2004
„Anything but Bush“
Der Wahlkampf in den USA kommt in die entscheidende Phase
Veröffentlicht im „Goetheanum“ vom 8.10.2004. >> Langfassung.
„Ich wache jeden Morgen mit dem Gedanken auf, wie Amerika am besten geschützt werden kann.“ „Wir haben den riesigen Berg erklommen. Ich sehe das Tal unten, und es ist ein Tal des Friedens“: US-Präsident Bush präsentierte sich am 30. September im ersten Fernseh-Duell gegen John Kerry als „sicherer Führer“, während er dessen Kritik am Irakkrieg stereotyp als Schwäche im „Kampf gegen den Terror“ darstellte. Kerrys Hinweisen, daß Irak überhaupt nicht im Zentrum des Problems stand und alle Behauptungen der Bush-Regierung sich als falsch herausstellten, konnte Bush wenig entgegensetzen. Bezeichnend ist sein Versprecher: „Natürlich sind wir hinter Saddam Hussein, ich meine bin Laden, her.“ [1]
Für die meisten Zuschauer hat Kerry diese Debatte eindeutig „gewonnen“. Ob dies aber die Wahl am 2. November beeinflußt? Zuletzt hatte Kerry in Umfragen über fünf Prozent hinter Bush gelegen. Noch Anfang August war es zeitweise umgekehrt – und eine globale Wahl würde Bush ohnehin haushoch verlieren, wie eine Umfage in 35 Staaten ergab.[2] Kerry hat es jedoch bis jetzt versäumt, seine Positionen klar darzustellen. Stattdessen bauschten die Demokraten seinen viermonatigen Einsatz im Vietnamkrieg vor 35 Jahren auf, um dies gegen den „Drückeberger“ Bush auszuspielen. Ein Großteil der Amerikaner weiß nach wie vor nicht, „wofür Kerry steht“.
Dabei gibt es eine ganze Bewegung „Anything but Bush“. Ende August protestierten vor dem Parteitag der Republikaner in New York über 100.000 Menschen. Noch nie nahmen auch zahllose Schauspieler, Sänger und andere Prominente so eindeutig Partei. Bush führt in den Umfragen vor allem wegen der unklaren Alternative und kann sich auf eine seltsame Mischung aus Patriotismus, naivem Vertrauen, oberflächlichen Gefühlsurteilen und echter „Terror“-Angst verlassen – und auf eine deutliche Mehrheit der protestantischen „Christen“.
Dies ist erstaunlich angesichts der vielen Skandale, die Bush schwer belasten: Die Folterpraktiken im Irak; Michael Moores Erfolgsfilm „Fahrenheit 9/11“; die offene Kritik des langjährigen Terrorismus-Beraters Richard Clarke und der offiziellen Untersuchungskommission in bezug auf die Versäumnisse vor und nach dem 11. September; inzwischen über 1.000 tote US-Soldaten seit „Ende“ des Irakkrieges; eine Million verlorene Arbeitsplätze; ein Haushaltsdefizit von über 400 Milliarden Dollar allein in diesem Jahr – und nicht zuletzt das generelle Agieren der Bush-Regierung.
Die Irak-Lügen werden zwar jetzt von den Zeitungen thematisiert, doch kaum jemand weiß, wie systematisch Bush, Cheney und ihr engster Umkreis die Maximierung von Macht und Einfluß verfolgen. Wiederholt hat die Bush-Regierung bisher öffentlich zugängliche Informationen für „geheim“ erklärt, hat sogar dem Kongreß oder dem Bundesrechnunshof Informationen verweigert, Untersuchungsausschüsse wie den zum 11. September zu verhindern versucht und danach auf verschiedenstem Wege behindert bzw. beeinflußt – und vieles mehr.[3] Der Herausgeber der Wochenzeitschrift „The Nation“, David Corn, hat die grandiosen Lügen Bushs – auch im Hinblick etwa auf seine Steuer-, Umwelt- oder Bildungspolitik – dokumentiert.[4] Man sollte sich gegenüber der gegenwärtigen US-Regierung keinen Illusionen hingeben.
Fußnoten
[1] Das vollständige Gespräch findet sich unter www.nytimes.com/2004/10/01/politics/campaign/01dtext.html
[2] Siehe www.pipa.org. Eine Ausnahme unter den 35 Staaten machen nur Polen, die Philippinen und Nigeria.
[3] John Dean: Das Ende der Demokratie. Die Geheimpolitik des George W. Bush. – 2004, Propyläen.
[4] David Corn: Die Lügen des George W. Bush. – aktualisierte deutsche Auflage 2004, Heyne. Täglich aktuell: www.bushlies.com.