenteil von dem, was mir der erste verkündet hatte. Ja, ich erzähle nur Tatsachen. Ich will keine Kritik üben, ich will nicht tadeln oder loben, wirklich auch das erstere nicht, aber es ist so. Dasjenige aber, was notwendig ist, daß es gerade auf anthroposophischem Boden sich entwickele – ich habe es ja öfter ausgeführt –, ist ein absolutes, treffsicheres Wahrheitsgefühl. Es ist sehr schwierig, in all diesen Dingen weiter zu arbeiten, wenn nicht die Grundlage da ist von Wahrheit, von unmittelbar wirklicher Wahrheit. Ist diese Grundlage von wirklicher Wahrheit da, dann muß es doch so sein, daß, wenn irgend etwas an einen herantritt und man verfolgt es noch bei dem fünften oder sechsten, es sich noch in derselben Weise darstellt. Aber ich erlebe, daß mir etwas, was „furchtbar“ ist, mitgeteilt wird und jeder, den ich frage, etwas anderes sagt. (S. 88ff). [...]

Ja, im äußeren physischen Leben, das ja jetzt gerade deshalb dem Niedergang entgegengeht, hat man immer nicht bemerken wollen die Funktion, die einschneidende Bedeutung der Unwahrheit. Auch wenn sie nicht beabsichtigt ist, wirkt die Unwahrheit doch zerstörend. Auf dem Boden, auf dem anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft steht, müßte man unter allen Umständen einsehen: Das, was im physischen Leben eine zerstörende Bombe ist, das ist im Geistigen eine Unwahrheit. Sie ist eine zerstörende Kraft, ein zerstörendes Instrument, und zwar ein ganz real zerstörendes Instrument. Es würde tatsächlich wiederum möglich sein, trotz der vielen Gründungen zu großer fruchtbarer Arbeit zu kommen auch auf geistigem Gebiete, wenn man diesen Dingen einige Aufmerksamkeit zuwenden würde, aber eine sachliche Aufmerksamkeit, nicht eine persönliche Aufmerksamkeit. (S. 90). [...]

Aber wenn nicht [...] durch eine Besinnung im weitesten Kreise unserer Mitarbeiterschaft diese Dinge weggenommen werden, die so hineinspielen in alles Leben hier [...], wenn diese Dinge nicht durch Insichgehen jedes einzelnen gerade heute an diesem Orte aus der Welt geschaffen werden, so ist es gar nicht möglich, daß man die Zeit findet, um die wirklich grundlegende geistige Arbeit zu leisten. Dasjenige, wozu Anthroposophie geführt hat, das wird gelingen. Aber wenn in gewissen Dingen nicht Änderungen eintreten, dann wird es die ursprüngliche geistige Bewegung auffressen und dann würde man durch den Willen der sogenannten Träger dieser geistigen Bewegung einen neuen Materialismus haben, indem eben die geistige Bewegung, die zugrunde liegt, zum Abtreiben gebracht worden ist. Der Geist will gepflegt sein, wenn er nicht zum Absterben kommen soll. Und der Materialismus besteht nicht durch sich selber etwa, den Materialismus kann man nicht begründen, geradesowenig wie man einen Leichnam macht. Ein Leichnam entsteht, wenn der Organismus von der Seele verlassen wird. So auch kann alles dasjenige, was hier aus geistigen Grundlagen, aus Beseeltem heraus geschaffen wird, ein bloß Materielles werden, wenn nicht die Neigung dazu da ist, das Geistige nun wirklich zu pflegen. Dazu ist aber notwendig, daß vor allen Dingen die moralische Grundlage, die ethische Grundlage, die hat erarbeitet werden können, aufmerksam ins Auge gefaßt wird. (S. 91). [...]

Aber heute muß noch [in endlosen Debatten usw., H.N.] die Zeit totgeschlagen werden, wenn die anthroposophische Bewegung, die gerade hinter unseren Unternehmungen steht, nicht ist, was sie sein müßte: Eine durch und durch wahre Bewegung, in der dasjenige, was lügenhaft ist, sich selber ausscheidet, weil man es nicht darin brauchen kann, weil es sich gleich offenbaren wird.

Das ist dasjenige, was ich, ohne irgend jemand zu meinen – ich bitte, nicht wieder zu erzählen, ich habe das oder jenes treffen wollen –, Ihnen heute sagen wollte. Ich wollte allgemeine Tatbestände charakterisieren, ich habe sie charakterisieren müssen, denn wir stehen heute vor ernsten Weltsituationen, und im Grunde genommen spielt sich wirklich in dem, was hier unter uns in Stuttgart vorgeht, das ab, was an Ernst in der ganzen Zivilisation drinnen ist. Und wir könnten an dem, was zwischen uns spukt, manches lernen über das, was in der ganzen Welt spukt. (S. 94).

Mangel an lebendiger Begeisterung

GA 317, Heilpädagogischer Kurs., 1.7.1924, S. 102. | Weitere Zitate zur Begeisterung


Man kriegt manchmal ein bißchen Schmerzen, wenn man in anthroposophische Ansiedlungen oder Zusammenrottungen kommt. Da ist manchmal eine solche bleierne Schwere. Man kriegt die Leute nicht zum Beweglichwerden. Bleierne Schwere ist da; wenn man eine Diskussion beginnt, macht keiner den Mund auf, weil auch die Zunge bleiern schwer ist. Die Leute machen ein "Gesicht bis ans Bauch". Sie sind so wenig geneigt, zum Heiterwerden, zum Lachen zu kommen! [...] Aber es ist schon wirklich wahr, am wenigsten wird man verstanden mit dem, was ich, wenn ich gefragt werde, wenn es sich um die eine oder andere Kalamität handelt, was sollen wir tun, wenn ich da antworte: Enthusiasmus haben. Enthusiasmus haben, das ist dasjenige, auf was es ankommt.