Parthenophilie

Die Welt der Märchen


Der Ursprung der Parthenophilie liegt in der Welt der Märchen verborgen. Schon hier, in diesen ,Geschichten’, die aus dem Dämmerdunkel der Volksüberlieferung stammen und von Mund zu Ohr, von Generation zu Generation mündlich überliefert wurden, bevor sie dann von den Brüdern Grimm gesammelt und aufgeschrieben wurden,[1] um nicht in einer sich verändert habenden Welt völlig verlorenzugehen – schon hier in den Märchen begegnet uns rein und wie in einem Urbild die Liebe zum Mädchen.

Und hier haben wir das ganze Geheimnis bereits vor uns, denn die Märchen sind eben nicht ,wahre Geschichten’, die sich äußerlich, in der ,wirklichen’, genauer gesagt, in der irdischen Welt ereignet haben, sondern es sind Urbilder, die von der Seele aufgenommen werden wollen und auch eine Urbedeutung für sie, die Seele, haben.

Was sind Urbilder? Es sind Bilder, die in ihrer Tiefe nicht erschöpft werden können. Bilder, die die Seele immer und immer wieder nähren – für immer. Bilder, die eine existenziell tiefe Bedeutung haben. Und so ist auch das Mädchen im Märchen ein leuchtendes, ein heiliges Urbild.
Und dann ist zu fragen: Wofür ist das Mädchen ein Urbild, immer wieder? Aber diese Frage ist nicht mit intellektuellem, unbeteiligtem, kaltem Sinn zu stellen, sondern mit Ehrfurcht. Mit liebender, mit sehnsuchtsvoller Seele – mit einer Seele, die durch ihre eigenen, in ihr aufsteigenden Empfindungen in tiefstem Grunde bereits um die Antwort weiß...

Das Mädchen ist Urbild für die Unschuld. Für die reine Seele. Es ist eben nicht Frau, die mit praktischem Sinn die Lebensvorgänge zu gestalten weiß, aus einer Übersicht und einer weiblichen Weisheit heraus, sondern es ist Mädchen, mit nichts in der Hand als seinem reinen Herzen, seiner reinen Seele, seinem heilig-guten Willen...

Das Mädchen ist schwächer und unfähiger als die ganze es umgebende übrige Welt – aber es ist inmitten dieser Welt wie ein heimlich-heilig leuchtender Diamant. Sein Herz ist erfüllt von etwas Unbeschreiblichem, etwas, was so nur das Mädchen hat – und was in einer Art Gegensatz zu der übrigen Welt steht, die dieses heilige Etwas nicht mehr hat. Aber diese übrige Welt sieht es – auch wenn sie es nicht erkennt, nicht in seinem Wesen erkennt. Und sie hasst das Mädchen, sie verspottet es, sie begehrt es oder sie liebt es. In allen Arten, die nur denkbar sind, reagiert die Welt auf das Mädchen – aber immer reagiert sie, weil sie fortwährend etwas wahrnimmt, etwas unglaublich Starkes, etwas, das man gar nicht nicht wahrnehmen kann...

Das Mädchen konfrontiert die Seele mit ihrem eigenen So-Sein – und es konfrontiert die Seele mit dem, wie sie sein sollte. Denn es konfrontiert sie mit seinem Sein, und dies, ohne es überhaupt zu wollen, denn es kann ja nichts dafür, wie es ist. Und doch kann es unendlich viel dafür. Aber es will ja niemanden, keinen einzelnen Menschen ,vor den Kopf stoßen’, es will einfach nur das Gute, seinen ureigenen Weg gehen und in Ruhe gelassen werden. Aber es rührt mit seinem Wesen die ganze Welt auf – denn es rührt sie an, oder es rührt an ihre wunden Punkte, einfach dadurch, dass es sein Wesen so wenig verbergen kann.

Mit dem Mädchen tritt die Unschuld in die Welt – jene Unschuld, die die Welt gerade verloren hat. Und die Welt verdammt es, sucht um jeden Preis, es sich aus den Augen zu schaffen ... oder sie liebt es, beginnt, es unendlich zu lieben. Das ist der Unterschied zwischen der bösen Stiefmutter und dem Königssohn oder dem König selbst.

Und jede Vermählung bedeutet ja und ist ein tiefes Bild für eine Einswerdung. In dem Maße, in dem der König sich mit dem schönen Mädchen vermählt, kann er von dessen Wesen nicht unberührt bleiben. Und aus keinem anderen Grunde wollte er sich nur mit ihm und niemandem sonst vermählen, weil er bereits auf den ersten Blick von seinem Wesen berührt wurde... Aber die Berührung, die innere Berührung der Seele, soll zu einer tiefen Verwandlung werden, nur dann offenbart sich ihre Wahrheit.

Das Mädchen soll die heilige Verwandlerin der Seele sein. Die Seele soll die unbeschreibliche Unschuld des Mädchens auch in sich aufnehmen – sie soll sich von ihr ganz durchdringen lassen. Sie soll sich von dem Mädchen ganz und gar durchdringen lassen. Verwandeln lassen. Heilen lassen.

So rein und so heilig und so gut werden wie das Mädchen...

Dies sind die Urbilder der großen, weisen Märchenwelt. Und obwohl es Bilder sind, ,nur’ Bilder, sind sie doch der Ursprung der Parthenophilie überhaupt – der Liebe zum Mädchen. Denn in jeglicher Liebe zum Mädchen wirkt dasjenige, was in diesen Bildern der Märchen rein und absolut zum Ausdruck kommt: die Sehnsucht nach der Unschuld. Denn das Mädchen ist die Unschuld. Das Mädchen ist die verkörperte Unschuld, und nur in ihm tritt sie in Erscheinung.

Sie tritt natürlich auch in jedem kleinen Kind zur Erscheinung. Aber das Wesen des Mädchens ist gerade, diese Unschuld zu bewahren, zu hüten und zu einem unbeschreiblichen, erschütternden Aufblühen zu bringen.

Neben diesem Aufblühen der Unschuld blüht im Mädchen natürlich noch etwas anderes auf, und das ist ihre leibliche Jugend. Im Mädchen, dem Urbild nach, vereint sich innere und äußere Schönheit in einer wiederum unbeschreiblichen Vollkommenheit. Und gerade deswegen ist die Offenbarung seiner Unschuld so tief, so welterschütternd.
Denn die äußere Schönheit beginnt – gerade durch ihre Verbindung mit der inneren Schönheit, nach der die Seele sich eigentlich sehnt –, ein Begehren zu erregen. Und so ruft das Mädchen gerade die ,niederen’ Triebe hervor – während es selbst von diesen gar nichts weiß; während diese in ihm gar nicht leben und es sie auch in der übrigen Welt eigentlich überhaupt nicht vermutet. Und so wird es mit ihnen buchstäblich unvermutet konfrontiert – aber konfrontiert die Welt zugleich mit seinem Wesen, mit der völligen Unschuld.

Gerade dies macht die Offenbarung des Mädchens so erschütternd – die Tatsache, dass es die Offenbarung eines tiefen Gegensatzes zur übrigen Welt ist. So muss man es aussprechen: Das Mädchen ist der tiefe Gegensatz zur übrigen Welt. Die Welt kann das Mädchen allenfalls lieben – aber sie liebt es, weil es so vollkommen anders ist als sie. Gerade deshalb liebt sie es... Oder sie hasst es. Um dasjenige zu vernichten, was ihr allein durch sein Dasein ihr eigenes Wesen offenbart.

Die Welt liebt das Mädchen, wenn sie sich selbst ändern will. Sie hasst es, wenn sie sich nicht ändern will... In jedem Fall aber zeigt das Mädchen der Welt ... wie sie sein sollte.

Und dies ist das Wesen der Parthenophilie: Die Liebe zum Mädchen ist in tiefstem Sinne immer die Liebe zu jenem Wesen, das den Mittelpunkt des Menschenwesens schöner und heiliger in sich trägt als jeder andere und als alles andere. Das Mädchen hat eine einzige heilige Aufgabe, die es ganz und gar erfüllt. Es ist Hüterin der reinen Seele... Dieser Aufgabe ist es treu, mit allem, was es hat.

                                                                                                                                       *

In Grimms Märchen ,Die sechs Schwäne’[2] verirrt sich ein König auf der Jagd in einen großen Wald – so, wie die Seele sich in der heutigen Zeit völlig in die Welt des Äußerlichen verirrt hat. Eine Hexe zeigt ihm den Weg unter der Bedingung, dass er sich mit ihrer schönen Tochter vermählt. ,Der König in der Angst seines Herzens willigte ein [...], und er sah wohl, daß sie sehr schön war, aber sie gefiel ihm doch nicht, und er konnte sie ohne heimliches Grausen nicht ansehen.’

Der König heiratet das Mädchen – aber er fühlt sehr wohl, dass sie nicht seine wahre Gemahlin ist. All dies sind unglaublich deutliche Bilder, die der Seele tiefe Wahrheiten vor das Auge stellen...
Und dann heißt es, dass der König schon einmal verheiratet gewesen war und von seiner ersten Gemahlin sechs Knaben und ein Mädchen hatte. Diese geliebten Kinder nun verbarg er vor der neuen Schwiegermutter in einem einsamen Schloss mitten in einem Wald.
Die böse Königin aber gelangt durch Bestechung der Diener an das Zauberknäuel, das dem König jedesmal den Weg zeigt, und als die Knaben ihr, glaubend, es sei der Vater, entgegenspringen, verwandelt sie sie mit verzauberten Hemden in Schwäne. Aber das Mädchen war nicht mitgelaufen. Und am nächsten Tag findet der König nur es – und fragt nach seinen Brüdern.

„Ach, lieber Vater“, antwortete es, „die sind fort und haben mich allein zurückgelassen“, und erzählte ihm, daß es aus seinem Fensterlein mit angesehen habe, wie seine Brüder als Schwäne über den Wald weggeflogen wären, und zeigte ihm die Federn, die sie in dem Hof hatten fallen lassen und die es aufgelesen hatte.
Der König trauerte, aber er dachte nicht, daß die Königin die böse Tat vollbracht hätte, und weil er fürchtete, das Mädchen würde ihm auch geraubt, so wollte er es mit fortnehmen. Aber es hatte Angst vor der Stiefmutter und bat den König, daß es nur noch diese Nacht im Waldschloß bleiben dürfte.

Und alles spricht von der Unschuld. Die Klage des Mädchens; wie es andererseits aber nur treu berichtet, sein Schicksal ergeben hinnehmend. Selbst das ,Fensterlein’, das von tiefster Bescheidenheit zeugt. Und dann die treue Sorge, mit der es jede einzelne Feder aufgelesen hatte...

Der König vermutet nicht einen Moment, dass die Königin die böse Tat vollbracht habe, und er will das Mädchen zu sich nehmen, damit es ihm nicht auch noch geraubt werde. Aber das Mädchen hat Angst vor der Stiefmutter und bittet den Vater, nur noch diese Nacht im Waldschloss bleiben zu dürfen.

Das arme Mädchen dachte: Meines Bleibens ist nicht länger hier, ich will gehen und meine Brüder suchen.

Welch eine unschuldige Treue und Hingabe! Sein einziger Lebensinhalt sind nun die Brüder, die es suchen möchte, wiederum mit allem, was es hat.
Es geht in den Wald hinein und findet nach einer Nacht und einem Tag, als es vor Müdigkeit nicht mehr weiterkonnte, eine Wildhütte, darin eine Stube mit sechs kleinen Betten, und als die Sonne untergeht, fliegen sechs Schwäne herein, die sich am Abend jeweils für eine Viertelstunde in Menschen verwandeln können.

Das Schwesterchen weinte und sagte: „Könnt ihr denn nicht erlöst werden?“

Und dann hört es von den Brüdern den einzigen Weg: Wenn es sechs Jahre lang nicht sprechen und lachen würde und in dieser Zeit sechs Hemdchen aus Sternenblumen nähen würde. Und wieder liegt in dieser Bedingung ein Einziges: absolute Treue und Hingabe.

Das Mädchen aber faßte den festen Entschluß, seine Brüder zu erlösen, und wenn es auch sein Leben kostete. Es verließ die Wildhütte, ging mitten in den Wald und setzte sich auf einen Baum und brachte da die Nacht zu. Am andern Morgen ging es aus, sammelte Sternblumen und fing an zu nähen.

Aber nun kommt der König des Landes, in dem sie sich befindet – sei es, dass sie den anderen Wald längst verlassen hat, sei es, dass schon jener Wald mit dem geheimen Schloss bereits nicht mehr ihrem Vater gehört hatte –, auf der Jagd mit seinen Jägern zu jenem Baum, auf dem das Mädchen saß.

Sie riefen es an und sagten: „Wer bist du?“ Es gab aber keine Antwort. „Komm herab zu uns“, sagten sie, „wir wollen dir nichts zuleid tun.“ Es schüttelte bloß mit dem Kopf. Als sie es weiter mit Fragen bedrängten, so warf es ihnen seine goldene Halskette herab und dachte sie damit zufriedenzustellen. Sie ließen aber nicht ab, da warf es ihnen seinen Gürtel herab, und als auch dies nicht half, seine Strumpfbänder, und nach und nach alles, was es anhatte und entbehren konnte, so daß es nichts mehr als sein Hemdlein behielt. Die Jäger ließen sich aber damit nicht abweisen, stiegen auf den Baum, hoben das Mädchen herab und führten es vor den König.

Diese Stelle erinnert unweigerlich an ,Die Sterntaler’. Was sie unterscheidet, ist nur die Tatsache, dass das Mädchen nicht angesichts einer Not anderer alles gibt, was es hat, sondern angesichts einer eigenen Not – um die Bedrängung durch die Jäger abzuwehren. So lebt in dieser Stelle eine ganz unschuldige Erotik. Das Mädchen gibt alles hin – und kann doch nicht verhindern, dass all dies nicht genügt...

Der König fragte: „Wer bist du? Was machst du auf dem Baum?“ Aber es antwortete nicht. Er fragte es in allen Sprachen, die er wußte, aber es blieb stumm wie ein Fisch. Weil es aber so schön war, so ward des Königs Herz gerührt, und er faßte eine große Liebe zu ihm. Er tat ihm seinen Mantel um, nahm es vor sich aufs Pferd und brachte es in sein Schloß. Da ließ er ihm reiche Kleider antun, und es strahlte in seiner Schönheit wie der helle Tag, aber es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Er setzte es bei Tisch an seine Seite, und seine bescheidenen Mienen und seine Sittsamkeit gefielen ihm so sehr, daß er sprach: „Diese begehre ich zu heiraten und keine andere auf der Welt“, und nach einigen Tagen vermählte er sich mit ihr.

,Weil es aber so schön war...’ Jede andere Verweigerung hätte den Unmut und Zorn eines Königs auslösen müssen. Nicht aber die Unschuld und die unschuldige Schönheit des Mädchens. Und so verhärtet sich sein Herz nicht in Unmut, sondern wird gerade gerührt. Und so fasste es, das Herz des Königs, eine große Liebe zu ihm – zu dem Mädchen. Parthenophilie – die Liebe zum Mädchen.
Denn dass das Mädchen längst heranwachsend ist, kein Kind mehr, das zeigt sich wenig später. Der König möchte dieses Mädchen heiraten – sie und keine andere. Das ist der andere Unterschied zum Sterntaler-Mädchen. Denn dieses wird ausdrücklich noch als , kleines Mädchen’ bezeichnet. Das Mädchen, das die Schwester der sechs Brüder ist, scheint dem Vater gegenüber auch noch ein ,liebes Kind’ zu sein, dennoch ist es dem anderen König gegenüber bereits in dem Alter, es sich vermählen zu können. So mag es zwischen zwölf und vierzehn Jahre alt sein...

Aber als das Mädchen ein Jahr später ein Kind zur Welt bringt, nimmt die böse Mutter des Königs es ihm weg, bestreicht den Mund des Mädchens im Schlaf mit Blut und klagt es als Menschenfresserin an. Der König glaubt es nicht. Das Mädchen aber konnte ja nur schweigen – und nähte treu und beständig an den Hemden für die Brüder. Als es ein Jahr später wieder ein Kind zur Welt bringt, tut die böse Schwiegermutter das Gleiche, doch der König glaubt noch immer fest an das Mädchen, das nun zwischen vierzehn und sechzehn Jahre alt ist:

„Sie ist zu fromm und gut, als daß sie so etwas tun könnte, wäre sie nicht stumm und könnte sie sich verteidigen, so würde ihre Unschuld an den Tag kommen.“

Als sie aber das dritte Mal angeklagt wird und nichts erwidert, muss der König sie dem Gericht übergeben, das sie zum Feuertod verurteilt. Doch an eben diesem Tag hat das Mädchen endlich die sechs Hemden fertig – und geht mit ihnen zum Scheiterhaufen. Welch eine Treue...
Und als das Feuer eben entzündet werden soll, rauschen die Schwäne heran, und sie kann ihnen die Hemden überwerfen und der Zauberbann wird gebrochen. Und nun darf das Mädchen endlich auch sprechen – und sie kann dem König den ganzen Betrug seiner bösen Mutter erzählen, die daraufhin die dem Mädchen zugedachte Strafe erleidet.

Wenn dieses Märchen Bild für tiefe Seelenwirklichkeiten ist und wenn das Mädchen das Urbild der reinen Seele ist – was sind dann seine Brüder?
Man möge einmal an die sechs Sinne denken... Die sechs Sinne als Brüder der Seele, als ihre lieben Geschwister, von Natur aus. Aber nun verfallen sie einem Zauber, dürfen nicht mehr rein menschlich sein, müssen ein Tierkräften verhaftetes Leben führen. – Und ist dies nicht das Schicksal der Sinne heute? Dass sie unerlöst in der Welt umheriren müssen, immer nur für Momente wahrhaft menschlich?
Was aber kann sie allein erlösen? Es ist ihre Schwester, die Seele. Und nur dann, wenn sie vollkommen rein und treu ist, bis ins Innerste. Treue und Unschuld der Seele erlöst ihre Brüder. Wenn ihnen die weißen Hemden aus Sternenblumen übergeworfen werden, dann werden sie wieder erlöst. Diese Hemden bestehen aus himmlischer Unschuld, und sie wurden gewoben mit liebender Unschuld und Treue. Überkleidet von wahrer Unschuld und durchdrungen von tiefer Liebe werden die Sinne wieder menschlich. Das ist die heilige Wahrheit.

Erlöst aber werden sie vom Wesen des Mädchens. Erlöst werden sie, wenn die Seele so wird, wie das Mädchen ist.

Und auch der König oder Königssohn, das menschliche Ich-Wesen, liebt nichts anderes und nichts mehr als die unschuldige Seele – das Mädchen. Die Seele vermählt sich dem Geist, wenn sie unschuldig wird – unschuldig, rein, treu und hingebungsvoll. Dann gewinnt sie ein ganzes Königreich, und das Königreich gewinnt sie...

                                                                                                                                       *

Nach dieser heiligsten Ebene der Märchen wollen wir noch einige andere Aspekte betrachten, zumal der Feminismus die Märchen umfassend diskreditiert hat.

Feministinnen kritisieren bereits die Verherrlichung des schönen Mädchens. Letztlich ist die Schönheit des Mädchens im Märchen immer heiliges Symbol tiefster Seelenschönheit. Aber begeben wir uns einmal in irdischere Sichtweisen, so ist die Liebe des Mannes zur Mädchenschönheit eine absolute Tatsache. Es ist auch bei Frauen nicht anders, dass sie sich in jene Männer verlieben, von denen sie sich angezogen fühlen, sei es durch das Aussehen, sei es durch bestimmte Charaktereigenschaften.

Für welchen Mann würde eine Frau heldenhaft leiden und kämpfen? Aber es spielt natürlich auch eine Rolle, dass im Mann die Anziehung durch Schönheit sehr stark ist, während für die Frau mehr und ausschließlicher die inneren Werte zählen. Das dem Mann vorzuwerfen, ist ungerecht, denn das weibliche Geschlecht ist nun einmal schön(er) – und betört daher auch durch diese Schönheit. Sollte ein Mann dieses Schönheitsempfinden schlicht ausschalten, wenn es so schöne weibliche Wesen gibt? Und eine bestimmte äußere weibliche Schönheit kündet auch von der inneren, denn Leibe und Seele sind nicht getrennt. Die unendlich schöne Prinzessin des Märchens ist eine tiefe Wahrheit. Und ihre Anmut und ihr Liebreiz sind bereits Offenbarung tiefer innerer Qualitäten.[3]

Ein weiterer Kritikpunkt ist, die Märchen würden Mädchen zu Passivität und Fremdbestimmung erziehen. Schneewittchen im Todesschlaf oder das gehorsame Aschenputtel wird vom Prinzen erlöst und ,bekommt’ ihn – und das war es (und die Ehe wird dann sicher genauso passiv und gehorsam).

Dem wäre zu entgegnen, dass man die Märchen mit viel größerem Recht als eine Verherrlichung des Mädchens sehen kann. Im Grunde ist der Prinz nur Beiwerk! Die Kritik am braven Aschenputtel verkennt die wahre Natur des Märchens völlig. Nicht nur für ein Kind geht es um viel tiefere, umfassendere Ebenen.[4] Und kein Kind wird das Märchen so verstehen, dass es brav jede Arbeit verrichten muss. Jedes Kind wird verstehen, dass das Böse am Ende bestraft und das Gute belohnt wird – und das ist etwas völlig anderes. Nicht Fügsamkeit wird hier anerzogen, sondern der Glaube an das Gute und vor allem die Liebe zum Guten!

Aber des Weiteren ist Duldsamkeit und Bescheidenheit eine Tugend. Eine Seele wird in stillem Erdulden auch wahrhaft schön. Dennoch wird eine zur Auflehnung geneigte Seele sich von einem solchen Märchen wohl kaum zur Duldsamkeit bringen lassen. Nein – diese Märchen haben einen ganz anderen Sinn. Sie sollen der Seele ein Wissen über die Wahrheit innerer Schönheit vermitteln; über die Unantastbarkeit des inneren Heiligtums, in dem die Liebe zum Wahren, Schönen und Guten lebt, und diese Wahrheit nimmt jedes Kind intuitiv und unmittelbar auf. Ein Mädchen, das schließlich alt genug ist, um sich wehren zu können, wird gegen jede Art von Unterdrückung und versuchte Konditionierung aufbegehren. Aber bis dahin muss es in seinem Inneren einen Ort haben, wo die Hoffnung lebt, das Vertrauen in den eigenen Wert, in die heilige Unantastbarkeit des eigenen Wesens. Das vermittelt jedes Märchen – für Jungen und Mädchen gleichermaßen, gerade aber für Mädchen. Es erzieht nicht zur Fügsamkeit, es ist ein innerer Schutz, eine Art Amulett – bis das Mädchen die Kraft hat, seinen Weg zu gehen.

Auf der ganz basalen Ebene reproduzieren die meisten Märchen irgendwo Grundmuster einer männlich dominierten Welt – aber das tun Feministinnen in anderer Weise auch. In demselben Moment aber, wo man das Mädchen auch als heiliges Symbol für die Seele sehen kann – und die Hochzeit mit dem Königssohn als die wunderbare Erlösung aus dem Bannzustand von Materialismus und Sinnensucht, verändert jedes Märchen seinen Gehalt völlig.

Teilweise wird sogar darauf verwiesen, dass zum Beispiel weibliche Neugier in Märchen viel öfter ein Tabu und ein Versagen in Bezug auf eine Gehorsamsprobe sei, wie ja schon der ,Sündenfall’ weiblicher Neugier zugeschrieben wird. Wenn dann allerdings ausgerechnet ein Märchen wie ,Blaubart’ als Beleg herangezogen wird, erweist sich die ganze tendenziöse Argumentation – denn der frauenmordende Blaubart, der dann auch folgerichtig von den Brüdern des Mädchens getötet wird, kann absolut nicht für ,pädagogische Zwecke’ herhalten. Andererseits ist ein Übertreten ewiger Gesetze für die Seele tatsächlich stets von existenziellem Schaden – man denke erneut an den Verlust des Zusammenhangs mit einer göttlichen Welt und an ein Versinken in Materialismus und Sinnleere. Auch das Märchen ,Marienkind’ enthält ein Verbot, das übertreten wird, und doch ist das Mädchen von der unendlich gütigen Jungfrau Maria regelrecht gesegnet – und jegliche Strafe wird von der Himmelskönigin bis zuletzt verhindert.

Viele Märchen geben dem Mädchen eine sehr aktive Rolle. In den isländischen Märchensagas kommt des öfteren die Figur des ,Mädchenkönigs’ vor.[5] Im Grimms-Märchen ,Das singende, springende Löweneckerchen’ wird die dritte und jüngste Tochter eines Mannes von einem Prinzen in Gestalt eines Löwen beansprucht, der später aber für sieben Jahre in eine weiße Taube verwandelt wird. Das ihn liebende Mädchen kann ihn nur erlösen, wenn sie seinen Spuren – Blutstropfen und Federn – folgt. Als sie am Ende dieser Zeit keine Spuren mehr findet, steigt sie bis zu Sonne und Mond hinauf (!), und alle, auch die Winde, helfen ihr. Sie tritt sogar einem Lindwurm entgegen und gewinnt den verzauberten Prinzen am Ende wieder.

Die Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth verweist darauf, dass der Urkern der Märchen vielfach im Mythos liegen kann[6] – und sich immer wieder Spuren der Göttin finden, die entweder allein herrschte oder mit einem ,Heros’, den sie durch Initiation, Tod und Auferstehung schickt.[7] Mit dem Aufkommen des Patriarchats mussten diese Inhalte verborgen werden,[110] später wurden sie von diesem verfälscht und schrittweise völlig unterschlagen.[122f] ,Frau Holle’ ist jedoch noch als eine sehr alte weibliche Gottheit erkennbar.[112f][8] Auch Aschenputtel und ihre wundersam aus dem Jenseits ihr beistehende ,tote Mutter’ können als Priesterin und Göttin gedeutet werden, Zauberbaum und Gewänder als Symbole des Lebensreichtums.[114]

Aus der nichtmenschlichen ,Anderwelt’ kommend sind die chinesischen Fuchsgeister oder Fuchsfeen, die als verführerische weibliche Gestalt den Mann entweder täuschen oder aber – schon im achten Jahrhundert sich zunehmend durchsetzend[147] – treu und hilfreich lieben. Was wie ein männlicher Wunschtraum erscheinen mag, kehrt das traditionelle Geschlechterverhältnis dennoch völlig um, denn die Fuchsfrau oder das Fuchsmädchen wählt sich hier den Mann und hat die aktive Rolle.[9]

Das traditionelle französische Volksmärchen ,Die Schöne und das Tier’, das 1740 erstmals schriftlich veröffentlicht wurde, zeigt ebenfalls eine neue Geschlechtermoral, denn die Schöne geht freiwillig auf das Schloss, um ihren Vater zu retten – und das sie letztlich umsorgende Tier kann jeden Abend nur fragen, ob sie mit ihm schlafen möchte (was sie verneint), bis sie, nach einem zweimonatigen Aufenthalt zu Hause, ihre Liebe erkennt, woraufhin der Fluch geheilt ist und sie am nächsten Morgen an der Seite eines Prinzen erwacht. Aber auch hier sehen wir wieder den Ur-Gegensatz zwischen der Schönen und ihren beiden selbstsüchtigen und faulen Schwestern.[10]

Im Märchen ,Das Mädchen aus dem Ei’ aus dem Banat möchte ein Königssohn keine Prinzessin weit und breit heiraten, sondern, weil er einmal eine wunderbare Geschichte von einem Mädchen aus dem Ei gehört hatte, nur ein solches. Er findet schließlich ein Nest und in einem Ei ein Mädchen. Dieses dürstet, aber als er Wasser geholt hat, ist es schon tot. Das zweite Ei schlägt er erst auf, als er schon Wasser hat. Als er aber Kleider für sie holt, wirft ein viel hässlicheres, neidisches Zigeunermädchen die Schöne in einen Brunnen. Der Prinz verwechselt sie nun, aber das echte Mädchen hat sich in ein goldnes Fischlein verwandelt. Die Andere lässt den Prinzen das Fischlein schlachten und essen, aber die Gräten werden auf dem Misthaufen zu einem Bäumchen mit goldenem Laub. Sie lässt ihn diesen fällen, aber eine arme Witwe darf die Späne zusammenklauben und legt sie unter ihren Herd, wo das Mädchen nun stets heimlich ihre Arbeit macht. Schließlich entdeckt und erkennt sie der Königssohn, und sie hält eine lange Anklage.[11]

Hier sehen wir, wie das Mädchen eine heilige Entscheidung fordert. Der Beginn ähnelt dem ,Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen’ aus dem Evangelium (Mt 25,1-13). Dort haben die letzteren das Öl für die Lampen vergessen, um dem heiligen Bräutigam entgegen zu gehen – hier braucht der Mann das Wasser, unter anderem ein Symbol der Aufrichtigkeit. Vom Bösen aber ist das gleichsam göttliche Mädchen nicht zerstörbar – immer wieder offenbart es sich lebendig und golden, Symbol heiliger Sonnenkraft. Selbst bei der Anklage am Ende, vor der glücklichen Hochzeit, muss man daran denken, wie auch Christus der Seele ihre Taten erst wirklich bewusst werden lässt, in heiliger Wahrheit, was auch mit dem tiefsten Geheimnis der Individualität zu tun hat. In jeder Hinsicht ist das Mädchen hier in berührendendster Weise wie ganz von einer Christussphäre umhüllt.

Und jetzt kehren wir noch einmal zum Schneewittchen zurück. Von ihr heißt es, als ein junger Prinz in dem Haus der sieben Zwerge übernachtet:[12]

[...] und wie er in die Stube kam und Sneewittchen in dem Glassarg liegen sah, auf das die sieben Lichtlein so recht ihren Schein warfen, konnt er sich nicht satt an seiner Schönheit sehen, und las die goldene Inschrift und sah, daß es eine Königstochter war. Da bat er die Zwerglein, sie sollten ihm den Sarg mit dem todten Sneewittchen verkaufen, die wollten aber um alles Gold nicht; da bat er sie, sie mögten es ihm schenken, er könne nicht leben ohne es zu sehen, und er wolle es so hoch halten und ehren, wie sein Liebstes auf der Welt. Da waren die Zwerglein mitleidig und gaben ihm den Sarg, der Prinz aber ließ ihn in sein Schloß tragen, und ließ ihn in seine Stube setzen, er selber saß den ganzen Tag dabei, und konnte die Augen nicht abwenden; und wenn er aus mußte gehen und konnte Sneewittchen nicht sehen, ward er traurig, und er konnte auch keinen Bissen essen, wenn der Sarg nicht neben ihm stand.

Gewöhnlich sieht man dies nur als das Bild absoluter Passivität oder männlicher Projektion. Später, als das Giftapfelstück heraus und das Mädchen gerettet ist, heißt es auch nur: ,Da ging es hin zu dem Prinzen, der wußte gar nicht, was er vor Freuden thun sollte, als sein liebes Sneewittchen lebendig war, und sie setzten sich zusammen an die Tafel und aßen in Freuden.’, worauf die Hochzeit angesetzt wird – während der Prinz dies in einer späteren Version zumindest noch ankündigt und es heißt: ,Da war ihm Sneewittchen gut, und gieng mit ihm...’[13]

Es wird vielfach bezweifelt, dass hier Grundlagen für eine echte Liebe vorhanden seien, denn der Prinz habe sich in das Mädchen in einem Zustand verliebt, ,wo ihre Individualität, ob Klugheit, Charme, Spontaneität oder Herzensgüte, vollkommen ausgelöscht’ ist.[14] Und: ,Es darf bezweifelt werden, ob der Prinz seine Ehefrau als Menschen mit Eigenleben später so lieben wird wie als schöne Tote und gewissermaßen verfügbaren Privatbesitz.’[15]

Was hier grundlegend nicht verstanden wird, ist die tiefe Entsprechung von Seele und Leib, von innen und außen. Bei einer derart überwältigenden Schönheit darf man nicht nur, man muss davon ausgehen, dass auch diese Entsprechung überwältigend sein wird. Anzweifeln können dies nur jene, die gar keinen Blick für das Innere haben, ja nicht einmal für das Äußere – wie es auch von den Dienern des Prinzen heißt:[16]

Die Diener aber, die beständig den Sarg herumtragen mußten, waren bös darüber, und einer machte einmal den Sarg auf, hob Sneewittchen in die Höh und sagte: „um so eines todten Mädchens willen, werden wir den ganzen Tag geplagt,“ und gab ihm mit der Hand einen Stumpf [= Stoß, H.N.] in den Rücken. Da fuhr ihm der garstige Apfelgrütz, den es abgebissen hatte, aus dem Hals [...].

Obwohl dem die Rettung des Mädchens zu verdanken ist, war es den Dienern nur lästig – da war keinerlei innere Berührung! Von der gleichen ,materialistischen’ Art sind aber die genannten Einwände. Wir kennen Schneewittchens Wesen doch: Es ist anspruchslos, fleißig, gehorsam, vertrauensvoll – es hat eine unglaublich unschuldige Seele. Ausdrücklich wird ferner gesagt, dass der Prinz überglücklich ist, dass Schneewittchen lebendig ist – er möchte also gar keinen ,toten Privatbesitz’. Und was ebensowenig begriffen wird, ist das Schicksalselement: Ein Liebesbund, der vom Schicksal selbst geschlossen wird, unterliegt nicht den modernen, rationalen Zweifelgedanken, die alles nur zergliedern können, aber nichts begreifen.

Ein Mann, der sich unsterblich in ein Mädchen verliebt, dass so unfassbar schön ist, kann dieses Mädchen nur glücklich machen – und umgekehrt. Wer dies bestreitet, der hat nicht einmal eine Ahnung, wie es möglich ist, selbst ein scheinbar totes Mädchen noch so sehr zu lieben, dass man nicht einmal mehr essen, ja leben kann, wenn es nicht bei einem ist. Zu vermuten, ein solcher Mann würde das lebendige Mädchen vielleicht nicht mehr ganz so lieben, ist ein typischer, substanzloser Wahnwitzgedanke der Postmoderne.

Dieser junge Prinz – womit immer auch auf den Adel der Seele verwiesen wird – kann nicht mehr leben, ohne dieses Mädchen zu sehen. Damit wird das Mädchen zu seinem Lebenselixier. Diese rückhaltlos existenzielle Ebene existiert, es gibt so eine Liebe, die alles Fassbare zu übersteigen scheint. Und in aller Regel gilt sie tatsächlich ... einem Mädchen. Das Mädchen wird so zur absoluten Trägerin heiliger Lebenskräfte. Was sie ist. Sie ist genau dieses Wunder – in unermesslicher physischer, ätherischer und seelischer Schönheit. Das Zwischenreich des Ätherischen bedeutet gerade diesen absolut heiligen, übersinnlichen Schimmer, den nur ein tief unschuldiges Mädchen hat, weil bei ihm Seele und Leib gerade heilig übereinstimmen und in tiefster Innigkeit miteinander verbunden sind. Deswegen hat das Mysterium des Mädchens so viel mit Christus zu tun – der sich ebenfalls in der zarten Welt des Ätherischen offenbart.[17]
 

Fußnoten


[1] Schon 1697 veröffentlichte Charles Perrault acht Prosamärchen, deren Kern er mündlichen Überlieferungen entnahm und die die Vorlage einiger der bekanntesten Grimms-Märchen bilden. Zu den acht Märchen gehören ,Die schlafende Schöne im Walde’ (Dornröschen), ,Rotkäppchen’, ,Blaubart’, ,Der Gestiefelte Kater’, ,Aschenputtel oder Der kleine gläserne Schuh’ und ,Der kleine Däumling’. Wikipedia: Charles Perrault. • Die erste Ausgabe der Brüder Grimm erschien 1812. Wikipedia: Grimms Märchen.

[2] Projekt Gutenberg. Auch für die folgenden Zitate.

[3] Man kann nun für immer die verschiedenen Qualitäten gegeneinander ausspielen. So kann man auch die Frauen, die sich in intelligente Männer verlieben, fragen: warum nicht in starke oder mutige Männer? Und umgekehrt. Oder warum nicht in gerechte Männer, in sanfte, in grobe – das innere Ideal ist nun einmal nicht immer gleich. Auch nicht jeder Mann liebt ,die anmutige, liebreizende Prinzessin’. Manchem Mann ist sie vielleicht zu sanft oder zu zurückhaltend oder zu gut erzogen, nicht ,verdorben’ genug. Dennoch werden die meisten Männer irgendwo innerlich ein Ideal von einer solchen liebreizenden Prinzessin in sich tragen, die sich ihrem Helden hingeben wird, weil sie auch von ihm ein Bild in sich trägt. Nun müssen die meisten Frauen damit umgehen, dass sie keine Prinzessinnen sind – und die meisten Männer damit, dass sie keine Helden sind. Aber sie können es ja beide werden. Und eine Feministin, die lieber Direktorin oder Amazone werden will, muss sich einen Mann suchen, der das mag.

[4] Nicht nur Bruno Bettelheim betonte: ,Kinder brauchen Märchen’ (1976). Schon Einstein betonte die Wichtigkeit von Märchen für die Entwicklung von Imagination und echter, kreativer Intelligenz. Das vielfach genannte Zitat ,If you want your children to be intelligent, read them fairy tales...’ ist jedoch kein Original-Wortlaut. Stephen Winick: Einstein’s Folklore. Folklife Today, blogs.loc.gov, 18.12.2013.

[5] Siehe zum Beispiel Wikipedia: Ála flekks saga.

[6] So schon Jacob Grimm, laut dem längst ,der wahn beseitigt worden [ist], als beruhen diese stoffe auf läppischen, der betrachtung unwürdigen erdichtungen, da sie vielmehr für den niederschlag uralter, wenn auch umgestalteter und zerbröckelter mythen zu gelten haben, die von volk zu volk, jedem sich anschmiegend, fortgetragen [...].’ Vorrede in: Wuk Stephanowitsch Karadschitsch (Hg.): Volksmärchen der Serben. Berlin 1854, S. v-xii, hier vi f.

[7]● Heide Göttner-Abendroth: Tochter der Göttin, Schwester des Mannes. Matriarchale Muster in den Zaubermärchen, in: Harlinda Lox et al. (Hg.): Mann und Frau im Märchen. Forschungsberichte aus der Welt der Märchen. München 2002, S. 108-124. Im Folgenden Seitenangaben in hochgestellten eckigen Klammern.

[8] Wikipedia: Frau Holle. • Die ,Goldmarie’ wird eigentlich wie eine Priesterin in der Sphäre der Göttin eingeweiht.[113] • Siehe auch: Heide Göttner-Abendroth: Frau Holle im Patriarchat. Vortrag vom 5.10.2018. www.goettin-holle.de, dort unter ,Arbeits- und Forschungskreis’.

[9] Yiva Monschein: Verführerin oder gute Fee. Verschiedene Erscheinungsbilder der chinesischen Füchsin im Umgang mit Menschenmännern, in: Mann und Frau im Märchen, op. cit., S. 141-161. • Dasselbe gilt etwa für die ,Geschichte des Prinzen Achmed und der Fee Pari Banu’ aus Tausendundeiner Nacht. Projekt Gutenberg. • In den Märchen der mongolisch-nomadischen Kultur kann das wunderschöne Anderswelt-Mädchen sogar sagen: ,Ich bin der Mensch, der dein Schicksal ist.’ Erika Taube: „... es war der ihnen vom Schicksal bestimmte Mensch“, in: Op. cit., S. 223-238, hier 228. • Aber auch echte Menschenfrauen sind hier gleichberechtigt, klug und aktiv, ratend und oft lebenrettend. Ebd., S. 232ff.

[10] Wikipedia: Die Schöne und das Biest (Volksmärchen).

[11] Silvia Studer-Frangi: Einander sehen und nicht erkennen, in: Op. cit., S. 239-248, hier 239-241.

[12] Wikisource: Sneewittchen (Schneeweißchen) (1812). • Wir lassen außer Acht, dass der Prinz in der Urfassung von 1810 nur für die Hochzeit vorkommt. Hier ist es der Vater, dessen sehr erfahrene Ärzte sich den Leichnam von den Zwergen ausbitten, und dann heißt es seltsam: ,[...] nahmen ihn und machten ein Seil an 4 Ecken des Zimmers fest und Schneeweißchen wurde wieder lebendig. Darauf zogen sie alle nach Haus, Schneeweißchen wurde an (...) einen schönen Prinzen vermählt [...].’ Heinz Rölleke: Die Älteste Märchensammlung der Brüder Grimm. Cologny-Genève 1975, S. 383, zitiert nach Peter Dettmering: Literatur – Psychoanalyse – Film. Aufsätze 1978 bis 1983. Norderstedt 1984, S. 10.

[13] Wikisource: Sneewittchen (1837).

[14] Barbara Gobrecht: Das ,Traumpaar’ im Märchen, in: Op. cit., S. 32-46, hier 35, dort zitiert Wilhelm Solms: Der Märchenprinz, in: Das selbstverständliche Wunder. Beiträge germanistiscer Märchenforschung. Marburg 1986, S. 43-61, hier 53.

[15] Ebd., S. 36.

[16] Wikisource: Sneewittchen (Schneeweißchen) (1812).

[17] Wie heilend ein Mädchen wirkt, zeigt sich in der finnischen Schneewittchen-Variante ,Das schöne Mädchen’. Lauri Simonsuuri & Pirkko-Liisa Rausmaa: Finnische Volkserzählungen, Berlin 1968, S. 98-100. • Dort hat die Zarin den Zauberspiegel, aber jenes Mädchen ist ,fünfmal schöner’. Sie lässt daraufhin eine Hexe das Mädchen an einen Ort führten, ,wo nie das Tageslicht hinkommt’ – es ist ein finsterer Wald, wo das Mädchen schließlich ein großes Haus findet, mit Leichnamen und Blut: ,Das Mädchen wusch und reinigte den Fußboden überall und blieb dort wohnen’.[98f] Allein schon dies ist ein ungeheures Bild für das Läuternde. Am Abend aber kommen neu Räuberbrüder zurück, denen das Haus gehört. Und nun heißt es weiter: ,Das Mädchen verbot ihnen, etwas Böses zu tun, zu stehlen und zu morden, und sie hörten auch auf das Mädchen.’[99] Kann man hier nicht begreifen, wie das Mädchen noch Finsterstes zu läutern vermag? • Als die Brüder das Mädchen scheinbar tot finden, weinen sie, fertigen einen goldenen Sarg, stellen ihn auf eine goldene Säule und nehmen sich selbst das Leben. Viel später findet der Sohn des Zaren den Sarg, stellt ihn heimlich unter sein Bett, in das er ein Loch macht ,und betrachtete durch diese Öffnung immer das Mädchen’[100] – so sehr, dass auch er gar nicht mehr aß und schließlich nur noch eine Art Schatten war. Dann aber muss er ein Jahr in den Krieg ziehen, und bei seiner Rückkehr ist das Mädchen wieder lebendig, weil man ihm den verhexten Ring abgezogen hatte. • Man könnte sagen: Bereits die bloße Gestalt des Mädchens führt zur vollkommenen Hingabe, das lebendige Mädchen aber läutert vollkommen zum Guten.