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06.07.2002

Angriff auf den Irak und die Idee des Völkerrechts

  • Eine Chronik der Ereignisse
  • Der Hintergrund
  • Zur Frage der Massenvernichtungswaffen
  • Eine humanitäre Katastrophe
  • Zum Völkerrecht


Eine Chronik der Ereignisse

Mitte Oktober 2001 berichtet die New York Times, daß sich am 20.9. das das Pentagon beratende Defense Policy Board (u.a. Henry Kissinger) dafür ausgesprochen hat, sich dem Irak zuzuwenden, sobald die „initiale Phase des Krieges gegen Afghanistan“ zuende wäre. Bereits am 9.11. warnt der türkische Generalstabschef die USA vor Angriffen auf den Irak. Die Türkei habe durch den Krieg gegen den Irak 1991 einen wirtschaftlichen Schaden von bis zu 40 Mrd $ erlitten. Am 26.11. fordert Bush in einer Rede den Irak auf, unverzüglich UN-Waffeninspektoren ins Land zu lassen. Er wirft dem Irak den Besitz von „Massenvernichtungswaffen“ vor. Am 8.12. warnt Kofi Annan die USA vor einer Ausweitung der Angriffe auf den Irak, nachdem US-Vizeverteidigungsminister Wolfowitz sich dafür ausgesprochen hatte.

Am 29.1.2002 kündigt Bush in seiner Rede zur Lage der Nation einen langen Anti-Terror-Krieg an. Man werde nicht warten, bis die Gefahr näher rücke und die "weltweit gefährlichsten Regimes" die USA "mit den weltweit gefährlichsten Massenvernichtungswaffen" bedrohen. Dann nennt er Iran, Nordkorea und den Irak - als „Achse des Bösen“. „Das Böse ist real, und es muss bekämpft werden. Über alle Rassen- und Glaubensunterschiede hinweg sind wir ein Land, wir trauern zusammen und stellen uns gemeinsam der Gefahr. Tief im amerikanischen Charakter ist Ehre verwurzelt, und sie ist stärker als Zynismus. Und viele haben erneut entdeckt, dass selbst in Zeiten einer Tragödie - vor allem in Zeiten einer Tragödie - Gott nah ist. In einem einzigen Augenblick haben wir erkannt, dass dies ein entscheidendes Jahrzehnt in der Geschichte der Freiheit sein wird, dass wir zu einer einzigartigen Rolle in der Geschichte der Menschheit aufgerufen wurden.“

Am 3.2. erklärt Wolfowitz auf der NATO-Sicherheitskonferenz in München: „Die beste Verteidigung ist ein guter Angriff“. US-Senator John McCain nennt den Irak die „nächste Front nach Afghanistan“, die Zeit der Abrechnung rücke näher - im Zweifelsfall auch gegen den Willen der Europäer, wie der Sonderberater für Sicherheitsfragen Richard Perle hinzufügte. Am 6.2. verkündet auch Außenminister Powell, daß die USA möglicherweise alleine einen Regimewechsel in Bagdad durchsetzen müßten und fordert ultimativ die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren. Am selben Tag polemisiert CIA-Chef George Tenet vor dem Senatsausschuß gegen Irak, Iran und China. Am 11.2. erklärt Schröder, Bush habe ihm versichert, keine Angriffspläne gegen Irak zu hegen. Das Ganze sei ein Mißverständnis und auf die etwas stärkere Sprache der Amerikaner zurückzuführen. Am Tag darauf berichtet die Los Angeles Time, das ein massiver Militärschlag gegen den Irak sehr wahrscheinlich sei, zunächst stehe aber im März eine Reise von Vizepräsident Cheney in den Nahen Osten an. Am 19.2. berichtet der britische Guardian, daß die endgültige Entscheidung für einen Angriff bereits Ende Januar gefallen sei und das Pentagon mit den Vorbereitungen für einen Angriff mit bis zu 200.000 Mann Bodentruppen begonnen habe (Die New York Times bestätigt dies Ende April). Mitte Februar sind 85% der Deutschen gegen US-Aktionen gegen den Irak. Ende Februar erklärt der britische Premier Tony Blair, der „irakische Besitz von Massenvernichtungswaffen“ stelle eine Bedrohung der Welt dar, worauf ein irakischer Regierungssprecher erklärt, man könne sofort ein von Medien begleitetes britisches Team empfangen „um der Welt zu zeigen, wo und wie Irak solche Waffen entwickelt“.

Am 5.3. warnt der ägyptische Präsident Mubarak die USA vor einem Angriff auf den Irak. Während Cheneys Rundreise äußern sich auch Kuwait und Saudi-Arabien gegen einen US-Angriff. Am 20.3. sagt CIA-Chef Tenet vor dem Geheimdienstausschuß, ohne Zweifel habe Irak Kontakt zu bin Laden und Al Qaida gehabt. Am 6.4. erneuert Bush zusammen mit Blair seine Forderung, Irak müsse beweisen, keine Massenvernichtungswaffen zu besitzen; sonst seien „alle Möglichkeiten offen“.

Am 10.5. äußert sich US-Verteidigungsminister Rumsfeld über die Verwendung sogenannter „Dual-Use“-Gütern im Irak: „Diese Sachen werden sofort, wenn sie über die poröse Grenze gekommen sind, für militärische Zwecke eingesetzt.“ Am 20.5. fordert die Sicherheitsberaterin von Bush, Condoleezza Rice, die Bundesregierung zur uneingeschränkten Unterstützung der US-Irakpolitik auf. Der SPD-Außenexperte Klose sagte, im Falle einer Intervention könne sich Deutschland seinen Bündnispflichten nicht entziehen, da politische Lösungen nur unter Zuhilfenahme militärischer Mittel durchgesetzt werden könnten.

Am 10.6. nennt Rumsfeld Hussein einen „Weltklasselügner“, nachdem Bagdad am Vortrag erklärte, es wolle beweisen, daß es weder Atomwaffen entwickele noch B- oder C-Waffen besitze. Am 16.6. berichtet die Washington Post, Bush habe schon Anfang des Jahres die CIA beauftragt, Hussein zu stürzen und dabei „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen“. Ende Juni tritt in aller Stille der US-Präsidentenberater in Terrorismusfragen, Wayne Downing, zurück, der gegen den Einsatz von Bodentruppen im Irak war. Am 5.7. berichtet die New York Times über zwei Monate alte Pläne, nach denen der Irak mit bis zu 250.000 Mann von drei Seiten angegriffen werden soll.

Der Hintergrund

Die Feindschaft der USA gegen den Irak begann Anfang der 70er, als die Baath-Partei die Ressourcen des Landes nationalisierte. Mitte der 70er Jahre unterstützten die USA kurdische Rebellen im Irak. Die US-Politik ändert sich, als 1980 im Iran der Schah gestürzt wird und Ajatollah Khomeini an die Macht kommt. Im selben Jahr dringt der Irak in den Iran ein (1. Golfkrieg), und die USA lehnen eine Verurteilung der Invasion durch den UN-Sicherheitsrat ab. 1983 erlaubt die US-Regierung Waffenlieferungen an den Irak und läßt zugleich Israel den Iran beliefern. Während der Irak im Iran chemische Waffen verwendet, stellen die USA die diplomatischen Beziehungen mit dem Irak wieder her. Während daraufhin auch die ökonomischen Beziehungen ausgebaut werden, läßt Hussein 1988 Tausende Kurden töten (auch unter Einsatz chemischer Waffen). Dann aber folgt im August 1990 die Invasion in Kuwait und 1991 die internationale Operation „Wüstensturm“.

Im Anschluß an die Befreiung Kuwaits werden gegen den Irak Wirtschaftssanktionen verhängt. Bald zeigt sich, daß aufgrund der Sanktionen monatlich Tausende Menschen, v.a. Kinder, im Irak sterben, was US-Außenministerin Albright mit den Worten kommentiert: „Das ist der Preis wert“. Obwohl der UN-Sicherheitsrat die Aufhebung der Sanktionen zugesagt hatte, sobald die UN-Inspektoren das Ende der irakischen Waffenprogramme nachgewiesen hätten, setzen die USA die Sanktionen weiter durch. Seit 1993 fliegen britische und US-Kampfflugzeuge immer wieder Luftangriffe gegen den Irak. Ende 1998 weist der Irak die UN-Waffeninspekteure aus (dazu s.u.), worauf das Land von den USA erneut vier Tage lang bombardiert wird.

Daß es den USA in jedem Fall um einen Regimewechsel geht, wird u.a. an den Worten des Sonderberaters für Sicherheitsfragen, Richard Perle, während der NATO-Konferenz Anfang Februar in München deutlich. Er sagte der Financial Times Deutschland: "Ich denke, es gibt nichts, was Saddam Hussein tun könnte, um uns zu überzeugen, dass vom Irak keine Gefahr mehr ausgeht".

Zur Frage der Massenvernichtungswaffen

Durch die Resolution 687 des UN-Sicherheitsrates von 1991 wurde die Mission UNSCOM zur Waffeninspektion ins Leben gerufen. Die UN-Waffeninspektoren, die Ende 1998 kurz vor den neuen Luftangriffen der USA den Irak verließen, hatten zuvor insgesamt 400 Inspektionen ihrer Wahl durchgeführt. Nahezu alle verliefen ohne jede Behinderung, doch vier Fälle, deren genaue Umstände zunächst nicht bekannt wurden, dienten zur Legitimation der erneuten Bombardierung. In einem Fall konnte der Wachmann einer Fabrik nach Feierabend keinen Vorgesetzten finden, bis der Leiter des Inspektionsteams die Inspektion von sich aus abbrach. Einem anderen Inspektionsteam wurde der Zugang zu den Büros des Auslandsnachrichtendienstes verwehrt, in den zwei restlichen Fällen wollten die Teams Zugang zu einem der Präsidentenpaläste.[1]

Nach wie vor gibt es im Irak Hunderte von Dual-Use-Inspektoren der UNO, die jedes Jahr Tausende Inspektionen durchführen. Bei der Installation importierter Dual-Use-Güter wie Maschinen ist ein UN-Beobachter vor Ort dabei und dokumentiert mit Fotos alles bis hin zur Registriernummer in einem umfassenden Dossier - ein Mißbrauch ist so völlig ausgeschlossen![2]

Selbst der US-Geheimdienst CIA mußte im Februar 2001 (als Bush gerade mit unlauteren Methoden Präsident geworden war) zugeben, daß es keine Hinweise gäbe, daß der Irak wieder Programme zum Bau von Massenvernichtungswaffen aufgenommen habe. Anfang 2002 versicherte der CIA, daß Verbindungen des Iraks mit terroristischen Aktivitäten (Al Qaida etc.) ausgeschlossen werden können. Obwohl CIA-Chef Tenet gegen den Irak polemisiert, haben US-Zeitungen wiederholt hochrangige CIA-Mitarbeiter mit eindeutigen Aussagen zitiert. Wie könnte auch ein Land, das schon 1991 einem 42-tägigen Dauerbombardement machtlos gegenüberstand, nach umfangreichen Abrüstungsmaßnahmen, Zerstörung der industriellen Infrastruktur und 11-jährigem Embargo eine Bedrohung für die USA darstellen – der man sogar mit Erstschlägen zuvor kommen muß?

Im Juni begannen zwischen dem Irak und der UNO neue Verhandlungen über UN-Inspektionen, wobei der Irak sich jederzeit bereit dazu erklärt hat, solange keine Amerikaner teilnähmen. Inspektoren aus den USA hatten nachweislich für ihr Land spioniert und die Inspektionen dazu mißbraucht, um Ziele für die Luftangriffe Ende 1998 zu markieren. Scott Ritter, einer der Leiter der UNSCOM-Mission, berichtete, daß sich in verschiedenen Teams auffällig gut trainierte „Raketenexperten“ herumgetrieben hatten, die offenbar in Wirklichkeit aus CIA-Einsatzgruppen und ähnlichen Einheiten rekrutiert wurden. Ritter bezeugte auch, daß Ende 1998 Iraks Waffenprogramme zerstört gewesen seien und das Land praktisch entwaffnet war. Die UNSCOM hätte den USA als Instrument für Provokationen gedient, um den Vorwand für weitere Interventionen zu liefern. - Nach wie vor bestehen die USA nach wie vor darauf, daß ein großer Teil der Inspektoren aus den USA und Großbritannien kommen sollen. Ein weiteres Problem ist, daß es an klaren Kriterien fehlt, wann UN-Missionen als erfolgreich abgeschlossen gelten könnten, zumal die USA auf dem praktisch unmöglichen Nachweis einer hundertprozentigen Entwaffnung beharren. Die jüngsten Pressemeldungen über bevorstehende US-Angriffe und CIA-Aktionen haben Regierungskreise nach Ritters Vermutungen bewußt durchsickern lassen, um die Aufnahme neutraler UN-Inspektionen von vornherein zu sabotieren.

Man vergesse nicht, daß die USA der größte Produzent und Besitzer von Massenvernichtungswaffen sind, daß sie Bestandteile für solche früher an den Irak geliefert haben, daß sie weiterhin die Türkei, Israel und Indonesien solche Waffen geliefert haben, die sie gegen die eigene Zivilbevölkerung einsetzten, und daß die USA selbst in Hiroshima, Korea und Südvietnam für den Tod von Millionen von Menschen durch den Einsatz solcher Waffen verantwortlich sind.

Eine humanitäre Katastrophe

Schätzungen gehen davon aus, daß das bereits elf Jahre dauernde Embargo monatlich mindestens 5.000 Todesopfer fordert, v.a. unter den Kindern: Von 100 Kindern sterben inzwischen zehn bis fünfzehn vor ihrem fünften Lebensjahr. Wie wenig dies wirklich interessiert, zeigt unter anderem die Tatsache, wie ein Antrag der PDS behandelte wurde, daß Deutschland sich für eine Aufhebung der Sanktionen einsetzen möge: Der Antrag war an einem Freitag der letzte Tagesordnungspunkt im Parlament und wurde von allen anderen Parteien abgelehnt, wobei die meisten Abgeordneten bereits abgereist waren und die Fraktionssprecher ihre Reden zu Protokoll gegeben hatten.

Die immer wieder einmal vorgebrachten Vorwürfe, die irakische Führung würde ihre Möglichkeiten, die Versorgungslage zu verbessern, nicht auszunützen, sind nicht haltbar. Die früheren Leiter des UN-Hilfsprogramms für den Irak, Dennis Halliday und Hans von Sponeck haben mehrfach öffentlich versichert, dass die wenigen zur Verfügung stehenden Mittel von der Regierung insgesamt effektiv und gerecht eingesetzt würden. Probleme bereiten jedoch die absolut mangelhaften Transport- und Lagerkapazitäten sowie Kommunikationseinrichtungen. Das vom UN-Sicherheitsrat selbst eingesetzte "Humanitäre Gremium" kam 1999 zu der Schlussfolgerung, dass die humanitäre Krise im Irak anhalten werde, wenn es nicht zu einem "anhaltenden Aufschwung der irakischen Wirtschaft" kommt, was angesichts des Embargos völlig unmöglich ist. Dazu kommt noch, daß nach wie vor 25% aller Öleinnahmen an den Weltsicherheitsrat gehen, um angebliche Verluste durch die Invasion in Kuwait zu begleichen.

Halliday und von Sponeck schreiben: „Diese Politik ordnet auf die Bevölkerung ausgerichtete Wirtschaftsanktionen an in der Hoffnung, dass diejenigen die dies überleben das Regime stürzen. Wir haben die Auswirkungen dieser Sanktionen im Irak gesehen und können nicht begreifen, wie der US-Botschafter, James Cunningham, in die Augen seiner Kollegen schauen und sagen kann: `Wir (die amerikanische Regierung) sind mit dem Programm Öl-für-Nahrung zufrieden und glauben, dass es den Bedarf der irakischen Bevölkerung deckt´. ... Der Tod von 5000 bis 6000 Kinder jeden Monat ist wegen des Trinkens von verschmutztem Wasser und Mangel an Nahrung und Medikamenten. Die durch die Regierung der USA und Großbritannien verursachte Zögerung der Lieferung von Anlagen für Wasseraufbereitung ist der Grund für diese Tragödie und nicht Bagdad selbst.“[3]

Die USA blockieren im Sanktionsausschuß des UN-Sicherheitsrates vom Irak bestellte „Dual Use“ Maschinen im Wert vieler Milliarden Euro, obwohl sie von den waffentechnischen Experten der UNO nach eingehender Prüfung längst als unbedenklich eingestuft worden sind. Betroffen sind z.B. Krankenwagen, da eine eingebaute Vakuumflasche sich zum Transport biologischer Kampfstoffe eigne - dabei gibt es solche in Mengen auf Basaren in Bagdad zu kaufen (über die Dual-Use-Inspektionen der UNO siehe oben). Der Bericht des UN-Generalsekretärs vom Oktober 2001 sagt selbst, daß die Blockade der USA das größte Hindernis ist, um das Programm „Öl-für-Nahrung“ umzusetzen, und bestätigt, daß die Verteilung der Lebensmittel und Medikamente durch die irakische Regierung ganz zufriedenstellend ist. Offenbar blockieren die USA im Sanktionsausschuß auch immer wieder die Lieferung von Lebensmitteln und pharmazeutischen Produkten, obwohl sie vom Embargo eigentlich generell ausgenommen sind.

Zum Völkerrecht

Die internationale Staatengemeinschaft hat nach dem zweiten Weltkrieg die UN-Charta verabschiedet, die jede zwischenstaatliche Gewalt ächtet. Wenn man die Geschichte der USA studiert, zeigt sich schnell, daß die Operationen ihrer Geheimdienste die Idee der UN-Charta seit jeher unterlaufen haben. In den letzten Jahren trat die Frage zunehmend in den Mittelpunkt, wie sich Völkerrecht und Menschenrechte zueinander verhalten. Mit der Priorität der letzeren wurde der NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 legitimiert. Im nachhinein zeigte sich, daß zur Legitimation zusätzlich eine Menge Lügen und Verschleierungen nötig waren (Stichwort: „Hufeisenplan“). Immer wieder erweist sich die Wahrheit des Satzes: Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit. Durch den „Antiterrorkrieg“ gibt es überhaupt keine Friedenszeiten mehr, die Wahrheit gilt daher generell nicht mehr. Wo es möglich ist, stellt man die Dinge so dar, daß es den eigenen Interessen entspricht. Entscheidend ist aber, daß die USA sich seit dem „Kosovo“-Krieg endgültig von völkerrechtlichen Vereinbarungen verabschieden und neuen Vereinbarungen gar nicht erst beitreten. Im Dezember 2001 ließ der US-Vertreter die Verhandlungen zum Biowaffen-Übereinkommen scheitern. Im April wurde der Generaldirektor der Organisation zum Verbot chemischer Waffen auf Druck der USA vorzeitig aus dem Amt entlassen, weil er die USA ebenso hartnäckig zu kontrollieren versuchte wie andere Staaten. In bezug auf den Internationalen Strafgerichtshof, dessen Statut im Juli in Kraft trat, fordern die USA pauschal Immunität für jeden US-Bürger.

Die UN-Charta verbietet in Artikel 2 (4) eindeutig jegliche Androhung und Anwendung von Gewalt gegenüber anderen Staaten. Ausnahmen machen nur UN-Zwangsmaßnahmen, nachdem der Sicherheitsrat förmlich eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens festgestellt hat, bzw. das Recht auf Selbstverteidigung bei einem bewaffneten Angriff (auch hier wiederum nur solange, bis die UNO selbst aktiv wird).

Halliday und Sponeck schreiben: „Großbritannien und die USA als Staaten mit ständigen Sitzen im Weltsicherheitsrat wissen es genau, dass das UN-Embargo einen Bruch der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, der Genfer und Haager Konventionen sowie anderer Teile des internationalen Rechts darstellt. ... Die beiden Regierungen verhinderten ständig, dass der Weltsicherheitsrat seinen Pflichten nachgeht, die Auswirkungen der Sanktionen auf die zivile Bevölkerung zu überprüfen. Wir wissen darüber aus erster Hand, weil diese Regierungen uns ständig daran hinderten, dem Weltsicherheitsrat davon zu berichten. Der läppische jährliche Betrag von nur 170 $, der von diesen Regierungen im Rahmen des Programms Öl-für-Nahrung als Grenze für den Bedarf pro Kopf festgelegt wurde, ist ein unwiderlegbarer Beweis für solche Politik.“

Gemäß Artikel 54 (1) des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen ist das Aushungern von Zivilisten streng verboten. Laut zahlreichen Völkerrechtsexperten ist dieser Grundsatz nicht nur in Kriegszeiten, sondern auch im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der Charta zu wahren. Völkerrechtswidrig war selbstverständlich auch schon der Einsatz von Uranmunition bei den Angriffen von 1991 (von den damals eingesetzten 53.000 US-Soldaten sind heute rund 11.000 erkrankt, rund 600 bereits gestorben).

Der Mißbrauch der UNSCOM-Mission zu Spionagezwecken hat die Glaubwürdigkeit des UN-Sicherheitsrats als unparteiisches Organ völlig untergraben. Dazu kommt, daß die Resolution 1284 von 1999, die eine neue Kommission (UN-MOVIC) vorsieht, die Anforderungen an den Irak bewußt unklar formuliert und im Falle einer Erfüllung nur noch die Aussetzung statt der Aufhebung der Sanktionen in Aussicht stellt.

Das gegenwärtig vom Sanktionsausschuß ausgeübte Sanktionsregime verbietet außerdem völlig willkürlich den Zivilluftverkehr in den und aus dem Irak. In den entsprechenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates von 1990 und 1991 ist der Personenverkehr gar nicht berührt. Ganz und gar einseitig haben die USA und Großbritannien sogenannte Flugverbotszonen im Norden und Süden des Irak eingerichtet und fliegen fortgesetzte Luftangriffe, die nach der UN-Charta eindeutig einen Bruch des Friedens darstellen. Allein im Juni gab es fast 1.000 Überflüge des Irak durch amerikanische und britische Kampfjets, dabei gab es sechs Bombenangriffe, zwei Tote und mindestens 27 Verletzte.

Da diese Handlungen von Mitgliedern des Sicherheitsrates verübt werden, ist dieser nicht in der Lage, seine kollektive Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens wahrzunehmen. Es ist deutlich, daß die USA im eigenen Interesse handeln und Ihren Sitz im Sicherheitsrat dazu benutzen, dessen Aktivwerden gegen die fortgesetzte Verletzung der UN-Charta zu verhindern. Laut der UN-Resolution 377 A vom 3.11.1950 kann in diesem Fall die UN-Generalversammlung tätig werden: „Wenn der Sicherheitsrat, da ein einstimmiger Beschluß seiner Ständigen Mitglieder nicht zustande kommt, seiner Hauptverantwortung, nämlich der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, nicht nachkommen kann, ... so befaßt sich die Generalversammlung unverzüglich mit der Angelegenheit...“[4]

In jedem Fall sind die „Vereinten Nationen“ als Organisation, die sich für den weltweiten Frieden einsetzt, eine Farce, wenn die unilaterale Gewaltanwendung ihres mächtigsten Mitglieds unwidersprochen bleibt.

Fußnoten


[1] Nicht die Spur von Fakten (junge Welt 18.6.2002, von Rainer Rupp)
[2] ebd.
[3] Eine Nation als Geisel (Guardian 29.11.2001, von Hans von Sponeck und Denis Halliday, Leiter des UN-Hilfsprogramms 1998-2000 bzw. 1997-98)
[4] Kollektivstrafen sind unzulässig (18.2.2002, Memorandum von Dr. Hans Koechler, Präsident der I.P.O.)