2001
Wider den Materialismus
Wem ist eine Wissenschaft verpflichtet, die das innerste Wesen des Menschen aus dem physischen Gehirn heraus erklären will? Jedenfalls weder dem Menschen selbst, noch der Güte, noch der Wahrheit. Wenn die Fülle der leiblichen, seelischen und geistigen Phänomene auf physikalisch-chemische Vorgänge reduziert wird, kann es nicht mehr um Wahrheit, sondern nur noch um festgefahrene Dogmen gehen. Die Wissenschaft verleugnet hier ihr eigenes Prinzip der Erfahrung, indem sie alles, was es auf seelisch-geistiger Ebene gibt, per definition für weniger wirklich hält als Physik und Chemie.
Die herrschende Wissenschaft hat bis heute nicht, verstanden, was Leben eigentlich ist. Das Mysterium ist groß genug, aber gerade deswegen sollte man sich nicht anmaßen, zu behaupten, daß es keinerlei Erklärung bedürfe. Tote Materie kann nicht durch noch so viele Zufälle plötzlich lebendig sein, und die Erbsubstanz DNA kann sich in keinem Augenblick selbst ablesen und in die Gestalt eines lebenden Organismus umsetzen.
Auch die weiche Masse im Schädel kann nicht selber denken, so wenig wie die Hand von selber greift. Hier wird das Instrument mit dem Wesen des Menschen gleichgesetzt, weil für die Wissenschaft alles andere nicht sein darf. Das Ich als Wesenskern des Menschen gebraucht das Gehirn ebenso wie den übrigen Körper. Die neurophysiologischen Prozesse sind Spuren dieses Gebrauchs. Wenn man woanders Spuren findet, würde man nie behaupten, das Medium hätte diese selbst gebildet - nur beim Gehirn ist die Wissenschaft nicht bereit, denjenigen anzuerkennen, der die Spuren hinterläßt - den Menschen. Statt der eindeutigen Erfahrung jedes Menschen, daß er ein Individuum ist, das - wenn es sich bemüht - völlig bewußt und frei denken und handeln kann, läßt man lieber die materialistische Fiktion gelten, daß jeder Mensch ein von der weichen Masse im Kopf gelenkter Körper ist und das eben beschriebene Erleben nur ein Produkt von chemischen Prozessen in dieser Masse da oben. - Diese Wissenschaft kennt den Menschen noch überhaupt nicht, sie ist weder wahr noch gut.
Wenn ein Mensch stirbt, kann die Wissenschaft nichts aussagen, als daß nun der Körper nach eben den physikalischen Gesetzmäßigkeiten zerfällt, die so gut bekannt sind. Was aber dem Körper mit dem Tod verlorengegangen ist, das entzieht sich der Wissenschaft. Es wird nicht beobachtet, und so überschreiten auch Aussagen darüber die Kompetenzgrenze, die sich die Wissenschaft selbst gezogen hat. Wenn man überhaupt sinnvoll von dem Wesen eines Menschen sprechen will, so stellt sich durchaus drängend die Frage, wo dieses Wesen ist, sobald der tote Körper übrigbleibt.
Es gibt nun aber auch schon im Leben Geschehnisse, die sich nicht auf der Grundlage des physischen Leibes abspielen. Die Liebe ist ein solches Geschehen. Wenn ich einen anderen Menschen wirklich liebe, dann hat das Entstehen und das Lebendigbleiben dieser Liebe keine physischen Ursachen. Die Tatsache, daß ich mich im Geschehen dieser Liebe selbst wunderbar wohl fühle, insbesondere auch in meinem ganzen Leib, das hängt durchaus auch zusammen mit Hormonen usw.; aber die Ursache für wirkliche Liebe, die hat mit dem Physischen nichts zu tun.
Es ist wichtig, daß sich viele Menschen wirklich in der eigenen Erfahrung (und Selbstbeobachtung) klarmachen, was hier eigentlich vorliegt - um dann solchen Anschauungen wirklich begründet entgegentreten zu können, die alles - auch das, was sie nicht wirklich verstehen - auf das Stoffliche zurückführen wollen. Dieser stur verfolgte Ansatz ist das größte Hindernis auf dem Weg zu einer wirklichen Wissenschaft vom Seelischen und vor allem zum wahren Selbstverständnis des Menschen.