2002
GATS und das freie Schulwesen
Entwurf des Arbeitspapiers (die Endfassung unterschied sich dann deutlich) für das Herbstsymposium des Europäischen Forum für Freiheit im Bildungswesen am 20. und 21. November 2003. Für die Dokumentation der Tagung schrieb ich auch die Zusammenfassung der Diskussion.
Einleitung
Das GATS-Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen gerät zunehmend in die Diskussion. Die WTO stellt das GATS als ein sehr flexibles Instrument da, das jeder Staat nach seinen Prioritäten mitgestalten kann und das am Ende dem weltweiten Handel mit Dienstleistungen zum Wohle aller einen verbindlichen Rechtsrahmen gibt. Kritiker verweisen darauf, daß GATS einen völlig deregulierten Handel erzwingen werde, der zentrale Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge der Macht der transnationalen Konzerne ausliefert.
Wer hat recht und was bedeutet GATS für das Schulwesen in Deutschland, insbesondere für die Situation von Schulen in freier Trägerschaft? Diese Fragen bilden das Thema des EFFE-Herbstforums 2003.
Das GATS unterscheidet 12 Sektoren mit über 150 Untersektoren, von denen einer die schulische Bildung ist. Weiterhin unterscheidet es bei Dienstleistungen vier Erbringungsarten, wobei für den Schulbereich v.a. die „kommerzielle Präsenz“ (eines ausländischen Anbieters) wichtig ist.
Bis zum Frühjahr 2003 konnte jedes WTO-Mitglied differenziert nach (Teil)Sektoren und Erbringungsarten Liberalisierungs-Forderungen an andere Länder stellen und seine eigenen Angebote bzw. Einschränkungen festlegen. Bereits bis Ende 2004 soll das Ganze nun umfassend aufeinander abgestimmt werden. Dabei verlangt das Prinzip „Inländerbehandlung“, daß aus- und inländische Anbieter gleich behandelt werden. Aufgrund der „Meistbegünstigung“ gelten Zugeständnisse automatisch für alle Länder.[1] Auch werden einklagbare Kriterien ausgearbeitet, welche nationalen Regulierungen (z.B. Zulassungsvoraussetzungen) wirklich notwendig sind und den Handel geringstmöglich einschränken.
Die EU-Kommission hat sich schon 1994 zur umfassenden Liberalisierung im Bildungsbereich bereit erklärt. Zwar ließ sie eintragen, daß als öffentliche Aufgaben angesehene Dienstleistungen nicht der Liberalisierung unterliegen und auch die Subventionen ins eigene Belieben gestellt sind – doch gelten diese Ausnahmen zunächst nur bis Ende 2004, dann sind die Ergebnisse der gegenwärtigen Verhandlungsrunde verbindlich.
Tendenzen und Gefahren
Ein Staat, der Privatschulen zuläßt, muß dies gemäß GATS – wenn er nicht ausdrücklich Ausnahmen festgelegt hat – grundsätzlich tun und auch alle Schulen in gleicher Weise subventionieren (oder nicht). Vom GATS generell nicht berührt sind nur Dienstleistungen „in Ausübung hoheitlicher Gewalt“ und ohne Wettbewerb mit anderen Erbringern – ob die Existenz freier gemeinnütziger Träger schon als Wettbewerb gilt, ist ungeklärt.
Die stärkste Liberalisierung wird zunächst in der Hochschul- und Erwachsenenbildung stattfinden, doch das Ziel von GATS ist die Liberalisierung aller Bereiche. In dem Maße, wie kommerzielle ausländische Anbieter auf den Plan treten, die gleichberechtigte Subventionen fordern werden, droht angesichts leerer Kassen eine qualitätsgefährdende Reduktion der staatlichen Finanzierung bisher öffentlicher Dienstleistungen. Alternativ könnten sich „Private Public Partnerships“ ausweiten – das Muster zeigt sich z.B. am US-Sender „Channel One“, der viele Schulen mit Fernsehern ausstattete, während es für die Schüler seitdem täglich ein kurzes Pflichtprogramm mit Werbung gibt.
Die durch GATS drohende Gefahr ist zum einen, daß im Zuge der „Gleichbehandlung“ die staatliche Finanzierung von Bildung überhaupt in Frage steht. Die noch viel größere Gefahr ist jedoch die Ver-Marktung von Bildung überhaupt.
Die Diskussionen um PISA, um „Humankapital“ etc. sind schon jetzt Vorläufer einer völligen Korruption von Pädagogik durch national-egoistische Wirtschaftslogik. Es ist fast undenkbar, daß in nur noch von kapitalistischem Denken und Verteilungskämpfen bestimmten Gesellschaften, die auch die Schulen in diese Logik hineinstoßen, in ebendiesen noch echte Pädagogen zu finden sein werden. Noch undenkbarer ist es, daß sie dann auch noch so unterrichten dürfen, daß mit ihnen unsere Kinder zu wirklichen Weltbürgern heranwachsen – zu Individualitäten, die aus moralischen Intuitionen handeln und Gesundungskräfte in die Welt tragen können.
Die Finanzierung freier Schulen
Man wird es nicht verbieten wollen, daß „Eliteschulen“ mit hohem intellektuellem Niveau auf der Basis hoher Schulgebühren arbeiten.[2] – Daß Eltern mit besseren Einkommen ihren Kindern eine bessere Ausbildung ermöglichen wollen, ist nur legitim. Die Ungerechtigkeit liegt nicht darin, daß es gute Bildung gibt, sondern daß zu dieser Bildung nur manche Zugang haben (und später wiederum mehr Einkommen haben werden). Aufgabe der Rechtsgemeinschaft („Staat“) ist oder wäre es, dafür zu sorgen, daß das Volkseinkommen sich gerecht verteilt.
Jede Schule sollte soviel Mittel fordern dürfen, wie sie für ihr spezielles Angebot zu benötigen meint. Inwieweit sie ihren Preis wert ist, wird die Nachfrage der Eltern zeigen. Es entspricht dem Gleichheitsgrundsatz, daß alle Schulen vom Staat gleichermaßen die Zuschüsse erhalten, die der Pädagogik gute Voraussetzungen geben – für weitergehende Aufwendungen müßten dann die Eltern aufkommen.[3]
Es ist mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar, daß der Staat „seine“ Schulen bevorzugt, indem er freien Schulen (z.B. den Waldorfschulen) nicht die gleichen Mittel gewährt und die Eltern zur Zahlung eines Schulgeldes zwingt. Von den freien Schulen erwartet das Grundgesetz gerade, daß „eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“ (Art. 7,4)! Erst recht hat dies der Staat zu befolgen – abgesehen davon, daß es seine Aufgabe wäre, die Besitzverhältnisse so zu gestalten, daß jede Familie die Möglichkeit hätte, eigene Mittel für Schulen mit besonderem Angebot aufzubringen.
Je mehr die Zivilgesellschaft sich ausbildet und eigenverantwortliches Handeln zunimmt (z.B. freie Schulgründungen), desto dringender ist es notwendig, daß wirklich von der Mündigkeit der Bürger ausgegangen und mit der Idee der Subsidiarität Ernst gemacht wird: Der Staat finanziert freie Schulen oder – wo nicht vorhanden – staatliche Schulen.
Mehr Gerechtigkeit oder mehr Kommerz?
In diesem Sinne könnte der Gleichbehandlungsgrundsatz des GATS ein Hebel für mehr Gerechtigkeit in der Schulfinanzierung sein (auch bezüglich anderer bisheriger Benachteiligungen: Wartefristen bei einer Schulzulassung etc.).
Das Problem kommerzialisierter Bildung durch kommerzielle Anbieter bleibt. Man wird am ehesten an US-Anbieter denken, doch kann das gleiche Problem durch inländische Anbieter entstehen. Das Kommerz-Problem ist nicht durch nationalen Protektionismus zu lösen, sondern nur durch verbindliche Festsetzungen, welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, um eine wahre Pädagogik zu ermöglichen bzw. eine „Pädagogik“, die diesen Namen nicht verdient, auszuschließen. Sachgemäß könnten solche Richtlinien eigentlich nur von Pädagogen selbst entwickelt werden, die vom Interesse des Kindes und der entsprechenden Erkenntnis-Bemühung geleitet sind.
Theoretisch berührt das GATS nicht nationale Regulierungen, wenn sie In- und Ausländer gleich behandeln. Allerdings dürfen diese Regulierungen den Wettbewerb nicht unnötig beschränken. Und hier nun liegt das dem GATS immanente Problem – es ist ein WTO-Handelsabkommen, das in wirtschaftlichen Kategorien lebt und – auch wenn auf dem Papier alle denkbaren Ausnahmen möglich sind – die Deregulierung zum Ziel hat. In der Praxis wird bei Streitigkeiten die Schiedsstelle entscheiden, ob eine Regelung etwa zum Schutz der Kinder eine solche ist, ob sie notwendig ist oder ob sie nicht vielmehr – und darauf hat diese Stelle vor allem zu achten – den Handel mehr als nötig einschränkt.
Es ergeben sich folgende Fragen:
1. Welche Grundwerte eines eigenverantwortlichen Schulwesens der Bürgergesellschaft gibt es? Wie können diese in die öffentliche Diskussion gebracht und gesichert werden?
2. Wie kann vom Staat der Gleichheitsgrundsatz in bezug auf die Finanzierung freier Schulen eingefordert werden?
3. Wie kann im Zeichen der Globalisierung gewährleistet werden, daß die Rechtsgemeinschaft die Mittel hat, um eine gute Pädagogik (und die sonstige Daseinsvorsorge) zu ermöglichen?
Wie bekommt jeder einzelne ein solches Einkommen, um Schulen mit besonderem Angebot wählen zu können?
4. Wie kommt man zu einer wirklich vom Kind ausgehenden Pädagogik, die dessen körperlichen, seelischen und intellektuellen Bedürfnisse erkennt und ihnen gerecht wird?
5. Wie kommt man zu Grundsätzen und Rahmenregelungen, was einer kindgerechten Pädagogik nicht entspricht (und daher verboten oder zumindest nicht finanziert werden würde)?
6. Welche zivilgesellschaftlichen Akteure können gemeinsam politischen Druck ausüben, um in bezug auf Dienstleistungen der rein wirtschaftlichen Logik und den Deregulierungen als Selbstzweck entgegenzutreten?
Fußnoten
[1] Ausnahmen bilden bisher noch regionale Integrationsabkommen wie die EU.
[2] „Eliteschulen“ könnten höchstens aus pädagogischen Gründen verboten werden, wenn objektiv erkannt würde, daß eine entsprechende „Erziehung“ dem Wesen des Menschen widerspricht.
[3] Allerdings wäre zu diskutieren, ob Schulen, die unter den realen Verhältnissen für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung aus finanziellen Gründen nicht zugänglich sind und deren Schulgeld die öffentliche Finanzierung deutlich übersteigt, überhaupt Anspruch auf eine solche haben sollten.