21.10.2010

Zeitschrift „Anthroposophie“ als Sprachrohr okkult angehauchter Diffamierungen?

Erwiderung auf: Rüdiger Blankertz: Neue ‚Anweisungen zum seligen Lesen’? in: Anthroposophie. Vierteljahrsschrift zur anthroposophischen Arbeit in Deutschland. Michaeli III / 2010, Nr. 253, S. 266-269.

siehe auch: Blankertz’ Kartenhaus oder: Die endlose Regression des Unsinns und Die okkulte Nebel-Show von Rüdiger Blankertz.


Inhalt
Tendenziös von Anfang an
Dem Leser das Urteil abnehmen bzw. aufdrängen
Die Unwahrheit der eigenen „Entgleisungen“
Welches Denken meinte Rudolf Steiner?
Die Redaktion – wie die Dinge zusammenhängen


In der Vierteljahreszeitschrift der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland („Anthroposophie“) erschien im Michaeli-Heft 2010 eine Rezension von Rüdiger Blankertz zu Mieke Mosmullers Buch „Das Tor zur geistigen Welt“. Da diese Rezension dem Buch in keiner Weise gerecht wird, sei hier darauf erwidert.

Tendenziös von Anfang an

Zunächst referiert Blankertz wesentliche Aspekte des Buches, dies aber bereits in ganz tendenziöser Weise. So schreibt er etwa:

Ein Buch, das „das Tor zur geistigen Welt“ beschreibt – aus eigener, innerer Erfahrung; aus dem lebendigen Erleben des Wesens geistiger Erkenntnis –, das möchte die neue Schrift von Mieke Mosmuller sein. Sie will zeigen, was im Prinzip der Irrtum der heutigen anthroposophischen Bewegung ist: Das Wesen der Erkenntnis, das Wesen der Anthroposophie, die Bedeutung des Denkens – das alles werde immer wieder viel zu abstrakt verstanden; dadurch aber könne es nie seinem Wesen nach verwirklicht werden. Und umgekehrt gelte: Weil dieses Wesen „noch nie“ verwirklicht wurde, sei es immer bei einem viel zu abstrakten Verständnis geblieben. Sie liefere deshalb eine notwendige Schrift. Denn der Autor von „Die Philosophie der Freiheit“, Rudolf Steiner, habe leider selbst nicht deutlich genug den entscheidenden Vorgang beschrieben: Wie der Leser denn nun selbst, Schritt für Schritt, die darin dargestellte „Beobachtung des Denkens“ nachvollziehen könne, um endlich das „Begreifen des Denkens zu begreifen“.


Schon hier gehen verschiedene Gedanken durcheinander. Erstens wendet sich Mieke Mosmuller mit diesem Buch insbesondere gegen zwei symptomatische Veröffentlichungen anderer Autoren, die sich dem Geheimnis des Erkenntnisprozesses viel zu abstrakt annähern und teilweise offen bestreiten, dass das gegenwärtige Denken jemals angeschaut und beobachtet werden könnte. Da diese Veröffentlichungen teilweise weite Kreise ziehen (und z.B. im „Goetheanum“ auch wohlwollend besprochen wurden) und da Abstraktion und Wesenlosigkeit in der „anthroposophischen“ Bewegung heute zweifellos immer mehr um sich greifen, ist „Das Tor zur geistigen Welt“ ein notwendiges Buch.

Zweitens geht es der Autorin keinesfalls um irgendeine Kritik an Rudolf Steiner – wie Blankertz’ Referat nahelegt. Mieke Mosmuller drückt es viel vorsichtiger aus, und sie spricht angesichts der Tatsache, dass die „Anthroposophen“ heute eben nicht das entwickelt haben, was mit Hilfe der „Philosophie der Freiheit“ entwickelt werden könnte – und, dass man heute nicht einmal mehr ahnt (oder davon wissen will), was das sein müsste. Sie schreibt (S. 68f):

Meiner Ansicht nach hätte Rudolf Steiner das Begreifen viel deutlicher ins Licht des Verständnisses rücken können. Er spricht von Denken, von der Idee, von Intuition. Wenn er von der wahren Wirklichkeit spricht, wo Wahrnehmung und Begriff zusammengehen, wird man das Wesen des Begreifens zwar gewahr, es wird jedoch nicht weiter ausgearbeitet. Vielleicht meinte er, auch hier dürfe die Idee nicht in Worte gekleidet werden: der Mensch müsse das Begreifen selbst finden. Das lässt sich auch gar nicht in einer anderen Weise machen. Die Seligkeit der Evidenz in der Intuition kann nicht wissenschaftlich übertragen werden. Sie ist jedoch die erste Stufe der reinen Geist-Erkenntnis, die erste Stufe des erkennenden Erlebens der menschlich-göttlichen Intelligenz. Und ich habe mir schon oft die Frage gestellt: Wenn Rudolf Steiner diese erste Stufe Schritt für Schritt angedeutet hätte, wenn er das Begreifen, das Verstehen in das Licht der Aufmerksamkeit gerückt hätte, wäre dann nicht eine Anzahl von Anthroposophen zu diesem reinen übersinnlichen Schauen gekommen?


Diese Frage ist vollkommen berechtigt – und Mieke Mosmullers Bücher sind zugleich eine Antwort auf diese Frage. Denn in ihnen wird von immer wieder anderen Aspekten aus auf das Wesen wirklicher Geist-Erkenntnis gedeutet. Man bekommt für dieses Wesen ein wachsendes, ein sich vertiefendes Verständnis und kann unmittelbar die wunderbare Großartigkeit und Erhabenheit dieses realen Lebens im Geiste empfinden. Was dagegen heute immer wieder aus der „Philosophie der Freiheit“ gemacht wird, ist etwas ganz anderes – und an den Büchern von Mieke Mosmuller erlebt man ebendiesen abgrundtiefen Unterschied.

Dem Leser das Urteil abnehmen bzw. aufdrängen

Doch blicken wir nun auf einige längere Passagen von Blankertz’ Aufsatz:

Die Lektüre ihres Buches, das für jeden, der sich mit dem Problem des Denkens auseinandergesetzt hat, hoch spannend sein müsste, wird leider über weite Strecken zur Tortur, weil sie ihre Darstellungen mit Erzählungen über sehr persönliche geistige Erfahrungen spickt. Von diesen müsste man doch annehmen, dass der Leser sie anhand ihrer Anleitungen selbst machen werde. Zudem reklamiert sie ausdrücklich, was andere Autoren nur impli­zit geltend machen, dass ihre „Art der Erkenntnis“ mit derjenigen Steiners völlig kongruent, und deshalb ihr „Erleben seines Werkes“ eine fortwährende Evi­denzerfahrung sei. Solche Attitüde kann bei Anthroposophen, die meinen, selber etwas Wesentliches in der Vertretung Rudolf Steiners geleistet zu haben, kaum auf Billigung, geschweige denn auf Aner­kennung stoßen. Eine solche erstrebt sie von dieser Seite aber auch gar nicht. – Der bei ihren persönlichen Entgleisungen um seine Unbefangenheit ringende Leser hat den Eindruck, dass Mosmuller okkulte Erfahrungen aus ihrer Meditationspraxis einführt, um einen damit de facto zugege­benen Mangel ihrer Schrift auszugleichen: Ihre Formulierungen haben nicht die Kraft, die dem Leser versprochenen eige­nen Erfahrungen durch sich selbst zu er­öffnen.


Allein dieser eine Absatz strotzt vor abfälligen, beleidigenden Urteilen – vor allem aber: vor völlig unbelegten Urteilen. Blankertz fällt Urteil über Urteil, und er gibt dem Leser nicht die kleinste Begründung dieser Urteile. Das, was er scheinbar als Begründung liefert, sind bloße Behauptungen (etwas, was er Mieke Mosmuller gerade vorwirft!).  Kann der Leser damit irgendetwas anfangen? Nein – er müsste sich anhand des Buches zunächst ein eigenes Urteil bilden, um Blankertz’ Urteile beurteilen zu können. Er müsste sich von dessen Urteilen zunächst völlig frei machen, um Mieke Mosmullers Buch frei beurteilen zu können – denn wenn er schon mit Blankertz’ Urteilen herangeht, kann ein wahrhaftiges Urteil nicht mehr herauskommen. Blankertz nimmt dem Leser das Urteil also geradezu ab – seine Rezension kann nur dazu führen, dass Leser davon abgehalten werden, das Buch noch selbst zur Hand zu nehmen. Dabei wird er ihm wie gesagt in keinster Weise gerecht!

Die Unwahrheit der eigenen „Entgleisungen“

Dies zeigt sich selbst noch in den konkreten Vorwürfen, die Blankertz machen zu müssen glaubt und die bereits auf einem völligen Missverstehen beruhen. Warum spricht Mieke Mosmuller auf Seite 78 davon, dass sie im erkennenden Erleben von Rudolf Steiners Werk doch fortwährend Evidenzen erlebte? Nicht weil sie sich herausstellen möchte, sondern weil es zuvor um die Tatsache ging, dass Rudolf Steiner im dritten Kapitel der „Philosophie der Freiheit“ davon spricht, man könne das gegenwärtige Denken nie beobachten, während Mieke Mosmuller diese Erfahrung hat. Das Denken stellt sich sich selbst gegenüber, es schaut und wird geschaut. Sie möchte zum Ausdruck bringen, dass und warum sie diese Tatsache des Gegenübergestelltseins nie als einen Widerspruch zu Rudolf Steiner erlebt hatte – um nichts anderes geht es an dieser Stelle, die Blankertz völlig umdeutet und missbraucht.

Mieke Mosmuller „reklamiert“ auch nicht, ihre „Art der Erkenntnis“ sei mit der Steiners völlig kongruent, sondern sie schreibt: „Eine Art Kongruenz seiner Arbeit mit meinem Begriffsvermögen erlebte ich; ich meine dies qualitativ, nicht quantitativ, d.h. der Art, nicht dem Umfang nach.“ Immer wieder erlebt man beim Lesen der wirklichen Zitate, dass Mieke Mosmuller nicht nur viel vorsichtiger und geistiger spricht – sondern wie Blankertz aus ihren Worten geradezu fortwährend das Gegenteil macht.

Es sind Blankertz’ eigene Entgleisungen, wenn er Mieke Mosmullers Schilderungen ihrer eigenen übersinnlichen Erfahrungen als „sehr persönlich“, als „Tortur“ und als Schlag gegen die „Unbefangenheit“ des Lesers bezeichnet. Es ist eine „Tortur“, sich solche Urteile anhören zu müssen! Die ganze Art, in der Mieke Mosmuller ihre Bücher schreibt, würde gerade dem wahrhaft unbefangenen Leser deutlich machen, dass alles, was sie vorsichtig an eigenen übersinnlichen Erfahrungen schildert, nicht dazu dient, sich selbst herauszustellen, sondern nur dazu, dass im Leser selbst die Ahnung und Erkenntnis noch lebendiger werden kann – die Erkenntnis dessen, was möglich ist, wenn man den Erkenntnisweg der Anthroposophie wirklich betritt.

Und dann folgt noch ein Satz von Blankertz, der die Unwahrheit selbst ist: „Ihre Formulierungen haben nicht die Kraft, die dem Leser versprochenen eigenen Erfahrungen durch sich selbst zu eröffnen.“ – Genau diese Kraft haben sie. Natürlich nicht, wenn man gar kein Organ für diese Kraft hat, so wie man heute auch kein Organ für die Kraft der „Philosophie der Freiheit“ hat und sich ihr wenn überhaupt viel zu ungeistig nähert. Was notwendig wäre, wäre gerade Unbefangenheit, ein Zurückdrängen der Abstraktion des Intellekts – und zugleich die volle innere Aktivität.

Man kommt niemals zu eigenen Erfahrungen auf dem anthroposophischen Erkenntnisweg, wenn man nicht innerlich aktiv wird. Und das ist es gerade, wozu Mieke Mosmuller aufruft: Zur vollen inneren Aktivität. Zum wirklichen Tun der Philosophie der Freiheit, zum Tun des wirklichen Denkens. Und in ihren Worten spürt man zugleich, dass sie aus dieser Kraft, die bis hinter das Tor zur geistigen Welt führt, schreibt, dass sie diese Welt wirklich kennt. Und wiederum sage ich: Man gewinnt eine immer klarere und tiefere Erkenntnis dessen, was das Wesen dieser Geist-Erkenntnis ist und was getan werden muss. Und man lernt unterscheiden, wo es nicht getan wird, wo nicht einmal der Weg erkannt oder erstrebt wird...

Wenn Blankertz von „Attitüde“ spricht, spricht er sich und seiner eigenen Verständnislosigkeit eigentlich nur selbst das Urteil. Und wenn er sagt: „Solche Attitüde kann bei Anthroposophen, die meinen, selber etwas Wesentliches in der Vertretung Rudolf Steiners geleistet zu haben, kaum auf Billigung, geschweige denn auf Anerkennung stoßen“, dann gibt dies eigentlich nur ein ausgezeichnetes Bild der heutigen Anthroposophie: Überall sogenannte Anthroposophen, die meinen, „selbst etwas Wesentliches in der Vertretung (??) Rudolf Steiners geleistet zu haben“! Und dann aber hochmütige Ablehnung, wenn es um den Kern der Anthroposophie, um reale Geist-Erkenntnis geht! Was wurde denn von denjenigen geleistet, die Mieke Mosmullers Bücher heute so scharf ablehnen – was denn? Das soll doch einmal ganz genau angegeben werden...!

Welches Denken meinte Rudolf Steiner?

Und Blankertz selbst? In seinem ganzen Aufsatz wird nicht ersichtlich, wie er sich den wirklichen Erkenntnisweg vorstellt. Hier die zweite entscheidende Passage:

Man kann ja nicht behaupten, dass eine intensive Beschäf­tigung mit den Schriften Rudolf Steiners auch im gewöhnlichen Sinne schädlich sei. Niemandem darf verwehrt werden, sich nach seinen jeweiligen Möglichkei­ten mit Anthroposophie zu befassen. Vielleicht findet er ja doch so später ein­mal jene Passagen in den Schriften Rudolf Steiners auf, in denen der Autor sich selbst über das „richtige Lesen“ seiner Bücher äußert. Rudolf Steiner setzt je­denfalls einen ganz anderen Anfang als das mosmullersche selige Evidenz‑Erle­ben – nämlich die klare initiale Erkennt­nis der völligen Inkongruenz des ge­wöhnlichen Lesers mit den Anforderun­gen seines Textes. Aber diese Evidenz erschließt sich erst der Selbstbeobach­tung des Lesers, der an der Hand des Autors Rudolf Steiner ganz objektiv ken­nenlernen könnte, welche Art Leser sein anthroposophisches Buch sucht, und dass er selber, der gewöhnliche Leser, jedenfalls nicht gemeint ist. – Darin liegt meines Erachtens die entscheidende Schwäche auch dieses Versuchs Mosmullers: Obwohl sie fortwährend von „falschem“ und „richtigem“ Lesen der Bücher Rudolf Steiners spricht, erwähnt sie doch mit keinem Wort auch nur einen jener zahlreichen und deutlichen Hin­weise Rudolf Steiners, wie er sich das richtige Lesen seiner Bücher gedacht hat. [...] Wer dieses ganz gewöhnliche Lesen nach der Anleitung der Autorin also intensiviert und mit allerlei Innener­lebnissen angereichert weiter betreibt, macht nichts wirklich falsch, aber auch nichts richtig. Doch an der von Rudolf Steiner immer wieder geforderten den­kenden Selbstbeobachtung des Lesers wird er behutsam und sicher vorbei­geführt. Indem die Autorin ihre Selbst­erlebnisse beschreibt, wie sie allen Zwei­fel an der Wahrheit ihrer Erkenntnisse überwunden hat, überspringt sie gerade jenen Punkt, auf den es ihr doch ankommt: Den Übergang vom Nicht‑Den­ken zum Denken vollziehbar zu machen. Doch: „Man kann nicht zu etwas kom­men, was das Denken bewirkt, wenn man den Bereich des Denkens verlässt.“ (Rudolf Steiner: Die Philosophie der Frei­heit [GA 4]. S. 56.) Mosmuller verlässt den Bereich des Denkens Rudolf Stei­ners, indem sie sich nicht wirklich auf die exakten Formulierungen Rudolf Stei­ners einlässt sondern an deren Stelle eigene, durch Interpretation derselben gewonnene Konstrukte präsentiert. [...] Sie geht einfach davon aus, dass Rudolf Steiner mit „das Denken“ – ihr Denken, beziehungsweise das Denken meinen müsse, von dem sie oder ein beliebiger Leser denkt, das es das Denken sei. [...] Das kann zunächst anders wohl auch nicht sein. Aber zur Schulung im Sinne der Philosophie der Freiheit be­darf es ja dann wohl doch einer harten Konfrontation des so Erdachten mit dem Original‑Text Rudolf Steiners, nicht, um sich zu bestätigen, sondern, um sich dar­an – mit Hilfe Rudolf Steiners – selbst widerlegen zu lernen. – So erweist sich fortwährend die von Mosmuller rekla­mierte Evidenz der Übereinstimmung ihrer Erkenntnisart mit derjenigen Rudolf Steiners nicht als Ergebnis, sondern als Voraussetzung ihres Verstehens.


Alles, was hier und in den dann noch folgenden Sätzen klar wird, ist, dass Blankertz Hauptthese ist, dass die „Philosophie der Freiheit“ dem „gewöhnlichen Leser“ ein Problem bereiten muss und auch will. Blankertz will offenbar etwa das Folgende sagen: Dadurch, dass der wahrhaftige Leser erkennt, dass er mit dem Geschriebenen überhaupt nicht mitkommt, lernt er, sich selbst zu „widerlegen“. Er lernt, sein bisheriges Verstehen und Denken als völlig unzureichend und wesenlos zu erkennen, weil er erkennt, dass hier ein ganz anderes Denken gefordert ist – ein wirkliches, ihm aber zunächst noch ganz unbekanntes Denken.

Natürlich hat er Recht damit, dass das Denken des gewöhnlichen Menschen zunächst genau jenen Charakter hat, der gar nicht fähig ist, die „Philosophie der Freiheit“ richtig zu lesen. Und natürlich denkt der gewöhnliche Mensch, dass sein „Denken“ das einzig mögliche Denken ist – und erkennt nicht, dass es nicht einmal wirkliches Denken ist.

Dann aber wirft er Mieke Mosmuller einen vollkommenen Unsinn vor: Nicht nur, sie überspringe den Punkt, auf den es ihr gerade ankomme: den Übergang vom Nicht-Denken zum Denken. Sondern sogar, auch ihr Denken sei nur ein ganz gewöhnliches, voller Konstrukte, nicht dasjenige, was Rudolf Steiner mit „das Denken“ meine...

Bei derart unsinnigen Behauptungen wäre doch schon etwas mehr notwendig als die bloße Behauptung – eine gekonnt mysteriöse Behauptung, die sich zu einem okkulten Nebel auswächst, nämlich der Vorstellung, Rudolf Steiner habe nochmals ein ganz, ein vollkommen anderes Denken gemeint. Dieses Denken steht dann da wie eine Art „Ding an sich“, man kann es nicht erkennen, auch Mieke Mosmuller hat es nicht, nur Blankertz vielleicht, aber dieser verrät nicht, worin es sich nun unterscheidet...

In der Tat geht es Mieke Mosmuller um den Übergang vom Nicht-Denken zum Denken, weil man gerade an diesem Punkt bewusst werden kann für das Wesen des Denkens, weil man es gerade an diesem Punkt auch „in die Hand bekommen“ kann. Sie würde nicht immer wieder den Blick auf diesen Punkt lenken – und hätte all ihre Bücher mit noch wesentlich Weitergehendem nicht schreiben können –, wenn sie diesen Punkt und das wirkliche Realisieren und Tun des Denkens nicht selbst verwirklicht hätte! Aber auch das ist ja nur der erste Schritt, und es ist noch nicht einmal das, was sie dann als „Tor zur geistigen Welt“ beschreibt, eben den von ihr geschilderten Ausnahmezustand. Und über diese weiteren Schritte verliert Blankertz kein Wort, außer dass er diese nun plötzlich als „persönliche geistige Erfahrungen“ bezeichnet und in übelster Weise diffamiert.

Möge Blankertz also weiter okkulte Nebel verbreiten und auf das große unentdeckte Geheimnis dessen verweisen, was Rudolf Steiner wirklich mit „Denken“ meinte – er hilft damit keinem Menschen. Seine Diffamierung von Mieke Mosmullers Buch dagegen führt wirklich weg von einer nunmehr existierenden klaren Beschreibung, welcher Ausnahmezustand wirklich das „Tor zur geistigen Welt“ ist und welche Auffassungen und Herangehensweisen ganz real die „Riegel und Scharniere“ bilden, die ein eigenes Realisieren dieses Tores unmöglich machen.

Die Redaktion – wie die Dinge zusammenhängen

Es ist ein Armutszeugnis für die „anthroposophische“ Bewegung, dass ein solcher Aufsatz als Rezension in der Zeitschrift „Anthroposophie“ erscheint! Ich frage mich, wer von den Redakteuren überhaupt verstanden haben zu können glaubt, was Blankertz selbst für eine Auffassung hat. In ganz hochmütiger Weise lässt er das, was er Mieke Mosmuller eigentlich entgegnen zu können glaubt, im vollkommen Okkulten – und so etwas wird dann gedruckt, gespickt mit persönlichen Entgleisungen ganz persönlicher Urteile und Behauptungen.

Interessant ist dann doch, zu sehen, dass das Kollegium der Redaktion dieser Zeitschrift, die ein „Organ der Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland“ sein will, aus drei Männern besteht, von denen der eine Prof. Jost Schieren ist. Von ihm ist zumindest mir ganz unklar, inwieweit er sich überhaupt als „verantwortlicher Vertreter der Anthroposophie“ versteht. Klar ist mir jedoch, dass er tatsächlich ein solcher nicht sein kann. Wie abstrakt und distanziert er selbst über die Anthroposophie spricht, geht schon aus einem Interview im „Goetheanum“ (!) hervor, auf das ich noch im März erwidert hatte. Ich zitiere hier nur noch einmal einen ganz kleinen Abschnitt:

Und Schieren singt dann auch das Totenlied der Anthroposophie:
„Es geht nicht in erster Linie darum, eine Weltanschauung zu haben und zu vertreten. Der philosophische Zweifel ist Ausdruck der Freiheit und Eigenständigkeit des Menschen. Es gibt keinen Ausbildungsweg zur Anthroposophie.“
Das ist das genaue Gegenteil von allem, was Rudolf Steiner vertreten hat! Natürlich hat er zutiefst nach einer Weltanschauung gerungen. Aber nicht nach einer beliebigen – sondern nach einer, die unerschütterlich wäre. Und was er fand, war das Wesen der Erkenntnis. Und was dadurch möglich wurde, war die Überwindung des philosophischen Zweifels – und nicht nur des Zweifels, sondern der Philosophie überhaupt – durch die Anthroposophie! [...]
Wenn es keinen Ausbildungsweg zur Anthroposophie gäbe, wäre die Anthroposophie keine Wissenschaft! Zu jeder Wissenschaft gibt es eine Ausbildung. Und Rudolf Steiner hat diesen Ausbildungsweg in größter Differenziertheit und Ausführlichkeit beschrieben! Anthroposophie ist nicht zuerst eine Weltanschauung, sie ist zuerst ein Erkenntnisweg. Was Schieren in diesen drei oben zitierten Sätzen sagt, ist wirklich die umfassende Leugnung des Wesens der Anthroposophie.


Wenn ein Mensch mit solchen Auffassungen dann in der Redaktion des „Organs der Mitglieder der anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland“ sitzt, ist es kein Wunder, wenn Aufsätze wie die von Blankertz gedruckt werden.[1] Denn dann wird man (bewusst oder unbewusst) die Möglichkeit begrüßen, einem Menschen, der von wirklicher Geist-Erkenntnis spricht, einen Schlag zu versetzen. Der „Diskurs“ und eine „Toleranz“ des „Alles-ist-möglich“ bilden heute die Losung – wirkliche Geist-Erkenntnis darf nicht sein...

Nebenbei bemerkt scheint die Alanus-Hochschule, an der Prof. Schieren tätig ist, auch eine kleine Hochburg derjenigen Strömung zu sein, die (ebenso wie die eigentliche Hochburg „info3“) Ken Wilber mit der Anthroposophie in Beziehung bringen will, während Mieke Mosmuller in ihrem Buch „Arabeske“ eindrücklich gezeigt hat, dass Ken Wilbers Ansatz und der anthroposophische Erkenntnisweg wirklich polar entgegengesetzte Ansätze sind. So hängen die Dinge zusammen...

Anmerkung


[1] Ich selbst fühle mich Rüdiger Blankertz viel näher als Jost Schieren. Man lese nur einmal Blankertz’ Text „Kreuzzug im Klassenzimmer“, und man wird bemerken, dass er die innere Situation der Waldorfschulen und auch die des gesellschaftlichen Umfeldes ganz klar durchschaut. Es ist mir schmerzlich, dass er auf der anderen Seite völlig verkennt, was in den Büchern von Mieke Mosmuller eigentlich vorliegt – und so den (äußeren und inneren) Gegnern der Anthroposophie in die Hände spielt.