2007
Die nächste Stufe der Unmenschlichkeit
Tausende Falun-Gong-Anhänger als „Organspender“ ermordet
Am 10. Mai verurteilte der Deutsche Bundestag in einer Resolution das System der chinesischen Zwangsarbeitslager.[1] Menschenrechtsgruppen schätzen die Zahl solcher Lager auf 1.000 und gehen von Hunderttausenden bis Millionen Internierten aus. Ein Teil von ihnen sind Anhänger der Qi-Gong-Schule „Falun Gong“ – und diese sind nicht nur von Folter betroffen, sondern dienen offenbar als „Organspender auf Abruf“!
„Falun Gong“ wurde erst 1992 von Li Hongzhi begründet. Manch einer dürfte davon zum ersten Mal gehört haben, nachdem 1999 in China eine heftige Verfolgung von Falun-Gong-Anhängern einsetzte. Doch wer kennt den Matas-Kilgour-Bericht?[2] Die Kanadier David Matas und David Kilgour – der eine engagierter Menschenrechtler, der andere ehemaliger Staatsanwalt und Staatssekretär – waren im Mai 2006 von einer NGO um eine unabhängige Untersuchung gebeten worden. Was sollten sie untersuchen? Den Vorwurf, daß in China Tausende von Falun-Gong-Anhängern gefangengehalten und ihnen bei Bedarf bei lebendigem Leibe Organe entnommen werden! In ihrem Bericht vom Juli 2006 (erweitert Januar 2007) trugen Matas und Kilgour eine erdrückende Beweislast zusammen.
Während Falun Gong in den 90er Jahren zunächst selbst in höchsten Parteikreisen wegen seines Beitrags zur Volksgesundheit begrüßt wurde, trat etwa 1996 ein langsamer Umschwung ein, als das von Li Hongzhi erst 1995 veröffentlichte Buch „Zhuan Falun“[3] bereits in fast einer Million Exemplaren verkauft war und die Zahl der Falun-Gong-Anhänger allmählich die der 60 Millionen Parteimitglieder (KPC) überstieg. Li Hongzhi selbst siedelte 1998 in die USA über.
Ein Ereignis führte dann zur Eskalation: Mitte April 1999 kritisierte ein Artikel der Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Tianjin Falun Gong als Aberglauben und Gesundheitsrisiko, da die Anhänger konventionelle Medizin möglicherweise verweigern würden. Als Falun-Gong-Praktizierende Beschwerde einlegen wollten, kam es zu Verhaftungen und Polizeigewalt. Schließlich versammelten sich am 25. April mindestens 10.000 Menschen vor dem Petitionsbüro der Zentralregierung in Beijing. Nach Gesprächen mit höchsten Regierungsvertretern löste sich die Versammlung am Abend friedlich auf.
Es dauerte einige Zeit, bis die Parteiführung um Präsident Jiang Zemin diese völlig unerwarteten Geschehnisse und weitere Proteste verarbeitet hatte und eine Kampagne begann, die in ihrer Dauer und Intensität seit der Kulturrevolution einzigartig ist. Am 10. Juni wurden Spezialeinheiten in allen Städten, Universitäten und Staatsbetrieben gebildet (nach ihrem Gründungstag „Büro 610“ genannt), die Falun Gong „auslöschen“ sollten. Ende Juli wurde Falun Gong als „böse Religion/Sekte“ verboten, und erste Massenverhaftungen wurden durchgeführt.[4]
Erdrückende Beweise
Seitdem wurden wohl über 100.000 Falun-Gong-Anhänger in Gefängnissen und Arbeitslagern inhaftiert. Über 3.000 Todesfälle durch Folter[5] sind dokumentiert, schlimmer ist die Dunkelziffer von Todesfällen – und zwar nicht nur durch Folter, sondern durch Organentnahme.
Welche Hinweise dafür konnten Matas und Kilgour zusammentragen? Ein gewisser Ausgangspunkt sind zwei Zahlenwerte: Bis 1999 gab es in China 30.000 Organtransplantationen, für die Zeit bis 2005 nennt die Chinesische Organtransplantationsgesellschaft jedoch 90.000 als Gesamtzahl – das wären 60.000 innerhalb von sechs Jahren. Chinesische Kliniken warben (bis zum Erscheinen des Reports) im Internet mit Wartezeiten von „vielleicht einer Woche“ – in Kanada z.B. sind dagegen Jahre an Wartezeit üblich!
In dokumentierten Telefonaten gaben leitende Klinik-Ärzte teilweise offen zu, daß die Organe jeweils von lebenden Falun-Gong-Anhängern kommen würden. Zahllose Zeugenaussagen belegen, daß in den Lagern und Gefängnissen Blutproben genommen wurden – und zwar selektiv nur von Falun-Gong-Anhängern! Eine Zeugin sagte sogar, ihr Ehemann habe Falun-Gong-Gefangenen im Nordosten Chinas 2.000 Augenhornhäute entnommen (während seine Kollegen andere Organe entnahmen), bevor er diese Arbeit verweigert habe.
Allein die Zahl der Nierentransplantations-Zentren in China stieg 2001-2005 von 106 auf 368. Das vor wenigen Jahren entstandene Organtransplantationszentrum in Tianjin hat 16 Stockwerke mit insgesamt 300 Betten: das größte in Asien überhaupt. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Organe fast ausschließlich von Gefangenen kommen – und offenbar zum Teil von nicht einmal verurteilten Falun-Gong-Anhängern.
Papier ist geduldig – „Geld“ nicht
Bereits vor der Entstehung des „Falun-Gong-Reports“ verabschiedete die chinesische Regierung im März 2006 auf internationalen Druck hin ein Gesetz, daß Organentnahme ohne schriftliche Erlaubnis und Organhandel generell verbietet. Doch noch im November gab der Vizegesundheitsminister zu, daß fast alle Transplantate von Hingerichteten stammen (2006 laut Amnesty International 3.400) und „Geschäfte unter der Hand verboten werden“ müßten.[6]
Daß dies wirklich ein Ende haben wird, ist mehr als fraglich, denn die neuen Kliniken sind gebaut und brauchen Profit. Zudem verweisen Matas und Kilgour darauf, daß das Gesundheitssystem in China schon seit 1980 zunehmend „privatisiert“ wurde. Staatliche Gelder wurden gekürzt und reichen derzeit oft nicht einmal für die reinen Personalkosten. Eine ganz ähnliche Entwicklung betraf das Militär, das hier eine wichtige Rolle spielt: Viele Transplantationszentren sind militärische Einrichtungen, und selbst in zivilen Kliniken werden Transplantationen oft von militärischem Personal durchgeführt.
Um welche Summen es geht, zeigen folgende Zahlen: Eine Niere kostet über 60.000 Dollar, eine Leber etwa 100.000, ein Herz etwa 150.000 Dollar. Matas und Kilgour selbst schreiben: „Der Verkauf von Organen unfreiwilliger Spender kombiniert Hass mit Gier. Eine staatliche Politik der Verfolgung wird auf eine finanziell profitable Weise umgesetzt.“
Die Resolution des Deutschen Bundestages vom 10. Mai ist immerhin ein wichtiges politisches Signal, aber es wird wie viele andere Resolutionen wirkungslos bleiben, solange die wahre Situation von kaum jemandem zur Kenntnis genommen oder gemäß ihrer Bedeutung behandelt wird.
China bzw. Beijing ist Ausrichter der Olympischen Spiele 2008 – und genau wie diese „Spiele“ immer kommerzialisierter wurden, so ist längst unser gesamtes Menschen- und Weltbild kommerzialisiert. Es ist ein Grauen, was Matas und Kilgour in ihrem Report ans Licht bringen. Doch dieses Grauen kann einen zum Nachdenken darüber bringen, welche Hintergründe so etwas möglich machen – und wo diese Hintergründe auch hierzulande überall zu finden sind.
Es ist ein fast zwangsläufiger Schritt vom Verlust eines geistigen Menschenbildes hin zur Entwertung des einzelnen Menschenlebens. Die überall zu beobachtende Anonymisierung und Kommerzialisierung sind Symptome dessen. Es ist im Grunde dasselbe Denken, das in China Menschen einer stigmatisierten „Gruppierung“ nur noch als Organdatenbank ansieht, oder das zum Beispiel in Deutschland „Arbeitslose“ durch diverse Zwangsmaßnahmen aus der Statistik zu entfernen versucht. Es sind in Deutschland bereits Menschen verhungert, denen selbst das kärgliche „Arbeitslosengeld“ noch gekürzt wurde. Der Mensch als „Nummer“ oder „Fall“, als Mittel zu Profit oder Einsparung – Ahrimans Aufstieg findet weder in China noch anderswo bisher nennenswerten Widerstand.[7]
Fußnoten
[1] genannt Laogai/Laojiao, „Reform/Erziehung durch Arbeit“ – in letzteren können Menschen sogar ohne Verurteilung bis zu vier Jahren festgehalten werden.
[2] www.organharvestinvestigation.net – dort auch auf deutsch.
[3] Ein Link und viele weitere Informationen zu Falun Gong findet sich unter http://de.wikipedia.org/wiki/Falun_Gong. - Zu den obskuren Seiten der Lehre und ihre Einordnung in die chinesische Ideengeschichte vgl. www.uni-duisburg.de/Institute/OAWISS/download/doc/paper36.pdf.
[5] Erschütternde Berichte von Überlebenden finden sich in der Reportage www.zeit.de/2001/16/200116_falun.xml.
[6] Daß Hingerichteten Organe entnommen werden, bestritt die chinesische Regierung noch bis vor kurzem kategorisch – und wurde im wesentlichen auch erst durch die erschütternde Aussage des aus China geflohenen Arztes Wang Guoqi am 27.6.2001 vor dem US-Repräsentantenhaus bekannt (siehe www.dieneueepoche.com/articles/2006/03/20/10926.html).
[7] Der geballte Widerstand trifft im Gegenteil mit Falun Gong eine „Schule“, die als ihre drei Grundprinzipien Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht bezeichnet, ausdrücklich die Kultivierung des moralischen Bewusstseins im Einklang mit dem Kosmos anstrebt und im spirituellen Vakuum Chinas Millionen Anhänger gefunden hatte.