2011
Die Revolution in Ägypten
Chronologie und Hintergründe.
Inhalt
Chronologie: Vorgeschichte | Die Rebellion | Mubaraks Einlenken | Nach dem Rücktritt
Eine kleine Auswahl der Verlogenheiten
Quellen: Wikipedia o, AG Friedensforschung o u.a.
Vorgeschichte
451 Bildung einer unabhängigen koptischen Kirche.
640 Islamische Araber erobern das Niltal. Ägypten wird wechselnd von Damaskus, Bagdad und Kairo beherrscht.
13.Jh. Unter Saladin wird Kairo zum Zentrum des muslimischen Widerstandes gegen die christlichen Kreuzzüge.
1250 Die Palastgarde der Mamluken (urspr. meist türkische Militärsklaven) übernimmt die Macht.
1517 Ägypten wird Teil des Osmanischen Reiches. Wirtschaftlicher Niedergang durch neuen Seeweg nach Indien.
1798 Napoleon beenden die Osmanen-Herrschaft.
1805 Der albanische Offizier Muhammad Ali Pascha ergreift die Macht. Er und seine Nachfolger gewinnen unter osmanischer Oberherrschaft eine gewisse Selbständigkeit und leiten die Geschichte des modernen Ägyptens ein.
1859 Der Bau des Suezkanals macht Ägypten von ausländischen Anleihen abhängig, die brit.-franz. Staatsschuldenverwaltung wird zur eigentlichen Regierung.
1882 England besetzt Ägypten und macht es 1914 formell zu einem Protektorat.
1922 Ägypten wird unter Fuad I. ein weitgehend selbständiges Königreich.
1936 Ägypten erhält die Souveränität.
1948 Ägyptisches Militär beteiligt sich am arabischen Angriff auf den eben ausgerufenen Staat Israel.
1952, Jul – Am Nationalfeiertag stürzt die Bewegung der „Freien Offiziere“ den 1936 inthronisierten König Faruk. General Nagib wird Präsident, Oberst Nasser Innenminister.
1954, Feb – Nasser setzt Nagib ab, der für ein demokratisches Gemeinwesen eintrat, während Nasser für die Fortsetzung der Militärherrschaft ist und die Opposition, zunächst v.a. die Kommunisten, unterdrücken lässt.
1954, Okt – Anschlag der Muslimbrüder auf Nasser, die daraufhin verfolgt werden.
1956, Jul – Suezkrise: Nasser verstaatlicht die Suezkanal-Gesellschaft. Militärisches Eingreifen Israels, Großbritanniens und Frankreichs, beigelegt durch UN-Intervention.
1967, Jun – Sechstagekrieg gegen Israel, schwere militärische Niederlage.
1970, Sep – Tod Nassers, Nachfolger wird Anwar as-Sadat Staatspräsident.
1973, Okt – Yom-Kippur-Krieg.
1977, Nov – Sadat leitet durch eine überraschende Friedensinitiative den Dialog mit Israel ein.
1979, Mär Friedensvertrag mit Israel, Abzug israelischer Truppen von der Sinai-Halbinsel. Ägypten wird innerhalb der arabischen Welt isoliert, Widerstand islamischer Fundamentalisten hervorrief.
1981, Okt – Ermordung Sadats durch fundamentalistische Armee-Angehörige. Nachfolger wird Mubarak.
1982, Jan – Mubarak lässt kurz nach dem Amtsantritt das Notstandsgesetz verabschieden, das ihm diktatorische Vollmachten verleiht.
1989 – Ägypten wird wieder Mitglied der Arabischen Liga.
2004, Ende – Erste Demonstration, die ein Ende des Regimes fordert.
2005 – Mubarak verspricht politische Öffnung und Zulassung unabhängiger Präsidentschafts-Kandidaten.
2005, Jul – Bombenanschlag im Badeort Scharm El-Scheich, mind. 88 Tote. Das Regime verdächtigt, wie so oft, nicht genehme Beduinen [o o]. Tatsächlich könnte es ein Anschlag des Geheimdienstes bzw. eine „private Rechnung“ von Mubarak-Sohn Gamal gewesen sein [o o].
2005, Sep – Erstmals Präsidentschaftswahlen mit mehreren Kandidaten, Wahlbeteiligung durch Skepsis nur 23%; die unterdrückte Muslimbruderschaft gewinnt an Einfluss, Mubarak stoppt den Liberalisierungskurs.
2006, Jul – Eine Änderung im Pressegesetz verbietet Berichte über Korruption [o].
2007, Mär – 34 Verfassungsänderungen zur „Terrorbekämpfung“ höhlen die Menschenrechte weiter aus [o].
2008, Mär – Ingenieur Ahmed Maher und Personalsachbearbeiterin Israa Abdel Fattah gründen eine Facebook-Gruppe „6. April“ zur Unterstützung eines geplanten Arbeiterstreik in Mahalla al-Kubra und rufen zu einem Generalstreik gegen die steigenden Lebensmittelpreise auf. Die Gruppe gewinnt in kurzer Zeit 76.000 Anhänger. Sie protestieren u.a. auch gegen die Bombardierung des Gaza-Streifens und Mubaraks Israel-Politik. Es folgen die größten Proteste seit Jahren. Die Polizei tötet mindestens zwei Menschen und verhaftet Hunderte. [o]
2008, Apr – Proteste gegen steigende Lebensmittelpreise u.a., über 50% leben in Armut [o o]. – Im August folgt ein Schauprozess gegen 49 Demonstranten [o].
2008, Dez – „Mubaraks Gaza-Dolchstoß“: Mubarak nennt die israelischen Angriffe auf den Gaza-Streifen eine „militärische Aggression“. Die Muslimbrüderschaft spricht von purer Heuchelei, Mubarak habe Israels Außenministerin bei ihrem Kairo-Besuch grünes Licht gegeben. Eine Tageszeitung zitiert Quellen, wonach Geheimdienstchef Suleiman die Hamas glauben ließ, Israel werde nicht unmittelbar angreifen bzw. nur eine begrenzte Operation führen. [o o]
2010, Sep – El Baradei sowie Al-Ghad, Kefaya und KP rufen zum Wahlboykott auf [o].
2010, Nov – Die Parlamentswahlen sind von Wahlbetrug geprägt [o], die NDP erhält 420 von 508 Sitzen. – Die OECD mahnt Ägypten, gegen die Korruption vorzugehen, von Wirtschaftsreformen profitiere nur die wirtschaftliche Elite.
2011, Jan – In der Neujahrsnacht Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria, 23 Tote, schwere Unruhen zwischen Muslimen und Christen folgten. Das Mubarak-Regime macht Islamisten verantwortlich und rechtfertigt ihr autoritäres Vorgehen [o]. Nach dem Sturz zeigt sich, dass der Geheimdienst den Anschlag durchführte.
Die Rebellion
Ursachen: Vorbild Tunesien. Die Diktatur als solche. Steigende Lebensmittel- und Energiepreise [o o], die Inflation lag zuletzt bei 11%, über 50% leben in Armut. Bevölkerungswachstum von 50 auf 85 Mio Menschen seit 1985, wachsende Arbeitslosigkeit [o].
17.01.11 – Selbstverbrennung eines Arbeitslosen in Alexandria, ein Restaurantbesitzer zündet sich in Kairo vor dem Parlamentsgebäude an und überlebt [o o]. Am 18.01. zündet sich ein Mann vor dem Büro des Ministerpräsidenten an, das Feuer wird schnell gelöscht [o]
25.01.11 – Massenproteste in verschiedenen Städten. In Kairo fordern mind. 15.000 Demonstranten den Rücktritt von Innenminister Habib al-Adli, Aufhebung des Ausnahmezustands, Erhöhung des Mindestlohns. Bis zu 30.000 Polizei- und Sicherheitskräfte setzen Wasserwerfer und Tränengas ein und nehmen ca. 500 Menschen fest [o o]. In Suez sterben zwei Menschen an Polizeischüssen [o]. – Die Facebook-Bewegung „6. April“ und die Gruppe „We are all Khaled Said“ rufen den 1.2. als „Tag des Zorns“ aus. [o]
26.01.11 – Facebook und Twitter werden gesperrt [o]. – Bei Protesten in Suez werden 55 Demonstranten und 15 Polizisten verletzt, eine Polizeitstation und weitere Gebäude angezündet [o]. – Westerwelle: „Der Weg zur Stabilität führt über die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte.“ [o o].
27.01.11 – Die Börse schließt, als der Aktienindex innerhalb von 15 Minuten auf ein 6-Monats-Tief fällt [o]. – Der ehemalige Präsidentschaftskandidat und IAEA-Chef Mohammed el-Baradei trifft in Kairo ein und bietet sich als Anführer eines friedlichen Wechsels an [o]. – In der Nacht wird Ägypten fast völlig vom Internet und Mobilfunk getrennt [o].
28.01.11 – Abends wird die NDP-Parteizentrale in Brand gesetzt [o]. – Armeeeinheiten rücken in gepanzerten Fahrzeugen in Kairo ein und sichern – wie schon zuvor Demonstranten – das gegenüberliegende Ägyptische Museum. Sayyid al-Badawi Chef der Wafd-Partei, fordert eine Übergangsregierung, Neuwahlen und Verfassungsänderung aus [o]. – Mubarak rechtfertigt in TV-Ansprache das harte Vorgehen, kündigt eine Regierungsumbildung an und sagt demokratische und wirtschaftliche Reformen zu [o] – Seit Beginn der Proteste gibt es ca. 50 Tote und 2.500 Verletzte [o].
29.01.11 – Unverminderte Proteste. Polizei und brutale Sicherheitskräfte sind nicht mehr zu sehen. – Rücktritt des Kabinetts wie angekündigt [o]. Neuer Ministerpräsident wird Ex-Luftfahrtminister Schafiq. – Zunehmend gibt es Plünderungen, im Ägyptischen Museum u.a. durch die gering bezahlten Wächter [o o]. In mehreren Städten bilden sich bewaffnete Bürgerwehren [o].
30.01.11 – TV-Sender Al Jazeera wird verboten, das Kairoer Büro geschlossen. – Am Tahrir-Platz überwacht das Militär die Proteste mit Hubschraubern, zwei Kampfflugzeuge F-16 überfliegen die Demonstranten mehrmals im Tiefflug, vor der Innenstadt warten 40-50 Panzer [o]. – Berichte über ausgebrannte Polizeiwachen, gestürmte Gerichtsgebäude, Notstandsbetrieb der Krankenhäuser [o].
31.01.11 – Der Tahrir-Platz wird mit Stacheldraht umzogen und gesperrt. – Nachmittags nennt ein Armeesprecher im TV die Forderungen der Demonstranten „legitim“, man werde „keine Gewalt gegen das ägyptische Volk einzusetzen“. Der neue Vizepräsident Omar Suleiman kündigt einen Dialog mit allen Parteien an [o]. – Ende Januar öffnet Mubarak die Gefängnisse, Tausende Insassen entkommen [o].
Mubaraks Einlenken - weiterer Protest
01.02.11 – „Marsch der Millionen“, allein in Kairo protestieren laut Al Jazeera 2 Millionen Menschen [o]. Am Tahrir-Platz kontrolliert die Armee auf Waffen, der Präsidentenpalast wird mit Stacheldraht gesichert [o]. – Generalstreik. Banken, staatliche Einrichtungen, Schulen und Universitäten sind ohnehin seit Tagen geschlossen [o]. – Am Abend verkündet Mubarak im TV, im September nicht mehr zur Wahl anzutreten [o], die Demonstranten fordern seinen sofortigen Rücktritt [o]. – Obama telefoniert mit Mubarak und sagt im TV, dass „ein geordneter Übergang sinnvoll und friedlich sein und sofort beginnen muss“ [o], EU-Außenministerin Ashton äußert sich am 2.2. ähnlich [o].
02.02.11 – Ein Armeesprecher drängt nun auf ein Ende der Proteste [o]. – Der Internetzugang wird wieder geöffnet, viele soziale Netzwerke bleiben zunächst blockiert [o]. – Die Ausgangssperre, an die sich nur wenige hielten, wird von 14 wieder auf 17 Uhr verschoben. – Da die Armee am Tahrir-Platz nicht mehr kontrolliert, gelingt es tausenden, teilweise bezahlten Mubarak-Anhängern, die Demonstranten mit Messern, Knüppeln und Steinen anzugreifen [o]. Inklusive der letzten Tage 13 Tote und über 1.500 Verletzte.
03.02.11 – Barrikaden sollen Überfälle verhindern, trotzdem gibt es erneut Brandbomben. Augenzeugen berichten von Scharfschützen-Schüssen. Schwere Straßenschlachten [o]. – Suleiman kündigt erneut Gespräche an, wenn die Proteste aufhören; Vertreter der Demokratiebewegung beharren auf Mubaraks Rücktritt [o]. – Gemeinsame Pressekonferenz Merkel-Mubarak. Merkel: „Unsere bilateralen Beziehungen sind ... sehr gut.“ [o o].
04.02.11 – Der elfte Protesttag unter dem Motto „Tag des Abgangs“ verläuft weitgehend friedlich. Beim Freitagsgebet beten Christen und Muslime erstmals gemeinsam [o o]. – Ein EU-Gipfeltreffen fordert, sofort mit dem Übergang zu einer Regierung auf breiter Basis zu beginnen [o]. – Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Musa, gibt bekannt, er erwäge, bei Neuwahlen anzutreten [o].
05.02.11 – General Al-Rawini fordert erfolglos, die Demonstration aufzulösen und die Barrikaden abzubauen [o]. – Das Exekutivkomitee der NDP tritt zurück, Hussam Badrawi wird neuer Generalsekretär [o]. – US-Sondergesandter Frank Wisner: Für den Übergang zur Demokratie „die Führerschaft von Mubarak weiter von Bedeutung“, er sei ein „alter Freund“ der USA, mit dem „respektvoll“ umgegangen werden müsse [o], die US-Regierung: „als Privatmann geäußert“ [o]
06.02.11 – Suleiman traf sich mit Vertretern der Oppositionsparteien, Rechtsexperten, dem koptischen Unternehmer Naguib Sawiris, einem Vertreter von Mohamed El Baradei und Abgesandten der Muslimbrüder. Es soll ein Komitee eingerichtet werden, das notwendige Verfassungsreformen diskutiert [o].
07.02.11 – Pressevertreter werden erneut eingeschüchtert und teilweise verhaftet [o o]. – Die Regierung erhöht Gehälter und Pensionen um 15% [o]. – Die Demonstranten rufen „Woche der Standhaftigkeit“ aus [o o]. – Laut Human Rights Watch gab es bis 3.2. in Kairo 232 Tote [o]. – Die juristische Fakultät der Universität Kairo stellt sich hinter die Volksrevolution [o].
08.02.11 – Mubarak hat ein Komitee aus 11 Richtern zur Überarbeitung der Verfassung gebildet [o]. – Wieder über 100.000 Menschen auf dem Tahrir-Platz.
09.02.11 – Amr Musa spricht sich dafür aus, dass Mubarak bis Herbst im Amt bleiben solle [o]. – Pressekonferenz der Muslimbruderschaft: „Wir lehnen die Idee eines Religionsstaates ab“ [o].
10.02.11 – Abends kündigt Mubarak im TV an, Teile der Amtsgeschäfte an Suleiman [o] zu übertragen [o o o]. El Baradei: „Keiner von beiden ist für die Menschen akzeptabel“ [o].
11.02.11 – Der Oberste Rat der Streitkräfte unter Führung von Verteidigungsminister Tantawi [o] bestätigt in einer Erklärung Verfassungsreform und freie Wahlen. Auf dem Tahrir-Platz, vor dem Präsidentenpalast und vor dem Staatsfernsehen demonstrieren mehrere Hunderttausend. Am frühen Abend verkündet Suleiman knapp den Rücktritt Mubaraks und die Machtübernahme durch den Obersten Rat der Streitkräfte, was in unbeschreiblicher Atmosphäre aufgenommen wird [o o]. – Obama: „Es gibt nur sehr wenige Momente, in denen wir das Privileg haben, Zeugen der Geschichte zu sein. Dies ist ein solcher Augenblick.“ [o] – Auch alle anderen westlichen Politiker tun so, als freuten sie sich am meisten [o], z.B. Merkel: „Meine Damen und Herren, heute ist ein Tag großer Freude.“
Nach Mubaraks Rücktritt
12.02.11 – Bis in die Morgenstunden feiern Millionen im ganzen Land Mubaraks Rücktritt. Der Militärrat verkündet, dass die derzeit amtierenden Minister bis zur Wahl einer neuen Regierung ihre Arbeit fortsetzen werden [o].
13.02.11 – Die Armee entfernt die stehen gebliebenen Zelte auf dem Tahrir-Platz und leitet den Straßenverkehr ein. Hunderte demonstrierten weiter für das Ende des Ausnahmezustands und die Auflösung des Parlaments [o]. – Streiks und Proteste an der Börse, bei Textilfirmen, Medien-Organisationen, Stahlfirmen, der Post, der Eisenbahn und im Gesundheitsministerium [o]. – Der Militärrat setzt die Verfassung außer Kraft, löst das Parlament auf, kündigt eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung und Wahlen wie geplant im September an [o].
14.02.11 – Arbeiter im ganzen Land demonstrieren für bessere Löhne und Verträge. Wael Ghonim und Blogger Amr Salama treffen sich mit der Militärführung: Die Verfassung soll innerhalb von zehn Tagen umgeschrieben werden, innerhalb von zwei Monaten Referendum [o].
18.02.11 – Auf dem Tahrir-Platz feiern wieder eine Million Menschen und fordert erneut Demokratie und Rechtsstaatlichkeit [o]. – Die Freitagspredigt wird vom radikalislamischen [o] Prediger Yusuf al-Qaradawi gehalten, der nach 30 Jahren Exil zurückkehrte [o].
22.02.11 – Die Übergangsregierung unter Premier Schafiq wurde durch den Obersten Rat umgebildet.
25.02.11 – Die Freitagsdemonstrationen auf dem Tahrir-Platz gehen ungeachtet der Kabinettsumbildung weiter. Das Militär geht erstmals gewaltsam gegen die Demonstranten vor [o o o].
26.02.11 – Der Militärrat entschuldigt sich für die Gewalt des Vortages [o]. – Die Vorschläge zur Verfassungsänderung liegen dem Militärrat vor, ein Referendum wird am 19.3. folgen.
03.03.11 – Schafiq tritt zurück, der Militärrat ernennt Essam Scharaf zum neuen Premierminister, u.a. 2004-05 Verkehrsminister [o].
04.03.11 – Scharaf spricht auf dem Tahrir-Platz zu Zehntausenden [o]. – In Alexandria stürmen Hunderte Demonstranten unter Straßenschlachten das lokale Hauptquartier der Sicherheitspolizei und stellen Dokumente sicher [o].
05.03.11 – Aufgrund eines Gerüchts, wonach die Sicherheitspolizei aufgelöst werden sollte, woraufhin Beamte im ganzen Land die geheimen Akten zu vernichten beginnen, dringen hunderte Aktivisten in mindestens sechs weitere Gebäude ein – in unausgesprochenem „Deal“ mit der Armee und mit grünem Licht Scharafs, aber teilweise gegen scharfe Munition der Sicherheitspolizei [o o o].
06.03.11 – Ablösung der letzten Mubarak-Getreuen: Polizeigeneral al-Essawi wird Innenminister, Richter El Araby Außenminister, Ex-Generalstaatsanwalt Aziz al-Guindi Justizminister [o].
07.03.11 – Tausende von Kopten demonstrieren in Kairo, nachdem südlich von Kairo eine Kirche angezündet worden war. Der Militärrat verspricht den Wiederaufbau [o].
08.03.11 – Ab Abend kommt es im Stadtteil Mokattam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kopten und Muslimen, mindestens 13 Tote und 140 Verletzte [o].
09.03.11 – Das Militär räumt den Tarhir-Platz nach Angriffen von Mubarak-Anhängern auf Hunderte Anhänger der Demokratiebewegung [o]. Über 200 Protestierende wurden offiziell „zu ihrem eigenen Schutz“ festgenommen und berichteten später von brutaler Folter [o]. Ramy Essam (23), der „Sänger der Revolution“, zeigt auf Youtube die Spuren und berichtet: „Sie zogen mich aus und schnitten mir die Haare ab. Sie schlugen uns mit Stöcken, Stromkabeln, Gürteln und Drähten. Sie schlugen uns mit Schuhen, sprangen mir aufs Gesicht. Offiziere verabreichten mir Elektroschocks...“ [o o].
12.03.11 – Verhaftungen zweier NDP-Abgeordneter als Anstifter der Zusammenstöße vom 2.2. und am Vortag von vier Behördenchefs aus dem Innenministerium wegen der Tötungen während der letzten Wochen [o].
15.03.11 – Innenminister al-Essawi bzw. der Militärrat geben die Auflösung der Staatssicherheitsbehörde (SSIS, Mabahith) bekannt. Die Behörde hatte über 100.000 Mitarbeiter und ein umfassendes Netz von „Informanten“, ihr standen ca. 350.000 Mann der paramilitärischen Central Security Forces (CSF) zur Verfügung [o o].
16.03.11 – Hillary Clinton trifft Tantawi und besucht den Tahrir-Platz [o].
19.03.11 – Bei einem Referendum über die Verfassung wird diese von 77% der Wähler angenommen [o].
23.03.11 – Die Regierung Sharaf billigt einen Gesetzesentwurf über ein massiv eingeschränktes Versammlungsrecht. Streiks und Proteste während des Notstands, die zu einer Verzögerung oder Einstellung der Arbeit führen, werden mit Gefängnis oder Geldstrafe von rund 6.000-12.000 € bestraft. Bei Gewalt, Schäden, Beeinflussung des sozialen Friedens soll die Haft über ein Jahr dauern, die Geldstrafe rund 12.000-60.000 €. Auch ein provisorisches Parteiengesetz wird erlassen. [o o] – An der Börse wird erstmals wieder gehandelt [o]. – US-Verteidigungsminister Gates besucht Ägypten [o].
31.03.11 – Ein Ex-Mitglied berichtet von einem Geheimtreffen der Muslimbruderschaft mit Suleiman gab: Ende der Teilnahme an der Revolution gegen politische Zugeständnisse (eigene Partei); ein ähnliches Treffen gab es 2005: eine bestimmte Zahl von Sitzen, dafür keine Proteste gegen Wahlbetrug [o].
01.04.11 – Tausende versammeln sich freitags erneut auf dem Tarhir-Platz unter dem Motto „Rettet die Revolution“: grundlegende Verfassungänderungen, vollständige Aufklärung aller Korruption, Absetzung von NDP-Mitgliedern auch auf regionaler Ebene [o].
Eine kleine Auswahl der Verlogenheiten
Menschenrechte
Die Sendung „Kontraste“ berichtet am 3.2.2011 [o]:
Almut Möller, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik:
„Im Grunde gab es im letzten November offen gefälschte Wahlen und ich habe keine großen Reaktionen hier gesehen. [...]“
Monika Lüke, Generalsekretärin Amnesty International:
„Die ägyptische Regierung ignoriert seit 30 Jahren die Menschenrechte systematisch, Menschen werden inhaftiert, ohne dass es einen richterlichen Beschluss gibt, werden in Haft gefoltert, sterben in Haft, ohne dass es aufgeklärt wird. Die Pressefreiheit wird ignoriert und Demonstrationen unterdrückt. [...]“
Anstatt die Demokratie zu fördern, wurde Mubaraks Regime von den USA, aber auch Deutschland, systematisch aufgerüstet. Deutschland gehört zu den Hauptlieferanten von Rüstungsgütern und Waffen – nachzulesen im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung. Allein 2009 wurden die Rüstungsexporte im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, auf 77,5 Millionen Euro. So wurde das System stabilisiert, kritisieren Rüstungsexperten.
Siehe auch: Auszüge aus dem ai-Jahresbericht 2005 [o].
Die US-Regierung wusste über die Folterpraktiken in Ägypten sehr genau Bescheid, wie Wikileaks-Dokumente zeigen [o].
Die islamistische Gefahr
Für die USA war Ägypten ein Garant der Stabilität (Friedensabkommen mit Israel, Unterdrückung islamistischer Strömungen). Das Land erhielt jährlich 1,3 Mrd $ US-Militärhilfe, 700 Mio $ Wirtschaftshilfe und Vorzugspreise für Weizen [o].
Neue Zürcher Zeitung, 13.2.2011 [o]:
Zwei Revolutionen in einem Monat zwingen die Welt dazu, von scheinbar festen Gewissheiten über die arabischen Länder Abschied zu nehmen. Von der Gewissheit etwa, dass arabische Despoten nur militärisch gestürzt werden können, dass arabische Völker in einem Minderwertigkeitskomplex gefangen sind, dass ihre Proteste deshalb stets islamistisch unterfüttert sind und nur mit brennenden Flaggen der USA und wütenden Schmähungen Israels abgehalten werden können. Die Volksaufstände in Tunesien und Ägypten haben diese Vorstellungen widerlegt.
New York Times, 13.2.2011 [o]:
Die amerikanische Paranoia über den Islamismus hat genauso viel Schaden angerichtet wie der muslimische Fundamentalismus.
SZ, 12.2.2011 [o]:
Indem sie das islamistische Gespenst an die Wand malten, verschafften sich arabische Despoten jahrzehntelang Nachsicht und eine gute Presse. Das falsche Argument: „Ich oder die Bärtigen“ zog immer. Was jetzt schon über die Diktaturen in Ägypten und Tunesien offenbar wurde ... sollte Anlass sein, sich von der bisher geübten Heuchelei abzuwenden.
...und:
Noch auf der NATO-„Sicherheitskonferenz“ in München hatten Merkel und US-Außenministerin Clinton vor überstürztem Wandel wegen eines sonst drohenden „Machtvakuums“ in Kairo gewarnt. Nur sechs Tage später sah Merkel sich „an der Seite der Menschen in Ägypten“ und sah „in deren Augen, welche Kraft die Freiheit entfalten kann“. Keine Nachrichtenredaktion verzichtete darauf, diesen unverschämten Opportunismus im Original zu senden.
Ossietzky 4/2011, dort auch weiteres zur peinlichen Medienberichterstattung [o].
Einige grundlegende Hintergrund-Aufsätze
- Opalka, S.K. / Schwarzer, D.: Deutsch-ägyptische Wirtschaftsbeziehungen – wie das Regime Mubarak hofiert wurde. Das Erste, Sendung „Kontraste“, 3.2.2011. [o]
- Leukefeld, Karin: Der Strohhalm und das Kamel. Konflikt mit den Kopten oder wie „Teile und herrsche“ in Ägypten funktioniert. junge Welt, 27.11.2010. [o]
- Leukefeld, Karin: Die Stadt der Toten im Herzen des Molochs. Das andere Kairo abseits von Geschäft und Tourismus. junge Welt, 27.12.2010. [o]
- Avnery, Uri: Tsunami in Ägypten. 12.2.2011. [o] [Über Wahrheit und Kalkül]
- Schäfer, Peter: Unsere Hilfe als Drohung. Über die Wirkung von „Entwicklungshilfe“ und „Demokratieförderung“ in der arabischen Welt. 25.2.2011. [o]
- Scheurer, Werner: Wohin steuert Ägypten? Mit vollem Elan in die Tage der Ungewissheit. WOZ, 17.2.2011. [o]