2010
„Für euch wird es schrecklich werden“ – Der Weltwirtschaftsgipfel und die Zukunft
Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos beschäftigte sich Ende Januar der elitäre Führungszirkel der politischen und wirtschaftlichen Welt mit der Frage, wie Krisen des Weltwirtschaftssystems künftig verhindert werden können. Doch der Gipfel offenbarte vor allem die tiefe Uneinigkeit innerhalb dieser Elite – und lässt eine düstere Zukunft ahnen.
Veröffentlicht im Goetheanum Nr. 10 vom 5.3.2010.
Die heftigen Spannungen beginnen schon zwischen den Staaten. So griff z.B. Obamas Chefökonom Larry Summers Chinas Handels- und Geldpolitik an und drohte, die USA seien bereit, mit eigenen protektionistischen Maßnahmen gegenzuhalten.[1]
Und der Streit setzt sich fort in der Frage der geeigneten Maßnahmen zur künftigen Kontrolle der „Finanzmärkte“:
„In der Vergangenheit konnten die New Yorker Wall Street und die Londoner City auf das Wohlwollen ihrer Regierungen in Regulierungsfragen bauen. Was Europäer in Paris oder Berlin dachten, war den international ausgerichteten Bankern ziemlich gleichgültig. Die Finanzkrise, die jüngsten Milliardenboni von Bankern, die ohne die Staatshilfen während der Krise vermutlich alle bankrottgegangen wären, und die innenpolitischen Schwierigkeiten Barack Obamas sowie die bevorstehenden Wahlen in Großbritannien haben die Ausgangslage verändert.“[2]
US-Präsident Obama kam mit dem Vorschlag, den sogenannten „Eigenhandel“ der Banken zu beschränken bzw. das spekulative Investmentgeschäft völlig vom Kreditgeschäft zu trennen – etwas was bis 1999 der Fall gewesen war. Doch die Banker wehrten sich heftig gegen solche Vorschläge. Und ein Kommentator bemerkte: Die Wahrscheinlichkeit für einen Beschluss des US-Kongresses zur Regulierung der Banken entspräche ungefähr der, dass Politiker in den Himmel kämen.[3] Aufschlussreich ist die unwahrhaftige Reaktion der Großbanker: „Blass wendet sich der Präsident der britischen Bank Barclays an Caruana: ‚Ich sehe keinen Beleg dafür, dass kleine Banken die Welt sicherer machen. Dagegen wären die Folgen für die Weltwirtschaft negativ.‘“ Und dann behauptet er, es sei fast unmöglich, den Eigenhandel der Banken vom Kundengeschäft abzutrennen![4]
Die Arroganz der Finanzelite
Gleich zu Beginn des Gipfels prangerte Frankreichs Präsident Sarkozy die Gier der Banker an und stimmte Obamas Vorschlag zu. Auch wies er zu Recht darauf hin, dass die Manager der Wirtschafts- und Finanzelite jahrelang wiederholt hätten, in der globalisierten Welt „keine Heimat“ mehr zu haben, was sich aber sofort änderte, als es darum ging, gerettet zu werden.[5]
Sehr offenbarend war dann die Unwahrhaftigkeit eines Josef Ackermann, Präsident der Deutschen Bank: Als nach Sarkozys Rede die Damen in der ersten Reihe zum Applaudieren sogar aufstanden, wagte Ackermann es nicht, sitzen zu bleiben.[6] Fast mitleidig gestand er im Laufe des Gipfels ein: „Alle in unserer Branche müssen einsehen, dass die Gesellschaft gewisse Übertreibungen nicht mehr akzeptiert.“[7] Das sagt jemand, der ein jährliches Bruttogehalt von 15 bis 20 Millionen Euro hat und im „Mannesmann-Verfahren“ einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Veruntreuung nur durch Zahlung einer Geldauflage von 3,2 Millionen Euro entging![8]
Noch im März 2008 rief er in der Krise die Regierungen zu Hilfe: „Ich glaube hier nicht allein an die Selbstheilungskräfte der Märkte.“[9] Nun sagt er, die Schuldzuweisungen „müssten langsam aufhören“, und droht: „Wenn es keinen starken Finanzsektor gibt, der den Aufschwung stützen kann, dann wäre das ein großer Fehler, den Sie später bereuen werden.“[10] Ackermann versuchte, die Bankenkreise zu Maßnahmen der Selbstregulierung zu einigen. Und tatsächlich scheint Selbstbewusstsein Erfolg zu haben. Nachdem sich führende Banker zu vertraulichen Gesprächen u.a. mit den Finanzministern Frankreichs und Großbritanniens getroffen hatten, lobte Ackermann: „Der Dialog zwischen Wirtschaftsführern, Politikern und den Leitern von Aufsichtsbehörden war besser denn je.“[11]
Zwei Tage nach dem Gipfel von Davos – ob es da einen Zusammenhang gibt? – hob die deutsche Bankenaufsicht das seit September 2008 geltende Verbot von Leerverkäufen an der Börse wieder auf – auch diese besonders perfide Form der Spekulation darf also wieder stattfinden. Die World Socialist Web Site kommentiert sicher nicht zu Unrecht: „Die Arroganz der Bankiers in Davos wurde nur noch von ihrer Verachtung gegenüber der politischen Kaste übertroffen, die sich ihren Forderungen voll unterwirft.“[12] Man fühlt sich erinnert an die Worte von Hans Tietmeyer, damals Präsident der Bundesbank, der schon 1996 – vor 14 Jahren – in Davos sagte: „Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.“[13]
Die ganze Kritik scheint an der Finanzelite abzuprallen: Ein führender Banker der Carlyle Group prahlte, es sei „eine sehr gute Zeit“ zum Investieren und die 2009 getätigten Geschäftsabschlüsse seiner Gruppe würden sich „als die besten erweisen, die wir in den letzten zehn Jahren getätigt haben.“[14] Diese Menschen scheinen sich vom übrigen Leben völlig losgelöst zu haben. Selbst der Vorstandschef eines US-Industriekonzerns kann kaum an sich halten: „Diese Jungs glauben nicht nur, es gehe weiter wie zuvor. Es ist noch viel schlimmer: Die glauben, sie müssten das Krisenjahr 2008, in dem es mal keine Boni gab, jetzt auch noch wettmachen. Die haben rein gar nichts kapiert.“[15]
Und so verlief der Gipfel von Davos so ergebnislos wie der Klimagipfel von Kopenhagen:
„So fällt es den Global Playern von Davos schwer, ihre Differenzen zu überdecken. Zur letzten großen Debatte über die Perspektiven der Weltwirtschaft sitzen am Schluss noch einmal Minister und Notenbanker aus China, Frankreich, Indien, Japan und Amerika sichtlich ermattet mit IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn und Deutsche-Bank-Chef Ackermann auf der Bühne. Sie tun das, was sie tagelang vorexerziert haben: Sie reden aneinander vorbei.“[16]
Von Gier, Dummheit und Stummheit
In der Süddeutschen Zeitung vom 29. Januar erschien ein höchst aufschlussreiches Interview mit dem ehemaligen Risikovorstand der Deutschen Bank und der Dresdner Bank, Otto Steinmetz:2010-02-06_Davos
„An der Krise haben viele ihren Anteil, nicht nur Banker. Manche haben mehr oder minder fahrlässig oder sogar vorsätzlich gehandelt, einige kriminell. Auf der anderen Seite standen Anleger mit einem enormen Risikoappetit. Die Banken, vornehmlich in den USA, sahen diesen Bedarf. Also schufen sie Material, um die Geldmaschine zu füttern. [...]
Diese Renditen sind ja nicht erfunden worden, sondern wurden verlangt – von den großen Investoren ebenso wie von den Kleinanlegern. Das Grundproblem ist, dass in der Welt seit zehn Jahren immer weniger nachhaltig gewirtschaftet wird. Heute geht es nur noch um den Shareholder Value, den Mehrwert der Aktionäre. Da hat sich gewaltig etwas verschoben – auch weil die Politiker Fehler gemacht haben. [D]ie Politiker haben die Globalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte vorangetrieben. Mitarbeiter, Kunden und Gesellschaft standen nicht mehr gleichberechtigt neben den Interessen der Aktionäre. Die Politik hat keinen Rahmen gesetzt und allein auf den freien Markt gebaut. [...]
Die deutsche Finanzaufsicht Bafin war doch in den letzten Jahren bekanntlich in allen Aufsichtsratssitzungen der großen Banken mit einem Vertreter anwesend, genauso wie die Bundesbank. Sie haben alle Risikoberichte erhalten wie jedes andere Aufsichtsratsmitglied, 150 oder 200 Seiten mit allen Erläuterungen. Sie waren sogar in den jeweiligen Ausschüssen des Aufsichtsrats vertreten, die sich mit Risikothemen intensiv beschäftigt haben. [...] Ich habe sie selbst darauf angesprochen: Warum beteiligen Sie sich nicht an der Diskussion? Die Antwort lautete: Das ist nicht unsere Rolle. Ich war perplex. [...] Bei allen meinen Besuchen bei der Aufsicht ging zwei Drittel der Zeit dafür darauf, dass es Erklärungsbedarf gab bei Produkten und Märkten. Die Leute haben es nicht gewusst oder nicht verstanden. [...] Jochen Sanio, der Chef der Bafin, hat schon bei seinem Amtsantritt beklagt, dass seine Behörde schlecht ausgestattet sei.“[17]
So entlarvend dieses Interview ist, so fragwürdig ist es, dass nichts davon an die Öffentlichkeit getragen wurde. Und so schreibt Albrecht Müller, Begründer der hervorragenden NachDenkSeiten, mit vollem Recht:
„Es wäre wichtig gewesen, dass ein Insider wie Steinmetz sich gemeldet hätte, bevor die Sitten des Kombinats aus Finanzindustrie, Politik und Medien total verlotterten. Spätestens dann, als im Jahre 2005 von Steinbrück und Merkel die Deregulierung der Kapitalmärkte vorangetrieben wurde, hätte sich Steinmetz melden müssen. Dann wäre noch ein bisschen mehr zu retten gewesen. Zum Beispiel wären dann weniger deutsche Unternehmen Internationalen Hedgefonds und Private Equity Gruppen zum Fraße vorgeworfen worden.
Warum hat er sich nicht zu Wort gemeldet, als Angela Merkel den Goldman-Sachs-Berater Otmar Issing zum Vorsitzenden einer Kommission machte, die neue Regeln für die internationalen Finanzmärkte ausarbeiten sollte? Macht den Bock nicht zum Gärtner! Kontrolliert den Soffin besser! Das wären hilfreiche Hilferufe gewesen.
So haben wir es mit einem Nachklapp zu tun. Aber selbst dafür müssen wir dankbar sein.“[18]
Das ganze Ausmaß der Krise
Neben den normalen Banken hat auch die US-Notenbank eine enorme Schuld an der Finanzkrise bzw. hat diese erst möglich gemacht, indem immer neues Geld in den Kreislauf gepumpt wurde – Grundlage für die Exzesse an den Finanzmärkten und eine immer leichtsinnigere Kreditvergabe. Heute gehören 90% der an der Wall Street notierten Unternehmen Investoren, denen es auf kurzfristige Rendite ankommt.[19]
In einer Wirtschaftswelt, in der es nur noch auf den Shareholder Value ankommt, bricht letztlich das ganze Gemeinwesen zusammen. Doch die Regierungen haben all dies durch die Deregulierung der Finanzmärkte und großzügige Steuersenkungen für Großkonzerne und Vermögensbesitzer erst ermöglicht und dann noch beschleunigt. Nun sitzen sie auf unvorstellbar großen Schuldenbeträgen – die durch die „Bankenrettungsschirme“ nochmals aufgebläht wurden. Und so konnte Kenneth Rogoff, Professor für Wirtschaft in Harvard, den heute 30-Jährigen in Davos nur prophezeien: „Für euch wird es schrecklich werden“.[20] Zu der nach wie vor geltenden Doktrin, man könne sich durch Wirtschaftswachstum von den Schulden befreien, fand er drei Worte: „Das ist Vodoo-Ökonomie.“[21]
Barney Frank, Repräsentant des linken Flügels der Demokratischen Partei, brachte es auf den Punkt: „Freihandel kann nur funktionieren, wenn der Wohlstand, der durch Arbeitsteilung entsteht, gerecht geteilt werden kann.“ Josef Joffe von der ZEIT vervollständigt dann die Diagnose, indem er hinzufügt: „Wer schon was kriegt, ist meistens mächtig genug, um Angriffe auf seine Besitzstände zu konterkarieren.“[22] Das sollte heute doch offensichtlich sein – wo Manager, Vorstandsvorsitzende und Heuschrecken gigantische Gewinne einkassieren, während immer mehr Menschen verarmen, sich verschulden, ihren Job verlieren – und ganze Staatshaushalte in den Ruin getrieben werden. Die Welt ist unendlich produktiv und unendlich reich – aber der Reichtum verteilt sich auf immer weniger Taschen...
So besorgt die Politiker angesichts der Krise auch scheinen – es fehlt an dem politischen Willen, die eigentliche Realität zur Kenntnis zu nehmen: Die schreiende Ungerechtigkeit in der Verteilung des Wohlstandes, an dessen Produktion alle Anteil haben. Die Politik hat diese Ungerechtigkeit in den letzten beiden Jahrzehnten ungeheuer verstärkt – und sie hat erst die Rahmenbedingungen geschaffen, unter denen irrsinnige „Finanzmarktprodukte“ entstanden, die mit der Realität nicht mehr das Geringste zu tun haben, und unter denen sich die größte Finanzkrise seit den 30er Jahren überhaupt ereignen konnte.
Welche Regulierungen nun auf den Finanzmärkten eventuell auch etabliert werden, in der realen Welt wird sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnen, denn das Problem ist, dass man die grundlegenden Fragen, die mit den grundlegenden Begriffen „Preis“, „Lohn“, „Besitz“ usw. zu tun haben, gar nicht mehr stellt. Man ist denkfaul geworden – und fürchtet sich natürlich vor radikalen, an die Wurzel gehenden Gedanken. Es läuft aber alles auf die Verteilungsfrage hinaus – auf ein Richtigdenken der Begriffe, wie Rudolf Steiner es im „Nationalökonomischen Kurs“ geleistet hat.
Je mehr Zeit verstreicht, desto virulenter wird die real existierende Frage werden. Denn die Schulden der Staaten wachsen unaufhörlich, die „Arbeitslosigkeit“ ebenso, die Weltwährung Dollar gerät immer mehr unter Druck... Die Warnung des Harvard-Professors ist ernst zu nehmen: „Für euch wird es schrecklich werden.“
Mehr Infos: Aufsätze zur wirtschaftlich-sozialen Frage | Aufsätze anderer Autoren zur "Finanzkrise".
Quellen
[1] wsws, 5.2.2010.
[2] FAZ.net, 29.1.2010.
[3] wsws, 5.2.2010.
[4] Handelsblatt.de, 1.2.2010.
[5] Welt.de, 30.1.2010.
[6] Welt.de, 28.1.2010.
[7] Hamburger Abendblatt, 1.1.2010.
[8] Wikipedia.
[9] Spiegel online, 18.3.2008.
[10] wsws, 5.2.2010.
[11] wsws, 5.2.2010.
[12] wsws, 5.2.2010.
[13] FAZ, 3.2.1996, zitiert in: Hans-Peter Martin / Harald Schumann: Die Globalisierungsfalle. Rowohlt, 1996, S.90.
[14] wsws, 5.2.2010.
[15] Welt.de, 30.1.2010.
[16] Handelsblatt.de, 1.2.2010.
[17] Sueddeutsche.de, 29.1.2010.
[18] NachDenkSeiten, 2.2.2010.
[19] Handelsblatt.de, 1.2.2010.
[20] Spiegel online, 1.2.2010.
[21] Zeit.de, 28.1.2010.
[22] Zeit.de, 28.1.2010.