19.05.2014

Fack ju Göthe und die Frage der Seele

Besinnungen zu dem erfolgreichsten Film des letzten Jahres. | Trailer.


Inhalt
Der Inhalt und die Fragen
Die korrumpierte Sehnsucht nach Vorbildern
Annäherung an die Quelle der Sehnsucht
Der unantastbare Quell
Die Situation in einer verletzten Welt
Die andere Seite der Wirklichkeit
Das Wesen der Seele


Der Inhalt und die Fragen

In dem Film „Fack ju Göthe“ geht es um Zeki Müller, der nach einem Bankraub nach 13 Monaten aus dem Gefängnis entlassen wird und nun Aushilfslehrer an einer Gesamtschule wird, weil er nur so an seine Beute herankommt (die nun unter der Schule liegt, weil seine Freundin sie auf einer Baustelle vergraben hatte). Er bekommt eine 10. Klasse zugeteilt, an der alle Lehrer gescheitert sind, und verschafft sich mit härtesten Methoden Respekt.

In der allerersten Stunde läuft er zunächst in sämtliche Fallen der Klasse, so dass er schließlich geteert und gefedert ist, doch von da an wendet sich das Blatt. Vier Schülern, die sich auf dem Schulhof herumtreiben, während sie in der Klasse sein müssten, verpasst er mit einer Art Scharfschützengewehr Farbklekse auf Gesicht und Kleidung. Den Anführer der Klasse, der sich im Schwimmbad frech weigert, ins Wasser zu gehen, taucht er solange unter, bis dieser sich entschuldigt. Und die missachtende Sprache der Jugendlichen kontert er mit dreimal so aggressiver Sprache. So sorgt er dafür, dass alle Jugendlichen in der Klasse bleiben und still sind – so dass er seine Ruhe hat, was sein einziges Ziel ist. Unterricht macht er nicht, sondern studiert zum Beispiel den Werbekatalog eines Baumarktes, um eine Bohrmaschine für seine nächtlichen Grabungsarbeiten zu finden.

Durch eine Referendarin, die mit besten pädagogischen Vorsätzen an die Schule gekommen war, aber in dieser Klasse ebenfalls gnadenlos scheiterte und einfach nur als lächerliche Figur dasteht, wird Zeki während des Films nach und nach nachdenklicher und öffnet sich immer mehr einem ganz anderen Impuls. Dieser führt schließlich dazu, dass er den Jugendlichen nach und nach das eine oder andere vermittelt, ihnen zum Beispiel drastisch durch eine Exkursion in seinen eigenen Bekanntenkreis vor Augen führt, dass eine Karriere als Drogendealer nur im Abgrund enden kann. Schließlich geht die Wandlung von Zeki so weit, dass er selbst Schillers „Räuber“ liest, mit der Klasse „Romeo und Julia“ inszeniert (auf eine völlig neue Weise) und mit der Referendarin Lisi Schnabelstedt zusammenkommt...

Der Film „Fack ju Göthe“ war letztes Jahr mit sieben Millionen Besuchern der erfolgreichste Film in Deutschland. Die Frage ist: Was ist an dem Film so faszinierend? Denn zweifellos übt es eine große Faszination aus, wie Zeki sich einfach so, wie er ist, gegen alle Provokationen und Herausforderungen durchsetzt, sich Achtung unter den Schülern verschafft und es schließlich sogar erreicht, dass die Schüler wirklich lernen wollen, wieder eigene Vorstellungen von einer wirklichen Zukunft haben. Aber da hat auch Zeki selbst schon eine ungeheure Wandlung durchgemacht...

Wenn man durch die Anthroposophie eine Erkenntnis der guten geistigen Mächte und der Widersacher hat und gleichzeitig eine Beziehung zum Wesen des Christus empfindet, kann sich einem die Frage stellen, wie ein solcher Film – der im übrigen, wenn auch übertrieben, durchaus einen Teil der heutigen Wirklichkeit wiederspiegelt – in dem Drama der ganzen Menschheitsentwicklung darinnensteht.

Tatsache ist, dass sicher unzählige Jugendliche Zeki Müller absolut cool finden – und dass nur ein verschwindender Bruchteil der heutigen Jugendlichen irgendeine Beziehung zum Christuswesen empfindet. Was kann man angesichts dieser Realitäten sagen? Welche Zusammenhänge gibt es hier?

Die korrumpierte Sehnsucht nach Vorbildern

Die erste Tatsache ist, dass die reine Liebe, wie sie einmal auf Erden Mensch geworden ist, wovon die Evangelien berichten, heutige junge Menschen offenbar oftmals nicht mehr tiefer berühren kann. Das also, was der Mensch im Grunde einst werden könnte – wahrer Mensch –, übt heute zunächst keine starke, unmittelbare Anziehungskraft aus. Und selbst diejenigen Menschen, die früher noch als Vorbilder zahlloser junger Menschen galten, etwa Gandhi, Schweitzer oder Mandela, entlocken heute kaum jemandem mehr reale Bewunderung. Bewundert werden stattdessen die Stars der Musik-, Film- oder Sportszene, die im Mittelpunkt des medialen Rampenlichts stehen.

Die Sehnsucht der Seele nach Vorbildern, nach Menschen, die man bewundern kann, ist also ungebrochen – nur richtet sie sich immer weniger auf etwas Moralisches, auf Menschen, in denen ein Impuls zum Guten lebt, sondern immer mehr auf die bloße Berühmtheit an sich. Diejenigen Stars, die die Medien berühmt machen, die werden die Vorbilder. Die Medien bestimmen, wem die Seele nacheifert, wen sie bewundert. Glanz und Glamour, Berühmtheit und Presse-Hype, das sind die simplen Bedingungen, die dann die Seelen zahlloser Jugendlicher magisch anziehen...

Die Seele des jungen Menschen – aber auch des jung gebliebenen Menschen überhaupt – sucht und braucht Vorbilder, im Grunde Helden. Die modernen „Helden“ sind einfach Menschen, die es „geschafft“ haben: die berühmt geworden sind, erfolgreich sind, die bewundert werden, die alle Welt toll findet und die sich auf dieser großen Bühne des Medienrummels gekonnt bewegen. Menschen, die die besten Fußballer sind, die gut singen, die sich alles leisten können, die „cool“ sind. Es ist fast ein sich selbst nährender Kreislauf: Wen die Medien zum Star machen, der wird bewundert. Wer bewundert wird, wird bewundert... Ein Massenphänomen: Es brauchen nur erst einmal genügend viele Menschen gleichzeitig jemanden zu bewundern, so wird er eine Berühmtheit und zieht automatisch weitere Bewunderer an...

Die Suggestions- und Anziehungskraft der Berühmtheit an sich scheint also zunächst viel stärker als irgendein realer Inhalt, etwa eine besondere Moralität. Viel anziehender als das Moralische ist das „Coole“. Was berühmt ist, ist schon per se „cool“. Und auch, sich so gekonnt und furchtlos vor Millionenpublikum zu bewegen, ist „cool“. Wer berühmt ist, muss also „cool“ sein – sonst wäre er gar nicht berühmt geworden. Und es ist auch „cool“, diejenigen Stars toll zu finden, die alle toll finden. Wenn man davon abweicht, ist man ein Langweiler. Nur wenn man nicht abweicht, kann man außerdem mitreden – und mitreden können, dazugehören können, ist wiederum „cool“...

Hier wird ganz unmerklich ein ungeheurer Zwang ausgeübt. Jeder will dazugehören, also muss jeder die gleichen Stars toll finden – eben die, die berühmt sind.

Umgekehrt bedeutet dies: Wer den Rummel nicht mitmacht oder mitmachen will, weil er die Stars einfach nicht toll findet, der schließt sich selbst aus – und braucht eine gehörige Stärke, um dies durchzustehen. Er muss fähig sein, seinen eigenen Weg zu gehen, nur wenige Freunde zu haben, nicht Teil der großen Clique zu sein oder zumindest in dieser allenfalls eine Randfigur.

Das ist ein seltsames Phänomen: Die Stars werden gerade wegen ihrer angeblichen Stärke, ihres Erfolges und ihrer Coolness bewundert – aber diejenigen Jungen und Mädchen, die sich diesem Star-Rummel entziehen und ihre ganz eigenen, viel individuelleren Vorbilder haben, diese jungen Menschen brauchen selbst eine innere Kraft, die die übrige große Masse bei den Stars sucht, vermutet und bewundert.

Die Sehnsucht nach Vorbildern führt heute also zahllose Menschen zu den Medien-Stars, und wenn man diese bewundert, braucht man überhaupt keine innere Stärke, denn man gehört automatisch dazu – zu dem unüberschaubar großen Kreis derer, die dieselben Stars ebenfalls bewundern und sich täglich über sie unterhalten... Der Star-Rummel verhindert geradezu die Ausbildung individueller Charakterstärke, denn er gibt keinerlei Inhalt, nur Gesprächsstoff und das Dazugehören an sich, aber keinerlei moralische Substanz. Wenn man aber „dazugehört“, ist ein ganz wesentliches menschliches Grundbedürfnis bereits erfüllt – was will man mehr?

Annäherung an die Quelle der Sehnsucht

Die früheren „Stars“, die noch echte Vorbilder waren, gaben den Menschen ein Vorbild dafür, dass ein Mensch zu innerer Entwicklung fähig ist. Denn was sind Vorbilder? Es sind Menschen, die über das normale Maß hinausreichen, hinausgewachsen sind. Früher geschah dies innerlich, durch wirklichen Charakter und wirkliche moralische Impulse, die sich dann auch in äußeren Taten offenbarten. Heute besteht das Hinauswachsen über das normale Maß nicht mehr in moralischer Größe, sondern nur noch in Einschaltquoten und Bekanntheitsgrad. Alle Welt spricht über Justin Bieber, Taylor Swift oder Ribéry nicht deshalb, weil sie wegen ihrer Menschlichkeit herausragen, sondern weil sie berühmt sind. Selbst wenn Ribéry ein guter Fußballer ist – welche Rolle spielt das Treten eines Balles eigentlich für das menschliche Leben? Nicht diese Tret-Kunst ist wichtig, sondern die Berühmtheit, der Hype, der um den Fußball gemacht wird. Ein unbeachteter Hinterhof-Kicker würde selbst dann, wenn er doppelt so gut wäre wie Ribéry, für die meisten Jugendlichen nicht zum Vorbild werden, denn es geht nicht so sehr um die Fähigkeit an sich als vielmehr um die Berühmtheit...

Und doch ist die eigentliche Sehnsucht nach Vorbildern noch immer die gleiche. Sie ist von der Macht der Medien und der dahinter wirkenden Kräfte völlig vereinnahmt worden, aber die Quelle der Sehnsucht hat sich nicht verändert. Der eigentliche Quell selbst ist unantastbar, nur das, was diesem Quell entspringt, kann sofort nach dem Entspringen korrumpiert und dann auch in verschiedenste Richtungen gelenkt werden...

Selbst wenn fast völlig inhaltsfrei heute alles und jeder bewundert wird, der nur berühmt genug ist, und viele junge Menschen davon träumen, einmal ebenso berühmt zu werden, ist den jungen Menschen zumindest unbewusst doch völlig klar, dass zum Berühmtwerden auch ein entsprechendes Können gehört. Und sei es nur die Fähigkeit, es bis ganz nach oben überhaupt zu schaffen, auf sich aufmerksam zu machen und so weiter. Aber Ribéry ist ein toller Fußballer, und Taylor Swift kann gut singen. Man würde einen Star nicht toll finden, wenn man ihn nicht auch wirklich toll fände...

Dazu kommt dann noch das Aussehen. Natürlich wollen unzählige Mädchen so aussehen wie Taylor Swift – und auch das wiederum, die Wichtigkeit der äußeren Erscheinung, ist durch das Medien- und Werbe-Zeitalter unendlich verstärkt worden. Man bedenke nur einmal, wann in früheren Zeiten in der Kindheit oder Jugendzeit das wirkliche Achten auf Kleidung, die Kunst des Schminkens usw. begann und wann es heute beginnt...

Aber dieses Wissen bzw. das tiefe Vertrauen, dass zum Berühmtwerden dennoch ein echtes Können gehört, das liegt der Sehnsucht nach Vorbildern trotzdem zugrunde. Der junge Mensch schaut zu seinen Vorbildern auf, weil er das Gefühl hat und haben will und darf, dass diese Menschen etwas können. Und wenn er so werden will wie sie, dann heißt das, er will später auch einmal etwas können. Und in dieser Hinsicht sind das Singen, das Fußballspielen zwar hoch suggestive Beispiele, aber dennoch nur Beispiele. Je näher wir der Quelle dieser Sehnsucht nach Vorbildern kommen, desto mehr geht es um die reine, zunächst ganz inhaltslose menschliche Sehnsucht, etwas zu können. Es ist die reine Sehnsucht nach Entwicklung an sich, nach Entwicklung von Fähigkeiten, von Kraft, nach der Entwicklung des eigenen Wesens.

Der unantastbare Quell

Im Grunde ist die Sehnsucht nach Vorbildern zunächst eine Sehnsucht des eigentlichen Menschenwesens, sich ganz zu inkarnieren. Denn wie umfassend ist jedes einzelne, individuelle Menschenwesen – und wie viele, starke Hindernisse legen die Leiblichkeit und die Umwelt diesem Menschenwesen seiner vollen Inkarnation in den Weg! Die Menschwerdung selbst ist ein allergrößtes Abenteuer, und im Grunde muss jeder Mensch ein wirklicher Held sein, um diesen Weg weiter zu gehen, als es normalerweise geschieht... Erich Fromm schrieb einmal: „Die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, dass die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind.“

Die Sehnsucht nach Vorbildern ist also eine Suche nach Menschen, die einem, indem man zu ihnen aufschaut, die Kraft geben können, auch sich selbst immer weiter zu inkarnieren. Denn sehr oft wird es gar nicht darum gehen, Fähigkeiten zu entwickeln, die man in seinem wahren Wesen noch überhaupt nicht hätte – sondern darum, überhaupt erst einmal dasjenige zu verwirklichen, was man eigentlich aus früheren Leben und aus dem Vorgeburtlichen längst mitgebracht hat, was nun aber auch auf Erden erscheinen muss, zunächst die verschiedensten Hindernisse überwinden und durchbrechen muss, um sich offenbaren zu können...

Erst in zweiter Hinsicht sind Vorbilder dann auch solche menschlichen Gestalten, die etwas in sich tragen und verwirklicht haben, was das eigene Wesen noch überhaupt nicht verwirklicht hat, sondern nur als Sehnsucht in sich trägt und verwirklichen will, indem es in diesem Leben zum ersten Mal reale, ganz neue Schritte in diese Richtung setzt.

Im Menschenwesen gibt es einen unerschütterlichen Impuls, sich zu entwickeln. Früher war es noch unmittelbar deutlich, worum es bei diesem Impuls ging. Es war deutlich, dass man als Mensch nie an ein Ende damit kam, die eigene Menschlichkeit und das moralische Wesen zu entwickeln. Es gab immer Menschen, die durch ihr Sein und Leben der übrigen Menschheit zeigten, dass eine solche Entwicklung möglich ist und in der Seele unmittelbare Bewunderung aufruft.

Diese Zeit geht zuende. Das Menschliche, das vorbildhaft Menschliche scheint nicht mehr in großen Vorbildern wirksam zu werden. Die Vorbilder, denen heute die Massen-Aufmerksamkeit gilt, haben nichts an sich, was sie moralisch über die übrige Menschheit hinaushebt. Was heute die Aufmerksamkeit anzieht, ist nur noch die Berühmtheit, der Massen-Hype an sich – verbunden mit einem „Geschäft“ (wie Singen oder Fußball), das zunächst keinerlei moralische Komponente hat.

Dennoch behält natürlich auch das Moralische seine Wirksamkeit – da, wo es sich wirklich noch zeigt. Es zeigt sich vielleicht nicht mehr im Großen, und dennoch wird es seine Wirkung auch da nicht verfehlen, wo sein Träger ganz unbekannt bleibt. Diejenigen Eltern, die, auch durch ihre innere Moralität, wirklich gute Eltern sind, werden noch immer von ihren Kindern geliebt und geachtet. Diejenigen Lehrer, die eine wirkliche innere moralische Substanz haben, werden noch immer von ihren Schülern geliebt – und zwar sogar denn, wenn sie im Übrigen nicht besonders gute Lehrer sind! Kinder spüren es, wenn ihnen wirkliche Liebe und wirkliche Aufrichtigkeit begegnet. Dort, wo diese wichtigsten Kräfte der Menschlichkeit über den Durchschnitt hinausragen, werden sie noch immer unzweifelhaft bemerkt – und geliebt.

Das muss nicht immer heißen, dass Kinder und Jugendliche solche Menschen dann zu ihren „Vorbildern“ zählen – schon gar nicht bewusst. Aber diejenigen Menschen, die man wirklich liebt, sind in gewisser Weise doch immer schon Vorbilder für die Seele gerade eines noch jungen Menschen. Zunächst ist die besondere Menschlichkeit solcher Lehrer und Eltern, Verwandten, Trainer und so weiter nur eine reale Hülle für den jungen Menschen – doch unbewusst und vielleicht auch bewusst fühlt er in seiner umhüllten, genährten Seele: so möchte ich eigentlich auch einmal werden, so menschlich.

Und nehmen wir an, heutige Kinder und Jugendliche, die unter halbwegs heilen Verhältnissen aufgewachsen sind, würden zur Zeitenwende dem Menschensohn begegnet sein, von dem die Evangelien berichten, so würde diese Begegnung mit Sicherheit die tiefste Wirkung auf ihre Seelen gehabt haben...

Die Situation in einer verletzten Welt

Nun haben wir heute oftmals absolut keine auch nur halbwegs heilen Verhältnisse. Wir haben Familien und ganze Bereiche der Gesellschaft, in denen die Menschlichkeit immer mehr verlorengeht. Wir haben Depressionen, psychische Krankheiten, Alkoholismus, Drogensucht, wir haben eine Mechanisierung, Animalisierung und Vulgarisierung des Lebens und der Sprache, wir haben eine radikale Entfremdung des Menschen von seinem wahren Wesen.

Vor diesem Hintergrund muss man einen Film wie „Fack ju Göthe“ sehen. Er führt einen mitten hinein in ein Milieu, wo dieser Verlust jeglicher tieferer oder zarterer Wahrnehmungen, Empfindungen oder Gefühle zunächst absolut verlorengegangen ist. Als ihm eine Schar Schüler hinterherläuft, die ihn mit Fragen belagern, sagt Zeki nur zwei Worte: „Fresse jetzt!“ Im Theaterstück „Romeo und Julia“ hat der Klassenanführer „Danger“ keine anderen Worte für seine Geliebte als: „Julia, du Fotze, ich will ficken! Zack, zack, zeig mal Möpse!“ – Es ist klar, dass diese Sprache im Dienste der Komödie vielleicht übertrieben ist, aber man ahnt doch, dass die Wirklichkeit in manchen Hauptschulklassen und Brennpunktvierteln heute nicht mehr weit entfernt davon ist.

Und wenn Seelen solcher junger Menschen dann einem Menschen begegnen, in dem der Impuls zum Guten lebt – in dem Film in Gestalt der Referendarin Lisi Schnabelstedt –, dann ist die Distanz und Fremdheit so groß, dass es hier überhaupt keine Resonanz, kein Erkennen gibt. Die Referendarin macht sich einfach nur lächerlich... Das wäre schon in einer normalen Klasse die große Gefahr, in dieser Klasse 10b im Film konnte es von vornherein nur so kommen. Für diese Jugendlichen ist sie das Paradebeispiel des lächerlichen Erwachsenen.

Nun muss man sich aber einmal fragen, was solche Jugendlichen bis dahin durchgemacht haben. Und man muss sich klarmachen, dass auch diese jungen Menschen einmal als Babys geboren wurden, aus dem Vorgeburtlichen in die Erdenwelt; dass sie aus dieser vorgeburtlichen Welt reinste Impulse mitbrachten – und dann auf eine irdische Welt trafen, die diese Impulse (und vielleicht auch ihre kleinen Leiber) mit Füßen trat... Sie wuchsen in einer Welt auf, in der es keinerlei tiefen Gefühle gab – allenfalls sehr leibgebundene Empfindungen: sexuelle Gefühle, Ärger, Hass, Stress, Neid etc. –, auch keinerlei Sprache, die solchen zarteren Empfindungen Ausdruck verleihen könnte. Sie lernten solche Empfindungen in ihrer Außenwelt nicht kennen, sie wussten kaum, dass es solche gibt – und jedenfalls nicht, wie man sie selbst haben könnte...

Das ist dann eine Welt, in der die pure Leiblichkeit regiert: Instinkte, unmittelbare Emotionen, Reflexe, die Kraft und Macht des Stärkeren. Eine sozialdarwinistische Welt, das Gesetz des Dschungels. Die Welt der Cliquen und Banden, der Hackordnungen und des täglichen Sich-Beweisen-Müssens.

Man male sich dies alles sehr real aus – und stelle sich nun vor, wie eine idealistische Referendarin in die Klasse kommt... Es ist klar, dass sie nur zum Opfer werden kann. Endlich gibt es jemanden, der fraglos schwächer als alle anderen ist, mit dem man alles machen kann...

Vor diesem Hintergrund wird dann auch klar, was Zeki auszeichnet, der in die Rolle als Hilfslehrer nur hineingerutscht ist, ohne irgendeinen Anspruch an diesen Job zu haben, der für ihn zunächst nur ein notwendiges Übel ist. Zeki ist stärker als die großkotzigsten Anführer – er zeigt selbst diesen, „wo es lang geht“. Er will seine Ruhe haben – und er schafft sie sich. Aber auch: Er will den Schülern nichts beibringen, die ja ohnehin nicht lernen wollen. Er lässt also auch sie in Ruhe. All dies verschafft ihm höchste Anerkennung: Er ist wirklich der natürliche Leitwolf... Er ist absolut cool. Es ist ihm alles scheißegal – außer das, was ihn stört, und das ändert er dann. Mehr Coolness geht einfach nicht...

Zeki ist zunächst das Urbild des Egoisten: Er macht nur das, was er will, er setzt durch, was er braucht. In derjenigen Welt, in der die Jugendlichen aufgewachsen sind, macht ihn das nun gerade zu dem Vorbild schlechthin. So möchte ich auch werden! ruft es in den Seelen der jungen Menschen. Diese Stärke und Durchsetzungskraft möchte ich auch haben! Diese Ich-Kraft... Denn natürlich, gegen eine Referendarin können sie sich allemal durchsetzen, aber insgeheim wissen sie doch, dass sie zu den Verlierern dieser Gesellschaft gehören – wenn sie nicht noch eine Karriere als Drogendealer hinlegen... Aber wenn man so ist wie Zeki, dann, ja dann würde man alles schaffen, was man will...

In unserer sozialdarwinistischen Welt, in der es so sehr um die Selbstvermarktung geht, ist Zeki tatsächlich das Vorbild des erfolgreichen Kämpfers, der sich einfach durchsetzt. Und dies zeigt gleichzeitig, wieviel Zwängen die jungen Menschen sich tatsächlich ausgesetzt sehen, egal, wieviel Lehrer sie erfolgreich verschleißen können. Sie müssen trotz allem täglich in der Schule sitzen. Sie müssen trotz allem irgendwann ihr eigenes Geld verdienen – oder von Hartz IV abhängig sein. Sie wissen trotz allem nicht, woher sie in Zukunft ihre Selbstachtung bekommen sollen, wenn die Cliquen und Hackordnungen der Schulzeit sich auflösen...

Und sie haben trotz allem eine Sehnsucht nach Menschen, zu denen sie aufblicken können. Und dann kommt ein Zeki, der selbst für diese hartgesottenen Jugendlichen eine wirkliche Autorität ist...

Die andere Seite der Wirklichkeit

Zeki ist also beeindruckend, obwohl, ja sogar weil er geradezu das Gegenbild des Menschensohnes ist. Weil er keine Liebe zeigt, sondern Härte, keine Menschlichkeit, sondern Egoismus. Weil er sich auf diese Weise gegenüber jedem Achtung verschafft, sogar gegenüber jenen, die ebenfalls keine Menschlichkeit zeigen...

Und dennoch ist dies nur die halbe Wahrheit – und wäre es erschütternd, wenn dies schon die ganze Wahrheit wäre. Denn natürlich ist das Gegenbild des Menschensohnes nicht ein Zeki, sondern sind es Luzifer und Ahriman.

Das Verhalten und die Sprache Zekis hat zwar sehr viel von Ahriman – es ist die zutiefst ahrimanisierte, verhärtete, ganz und gar lieblos gewordene Sprache der heutigen Zeit in den sogenannten Brennpunktbezirken. Und dennoch kann man sehr genau empfinden, dass das Lieblose, Unmenschliche nicht absolut ist, sondern dass unter und hinter all diesen Brutalitäten dennoch eine Seele existiert, die eigentlich, ihrem tiefsten Wesen nach, eine ganz andere Sehnsucht hat. Jede einzelne Seele sucht eigentlich Liebe, Anerkennung, Verständnis – ein Zeki, ein Danger, eine Chantal...

Natürlich würden sie das zunächst reflexartig abstreiten, sie würden schon mit den Worten gar nichts anfangen können – allzu lange bestand ihr Leben aus Härte und aus Hart-sein-Müssen. Nicht einen Augenblick können sie den Schutz dieses Härte-Panzers aufgeben, ja, sie wüssten nicht einmal, wie das geht. Und dennoch lebt in ihrer Seele die Sehnsucht danach.

Hinter all dieser Härte schimmert absolut unscheinbar und fast unsichtbar und doch so sehr sichtbar die Menschlichkeit hindurch. Wenn man diese jungen Menschen sieht, sieht man unmittelbar, durch welche Erlebnisse hindurch sie so geworden sind, wie sie sind. Und selbst in den harten oder grell geschminkten Gesichtern sieht man noch immer menschliche Antlitze, sieht man Seelen, die schon unglaublich viel erleiden mussten, die in die Härte fliehen mussten, die aber noch immer einen weichen Kern haben, sogar wenn sie ihn selbst nicht einmal ahnen...

Und wenn Chantal wegen irgendetwas heult – schon das Noch-Weinen-Können ist zutiefst menschlich! – und Zeki nur cool sagt: „Chantal – heul leiser!“, so schimmert selbst da die Menschlichkeit hindurch. Es ist schwer zu erklären, woran man das festmacht. Es ist einfach deutlich, dass es so nicht ewig weitergehen kann. Dass diese Gefühlsabwesenheit einfach zu absurd ist. Dass Zeki sich dem auf Dauer nicht aussetzen kann, ohne doch von irgendetwas berührt zu werden. Und er wird berührt. In diesem Fall vor allem von der hoffnungslos naiven und gutmütigen Referendarin Lisi – und durch diese erste Berührung dann auch von den Jugendlichen selbst. Zum einen von deren wachsender Anhänglichkeit, da sie ihn als Anführer, als natürliche Autorität achten, zum anderen aber von einem Erleben ihres realen Wesens.

Zeki sieht auf einmal, dass es hier um Menschen geht – und er spürt den Impuls, diese nicht ihrem „natürlichen Schicksal“ zu überlassen. Er zeigt ihnen das reale Leben von Menschen auf der Verliererseite – von Drogensüchtigen, von völlig versumpften Sozialhilfe-Empfängern. Und indem er auf einmal wirklichen Kontakt mit seiner Umwelt aufnimmt, nicht nur aus sturem Eigennutz agiert, verwandelt er auch sich selbst grundlegend. Der einmal gekeimte Impuls ist nicht mehr aufzuhalten – auch Zeki entwickelt sich. Er beginnt langsam, sich in Lisi zu verlieben, auch wenn er diese Gefühle noch lange nicht zulassen kann. Er beginnt, „Die Räuber“ zu lesen, um als Lehrer darüber irgendetwas sagen zu können – etwas, was zu Beginn des Films noch absolut undenkbar gewesen wäre.

Diese Entwicklung an sich schien zunächst völlig undenkbar zu sein. Doch dass Zeki auch ein Mensch ist, das hat man von Anfang an gesehen, selbst in seiner coolsten, kältesten Sprache. Wenn er zu Beginn des Films seine „Freundin“ völlig genervt fragt: „Wieso vergräbst du das Scheißgeld denn bitte auf ner Baustelle?“, dann ist nicht in den Worten, aber hinter den Worten zu hören, dass hier noch immer nicht Ahriman, sondern ein Mensch spricht. Die Sprache wird ahrimanisiert, die Seele ist auch sehr hart geworden, aber den Kern der Seele hat Ahriman noch lange nicht erreicht...

Und wenn in einer Szene ein Schüler in einen Snack-Automaten eingeklemmt worden ist und Zeki kurz vor Unterrichtsbeginn nur völlig hartherzig dafür sorgt, dass er seinen Snack bekommt, ohne diesen Schüler aus seiner misslichen Lage zu befreien, dann könnte man meinen, dass hier nun wirklich alle Menschlichkeit verlorengegangen ist. Sie ist es in dieser Szene auch – und dennoch merkt man selbst hier, dass sie nicht grundsätzlich verlorengegangen ist. In dieser Szene ist der Junge hinter der Glasscheibe wirklich nur noch das Urbild eines Opfers – und es ist nicht Zekis Aufgabe, diesem Opfer jetzt und hier zu helfen. Er ist nur genervt, will seinen Snack und fertig. Jeder andere müsste diesem Jungen eher helfen als Zeki in dieser Szene. Wenn einer ihn einfach hinter der Glasscheibe lässt, dann er. Gerade durch die Extremität, die Absurdität der Szene hat Zeki wieder alle Sympathien – in dieser Szene kann man wirklich erleben, was es heißt, „cool“ zu sein, nur an sich zu denken! – Und doch spürt man auch hier, dass das nicht ewig so weitergehen kann. Der Film ist nicht darauf angelegt. Das ist nicht der ganze Zeki...

Das Wesen der Seele

Was also sagt uns dieser ganze Film über die heutigen Jugendlichen und ihre tiefere Seele?

In der Tiefe der Seele liegt noch immer die Sehnsucht, anerkannt zu werden, verstanden zu werden, geliebt zu werden. Die Sehnsucht danach, dass jemand an einen glaubt – an etwas in einem, an das man vielleicht längst selbst nicht mehr glaubt. Die Sehnsucht nach einem wirklichen menschlichen Miteinander; nach einer menschlichen Atmosphäre, in der dann auch Entwicklung etwas Selbstverständliches werden kann, eine selbstverständliche Sehnsucht, ein Glück...

Doch diese Sehnsucht ist tief verschüttet, tief verletzt, verwundet. Deswegen ist auch die andere Seite so stark geworden: Die Härte, die scheinbare (und wirkliche) Kälte, die Coolness, das Verstecken aller Schwächen, aller Bedürfnisse und Sehnsüchte. Deswegen hätte das reine Liebevolle zunächst kaum eine Chance – würde sie eher dem Impuls zum Opfer fallen, nun endlich auch einmal jemanden zum Opfer machen zu können, der Lächerlichkeit preisgeben zu können, selbst einmal stark zu sein, nicht nur gequält zu werden, sondern auch einmal quälen zu können. Vor allem hätte die „liebe Lehrerin“ zunächst keine Chance, denn diese jungen Menschen wissen ja zunächst gar nicht, warum sie überhaupt lernen sollen, empfinden zunächst auch gar keinen Willen dazu – alles was an sie herantritt, ist vorgegeben, nicht ihr eigener Impuls. Das Liebevolle müsste vor allem zunächst ganz und gar sie verstehen wollen, ohne irgendeinen pädagogischen Impuls zu verfolgen.

Und in gewisser Weise fühlen sie sich von Zeki mehr verstanden als von jedem anderen Lehrer. Denn gerade dadurch, dass er sich für die Schüler überhaupt nicht interessiert, fühlen sie sich ihm näher als allen anderen – denn sie wollen kein falsches „Interesse“ und sie selbst interessieren sich auch nicht für irgendeinen dieser Lehrer und dessen Fach. Zeki ist ihnen also in dem gegenseitigen Desinteresse sogar sehr nahe – und gerade dies legt den Grundstein für ihre Achtung... Zeki achtet sie überhaupt nicht, setzt sich nur durch, aber gerade das ringt ihnen Achtung ab und ist ihnen auch ein Zeichen für seine „Achtung“, denn er will zumindest nichts von ihnen...

Um die Seelen dieser Schüler zu erreichen, braucht es also zunächst eine unerschrockene Härte, wie Zeki sie hat. Es geht aber gerade nicht um den kalten Pädagogen, von denen es in den vergangenen Jahrzehnten genügend und viel zu viele gab, sondern um das Gegenteil: Zeki will in Ruhe gelassen werden – und er lässt dann auch die Schüler in Ruhe. Das ist der Grundstein der gegenseitigen Achtung – und auch der allmählichen gegenseitigen Zuwendung... Durch die Härte hindurch wächst dann ganz langsam das Interesse, das Berührtsein, die Liebe... Sie wächst durch ein schwer zu beschreibendes gegenseitiges Sich-Verstehen, eine Ähnlichkeit, eine Verwandtschaft in dem, was man durchgemacht hat, was man kennt an Tiefen und Finsternissen des menschlichen Lebens...

Zeki ist zunächst ein Vorbild in Coolness, in unerschütterlicher Selbstbezogenheit. Doch indem er so zu einem anerkannten „Lehrer“ wird, erwacht in ihm allmählich das Gefühl einer Verantwortung für die jungen Menschen, mit denen er täglich den Raum teilt. Egal, wie er in die Rolle des Hilfslehrers hereingerutscht ist, er ist nun Lehrer – und allmählich spürt er, dass das tatsächlich etwas bedeutet. Zeki wird menschlich – das, was in seiner Seele völlig unterdrückt war, aber dennoch da war, beginnt sich nun endlich zu entfalten. Zeki wird allmählich derjenige, der er wirklich ist ... und er hilft den Schülern, diejenigen zu werden, die sie wirklich sind.

Wie krass ein solcher Film auch ist – und wie sehr er von den meisten Menschen einfach nur als Komödie wahrgenommen werden wird –, er enthält doch ganz ausgesprochen das Geheimnis der Inkarnation. Und auch das einer wirklich tiefen Verwandlung.

Man erreicht die jungen Menschen weder mit einer abstrakten, „idealistischen“ Liebe, noch mit einer Strenge und Kälte, die zugleich behauptet, pädagogische Absichten zu haben. Man wird sie nur mit wirklicher Ich-Kraft erreichen. Man muss zuerst wirklich eine Individualität ausbilden. Zeki hatte dies viel stärker als die junge Referendarin – er war eins mit sich, seinen Impulsen und seinen Fähigkeiten. Er war absolut authentisch – und hat auch den Schülern die größtmögliche Freiheit gelassen und ihnen nichts aufgedrängt, dessen Sinn und Nutzen sie nicht verstanden. Später, als er dann selbst anfing, sich für „Die Räuber“ zu interessieren bzw. dies mit den Schülern zu behandeln, hatten die Schüler durch sein eigenes authentisches Beispiel und seine lebensnahen Exkursionen erlebt, warum Lernen wichtig ist. Und indem er ihr Lehrer blieb, konnten die Schüler dann auch allmählich Interesse und Begeisterung entwickeln.

Die Schüler suchen wirkliche Menschen, sie suchen wirkliche Begegnung und sie suchen wirklichen Sinn. Gerade in Zeki finden sie einen wirklichen, mit sich selbst ganz einigen, authentischen Menschen; gerade hier beginnt durch das Extrem der scheinbaren Nicht-Begegnung die wahre Begegnung, von Anfang an, wenn auch zunächst in „voller Härte“; und hier eröffnet sich für die Schüler auch erstmals wirklich der Sinn ihres Lebens, ihrer langen Schulzeit, deren Ende sie nun langsam entgegengehen.

Wenn man tiefer blickt und sich über diesen Film tiefer Gedanken macht, kann man an ihm viel, viel mehr lernen und erkennen, als die meisten der sieben Millionen Zuschauer je ahnen würden. So schockierend der Film zunächst sein mag, so macht er doch inmitten einer schockierenden Wirklichkeit gerade Hoffnung.