Seminare
"Im Anfang war das Wort."
Rückblick auf das dritte Sommerseminar mit Mieke Mosmuller.
„Im Anfang war das Wort...“
Wer könnte von sich sagen, dass er an diese Worte heranreichen würde? An ihren Sinn, ihre Bedeutung, ihren Klang, ihre Höhe? An das, wovon sie sprechen...
Gerade dies, die ersten vier Sätze des Johannes-Evangeliums, war dasjenige, was Mieke Mosmuller zum Inhalt des dritten Sommerseminars gewählt hatte. Und zum Abschluss dieses außergewöhnlichen Seminars betonte sie am Ende des gemeinsamen innigen Rückblickes, dass es nicht so ist, dass sie die Inhalte dieser Seminare bewusst aussucht – sondern dass sie sich einige Zeit vorher einstellen, dass die Themen selbst kommen.
Der Johannes-Prolog war also gekommen, um Thema dieser vier Tage zu werden – und aus Holland, Deutschland, der Schweiz und Dänemark kamen wiederum fast dreißig Menschen, die sich inzwischen schon herzlich verbunden waren und einer neuen intensiven Zusammenarbeit voller Freude und Erwartung entgegensahen.
Aber wer könnte erwarten, sich dem Urbeginn nähern zu können? Dem Logos`? Dem Geheimnis zwischen dem Vater und dem Sohn? Dem Anfang aller Schöpfung noch vor Beginn der Zeit...
Auf verschiedenen Geisteswegen führte Mieke Mosmuller uns in dieses Geheimnis hinein – ein Weg, der eigentlich unmöglich scheint, der aber – wie man staunend erlebt – in diesen vier Tagen wirklich gegangen wird. Man erlebt, dass man gegangen ist. Man kann nicht sagen, wie weit. Alles erscheint einem ganz ungenügend. Und doch empfindet man mit großer Dankbarkeit, dass nicht nur die Ohnmacht ein alles überwältigendes Erlebnis war, sondern dass es in dem gemeinsamen Üben innerlich Punkte, Momente, Erlebnisse gab, wo man empfand: Jetzt, jetzt gelingt ein Stück weit, was gefragt ist, was versucht wird, worum man sich mit aller Kraft bemüht. Ahnungen sind das dann. Ahnungen von etwas sehr Großem, Ahnungen von einem ungeheuren Weg, auf dem man nun vielleicht einen einzigen kleinen Schritt gemacht hat – aber welch eine Bedeutung hat dieser Schritt! Denn durch ihn empfindet man wirklich den Weg, und durch ihn begreift man, dass er wirklich, wirklich gangbar ist, für jeden Menschen, der nur all seine inneren Kräfte zu entfalten versucht.
Und welch eine Forderung, welch eine Überforderung war es, was in diesem Seminar versucht wurde – und auch getan wurde, in aller Anfänglichkeit, aber es ging doch auch gerade um den Anfang!
Dem gewohnten, gewöhnlichen Bewusstsein wohl noch am nächsten war die Vertiefung der einzelnen Worte des Prologs durch Thomas von Aquin. Und doch war die Nähe nur scheinbar, denn welch ein Denken entfaltet dieser Doctor angelicus! Wie tief kann man an seinen ruhig und kristallklar sich entwickelnden Gedanken empfinden, was das Denken eigentlich ist; wie rein es sein kann, wie tief es in die Bedeutung der Worte eintauchen kann – und wie hier das wahre, hohe, heilige Wesen des Denkens selbst beginnt. Ein heiliges Verstehen, ein Eintauchen, ein völliges Sich-Verbinden mit der Wirklichkeit, die tiefe Bedeutungs-Fülle ist, das ist das Wesen des Denkens, der menschlichen Intelligenz. Etwas Heiliges, das fähig ist, das Heiligste wirklich zu erkennen, sich erkennend mit dem Erkannten zu vereinigen.
Und wenn man verfolgt, wie Thomas von Aquin das Erleben des Wortes „bei“ (apud, bei Gott) substantiell macht; wie auch hier jenseits des alltäglichen Intellekts ein Eintauchen in die Realität dessen, was ein Wort tatsächlich bedeutet, möglich wird – so ist einem völlig klar geworden, dass das gewöhnliche Denken allerhöchstens noch wie ein Windhauch an der Wirklichkeit entlangstreift und wie wir mit dem gewöhnlichen Denken eigentlich nur noch ein Nichts haben...
Dies wirklich zu erleben, ist etwas, wohin Mieke Mosmuller einen führt. Schrittweise lernt man, dies mit der eigenen Seele zu erleben, mit dem eigenen Denken zu empfinden. Man lernt, dieses Denken in einer anderen Weise zu entfalten, kräftiger, tiefer, sich verbindend mit dem wirklichen Willen.
Mit der Kraft dieses sich immer mehr in seiner Realität findenden Denkens kann dann eigentlich auch erst ein weiterer Schritt getan, eine weitere Art des Erlebens betreten werden, die wir in diesen vier Tagen geübt haben: Das Erleben der frühesten Schöpfungszustände, wie Rudolf Steiner sie beschreibt. Nicht bloß die von ihm gesprochenen Worte intellektuell erfassen und zur Kenntnis nehmen, sondern das hier Beschriebene innerlich selbst tun – das ist die ungeheure Aufgabe. Eine Annäherung an die frühesten Erdenzustände, indem man versucht, durch innere Aktivität zu erleben, was das ist: der Opferwille der Throne, die schenkende Tugend der Kyriotetes...
Es ist klar, dass man an die kosmisch-göttliche Dimension dieses Urbeginns nicht herankommt, und doch trägt man all dies in sich – denn die Schöpfung ist noch immer da, und der Mensch ist gerade aus dieser Schöpfung hervorgegangen. Wenn wir nur den Mut haben, dies ernst zu nehmen, ist der Weg des realen inneren Tuns der Beginn einer Vertiefung, die unendlich erweitert werden kann. Und auch hier ermöglicht jeder einzelne Schritt, eine Ahnung zu bekommen, dass man hier einer Realität, einem realen Erkennen entgegengeht. – Indem die von Rudolf Steiner beschriebenen imaginativen Schilderungen so intensiv wie möglich nachvollzogen werden und die reine Seelenkraft des Fühlens stärker und stärker wird, indem diese im Fühlen zu findenden Qualitäten immer kräftiger hervorgebracht werden – getragen von der Fähigkeit des reinen Denkens, und so ohne Anklänge an persönliche Empfindungen oder Erinnerungen –, kann diese Seelenkraft schließlich die Brücke zur Imagination werden.
Der dritte dieser Wege waren die Laute des Prologs in lateinischer Sprache. Mieke Mosmuller führte hinein in eine Lautmeditation, in der versucht wurde, innig in die Bewegung der Sprachorgane einzutauchen, ohne den realen Willen wirklich bis in die Tätigkeit hineinzuführen. Eine Zurückhaltung des Willens kurz vor der Verwirklichung der äußeren Bewegung also war es, was geübt wurde. – Diese möglichst starke Bewusstmachung des in die Sprache hineinwirkenden Willens führt einen einem bewussten Erleben der Bewegung des Ätherleibes und auch einer Intuition des Karma entgegen. Diese Erkenntnisbewegung wurde auch durch eine Vertiefung in die sichtbare Eurythmie der Worte des Prologs (gegeben von Raphaela Kühne) verstärkt.
Der vierte Weg bestand in einer Vertiefung in die Planetensiegel des Ersten Goetheanum. Rudolf Steiner selbst schrieb darüber, dass dem Menschen etwas von den frühesten Zuständen der Erden- und Menschheitsentwicklung aufleuchten kann, wenn er sich mit ganzer Seele in die Formen dieser Siegel einlebt. Was er in der Vortragsreihe „Die Evolution vom Gesichtspunkte des Wahrhaftigen“ imaginativ in Worten schildert, enthalten die Figuren dieser Siegel umfassend in Form einer okkulten Schrift. Und indem man sich wirklich mit ganzer Seele in diese Formen einzuleben versucht, empfindet man sehr deutlich, dass dies noch ein ganz anderer, viel tieferer Zugang zur Wirklichkeit dieser frühesten Zustände ist, als es ein intellektuelles Deuten und Interpretieren je sein könnte. – Zunächst verbanden wir uns intensiv zeichnend mit den Formen des Saturn-, Sonnen- und Monden-Siegels und ihren Übergängen und vertieften uns dann auch meditativ in diese. Dieses tiefe Sich-Einleben in die okkulte Schrift wird bei genügend langer Übung schließlich dazu führen, dass diese sich in der Seele in einem von der Inspiration berührten Erleben ausspricht.
Es mag deutlich sein, dass ein viertägiges Erleben dieser Wege vor allem immer wieder Ohnmachtserlebnisse mit sich bringen muss. Aber in bewundernswerter Klarheit verdeutlichte Mieke Mosmuller auch immer wieder, dass es nicht um „Ergebnisse“ geht, sondern um ein ernsthaftes Entfalten des Strebens. Und im Laufe dieser vier Tage wurde das Streben selbst zu einem Erlebnis. Es wurde ganz deutlich, dass dieses Streben nicht vergeblich und illusionär ist, sondern in eine Bewegung hineinführt, einen Weg erahnbar und erlebbar macht.
Ein Erleben des Geistesweges als Realität – das war es, was mit diesem Seminar jedem Teilnehmer als persönliches Erlebnis möglich wurde. Zugleich ist dieser Weg nun bereits im dritten Jahr betreten und erfährt mit jedem Jahr eine weitere Vertiefung... Und ein reales Gleichnis war es, als trotz mangelhafter Fähigkeiten im Gesang nach täglichem Üben am Ende in wunderbarer Gestaltung und Vierstimmigkeit Mozarts „Ave verum corpus“ erklang.
Die Arbeit von Mieke Mosmuller, unterstützt von Jos Mosmuller, verdient größte Dankbarkeit, denn mit aller Kraft wirkt diese Geistes-Lehrerin für eine Auferstehung der lebendigen Anthroposophie im einzelnen Menschen.