2011-05-15_Zander Reaktionen
Der bestrittene geschichtliche Sinn
Ewertowski, Jörg: Der bestrittene geschichtliche Sinn. Anthroposophie, Weihnachten 2007. [o] | Hervorhebungen H.N.
Helmut Zander will die Geschichte der Anthroposophie in Deutschland nachzeichnen und sie dabei in den wissenschaftsgeschichtlichen Kontext ihrer Zeit einbetten. Das ist ein viel versprechender Anfang und ein gut gegriffenes Vorhaben, das nun für den Historiker zugleich dadurch besonders spannend wird, dass zu dem zeitgeschichtlichen Kontext die Auseinandersetzungen um den so genannten Historismus gehören. Die Beziehungen zwischen der Anthroposophie und dem Historismus machen, so Zander, deshalb auch das «Herzstück» seiner Studie aus [...]. Vorausgegangen ist dem «Herzstück» auf über 700 Seiten bereits eine unglaublich materialreiche Geschichte der Theosophie und der Theosophischen Gesellschaft. Der Autor, der sich ansonsten fast auschließlich für die «Brüche» in den Werdebewegungen interessiert, verschweißt in seiner Deutung dabei jedoch Theosophie und Anthroposophie zu einem einzigen Ganzen. Während der Obertitel des Buches eine Geschichte der Anthroposophie verspricht, ist schon im Untertitel (Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884–1945) nur noch von der Theosophie die Rede. [...]
Zander beschränkt sich keineswegs auf eine historische Darstellung des Phänomens Theosophie/Anthroposophie, zu der fraglos die Einbettung in den historistischen Kontext ihrer Zeit gehören muss. Er will zugleich den damals diskutierten Historismus in seiner heute noch bestehenden Radikalform erhärten und verteidigen. Dabei legt er zweierlei Maß an: Die Anthroposophie wird durch die Einbettung in den zeitgeschichtlichen Kontext des Historismus in ihrer Gegenwartsbedeutung und in ihrem Wahrheitsanspruch bewusst relativiert, der Historismus aber wie selbstverständlich als immer noch gültige Wahrheit systematisch in Anspruch genommen. Aber der Historismus ist gerade als geschichtlicher Kontext der Anthroposophie selbst auch ein geschichtliches Phänomen. Anthroposophie wie Historismus beanspruchen beide, bis heute Geltung zu besitzen.
Weil Zander für den Historismus Partei ergreift, überinterpretiert er den impliziten Gegensatz zwischen der Theosophie und dem Historismus zur ausgesprochenen Gegnerschaft. Die Theosophie sei geradezu eine Bewegung gegen die historisch-kritische Methode (S. 728). Auf die kulturgeschichtliche Situation des Historismus am Ende des 19. Jahrhunderts habe die Gründergeneration der Theosophischen Gesellschaft «reagiert» (S. 729). Dabei hat sich von den Theosophen kaum jemand explizit mit dem Historismus auseinandergesetzt, erst Steiner hat das ansatzweise getan. Aber auch Steiners kritische Äußerungen zu historistischen Forschern und zur «historisch-kritischen Methode» haben innerhalb der Fülle von anthroposophischen Inhalten schlichtweg nicht den Stellenwert, der es rechtfertigen könnte, die Anthroposophie in ihrem Wesen als reaktive Gegenbewegung zu erklären. [...]
Um die Zandersche Studie verstehen zu können, ist es deshalb unerlässlich, sich zunächst klar zu machen, was eigentlich der Historismus ist und wodurch sich die Zandersche Spielart von anderen historistischen Strömungen unterscheidet.
Die zwei Strömungen des Historismus
Zur Wortprägung «Historismus» ist es aus der Polemik gegen die Geschichtswissenschaften gekommen: Als am Ende des 19. Jahrhunderts die wuchernde Masse des historischen Quellenmaterials jede gestalthafte geschichtliche Idee zu ersticken drohte, stellten Nietzsche und viele andere die Frage nach Sinn und Nutzen der Historie. [...]
Der Historismus aber konnte dennoch von einem Bezichtigungs- zum Identifikationsbegriff werden. Die durch ihn vollzogene Einschränkung der alles vereinheitlichenden Verstandeswahrheiten offenbarte auch eine positive Seite, nämlich die der Befreiung aus dem Dogmatismus der Rationalität und der Eröffnung vielfältiger individueller Perspektiven auf die Geschichtswelt. Der 1954 verstorbene Historiker Friedrich Meinecke hat den positiven Sinn des Historismus auf diese Formel gebracht: Er sei die «Ersetzung einer generalisierenden Betrachtung geschichtlich-menschlicher Kräfte durch eine individualisierende Betrachtung». Es geht Meinecke in den Geschichtswissenschaften deshalb um die handelnden Menschen und um deren jeweils eigene Wertmaßstäbe, um das jeweils eigene Lebensgesetz, das in jedem einzelnen Menschen wirkt und dort nicht verallgemeinert oder an anderen ihm fremden Maßstäben gemessen und beurteilt werden darf.
Helmut Zander hebt seine Position ohne Angaben von Gründen von derjenigen Meineckes ab und schließt sich dabei an den zeitgenössischen Historiker Otto Gerhard Oexle an (S. 728). Der von Oexle vertretene Historismus tendiert aber nun zu einer Geschichtswissenschaft, die auf extensive Materialfülle baut und die Verstandeskraft nur zu kritisch-destruktiven Zwecken einsetzt. Ich werde diesen Historismus im Folgenden als Radikal-Historismus bezeichnen. Oexle, der diesen Radikal-Historismus als den Historismus schlechthin behaupten will, versucht Meineckes Position demgegenüber aus dem Spektrum historistischer Positionen auszugrenzen. [...] Nicht nur Martin Heidegger, sondern auch Hans Georg Gadamer und viele andere namhafte Geisteswissenschaftler werden auf diesem Wege gleichsam mit einer Handbewegung historistisch ausgehebelt. [...]
Zander und Oexle verabschieden faktisch das Interesse an der menschlichen Individualität als sinnstiftender Qualität in der Geschichte, ja überhaupt das Interesse an der Sinnfrage. Was Zander angeht, wird das in der Art und Weise, wie er die Individualität Rudolf Steiners in die Zange seiner historistischen Forschung zu nehmen versucht, sofort in der Durchführung sichtbar. Die diskriminierend-entwürdigende Art, mit der er im Gestus der allergrößten Selbstverständlichkeit in durchweg allen Zusammenhängen nur die niedersten Motive des Machtstrebens als Erklärungsprinzipien anführt, lässt sich mit keinem hohen Sinn von menschlicher Individualität vereinbaren und steht in auffälligem Gegensatz zu der einfühlsamen Art der Betrachtungen Meineckes.
Ich möchte mit einem Beispiel die Methode Zanders so, wie sie sich ständig wiederholt, belegen. Es geht um den Anfang des Kapitels «Die Erkenntnis der höheren Welten» aus der «Geheimwissenschaft». Eigentlich wäre hier eine Auseinandersetzung mit dem von Steiner geltend gemachten Anspruch, dass es höhere Erkenntnis, dass es einen dritten Seelenzustand außer dem von Wachen und Schlafen gibt, angesagt, denn damit beginnt das Kapitel, und an dieser Frage entscheidet sich nicht nur die Wahrhaftigkeit Steiners, sondern auch der systematische Gegensatz zwischen dem Radikal-Historismus und der Anthroposophie. [...] Aber nichts von alledem geschieht. Zander hält es gar nicht für nötig auszusprechen, dass er höhere Erkenntnis für unmöglich hält, so selbstverständlich setzt er dies Unmöglichsein als Tatsache voraus. Er kommt statt dessen sofort auf die Unterscheidung zwischen der Selbsteinweihung und einer durch Schulung herbeigeführten Einweihung zu sprechen, um seinem Leser zu demonstrieren, dass es Steiner mit seinen Ausführungen um die Befestigung seiner Lehr-Autorität ging. [...]
Für einen mit diesem Text nicht vertrauten Leser sieht das nach solider wissenschaftlicher Arbeit aus: Zander hat verschiedene Auflagen der «Geheimwissenschaft» verglichen, hat seine Aussagen präzise durch den Hinweis auf die Seitenzahlen belegt und auch wörtlich zitiert. Jeder, der den Originaltext aber auch nur einmal unbefangen gelesen hat, wird sofort erkennen, dass hier noch nicht einmal eine gewaltsame Deutung vorliegt, sondern ein völlig illusionärer Zweittext konstruiert wird: Steiner spricht sich nicht im Geringsten gegen Selbsteinweihung aus, sondern nur dagegen, dass man sich mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Selbsteinweihung von der Mühe des Schulungsweges befreien will: «Von der Selbsteinweihung braucht hier nicht gesprochen zu werden, da sie im Leben ohne Beobachtung irgend welcher Regeln eintreten kann. Dargestellt aber soll werden, wie man durch Schulung die in der Seele keimhaft ruhenden Wahrnehmungsorgane entwickeln kann.» In dem gesamten Text gibt es schlechterdings nicht eine einzige Andeutung, die darauf hinweisen würde, dass Steiner hier «diese Form der Selbständigkeit stigmatisiert und zu viel Eigenständigkeit mit Passivität infiziert sah». Der logische Widersinn einer «mit Passivität infizierten Eigenständigkeit» ist die Folge der krassen Umdeutung, die sich unmittelbar mit offensichtlichen Unterstellungen wie der folgenden verschwistert: «Schließlich nannte er, kryptisch ‹Mittel›, ‹die sich dem Bewusstsein des Schülers entziehen› (ebd. = 302 Aufl. 1910); ob damit Drogen oder suggestive Methoden gemeint sind, bleibt im Dunkel.» Es gibt nicht das geringste Indiz für Drogen oder suggestive Methoden. Deswegen ist das, was hier für den unkundigen Leser tatsächlich im Dunkeln bleibt, die Wahrheit über die wissenschaftliche Qualität des suggestiv sprechenden Textes von Helmut Zander. Zwischen dem Zanderschen Text und dem Steiners, den er zu analysieren vorgibt, ist jede Verbindung abgerissen. Den Wirklichkeitsverlust, den der Radikal-Historismus in der Geistesgeschichte zu diagnostizieren meint, vollbringt er hier bei Zander selbst.
Zanders Methode ist nicht nur un-, sondern antihermeneutisch. Wenn ich sie wirklich erklären müsste, sehe ich dazu nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist sie das Ergebnis drastischer Selbsttäuschung oder sie ist von der Absicht zur Täuschung getragen. Es ist ja klar, dass von den außenstehenden Lesern niemand den Originaltext kennt oder auch nur zur Hand hat und darüber hinaus viele Leser sich vom Autor auch bereitwillig in ihren möglichen Vorurteilen bestätigen lassen wollen. Mit keinem wissenschaftlich bekannten Gegenstand hätte so verfahren werden können, nur mit einem so zuverlässig unbekannten und vorurteilsbelasteten wie der Anthroposophie konnte eine solche Arbeit zur Habilitation führen. [...]
Das doppelte Fehlen der Bewusstseinsseele
Zander will die radikal-historistische These erhärten, dass es keine geschichtliche Wahrheit gibt, sondern nur Tatsachenakkumulation von quantitativ unendlichem Quellenmaterial und dass die dadurch zustande kommende Relativierung jeglicher geistiger Wahrheit die Anwendung des Verstandes nur noch als «destruktives» Mittel der Kritik erlaubt. Zu diesem Zweck untersucht er eine Geistesströmung, die auf der Gegenthese aufbaut, ohne ihren Wahrheitsanspruch auch nur zu diskutieren. [...]
Die ganze geschichtsphilosophische Idee, die hier bewiesen werden soll, ist in sich durch einen inneren Selbstwiderspruch geprägt. Man betrachtet die Menschheitsgeschichte als sinnlos, weil sich keiner der Sinngebungsversuche generalisierend-verbindlich durchsetzen konnte. Es wird ein radikaler Pluralismus gefordert, zugleich aber wird performativ-selbstwidersprüchlich eine einzige und dabei implizit doch zeitlos-gültige Wahrheit behauptet, nämlich die, dass es keine Wahrheit gibt. Es wird von «Brüchen» in der Biographie Steiners gesprochen, der sich permanent gewandelt haben soll, aber es kommt nur stereotyp das eine und aufdringlich einzige psychologische Motiv des Machtstrebens zum Vorschein, das absolut monoman alles erklären soll. [...]
Ich will keineswegs abstreiten, dass es Brüche und Umschreibungen bei Rudolf Steiner gibt und dass manche anthroposophische Darstellung dazu tendiert, das auszublenden, – aber die ermüdenden Wiederholungen, in denen bei Zander die immer gleichen Deutungsmuster zur Anwendung kommen, widerlegen sich selbst. Das Fatale ist, dass er kein Bewusstsein dafür besitzt, dass ihm als Vertreter des radikalen Historismus genau das zugestoßen ist, was er bekämpft: Er vertritt eine sich totalisierende Idee. Weil er die Idee nicht mehr als Idee zu erleben vermag, sondern als Tatsache nimmt, ist er ihr gegenüber unfrei geworden. [...]
Die Bewusstseinsseele fehlt bei Zander bezeichnenderweise nicht nur als methodisches Organ, sondern auch auf dem Gebiet seines Themas. Sie ist nämlich ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Theosophie und Anthroposophie. Sie war allen theosophischen Autoren unbekannt. Deshalb war bei diesen das vierte Wesensglied als «Tierseele» (Sinnet) oder «kamamanas» (Judge/Besant) bloß ein schwacher Abglanz des eigentlichen Menschenwesens, des fünften Wesensgliedes, des «manas». Es gab bei den theosophischen Autoren kein Ich in der Wesensgliederreihe. Erst durch die Einführung der Bewusstseinsseele in das Wesensgliedergefüge konnte Rudolf Steiner das vierte Wesensglied als «Ich» sichtbar werden lassen. Dazu war die Unterscheidung der Bewusstseinsseele vom fünften Wesensglied (manas) erforderlich und ihre Verbindung mit dem vierten Wesensglied (Verstandesseele/kama-manas). Aus dieser Verbindung resultierte ideengeschichtlich erstmalig das Ich in der Reihe der Wesensglieder. Auch die spezifische Entwicklungsidee, die daraus wiederum erst entstehen konnte, nämlich die der Umwandlung der Leibesglieder in die Geistesglieder, die das Ich als das mittlere vierte Wesensglied vollzieht, ist Helmut Zander als ein zentrales Novum der Anthroposophie und als eine kopernikanische Wende in der von ihm so genannten Geschichte der «Hüllenanthropologie» völlig entgangen. Gleichzeitig ist ihm entgangen, dass damit überhaupt eine ganz neue Entwicklungsidee auf menschheitsgeschichtlicher Ebene in die Ideen-Geschichte des Abendlandes eingetreten ist und so als Tatsache sichtbar wird, dass mit der Anthroposophie eine Entwicklung über die Geschichtsphilosophie des deutschen Idealismus hinaus stattgefunden, sich also die abendländische Entwicklungsidee auch über den Historismus hinaus weiterentwickelt hat. [...]
Das historistische Dilemma und seine anthroposophische Lösung
Die Anthroposophie ist zwar tatsächlich als Minderheitenströmung im Raum der Geisteswissenschaften ein denkbar schutzloser, andererseits aber womöglich doch gar kein so ganz ungefährlicher «Gegner» für den radikalen Historismus. Zum einen manifestiert keine andere geistige Strömung ihre Wahrheit durch eine solche Praxis-Wirksamkeit, und zum anderen finden sich auf ihrem Gebiet eine ganze Reihe geistesgeschichtlich neuer Ideen, die als solche dazu geeignet sind, als geistige Tatsachen die Wirklichkeit von Entwicklung im Felde der Ideengeschichte zu demonstrieren. Ganz besonders brisant wird es nun für den Historismus deshalb, weil darunter auch eine Idee ist, die das Ausgangs-Problem des Historismus in ein völlig neues Licht stellt und schließlich aufhebt.
Wir stehen am Ende des 19. Jahrhunderts vor einem äußerst bemerkenswerten Zusammenhang: [...] Um den Sinn des Individuums völlig herausarbeiten zu können, musste also der menschheitsgeschichtliche Sinn-Entwurf des deutschen Idealismus erst zurückgenommen werden. In der Folge wurde aber deutlich, dass sich der Sinn der einzelnen Individualität wiederum ohne einen menschheitlichen und menschheitsgeschichtlichen Sinn auch nicht aufrechterhalten lässt. Dieses Dilemma ist die echt erlittene geistesgeschichtliche Aporie, in deren Folge erst der Historismus die Bedeutung erlangen konnte, die er erlangt hat. Damit wird uns die wichtige geistesgeschichtliche Bedeutung der Anthroposophie klar. Denn die Idee, die die Kraft besitzt, dieses Dilemma zu lösen, ist einer ihrer ganz zentralen Inhalte: Menschheitsgeschichte und Reinkarnation gehören unauflöslich zusammen. Die einzelnen Menschen vollziehen als selbständige Individualitäten den Geschichtsweg der Menschheit auf dem Reinkarnationsweg vollständig mit. Richtig durchdacht, kann dieser Sachverhalt das Ausgangs-Dilemma des Historismus auflösen.
Lessing hat die Idee von jener «Erziehung des Menschengeschlechts», die sich auf dem Reinkarnationsweg vollzieht, als Keim in die Bewusstseinsgeschichte des Abendlandes getragen, aber dieser Keim konnte sich zunächst noch nicht entfalten, weil der Sinn für die Bedeutung der einzelnen menschlichen Individualität erst noch vollständig ausreifen musste. Die Anthroposophie hat erstmals die Bedeutung des Individuums und die der Menschheitsgeschichte gleichgewichtig zu realisieren vermocht. Sie zeigt, wie die Individualisierung, die den Menschen aus den nationalen und familiären alten Gruppenbindungen herauslöst, sich auf der Grundlage des Mysteriums von Golgatha mit einer Einbindung in das Menschheitliche verschwistern kann. Das ist im Wesen, wenn auch in anderem Gedankenkleid, genau jener Sinn des Christentums, den schon Ernst Troeltsch gegen die Relativierung des Historismus zu setzen gesucht hat, den er aber doch nur (eben ohne Reinkarnationsgedanken) auf der Glaubensebene behaupten, nicht aber auf der Ideenebene zur Erkenntnis gestalten konnte.
Mit all dem haben wir jetzt die wahre Beziehung zwischen der Anthroposophie und dem Historismus begriffen. Die Anthroposophie ist keine reaktive Anti-Bewegung gegen den Historismus, die die Wahrheiten, die jener geschichtlich überholt hat, erschrocken restaurieren will. Sie ist vielmehr eine diskussionswürdige Lösungsmöglichkeit des historistischen Dilemmas, eine Lösungsmöglichkeit, die ganz unabhängig davon, wie man sie in Zukunft noch bewerten wird, allein schon durch die Tatsache, dass sie in die Welt gekommen ist, echten geistesgeschichtlichen Fortgang auf dem Gestaltniveau von Grundideen bezeugt.
Der Weg, den Zander in seinen Büchern beschritten hat, ist nur zu konsequent, wenn auch tief erschütternd in seiner tragisch-symptomatischen Bedeutung: Zuerst hat er sich in seiner Dissertation als katholischer Theologe mit dem Thema Christentum und Reinkarnation beschäftigt und hier den Reinkarnationsgedanken abgewiesen, da er sich seiner Auffassung nach mit dem christlichen Menschenbild und abendländischen Personbegriff nicht vereinbaren lässt. Anschließend ist er in seiner ersten historischen Studie dem Reinkarnationsgedanken in der abendländischen Geistesgeschichte skeptisch-ablehnend nachgegangen. Und zuletzt sucht er, ausgerechnet anhand einer «Geschichte der Anthroposophie in Deutschland», jene radikal-historistische Position zur bleibenden Wahrheit zu erhärten, die jede Möglichkeit der Sinnbehauptung, auch die der Individualität, in Frage stellt. Aber im Gegenbild zeigt er damit ungewollt genau das, worum es geht.