2009
Auf dem Weg in die Katastrophen
Die öffentliche Vorbereitung der Gedanken auf die „tödlichen Gefahren“ von Morgen
Leicht gekürzt veröffentlicht im „Goetheanum“ vom 6.11.2009 (Nr. 45)
Hauptquelle: Rick Zozoff: Das Undenkbare denken: Der globale militärische Fahrplan der NATO. Hintergrund, 20.10.2009.
Rudolf Steiner wies immer wieder darauf hin, wie das heutige, im Intellektualismus versinkende Denken niemals imstande sein wird, die wirklichen Menschheitsprobleme zu lösen, sondern wie es diese selbst hervorgebracht hat und immer noch weiter in die Dekadenz hineinführen wird.
Besonders drastisch zeigt sich dies in der Militarisierung des Weltgeschehens. Hier ist auch besonders gut zu bemerken, wie die unheilvolle Entwicklung jeweils von einigen führenden Persönlichkeiten geprägt und gelenkt wird. Und immer wieder zeigt sich: Entscheidende Weichenstellungen werden dadurch vorbereitet, dass gezielt Gedanken in die Öffentlichkeit gebracht werden. Werden diese oft genug wiederholt und dabei immer wieder auch als „unausweichlich“ und „notwendig“ dargestellt, ist der Boden bereitet, wenn das Angekündigte schließlich auch umgesetzt wird – das innere moralische Empfinden und Urteilsvermögen wurde erfolgreich eingeschläfert... Man muss dafür aufmerksam werden, wie das Wesentliche heute immer mehr (zunächst) in der Gedankensphäre stattfindet!
Mit Hilfe einer solchen Strategie etablieren führende Männer der NATO diese militärische Organisation derzeit als „Lösung“ für alle künftigen Menschheitsprobleme. Anstatt die UNO zu stärken und Probleme wirklich lösen zu wollen, wird auf die militärische Verwaltung von Menschheitsproblemen hingearbeitet, die wie Naturtatsachen hingestellt werden. Dabei arbeiten Militaristen und führende Männer eines entfesselten, auf egoistischen Profit hinorientierten Wirtschaftslebens Hand in Hand.
Vom Militärbündnis zum öffentlichen Partner der Konzerne
War die NATO ursprünglich ein Verteidigungsbündnis gegen die „sowjetische Bedrohung“, so wurde sie nach dem historischen Ende des Kalten Krieges bald zu einer Militärorganisation, die unter der Führung der USA weltweit neue Aufgaben suchte. Mit dem Kosovo-Krieg 1999 gab es einen ersten „Out of Area“-Einsatz ohne Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates. Seit 2001 sind die „ISAF“-Truppen in Afghanistan im Einsatz, hierfür hat die NATO sogar in der Mongolei und in Singapur rekrutiert. Doch es geht inzwischen um noch ganz andere „Aufgaben“.
Schon vor dem NATO-Gipfel im April 2008 in Bukarest forderte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer (NL) am 15.3.2009 eine neue Strategie zur Bewältigung von „modernen Herausforderungen“ wie der Energiesicherheit, Angriffen auf das Internet oder der Erderwärmung und verwies auf die Notwendigkeit einer deutlichen Erhöhung des NATO-Budgets.
Im Juli 2009 gab die NATO bekannt, dass eine „Expertengruppe“ mit der Ausarbeitung ihrer neuen Strategie beauftragt wurde – unter Vorsitz der ehemaligen US-Außenministerin Albright und des Niederländers Jeroen van der Veer, bis dahin Generaldirektor von Royal Dutch Shell...
Am 1. Oktober veranstalteten die NATO und der weltweit führende Versicherungskonzern Lloyd´s of London eine gemeinsame (!) Konferenz über Klimawandel, Piraterie und Internet-Attacken. Lloyd´s-Chef Lord Levene sagte in seiner Ansprache vor 200 „hochrangigen Repräsentanten auf dem Gebiet der Sicherheit und der Wirtschaft“:
„Unsere hochentwickelte, industrialisierte und komplexe Welt ist einer Unzahl entschiedener und tödlicher Bedrohungen ausgesetzt. Wenn wir nicht bald handeln, werden wir uns wie Gulliver hilflos an den Boden gefesselt sehen, weil wir es versäumten, eine Reihe zunehmender Veränderungen zu stoppen, als wir es noch konnten.“[1]
Und schon einen Tag vorher erschien in der größten englischen Tageszeitung, dem konservativen „Daily Telegraph“, ein gemeinsamer Artikel von Lord Levene und NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen (DK), der eine engere Zusammenarbeit von Regierungen, Wirtschaft und Militär beschwört. Darin heißt es am Ende:
„Wir können [...] die Erderwärmung nicht stoppen, die Ursachen der Piraterie nicht beseitigen [...] [sondern nur die Effekte für die Industrie und normale Menschen minimieren]“.
Der Mensch – des Menschen Feind?
Aufschlussreich ist hier nicht nur, dass die Menschen erst an zweiter Stelle genannt werden, sondern vor allem, dass tatsächlich behauptet wird, die Erderwärmung oder die Ursachen von Armut und Elend könnten nicht verhindert werden! Ohne wirkliche Lösungen anzustreben, wird die Menschheit also stattdessen auf „tödliche Bedrohungen“ und auf die rettende Rolle der NATO und ihre "Unzahl" von neuen Aufgaben eingeschworen... Regierungen sollen Notfallpläne entwickeln, dabei Einschätzungen der Geheimdienste zum Klimawandel einbeziehen usw.
Welches Denken hinter alledem steht, zeigt der Satz: „Humans have always fought over resources and land. But now we are seeing those pressures on a bigger scale, and at a faster pace, than ever before [...]. Scarcity of natural resources is set to be a growing security problem.â€
Rasmussen nannte in seiner Rede vom 1. Oktober dann auch ganz konkret eine Vielzahl von „Bedrohungen“, die „verheerende“ Folgen für die Sicherheit haben können: Stürme, Flutkatastrophen, Wasserknappheit, Dürren, Nahrungsmangel... Die Bedrohung geht dabei immer von Menschen aus, von „Menschenmassen“. Rasmussen:
„Wir wissen, dass der Meeresspiegel ansteigen wird. Macht das etwas? In der Tat. [...]. Falls Menschen umsiedeln müssen – oder genauer: sobald sie es müssen – werden sie es in großer Zahl tun, immer dorthin, wo schon andere Menschen leben [...]“
Was gegen dieses Sicherheitsrisiko dann getan werden soll, bleibt unausgesprochen, steht aber im Raum...
Der Mensch – ein Sicherheitsrisiko. Statt alle Kraft auf die Bekämpfung der Ursachen der Klimaerwärmung und der Armut zu richten, richtet man sein Denken und das Aufgabenfeld bestehender militärischer Organisationen schon jetzt auf die künftige Bekämpfung verzweifelter Bevölkerungsgruppen... Statt einer nicht mehr existenten militärischen Bedrohung hat die NATO nun die künftigen Opfer des vom reichen Viertel der Menschheit dominierten Weltgeschehens im Visier.
Schon ein Zehntel des gigantischen Militärbudgets von 1.464 Milliarden US-Dollar weltweit (wovon rund 70% auf die 28 NATO-Mitgliedsstaaten entfallen) würde ausreichen, um Armut, Bildungsmangel, Unterernährung usw. absolut wirkungsvoll zu bekämpfen! Allein, es fehlt der Wille der führenden Männer unserer Welt, deren Interesse ganz offenbar ein anderes ist.
Fußnote
[1] Interessant in diesem Zusammenhang ist, was in Swifts Roman der König der Riesen aus Gullivers – auch militärisch prahlerischen – Erzählungen schließen muss, nämlich, dass die Menschheit offenbar „zur bösartigsten Gattung ... Ungeziefers gehört, das die Natur jemals erdulden musste“.