2004
Die Lüge als Politik – zwei Bücher zur Regierung Bush
Über David Corn: Die Lügen des George W. Bush – und John Dean: Das Ende der Demokratie.
„George W. Bush ist ein Lügner. ... Und das trägt wohl kaum dazu bei, daß Amerika sicherer wird.“ Diese zwei Sätze bringen das Anliegen des Journalisten David Corn auf den Punkt. Es sind der erste und der letzte Satz aus seinem Buch „Die Lügen des George W. Bush“.
Corn leitet das Washingtoner Büro der Zeitschrift The Nation und ist ein Kenner der politischen Szene. Viele vermuten, daß man mit den falschen Behauptungen und Lügen der Bush-Regierung ein ganzes Buch füllen könnte – Corn hat es getan. Einen Schwerpunkt bilden natürlich der 11. September und der Irakkrieg, ausführlich geht Corn aber auch auf die Steuer- und Umweltpolitik ein. Einige Beispiele in Kurzform:
Schon vor der Wahl versprach Bush die größte Steuersenkung der US-Geschichte, die Millionen Familien zugute kommen sollte. Von der Senkung der Einkommenssteuer hatte jedoch das ärmste Drittel aller Familien überhaupt nichts, während fast die Hälfte der gesamten Ersparnis dem reichsten Prozent zugute kam. Die Streichung der Erbschaftssteuer begründete Bush damit, daß viele Familien ihretwegen ihre Farmen verkaufen müßten – kein einziger solcher Fall war bekannt. Ebenso profitierten fast nur die Reichsten, als Bush 2003 die meisten Steuern auf Aktiendividenden abschaffte – angeblich, um den Rentnern zu helfen.
Das eigene Haushaltsbüro errechnete bis 2013 einen Schuldenberg von 1800 Milliarden Dollar, sogar ohne die Kosten des Irakkrieges und andere bestehende Planungen. Bush machte den unerwarteten Krieg, den Heimatschutz und die Wirtschaftslage verantwortlich – obwohl die größte Steuersenkung vor dem 11. September stattfand.
Als die Betrügereien von Enron und anderen Konzernen Schlagzeilen machten, warf Bush sich als Retter der Nation auf, während er entscheidende Maßnahmen zu verhindern suchte, etwa ein Verbot für Firmen, dieselben Konzerne beraten und prüfen zu können. Als die einstimmig vom Senat beschlossenen Gesetze weit über Bush hinausgingen, verkündete dieser, der Senat habe seine Vorschläge umgesetzt.
Nachdem der Irakkrieg durch monatelange stereotype Verweise auf Massenvernichtungswaffen und die Behauptung, man wisse, „wo sie sind“, ermöglicht worden war, sagte Rumsfeld nach der Einnahme Bagdads, er glaube, daß man ohne Hinweise der Bevölkerung gar nichts finden werde – und kümmerte sich nicht einmal um wichtige Standorte. Nachdem nicht nur das Nationalmuseum, sondern auch die Atomanlagen von Bagdad und Tuwaitha geplündert worden waren, mußte die Internationale Atomenergiebehörde von der Bevölkerung Uranfässer zurückkaufen, die mittlerweile zum Kochen verwendet worden waren.
Im September 2003 antwortete Rumsfeld einem Reporter, der auf die bisherigen Lügen hinwies: „Manchmal übertreibe ich des Effekts wegen.“. Und als Bush vor die Tatsache gestellt wurde, daß er zunächst von der unbestreitbaren Existenz von Massenvernichtungswaffen sprach, später nur noch von der Möglichkeit, daß Hussein danach gestrebt habe, antwortete er: „Wo ist da der Unterschied?“.
Indem Corn akribisch auf über 300 Seiten Worte und Tatsachen vergleicht, wird das Bild eines Präsidenten und seiner Regierung sichtbar, das viel zu konsistent ist, um etwa die Irak-Lügen als Ausnahme ansehen zu können. Vielmehr verschwinden alle Zweifel daran, daß diese Regierung die Lüge geradezu kultiviert.
Am Ende fragt sich Corn, „wie Bush (bis jetzt) damit durchkommt“ und beleuchtet die Schuld der Medien und die hier wirkenden Mechanismen. So hätten jene unter anderem eine falsche Ehrfurcht vor dem Amt, und zwar nicht nur als Bush nach dem 11. September unglaubliche Sympathien genoß. Auch jetzt stünden die Tatsachen zwar in den Zeitungen, doch das Wichtigste – die offenbare Tatsache von Lügen und Verdrehungen – mache fast nie die eigentliche Meldung aus.
Corn´s Buch liest sich spannend wie ein Kriminalroman, obwohl er einfach nur immer wieder Behauptungen und Realität gegenüberstellt. Vor dem Leser entfalten sich wesentliche Stationen der politischen Biographie Bushs. Leider hat Corn um der Einfachheit willen oft keine exakten Datumsangaben gemacht. Schwerer wiegt, daß auch ein Quellenverzeichnis fehlt. Als Journalist sitzt Corn direkt „an der Quelle“ und hat vielleicht deswegen auf den Aufwand verzichtet, die zahllosen Einzelaussagen zu belegen. Kritischen oder weitergehend interessierten Lesern hätte er damit allerdings sehr gedient.
„Das Ende der Demokratie“
Ein anderer intimer Kenner der Regierungspolitik ist John Dean. Er belegt in seinem Buch „Das Ende der Demokratie“ auch die systematischen Methoden, mit denen Bush und sein engster Kreis ihre Macht und ihren Einfluß vergrößerten.
Wie Corn beleuchtet er Bushs frühere Aktiengeschäfte und glaubt, daß Bush, wenn er nur ein Mitarbeiter des Präsidenten hätte werden wollen, die nötige FBI-Überprüfung nicht überstanden hätte. Ebensowenig sein Vizepräsident Cheney: Dieser war zunächst Vorsitzender des Verwaltungsrates des Halliburton-Konzerns. Bald nach der Präsidentschaftswahl kam heraus, daß trotz der US-Sanktionen gegen den Irak niemand größere Geschäfte mit Hussein gemacht hatte als Tochterunternehmen von Halliburton.
Am ersten Tag von Bushs Amtszeit erteilte sein neuer Stabschef Andy Card stillschweigend eine Anweisung, „Unterlagen und Informationen, die bislang öffentlich waren, nicht mehr zugänglich zu machen“. Zugleich war die Zeit gekommen, wo die Reagan-Akten freigegeben werden mußten. Bush jedoch erließ völlig neue Regelungen, nach denen u.a. frühere Präsidenten eine dauerhafte Geheimhaltung bestimmen können.
Als ein Mitarbeiter der Drogenüberwachungsbehörde Informationen weitergab, die als nicht geheim eingestuft waren, ließ Bushs Justizminister Ashcroft ihn in einem Prozeß, der auf alle abschreckend wirken sollte, in 20 Punkten anklagen.
Als der Bundesrechnungshof (GAO) Cheney und seine Energie-Planungsgruppe aufforderte, ihre Gesprächspartner offenzulegen, verweigerte Cheney dies (er hatte unter anderem direkte „Anregungen“ des Skandal-Unternehmens Enron erhalten). GAO-Präsident Walker verklagte, beispiellos in der US-Geschichte, das Weiße Haus – und unterlag. Der Bezirksrichter, der erst kurz zuvor von Bush eingesetzt worden war, argumentierte, Walker handle nur im Auftrag des Kongresses und habe keinen persönlichen Schaden erlitten!
Nach dem 11. September verhinderte die Bush-Regierung monatelang einen öffentlichen Untersuchungsausschuß und konnte schließlich noch dessen Vorsitz ernennen. Nicht nur existierten seit Jahren Warnungen vor Flugzeug-Entführungen genau dieser Art, nicht nur hatte die Bush-Regierung alle Empfehlungen ihrer Vorgängerin unbeachtet gelassen, im August 2001 wurde auch ganz konkret vor einem verheerenden Anschlag bin Ladens gewarnt. Auf Anweisung von CIA-Chef Tenet durfte nicht erwähnt werden, ob diese Warnung Bush vorgelegen habe. Und weiterhin verzögerte und verweigerte die Regierung die Herausgabe von Unterlagen.
Laut Dean geht die systematische Geheimhaltungspolitik der Regierung Bush wesentlich auf Cheney zurück. Er gilt vielen als die „starke Hand“ hinter Bush, sogar Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates sprechen von einer „Schattenregierung“. Cheney war unter Präsident Ford Stabschef im Weißen Haus. Er beargwöhnte schon damals die Bemühungen des Kongresses, nach Vietnam und Watergate die ziemlich absoluten Vollmachten des Präsidenten stärker zu begrenzen, und verteidigte auch Präsident Reagan gegen alle Vorwürfe in der Iran-Contra-Affäre.
Dean vergleicht die Amtszeit Bushs aus kundiger Warte mit derjenigen Nixons und kommt zu dem Schluß, daß sie noch weitaus „schlimmer als Watergate“ sei.[1] Anfangs sei er erstaunt gewesen und habe sich gefragt, ob es Bush und Cheney bewußt war, auf welchen Pfaden sie sich bewegten. Dann machte er in verschiedenen Kolumnen auf ihre höchst zweifelhaften Methoden aufmerksam und entschloß sich erst im Frühjahr 2003 zu einem ganzen Buch. Er erwähnt, daß er mit zahlreichen Gewährsleuten Kontakt aufnahm, die aus verständlichen Gründen zumeist anonym bleiben wollten. In seinem Buch verwendet er jedoch nur Tatsachen, die er auch mit öffentlich zugänglichen Quellen belegen kann – und gibt diese in über 300 Anmerkungen auch an.
Es bleibt abzuwarten, was in späteren Zeiten noch über die Regierung von Bush und Cheney bekannt werden wird. Unabhängig von der Frage, ob Bush am Dienstag in eine zweite Amtszeit gewählt werden sollte oder nicht, ist es wichtig, sich mit der bisherigen systematischen Geheimhaltungs-, Macht- und Lügenpolitik zu beschäftigen. Es sprechen sich darin Zeitphänomene aus, die weit über die Person Bushs hinausgehen.
Fußnoten
[1] Was er nicht erwähnt, ist, daß er als Nixons Rechtsberater vor über 30 Jahren ganz direkt in diese Affäre verstrickt war, bevor er schließlich vor Gericht gegen Nixon aussagte. Im Vorwort bekennt er aber, daß er seit langem kein „Parteigänger“ mehr sei.