16.05.2011

Kurze Widerlegung von Zanders „Wissenschaft“

Eine Entlarvung von Zanders Methode und Widerlegung seines Wissenschaftsbegriffs. | > Langfassung.


Inhalt
Akademisches Geschwurbel
„Es gibt keine Erkenntnis, so wahr ich dieser Meinung bin!“
Inbegriff der Demut?
Zander als Retter der Anthroposophen-Sekte
Zanders Wissenschaft und ihr Ende 

Akademisches Geschwurbel

In der Einleitung seines „Opus magnum“ sagt Zander:

[7:] Ein weiteres Charakteristikum der Theosophie war ihr Wissenschaftsanspruch (Kap. 9), vermittels dessen sie hermeneutische Gewissheit durch empirisches Wissen zu ersetzen suchte, um sich als ‹moderne› Weltanschauung im Sinne naturwissenschaftlicher Verfahren und ihrer objektivierbaren Ergebnisse zu etablieren. Die Theosophie beanspruchte, den Mehrwert einer ‹objektiven› ‹übersinnlichen› Dimension dem naturwissenschaftlichen Materialismus entgegenzusetzen und ihn so überbieten zu können. Im Rahmen dieser Dialektik von Unterwerfung unter die naturwissenschaftliche Methodologie bei gleichzeitigem Anspruch auf inhaltliche Überbietung sind die entscheidenden wissenschaftstheoretischen Fragen zu stellen: nach dem Verhältnis zur religiös imprägnierten ‹romantischen› Naturphilosophie und zum religiösen Empirismus des Spiritismus.


Zanders „Annäherung“ an Rudolf Steiners Wissenschaftsbegriff ist so anmaßend wie lächerlich. Sein Urteil steht von vornherein fest, und an diesem festgeklammert stolpert er sich von (akademisch-gestelzter) Formulierung zu Formulierung.

Schon im Oktober 2007 wies Thomas Meyer im „Europäer“ („Helmut Zander und sein dilettantischer Wissenschaftsbegriff“) darauf hin, dass Zander hier nichts als sinnlose Wortspiele bringt. Worin läge denn eine Überbietung des Materialismus!? Auch hat Steiner das Verhältnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaft immer als ein Komplementäres, nicht Konkurrierendes, betrachtet. In seinem „Bologna-Vortrag“ äußert sich Steiner ganz klar zu den unterschiedlichen Aufgaben von Natur- und Geisteswissenschaft und zu der Begrenztheit des naturwissenschaftlichen Forschungsgebietes.

Die Wendung „Unterwerfung unter die naturwissenschaftliche Methodologie“ zeigt eindeutig, dass Zander nicht das Geringste von dem anthroposophischen Ansatz „nach naturwissenschaftlicher Methode“ begriffen hat. Steiner meinte damit die vollkommen klar bewusste Wachheit (einschließlich einer erworbenen Urteilskraft bzw. Unterscheidungsfähigkeit) in Bezug auf „seelische Beobachtungsresultate“.

Dagegen liegt bei Zander selbst jene „Unterwerfung unter die naturwissenschaftliche Methodologie“ einer Wissenschaft vor, die nichts als den äußeren Zugang zu ihrem Forschungsobjekt kennt. Die Teilchen-Physik hat längst entdeckt, dass sogar bei den naturwissenschaftlichen „Fakten“ eines Experiments der Naturwissenschaftler die entscheidende Rolle spielt. Zander blendet diese Möglichkeit völlig aus – und bleibt so blind für die verzerrte Brille, durch die er blickt.

Sein Kapitel „Wissenschaft“ beginnt wie folgt:

[859:] Steiner war von der Naturwissenschaft – im Singular, wie er immer sagte – fasziniert: von ihren Entdeckungen, ihren Erklärungsmöglichkeiten, ihren Erfolgen in der technischen Umsetzung. ‹Die Wissenschaft hatte die Methode ausgearbeitet, mit all den wunderbaren Werkzeugen, welche die neuere Zeit geschaffen hat, das Physische zu erforschen. [...]› (GA 53,31) Dieses Zitat aus dem Jahr 1904 steht exemplarisch für den Prinzipal eines schwärmerischen Grundgefühls, das ihn von frühester Jugend bis an sein Lebensende begleitet hat.
Noch 1921 wollte der [es muss heißen „er“, H.N.] „durchaus festgehalten“ wissen, „daß der Ursprung und die Quelle der Anthroposophie in naturwissenschaftlichen Erwägungen liegt“ (GA 342,173).


Dass Steiner die Leistungen der Naturwissenschaft auf ihrem Gebiet neidlos und bewundernd anerkannte, ist ohne Zweifel – das tat er auf jedem Lebensgebiet. Hätte er es weniger getan, hätte Zander ihm daraus um so mehr den „theosophischen Strick“ gedreht...

Auch seine Quellen missbraucht Zander auf das äußerste. Das zweite Zitat stammt aus einer Besprechung des ersten Priesterkurses, wo Steiner auf eine aufgekommene Streitfrage antwortet, ob Anthroposophie Religion sei, und wo er fortfährt, „daß man also nicht vertreten könnte, daß Anthroposophie etwa direkt an die Stelle der Religion treten kann oder daß Anthroposophie als solche nur eine Religionserneuerung ist.“!

Das ist für Zander also der Beleg eines „schwärmerischen Grundgefühls“ Steiners für die Naturwissenschaft bis an sein Lebensende! Zander dreht immer einen Strick. Dass Anthroposophie nicht wissenschaftlich ist, ist für ihn ohnehin erwiesen. Zugleich aber behauptet er, Anthroposophie sei Religion. Einen Passus, wo Steiner gerade dies scharf zurückweist, unterschlägt er, benutzt aber einen Satz daraus, der ihm „belegen“ helfen soll, das Steiner von der Naturwissenschaft fasziniert war. Wenn Steiner betont, dass die Anthroposophie aber sehr wohl berechtigte religiöse Impulse gebe, weist Zander dies wiederum zurück, denn als katholischer Theologe muss er auch das natürlich ablehnen...

„Es gibt keine Erkenntnis, so wahr ich dieser Meinung bin!“

In den Mainstream-Medien aber anerkennen die Gesprächspartner Zander urteilslos als den „Experten“. Und ihre eigenen Vorurteile gegenüber der Anthroposophie geben ihm jede beliebige „Steilvorlage“. Teilweise muss er die Anthroposophie sogar „in Schutz“ nehmen! Wer wollte da noch seine Grundurteile hinterfragen?

In einem Interview bei swissinfo.ch sagt er am 13.3.2011:

Wenn man sich intensiver mit der Anthroposophie und dem Christentum beschäftigt – ich bin ja auch Theologe – sieht man, dass es an einigen Punkten ganz fundamentale Unterschiede gibt.
Ein wesentlicher Punkt: Rudolf Steiner hatte die Hoffnung, man könne objektives, absolutes Wissen gewinnen, also im Grunde die Geheimnisse der Welt auflösen.
Aber ich bleibe der Meinung, dass wir gewisse Dinge nie wissen werden. Es gehört dazu, dass wir mit begrenztem, regionalem, mit sehr persönlichem Wissen umgehen müssen.


Hier begründet Zander sein Ignorabimus zunächst religiös. Schon seine ersten Worte „hatte die Hoffnung“ sollen mit wissenschaftlicher Autorität „beweisen“, dass diese vergeblich war, ja nicht einmal prinzipiell berechtigt ist. Einerseits behauptet Zander, dass wir gewisse Dinge nie wissen werden, andererseits dass man überhaupt kein objektives Wissen erlangen könne. Und er selbst? Beansprucht er mit seinen ganzen Behauptungen über Steiners Anthroposophie irgendeine Objektivität, die über reine Meinungsäußerungen hinausgeht? Dass „wir gewisse Dinge nie wissen werden“, ist jedenfalls ausdrücklich seine Meinung. Über das Christentum glaubt Zander aber offenbar doch ein absolutes bzw. objektives Wissen zu haben, denn die „fundamentalen Unterschiede“ können natürlich nur Irrtümer der Anthroposophie sein...

Was ist eigentlich das Ziel der Naturwissenschaften? Ob-jektiv bedeutet zunächst: man kann sich dem Objekt gegenüberstellen. Auch der Begriff „absolut“ (lat. „losgelöst“) weist auf den gleichen Zusammenhang. Man kann ihn einseitig als „absolute Überschau“, „absolute/höchste Wahrheit“ verstehen, man kann darin aber auch lesen, dass es notwendig ist, sich vom eigenen Standpunkt zu lösen. Dann nämlich wird es möglich, zu einer wirklichen Objektivität zu kommen. Das macht Steiners Wissenschaftlichkeit aus, und Zander hat davon nicht die geringste Ahnung. Wenn man aber bereits die Möglichkeit eines Schulungsweges leugnet, muss man natürlich auch jedes objektive Wissen leugnen...

Wenn er dann gar von den unauflösbaren Weltengeheimnissen spricht, so spricht zugleich der Theologe. Seit jeher wollten die Menschen die Geheimnisse ergründen, von Columbus bis zur Mondlandung und Teilchenphysik, um nur einen (sehr irdischen) Bogen zu schlagen. Aber seit jeher war es in der exoterischen, von Machtinteressen (!) bestimmten Kirchenreligion eine Sünde, den göttlichen Geheimnissen näherkommen zu wollen. Aus der Ursünde im Paradies machte die katholische Dogmatik ein fortgeschriebenes Erkenntnis-Verbot – obwohl die Menschheit schon vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte, also bereits „sehend geworden“ war! So kam es zur Trennung von Glauben und Wissen. Weil Zander von alledem nichts wissen will, unterliegt auch er unerkannt den heutigen Denkverboten. Sein perfekt inszeniertes „Ignorabimus“ ist gewissermaßen die karmische Folge der päpstlich-katholischen Blindheit, die von der Logos-Natur der Welt und der Ebenbildlichkeit Gottes des Menschen (einschließlich seines Erkenntnisvermögens) nichts wissen will!

Und dennoch beansprucht Zander, mit einer persönlichen Meinung etwas über die Weltengeheimnisse und Steiners Wissenschaftsanspruch aussagen zu können. Wäre nicht eines der größten Weltengeheimnisse die Frage, ob man ihnen auf den Grund gehen könne oder nicht? Es ist die Frage Michaels: Wer ist wie Gott? Bist Du, o Mensch, in der Lage, die Weltengeheimnisse zu erfassen? Zander trampelt über diese Frage mit einem unglaublichen Absolutheitsanspruch hinweg: „Es gibt keine höhere Erkenntnis, so wahr ich dieser Meinung bin!“ Früher hat man bei Gott geschworen, heute ist offenbar die eigene Meinung bereits das stärkste Argument, was ein Diskurs-Wissenschaftler innerhalb der scientific community aufbieten kann...

Inbegriff der Demut?

„Es gehört dazu, dass wir mit begrenztem, regionalem, mit sehr persönlichem Wissen umgehen müssen.“

Zander malt hier geradezu den Inbegriff des gottesfürchtigen Menschen, der nach den Jahrhunderten der hochmütigen Entdeckungsgier und des Erkenntnismutes nun wieder auf den wahren Weg der absoluten (!) Bescheidenheit zurückfindet...

Es ist aber keine Gottesfurcht, sondern die harte Realität des allmächtigen Dogmas der Diskursgesellschaft. Alles wird heute dem Diskurs unterworfen, aber einen Konsens gibt es, das goldene Kalb der heutigen Zeit: Es gibt absolut nichts, was absolut wäre... Du bist nichts, der Kontext ist alles. Deine Meinung allein hat gar keinen Wert. Erst wenn sich eine gewisse Mehrheit für diese Meinung herauspendelt, kann sie den Anspruch auf gewisse Gültigkeit haben – und auch nur begrenzt, zeitlich, regional und in Bezug auf unendlich viele andere Kontexte...

Scheinbar hat Zander nicht die geringste Ahnung, in welcher Sphäre sich dasjenige befindet, was über regionale und andere Begrenztheiten hinausgeht. Nehmen wir einmal das Mitleid, das Mitleiden. In den verschiedenen Weltregionen haben die Menschen verschieden sozialisierte Begriffe von Mitleid. Man hat Mitleid mit dem unschuldigen Kind. Nicht mit dem Bettler in der U-Bahn. In anderen Weltregionen vielleicht nicht einmal mit dem Kind. Oder vielleicht auch mit dem Bettler. Und so weiter. Zander übersieht aber, dass man sich von allen äußeren Kontexten lösen kann, um zu einer Sphäre zu kommen, die allgemein-menschlich ist. Sonst wäre man z.B. nie zu der Idee eines Völkerbundes gekommen. Oder aber Zander sieht darin ausschließlich strategische Überlegungen und allzu-menschliche Impulse nach Sicherheit usw. 

Gerade die wirkliche Anerkennung des Persönlichen, das (unbewusste) Erleben der Idee der Individualität, ist nur möglich, wenn man sich der Sphäre des Überpersönlichen nähert, in der diese Idee existiert. Der Sündenfall der Diskurs-Gesellschaft besteht darin, dass sie zwar die Idee des Persönlichen in sich aufgenommen hat, diese aber ihrer wahren Natur nach gar nicht erfasst. Wenn aber der Mensch ein göttliches Wesen ist – und allein daraus begründet sich seine Menschenwürde! –, dann muss er auch in der Lage sein, eine Verbindung zu dieser göttlichen Welt zu erlangen.

Dagegen aber wehrt sich die scientific community mit Händen und Füßen. Warum? Aus Angst, jede Objektivität zu verlieren! Aber warum, wenn diese ohnehin geleugnet wird? Weil man eine Flut von Behauptungen fürchtet, die angeblich prinzipiell nicht überprüfbar sind? Nun, tatsächlich kann man die Flut falscher Behauptungen bei Zander sehr wohl nachweisen, die Aussagen Rudolf Steiners zu übersinnlichen Sachverhalten jedoch zunächst nicht aus erster Hand überprüfen. Davor fürchtet sich die scientific community. Letztlich ist sie zu bequem, die notwendigen Erkenntnisvoraussetzungen zu erlangen. Noch existentieller ausgedrückt: Der Intellekt sieht sich in seiner Existenz bedroht. Denn wahr ist: Er müsste sich verwandeln. Dennoch liegt die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie genau hier: Das Denkvermögen soll seine Klarheit und Urteilskraft keineswegs verlieren, sondern vertiefen und erweitern.

Wenn aber schon die Möglichkeit zu einer solchen Erweiterung geleugnet wird, legt sich vor das wahre Menschenwesen ein Schleier. So bleibt auch das Persönliche an die materialistisch-nominalistische Sphäre gekettet. Statt ihre wahre Würde zu erlangen, gerät die Person heute in die allergrößte Vereinzelung. Sie wird Spielball stärkerer Interessen, Opfer anonymer Sachzwänge und in der Wissenschaft eben einsamer Teilnehmer an dem allmächtigen „Diskurs“. Nur unter Einschluss des geistig Realen könnte wirklich Individualisierung stattfinden, die diesen Namen verdient, weil sie die ganze Würde des göttlich-geistigen Menschenwesens integrieren könnte. Stattdessen haben wir heute eine Atomisierung unter dem Zeichen der „Chancengerechtigkeit“ – einen Sozialdarwinismus im Wirtschaftlichen, im Politischen und im Kampf der Ansichten um den Diskurs-Kuchen, die Gunst der scientific community.

Zander als Retter der Anthroposophen-Sekte

Weil aber all dies nicht gesehen wird, kann Zander auf die Frage, ob „Steiners Lehre“ heute noch „zeitgemäß“ sei, ungefährdet antworten:

Für viele Nicht-Anthroposophen ist sie eigentlich nur noch eigentümlich. Aber für den überzeugten orthodoxen Kern der Anthroposophen ist Steiner weiterhin die zentrale Referenz.


Trotz seiner krassen Worte versteckt Zander sich hinter verlogener, scheinbarer Objektivität: keinerlei offene Ich-Aussage! Was ist mit den anderen Nicht-Anthroposophen? Und offenbar gibt es auch nicht-überzeugte Anthroposophen? Diese sind zugleich nicht-orthodox, also die „Guten“?

Auf die Frage, ob Steiner eines der letzten Universalgenies gewesen sei, versteigt sich Zander zu folgenden Aussagen:

Für die Anthroposophen war er ein Universalgenie. Kritiker sagen, er war ein Universal-Dilettant. In vielen Bereichen ist er an der Oberfläche geblieben. Aber, und das macht die Faszination der Anthroposophie aus, er hat über viele Einzelthemen einen Überbau errichtet. Sozusagen eine grosse anthroposophische Schüssel, in die Vieles aus unterschiedlichen Bereichen hineinpasst.
Steiner hatte immer den Anspruch, mit einer anthroposophischen Theorie unterschiedliche Einzelteile an sich zu ziehen und ihnen einen Ort im anthroposophischen Kosmos zuzuweisen. Das ist gut zu sehen beim Ausdruckstanz (anthroposophische Eurhythmie [sic!]), bei der Architektur, der Medizin, der Pädagogik oder der Landwirtschaft.


Zander versteckt sich weiterhin und lässt stattdessen die „Kritiker“ zu Wort kommen. So muss er das Verdikt „Universal-Dilettant“ nicht in den Mund nehmen. Aber nachdem es dennoch ausgesprochen ist, kann er diese Kritiker sogleich bestätigen, nur um uns sodann zu belehren, was eigentlich die Faszination der Anthroposophie ausmache,
wobei seine „Begründung“ natürlich wie immer pures Gift ist. Und natürlich ist Zander die berufene Instanz, die beurteilen kann, wo überall Steiner „an der Oberfläche“ geblieben ist.

Es ist jedoch Zander, der mit seinem oberflächlichen Denken überall da haften bleibt, wo dieses Analogien und Übereinstimmungen sieht und Kausalzusammenhänge und Abhängigkeiten hineininterpretiert. Man spürt regelrecht die Antipathie, die er gegen diesen von ihm (Zander) selbst inszenierten betrügerischen, machthungrigen Steiner hegt, der alles für sich vereinnahmt hat, um sich als großen Esoteriker darstellen und den Menschen eine große „Sinnperspektive“ geben zu können (Religion, keine Wissenschaft).

Wie oberflächlich Zanders Denken ist, zeigt sich an seiner „self-fulfilling prophecy“. Wenn man überall nach Vorläufern für Steiners Impulse sucht, dann „sieht“ man sie auch. Dann ist eben auch die Eurythmie ein Ausdruckstanz, selbst wenn sie das Gegenteil ist. In seiner „Steiner-Biografie“ deutet Zander diese Gegensätze sogar an, aber sie fallen natürlich nicht ins Gewicht, weil die grundsätzliche Übereinstimmung ja zweifelsfrei ist...

Was die Eurythmie sein will, könnte man doch wohl nur verstehen, wenn man liest, was Rudolf Steiner über sie gesagt hat. Aber für Zander gilt ja a priori, dass all dies immer nur dazu diente, das Plagiat zu verdecken. Und selbst wenn sogar die empirische Praxis darauf hindeutet, dass Eurythmie das Gegenteil vom Ausdruckstanz ist – einen Zander ficht das nicht an. Er bleibt dabei: „Steiner hat kopiert und transformiert. Er hat, was er übernommen hat, manchmal verändert.“

Auf die nächste Frage, ob man die „Hardcore-Steiner-Anhänger“ eher als Sekte bezeichnen müsste, antwortet Zander:

Da tue ich mich schwer, weil Sekte ein negativ besetzter Begriff ist. Für mich ist das erst mal eine Weltanschauungs-Gemeinschaft, eine Religionsgemeinschaft, wie alle anderen auch.


Inzwischen ist vollkommen klar, dass diejenigen, die in der Anthroposophie wirklich noch etwas sehen, natürlich „Hardcore-Steiner-Anhänger“ sind. Das bestreitet auch Zander nicht – er hat diese Kulisse ja selbst aufgebaut, bis die Interviewerin auch dieses Verdikt freundlicherweise ausspricht, ohne dass er sich die Zunge schmutzig machen muss. Zander hat sein Ziel erreicht. Steiner und die Anthroposophie sind indiskutabel geworden. Nun kann er gnädig eingreifen, um die „Lynchjustiz“ gerade noch zu verhindern: „Da tue ich mich schwer“ – Zander der besonnene Retter! „Weil Sekte ein negativ besetzter Begriff ist“ – Und Raubkopierer, Lügner und Betrüger etwa nicht? Ach so, das waren ja „wissenschaftlich bewiesene Tatsachen“...

Zander fährt gnädig fort: „Für mich ist das erst mal eine Weltanschauungs-Gemeinschaft, eine Religionsgemeinschaft, wie alle anderen auch.“ Wie alle anderen auch. Genau das will Zander – die Anthroposophie soll sein wie alle anderen auch. Dann ist sie zurechtgestutzt für die Diskursgesellschaft, hat endlich ihren unsäglichen Wahrheitsanspruch verloren und braucht nur noch belächelt zu werden – unter der Ägide von Zander, der Schlimmeres verhindert. Und die Anthroposophie ist natürlich nicht etwa einer unter vielen möglichen Wissenschafts-Ansätzen, nein, sie ist Religionsgemeinschaft! Die Anthroposophie musste nicht nur nicht in eine Nische der scientific community aufgenommen werden, sie konnte ganz und gar ausgestoßen werden!

Zanders Wissenschaft und ihr Ende

Und dann beschreibt Zander das „heutigen Wissenschaftsverständnis“:

Das Wissenschaftsverständnis hat sich seit den Jahren, in denen Steiner lebte, dramatisch verändert. In den Kulturwissenschaften arbeiten wir heute mit Plausibilitäten, mit argumentativ gestützten Ansprüchen auf zutreffende Deutung. Wir wissen, das hat eine geringe Halbwertszeit. Nach uns kommen Menschen, die das anders lesen.
Steiners Wissenschaftsverständnis ist in diesem Sinne einer untergegangenen Tradition verpflichtet.


Erst einmal: Dramatik. Das lässt die Leser aufhorchen und stellt sofort klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Erstaunlich ist, dass Zander hier von Kulturwissenschaften spricht. Wie selbstverständlich setzt er Steiners Begriff der Geisteswissenschaft mit den „Geisteswissenschaften“ gleich, obwohl er weiß, dass Steiners Anspruch ein ganz anderer ist! Aber wahrscheinlich würde Zander seine Grundsätze fast deckungsgleich auch auf die Naturwissenschaften übertragen.

Er spricht von Plausibilitäten. Steiner sprach auch davon, dass die höheren Erkenntnisse vom gesunden Menschenverstand eingesehen werden können. Aber schon der fehlt ja heute meistens. Bei Zander sind Plausibilitäten Ansprüche. Also nicht etwa Begriffszusammenhänge, die sich selbst dem denkenden Menschen in ihrer Plausibilität offenbaren, sondern Ansprüche von Wissenschaftlern, dass sie die zutreffende Deutung „besitzen“, was sie mit Argumenten zu stützen versuchen. Deutlicher kann der Nominalismus nicht formuliert werden!

Aber es kommt noch stärker: „Wir wissen (objektiv? H.N.), das hat eine geringe Halbwertszeit“! Warum sind die „Plausibilitäten“, die Deutungen sehr bald schon wieder überholt? Worauf läuft Zanders Wissenschaftsverständnis hinaus? Nach uns lesen andere anders! Nirgends ein Wort darüber, warum diese mehr Recht auf ihre Lesart haben!

Was will Zander uns eigentlich sagen? Dass seine Lesart im Moment diejenige ist, die hier und heute am meisten Plausibilität besitzt? Dann könnte schon morgen jemand anders kommen! Und in der Tat sind bereits viele gekommen und haben nicht nur seine zahllosen Fehler und Entstellungen, sondern seinen ganzen Ansatz kritisiert. Und nun, Herr Zander?

Um Plausibilität geht es gar nicht! Zanders Behauptungen sind absolut unplausibel für jeden, der sich auch mit Steiners Werk auseinandergesetzt hat. Doch in Bezug auf die Öffentlichkeit muss man auch den Diskurs-Wettlauf gewinnen. Hätten genug Menschen klar genug von Anfang an darauf hingewiesen, wie eklatant Zanders Werk gegen jeden höheren wissenschaftlichen Anspruch verstößt, wäre er nicht überall eingeladen worden, um seine geistblinden, reduktionistischen und unterstellenden Aussagen zum Besten zu geben. Zumindest die scientific community aber scheint sich mit Lorbeeren für Zanders Werk sehr zurückzuhalten. Das liegt an dessen realen Mängeln – und ist auch jenen Menschen zu verdanken, die diese Mängel zumindest für die interessierte Fachwelt früh genug aufgezeigt haben. Zander mag noch so viel von konkurrierenden „Ansprüchen auf zutreffende Deutung“ reden – wenn die Diskursgemeinschaft über seinem Werk den Stab bricht, wird er wohl einsehen müssen, dass auch seine „Halbwertszeit“ vorbei ist...

„Steiners Wissenschaftsverständnis ist in diesem Sinne einer untergegangenen Tradition verpflichtet.“

Nein, Herr Zander, Ihr Wissenschaftsverständnis ist einer untergehenden Tradition verpflichtet. Mögen es heute auch noch so viele „Wissenschaftler“ sein, die auf der Jagd nach der „zutreffenden Deutung“ ihre persönlichen Meinungen oder „Plausibilitäten“ aneinander abgleichen – es wird die Zeit kommen, wo man sich auf die Suche nach demjenigen machen wird, was man da eigentlich tut, wenn man Plausibilitäten erlebt; wenn man Theorien entwickelt und verwirft, anerkennt, Deutungen sucht usw.; aber auch wenn man etwas beobachtet, innerlich etwas erlebt, wenn man liebt, wenn man trauert, sich freut, hasst, sich ekelt. Es wird eine Zeit kommen, wo man die Seele erforscht, von innen. Wo man das Denken beobachten wird, von innen. Wo der Mensch sein eigenes Wesen zu erfassen beginnt. Wo er anfangen wird, „seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode“ zu gewinnen. Und wo er sich bemühen wird, die Fähigkeit zu dieser inneren Beobachtung innerlich zu stärken. Dann wird die Zeit der Anthroposophie anbrechen, die Verständigung des menschlichen Bewusstseins mit sich selbst – und die Entdeckung der geistigen Welt.