2002
Die Welt im Rachen des Mammon - vom Widersinn des Zinses
Die Schuldenfalle schnappt auch in den „reichen“ Ländern zu
Weltweit stehen die öffentlichen Haushalte vor einem - zumeist immer rasanter anwachsenden - Schuldenberg. Das jedes natürliche Maß sprengende exponentielle Zinseszinswachstum offenbart seine zerstörerische Kraft erst nach vielen Jahren. Die Problematik wird im folgenden anhand der Verhältnisse in Deutschland beleuchtet.
Ende 2000 hatten die öffentlichen Haushalte in Deutschland rund 1200 Mrd € Schulden angehäuft. Die Steuereinnahmen im Jahr 2000 betrugen 469 Mrd €, die Zinszahlungen 68 Mrd € (1980 noch 15 Mrd €). - Schon seit den 80er Jahren wurden neue Schulden nicht mehr aufgenommen, um Straßen, Krankenhäuser etc. zu bauen, sondern um die Zinsen der alten zu bezahlen! 1999 wurde der Punkt erreicht, wo der Staat seit 1965 mehr Zinsen gezahlt als Kredite aufgenommen hat. Zunächst wurden die Zinsen mit einem Teil der neuen Kredite bezahlt, später sämtliche Kredite sogleich wieder für die Zinsen ausgegeben und heute muß zusätzlich ein immer größerer Anteil des Steueraufkommens bezahlt werden. Insgesamt wurde die Kreditaufnahme von 35 Jahren voll zur Finanzierung ihrer eigenen Zinskosten eingesetzt! Allein für die 1965 aufgenommenen Kredite stieg die Schuld bis 1998 auf fast das Zehnfache, der Zinseszinssatz stieg auf 64% (d.h. Jahr für Jahr fast 2/3 der Ausgangsschuld - nur an Zinsen).
Während der Staat Altschulden und Zinsen mit neuen Krediten bezahlte, spekulierte er darauf, daß die Wirtschaft und damit das Steueraufkommen entsprechend wachsen würden, doch langfristig lagen die Zinsen immer über den Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts, das ja auch zunehmend an absolute Grenzen kommt (Umweltzerstörung, Konsumsättigung). Während es seit 1968 auf das 7-fache anwuchs, stiegen die Schulden auf das 37-fache.
Inzwischen versucht der Staat, die Neuverschuldung zu stoppen. Das bedeutet andererseits, daß er im Jahr 2000 für die Zinsen 57 Mrd € Steuermittel ausgab (über 12%). Dies ist der wesentliche Grund für die immer unverhohlener diskutierten Sparprogramme. In Meinungsumfragen geben die Bürger als wichtige politische Aufgaben Arbeitslosigkeit, Renten, Gesundheitswesen etc. an - dabei ist das größte Problem für den Staat seine Verschuldung, die ihn dazu treibt, in all jenen Bereichen so bald wie möglich drastisch zu kürzen.
Schulden und Zinsen werden so lange weiter - und immer schneller - anwachsen, bis alle Zinsen aus Steuermitteln bezahlt werden. Dann wird der Schuldenberg zu wachsen aufhören und die dann aktuelle Zinshöhe wird Jahr für Jahr aufgebracht werden müssen. Der Zustand wird nur dann wieder in winzigen Schritten allmählich besser werden, wenn mit Steuermitteln sowohl die regelmäßigen Zinsen als auch Tilgungen gezahlt werden. - Damit die Schulden (1200 Mrd €) nicht weiter anwachsen, wären mit 15% der Steuern jährlich Zinsen von rund 70 Mrd € zu zahlen. Mit Entwicklungshilfe solcher Größenordnung könnte schon fast die weltweite Armut wirksam bekämpft werden! Selbst das große Militärbudget umfaßt jedoch nur 25 Mrd €! (1980 hätte dieser Betrag noch für Zinsen und eine geringe Tilgung gereicht).
Die Gefahr ist riesig
Der Schuldenberg ist die unglaubliche Folge „demokratischer“ Entscheidungen der Vergangenheit, getroffen von Politikern, die an die künftigen Generationen nicht gedacht haben. Immerhin werden diese nicht nur die Schulden, sondern auch die entsprechenden Forderungen erben. Allerdings wird jeder Einzelne unter der drückenden Schuldenlast leiden, während einige wenige Zins und Tilgung einkassieren werden - eine gigantische Umverteilung des Volksvermögens. Als die Schulden aufgehäuft wurden, sollte paradoxerweise gerade den wirtschaftlich Schwachen geholfen werden (z.B. den Arbeitslosen über Konjunkturprogramme). Heute fließen Zinsen an die Wohlhabenden, die ihr Vermögen in Staatsanleihen investiert haben (direkt oder indirekt durch Investmentfonds oder Lebensversicherungen).
Schon dies kann zu einer großen Gefahr für die Demokratie werden. Was aber passiert, wenn der Schuldenberg weiter steigt? Es kommt zu staatlichen Ausgabenkürzungen, Steuererhöhungen, Verteilungskämpfen, zunehmender Schwarzarbeit; Reformen, die Geld kosten, unterbleiben (Deutschland heute). Irgendwann stehen einige Gesetze nur noch auf dem Papier, eine komplette Schattenwirtschaft entsteht, das staatliche Gewaltmonopol wird durch mafiose Strukturen ausgehöhlt (Italien in den 80er Jahren). Insbesondere die ausländischen Gläubiger zweifeln, ob die Anleihen korrekt zurückgezahlt werden können. Die Zinsen schießen in die Höhe, Währung und Börsenkurse stürzen ab (Argentinien heute). Die Störung erfaßt die gesamte Wirtschaft; es gibt Konkurswellen und Massenentlassungen (Weltwirtschaftskrise 1929). Der Staat wird zahlungsunfähig; Rentner, Beamte, Arbeitslose etc. verarmen; radikale Strömungen erstarken; die Demokratie gerät in akute Gefahr (Deutschland 1931, Russland heute).
Die Gefahr ist riesig, und dennoch wird nicht einmal das Problem offen diskutiert, sondern ideologisch unterschiedliche Forderungen zur Symptombekämpfung vorgebracht. Die „neoliberale“ Position will die Staatsausgaben (soziale Sicherung, Kultur etc.) kürzen. Steuersenkungen für die Reichen („Leistungsträger“) sollen Investitionen und damit die Wirtschaft anregen (Vorbild USA). - Die „gewerkschaftliche“ Position fordert die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und Steuererhöhungen für Besserverdienende und Großunternehmen. Steuersenkungen für Geringverdiener sollen den Konsum und damit die Wirtschaft anregen (Vorbild Dänemark). Der Streit der Ideologien hat ohne das Bewußtsein der zu bewältigenden Aufgabe begonnen, daher bekämpfen sich die Positionen gegenseitig statt sich der immer drohenderen Aufgabe zuzuwenden.
Dennoch wird das Problem mittlerweile von den Regierungen in Angriff genommen. Die Maastrichter Verträge zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beinhalten zwei „Konvergenzkriterien“: Das jährliche Defizit darf maximal 3% des BIP, der gesamte Schuldenstand 60% des BIP betragen. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich sogar 1997 verpflichtet, allmählich Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften. Inzwischen hat die Mehrzahl dies geschafft. Defizite haben nach wie vor insbesondere Deutschland, Frankreich und Italien. Die Verschuldung liegt inzwischen bei fast allen unter 60% vom BIP (bei Italien, Belgien und Griechenland allerdings über bzw. um 100%). Der Wert für Japan lag noch 1998 bei 74%, inzwischen aber deutlich über 100%, die USA hatten 1998 ebenfalls 75%, heute dagegen 60% (1997 wurde auch in den USA das Ziel ausgeglichener Haushalte beschlossen und wegen guter Konjunktur schon 1999 erreicht). - Die Konvergenzkriterien erlauben eine „geordnete“ Neuverschuldung entsprechend dem BIP-Wachstum. Sobald die Wirtschaft einmal aufhört zu wachsen, tritt auch in diesem „Modell“ die Katastrophe ein.
Die hochverschuldeten Staaten z.B. in Südamerika haben nicht einmal Konvergenzkriterien. Ihr Schuldenberg steigt rasant weiter an, und ihre Ausgangslage ist eindeutig viel verzweifelter. Um auch nur das Anwachsen der Schulden zu verhindern, müßten sie teilweise die gesamten Exporterlöse oder Steuereinnahmen für die Zinszahlungen aufwenden, was unmöglich ist.
Gegen jede Vernunft
Hier stellt sich die Rechtsfrage: Welches Recht haben die Gläubiger auf einen „korrekten Schuldendienst“? Grundsätzlicher formuliert: Welches Recht hat überhaupt der Zins in der Welt? Es ist eindeutig ein Widersinn gegen jegliches Rechtsempfinden, daß ein Vermögen sich auf Kosten eines anderen selbst vermehrt. Jedem Zinswachstum steht eine zunehmende Verschuldung gegenüber. - Die Grundidee des Zinses liegt darin, daß jemand mit geliehenem Geld (durch Investition und neue Produktion) einen Gewinn machen kann, der bei der Rückzahlung teilweise abgegeben wird. Nun kann man sogar dies als unberechtigt ansehen, wenn man davon ausgeht, daß Geld hauptsächlich Tauschmittel und nicht Besitz bzw. Wertbewahrungsmittel sein muß, wenn es heilsam wirken soll. Nach dieser Idee begründet Geld einen (Gegen-)Leistungsanspruch, beinhaltet daher aber auch die Pflicht, diesen Anspruch (in naher Zukunft) einzulösen. Sonst wird es zu Schenkungsgeld und fließt dorthin, wo Bedürfnisse real vorhanden sind.
In keinem Fall aber ist der Zins berechtigt, Ewigkeitscharakter anzunehmen und gar noch durch Vermehrung der Schulden den Zinseszins hervorzubringen. Eine geliehene Summe begründet nach der anfangs genannten Grundidee ein Anrecht auf einen Teil des Profits, festgelegt als Prozentanteil des Leihbetrages. Nun ist es aber so, daß der Zins gerade dann mit der Zeit immer wieder anfällt und über den Zinseszins außerdem wächst, wenn sich der Profit nicht eingestellt hat. Das hört erst auf, wenn der Schuldner in den Ruin getrieben worden ist (Konkursrecht). Solange dies nicht der Fall ist, liegen alle Rechte beim Gläubiger. Diese Verhältnisse, die sich historisch aus den Machtverhältnissen zwischen Gläubigern und Schuldnern entwickelt haben, setzt man heute absolut wie ein Naturgesetz und stellt sie über den Menschen. Nur so ist es zu erklären, daß man über den Widersinn des Zinses nicht einmal nachdenkt, geschweige denn klare Gedanken fassen kann.
Auch der Zins führt wie so vieles andere in den Egoismus. Niemand will auf ihn verzichten, der einen kleinen Vorteil von ihm zu haben glaubt. Schon diese alltägliche kleine Freude über einen kleinen Vorteil von vielleicht einigen Euro ist egoistisch. Denn irgendjemand Unbekanntes muß sie zahlen. Diese „Freude“ ist aber darüber hinaus auch illusorisch, und zwar genau aus demselben Grund. Der Staat ist der allergrößte Schuldner und jeder einzelne zahlt Steuern, die ohne die Staatsschuld um 14% geringer sein könnten. So zahlt der Normalbürger quasi nicht nur sich selbst seine geringen Sparzinsen, sondern er zahlt außerdem noch die Zinsen der wirklich Vermögenden, deren Zins-Einkünfte die Steuerausgaben noch übersteigen. Um die durch den Zins immer weiter fortschreitende Umverteilung und Konzentration von Vermögen (im Land und weltweit) zu beenden, müßte zuerst der Zins abgeschafft bzw. auf einen sinnvollen Grundgedanken zurückgeführt werden. Zweitens müßte Geld zu etwas werden, was wie angedeutet nur einen Anspruch auf Gegenleistung begründet. Es gäbe keinen prinzipiell ewigen Besitz an Geld, sondern nur ein „Nutzungsrecht“, das verfallen und auf andere übergehen würde, wenn das Vermögen größer ist als die eigenen Bedürfnisse. Ein solches Geld würde seinen Nutzern auch ganz anders zufließen müssen, es gäbe z.B. keine astronomischen Gehälter mehr.
All dies und vieles weitere kann einem der gesunde Menschenverstand nahelegen. Und doch klingt es so utopisch wie nur irgendwas - weil das gegenwärtige Wirtschaftssystem sich von eben jenem Verstand fast vollkommen abgekehrt hat. Ob das Geld etwas werden kann, was den Menschen dient - und zwar allen gleichermaßen, nicht dem, der mehr besitzt, um so mehr - das hängt davon ab, wie viele Menschen sich zu dieser Frage klare Gedanken bilden. Der gesunde Menschenverstand war ein Erbe der Vergangenheit, das nicht mehr trägt. Heute gilt es, aus dem Innersten heraus bewußt zu einem wesenhaften, lebendigen Denken zu finden.