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Vorwort zu diesem Band
Dieser Band will die historische Unterordnung der Frau und des Mädchens an einer Fülle von Einzelheiten zu einem Gesamtbild werden lassen. Einschlägigen Experten werden die meisten Details aus anderer Quelle längst bekannt sein – doch sehe ich keine Darstellung, die in dieser Dichte so vollständig ist wie die nun vorliegende.
Viele Feministinnen haben sich um die Aufdeckung der Historie weiblicher Unterordnung verdient gemacht. Manche Darstellung zeigt auch Einseitigkeiten, die nicht ganz der historischen Wahrheit entsprechen, bestimmte Legenden als Wahrheit hinstellen oder andere Ungenauigkeiten begehen und so das Bild verfälschen. [1] Doch viel schlimmer sind die epochenlangen Verfälschungen, die von Männern in die Welt gesetzt wurden und die reale Machtstrukturen zementierten und ,begründeten’. Männer schufen sich ihre eigene, männerzentrierte Geschichte (,his-story’) – und sie erklärten Frauen für minderwertig und zu ihren geschaffenen Dienerinnen.
Hervorragende, sehr objektive Darstellungen, wie etwa das Werk von Gerda Lerner, machen eindeutig erlebbar, wie sehr Frauen bis in die jüngste Vergangenheit hinein unter den patriarchalen Behauptungen und der daraus hervorgehenden Realität zu leiden hatten: Männer und Frauen seien grundsätzlich unterschieden schon in ihrer Erschaffung, in ihren von Gott zugedachten Aufgaben; Frauen seien ,von Natur aus’ schwächer, minderwertiger in ihrer Intelligenz, emotional labil, unfähig zur Teilnahme am politischen Leben; Männer hätten das Recht, die sexuellen Funktionen der Frauen zu kontrollieren, und würden auch die Beziehung von Mensch und Gott vermitteln. [2] Frauen wurden von Bildung ausgeschlossen, in allen philosophischen Systemen wegdefiniert – und wirkten schließlich, überzeugt von ihrer Unterlegenheit, an der eigenen Unterdrückung mit. [3] Dieser Band entstand, wie alle anderen Bände dieser Reihe, aus der Liebe zum Mädchen. Wer das Mädchen liebt, muss sich auch mit der Geschichte der Unterdrückung des Weiblichen auseinandersetzen – allein schon aus Liebe zu diesem, denn auch das Mädchen ist weiblich; aber auch, weil er allzu schnell in die Ecke jener gestellt werden wird, die das Patriarchat fortschreiben wollen. Einer parthenophil empfindenden Seele dies zu unterstellen, ist völlig haltlos. Die echte Mädchenliebe beruht nie auf Unterdrückung.
Möglicherweise werden von manchen Männern bestimmte Mädchen am tiefsten geliebt, die einem patriarchalen Rollenbild zu entsprechen scheinen. Doch die hiermit berührten Fragen sind viel größer, als dass sie auf diesen Vorwurf reduziert werden könnten.►2,11 Die Liebe zum Mädchen zeigt vielmehr, was unserer Welt verlorengeht – und zwar unabhängig vom Patriarchat. Man könnte der Emanzipation erwidern: Merkt ihr nicht, wie auch ihr das Patriarchat fortschreiben wollt? Ihr passt euch nur an und beansprucht euren Anteil am Kuchen, aber das, was das Patriarchat ausgemacht hat, schreibt ihr genauso fort!
Die Liebe zum Mädchen steht für eine völlig andere Welt, die heute noch nicht einmal denkbar ist – aber sie ist vom Patriarchat so weit entfernt wie nur irgendetwas...
Fußnoten
[1] Dies ändert nichts an der patriarchalischen Geschichte, mahnt aber stellenweise zur Vorsicht. Später beziehe ich mich hier mehrmals auf eine Dissertation von Sabine Schwientek. Schwientek geht so weit – dies sei als exemplarisches Beispiel herausgegriffen –, dass sie etwa die These aufstellt, der Paris-Mythos mit dem Streit der drei Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite, wer die Schönste sei, basiere ,auf der Fehlinterpretation einer Darstellung, die zeigt, wie drei Göttinnen einem Auserwählten die Lebensfrucht überreichen’. Damit übergeht sie den ganzen übrigen Inhalt des Mythos (nämlich die Hochzeit von Peleus und Thetis, zu der alle Götter außer Eris, die Zwietracht, geladen sind, worauf sie den goldenen Apfel mit der Aufschrift ,der Schönsten’ hineinwirft, der so zum ,Zankapfel’ wird, worauf Zeus das Urteil in die Hand des Sterblichen Paris legt). Sie behauptet also nichts anderes, als dass es wie aus heiterem Himmel (bzw. aus einer matriarchalen Vorzeit heraus) eine Darstellung gab – und sich ein ganzer Mythos falsch darumherum gerankt habe! Jede Darstellung ist aber immer Zeugin eines bereits vorhandenen Mythos. Dies zeigt, wie weit sich feministische Forschung offenbar bisweilen aus dem Fenster lehnen kann, ohne sich ihrer krassen Unlogik bewusst zu werden.
[2] Gerda Lerner: Entstehung des feministischen Bewusstseins. Vom Mittelalter bis zur Ersten Frauenbewegung. München 1998, S. 18.
[3] Ebd., S. 20. • Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mussten sich Frauen alternativlos ,entscheiden zwischen einem Leben als Frau und Mutter einerseits und Bildung andererseits. Keine Gruppe von Männern hat jemals in der Geschichte eine derartige Wahl treffen oder einen solchen Preis zahlen müssen für die Möglichkeit, ihre geistigen Fähigkeiten zu entwickeln.’ Nach ihrer eigenen Konditionierung haben die Frauen ,Männer sexuell und emotional so versorgt, daß talentierte Männer sich in einer Weise vervollkommnen konnten, die Frauen niemals möglich war. [...] Hätte hinter jeder brillanten Frau ein Mann gestanden [statt umgekehrt, H.N.], so hätten ebenso viele große, anerkannte Frauen die Geschichte geprägt, wie hervorragende Männer es getan haben.’ Ebd., S. 27. • Andere Wissenschaftlerinnen schilderten überhaupt das Leben der Frauen in früheren Jahrhunderten, das wie das der Männer hart genug war, so eindrücklich und oft sehr berührend Olwen Hufton: Frauenleben: Eine europäische Geschichte. 1500-1800. Frankfurt am Main 2002.