14.07.2015

Varoufakis spricht Klartext über Schäuble & Co.

Quelle: "Unsere Schlacht, Griechenland zu retten", vineyardsaker.de, 13.7.2015. Übersetzung des Interviews im New Statesman vom selben Tag. Hervorhebungen H.N.


Harry Lambert:
Und, wie fühlen Sie sich?

Yanis Varoufakis: Ich fühle mich an der Spitze der Welt – ich muss nicht mehr nach diesem hektischen Terminkalender leben, der völlig unmenschlich war, einfach unglaublich. Ich hatte fünf Monate lang zwei Stunden Schlaf täglich… Ich bin auch erleichtert, dass ich nicht länger diesen unglaublichen Druck aufrechterhalten muss, um um eine Position zu verhandeln, die zu verteidigen ich schwierig fände, selbst wenn es mir gelänge, die andere Seite zum Nachgeben zu zwingen, wenn Sie wissen, was ich meine.
[...] Wenn die „Mächte, die sind“ („“powers that be“ ist im Englischen ein feststehender Begriff, A.d.Ü.) direkt zu einem sprechen, und es ist, wie man es befürchtet hat – diese Lage war schlimmer, als man sich vorgestellt hat! [...]
Das völlig Fehlen diplomatischer Skrupel, auf Seiten der vermeintlichen Verteidiger der europäischen Demokratie. Das ziemlich klare Verständnis auf der anderen Seite, dass wir analytisch auf der selben Seite stehen – natürlich wird das jetzt nie herauskommen. [Und doch] wenn sehr mächtige Personen einem in die Augen schauen und sagen, „Sie haben Recht mit dem, was Sie sagen, aber wir werden Euch dennoch zerquetschen.“

HL: Sie haben gesagt, die Gläubiger hätten Sie abgelehnt, weil „ich es versuche und in der Eurogruppe von Wirtschaft rede, was niemand tut.“ Was passierte, als Sie es taten?

YV: Nicht, dass es nicht gut angekommen wäre – es gab schlicht eine völlige Weigerung, wirtschaftlich zu argumentieren. Völlig … Man bringt ein Argument vor, an dem man wirklich gearbeitet hat – um sicher zu sein, dass es logisch schlüssig ist – und dann schaut man in leere Gesichter. Es ist, als hätte man nichts gesagt. Was man sagt ist unabhängig von dem, was sie sagen. Man hätte ebenso gut die schwedische Nationalhymne singen können – das hätte die gleiche Antwort erhalten. Und das ist irritierend, für jemanden, der an akademische Debatten gewöhnt ist… Die andere Seite engagiert sich immer. Nun, da gab es gar kein Engagement. Es war noch nicht einmal Beleidigt sein, es war, als hätte niemand etwas gesagt.

HL: Als Sie das erste Mal ankamen, Anfang Februar, kann das noch keine einheitliche Position gewesen sein?

YV: Nun, es gab Leute, die auf einer persönlichen Ebene Sympathien hatten – also, wissen Sie, hinter verschlossenen Türen, auf einer informellen Basis, insbesondere vom IWF. [HL: „Von den höchsten Ebenen?“ YV: „Von den höchsten Ebenen, von den höchsten Ebenen.“] Aber dann, in der Eurogruppe, ein paar freundliche Worte, und das ist es, zurück hinter die Brüstung der offiziellen Version.
Aber Schäuble war durchweg stimmig. Seine Sicht war, „Ich diskutiere das Programm nicht – es wurde von der vorhergehenden Regierung akzeptiert, und wir können es unmöglich erlauben, dass Wahlen irgend etwas ändern. Denn wir haben die ganze Zeit Wahlen, es gibt 19 von uns, wenn immer bei einer Wahl sich etwas ändern würde, dann würden die Verträge zwischen uns nichts bedeuten.“
Also an diesem Punkt musste ich aufstehen und sagen, „Nun, vielleicht sollten wir einfach in den Schuldnerländern keine Wahlen mehr abhalten,“ und da gab es keine Antwort. Die einzige Deutung, die ich [ihrer Sicht] geben kann, ist, „Ja, das wäre eine gute Idee, aber schwierig umzusetzen. Also entweder Sie unterschreiben auf der gepunkteten Linie, oder Sie sind raus.“

HL: Und Merkel?

YV: Sie müssen verstehen, ich hatte nie irgend etwas mit Merkel zu tun, Finanzminister reden mit Finanzministern, Premierminister reden mit Kanzlern. Nach meinem Verstehen war sie sehr anders. Sie versuchte, den Premier [Tsipras] zu besänftigen – sie sagte, „wir finden eine Lösung, machen Sie sich keine Sorgen, ich werde nicht zulassen, dass etwas Hässliches passiert, machen Sie nur ihre Hausaufgaben und arbeiten mit den Institutionen, arbeiten mit der Troika; da kann keine Sackgasse sein.“
Das ist nicht, was ich von meinem Gegenstück gehört habe – sowohl vom Leiter der Eurogruppe wie von Dr. Schäuble, sie waren sehr deutlich. An einem Punkt wurde mir einstimmig gesagt: „Das ist ein Pferd, und entweder Sie steigen jetzt auf, oder es ist tot.“

HL: Wann genau war das?

YV: Am Anfang, gleich am Anfang. [Die erste Begegnung war Anfang Februar].

HL: Warum dann weiter herumtun bis in den Sommer?

YV: Nun, man hat keine Alternative. Unsere Regierung wurde mit dem Mandat, zu verhandeln, gewählt. Also war unser erster Auftrag, Raum und Zeit zu schaffen, um eine Verhandlung durchzuführen und zu einer anderen Übereinkunft zu kommen. Das war unser Auftrag – unser Auftrag war, zu verhandeln, nicht, uns mit unseren Gläubigern zu prügeln…
Die Verhandlungen brauchten ewig, weil die andere Seite sich weigerte, zu verhandeln. Sie bestanden auf einer „umfassenden Übereinkunft“, was heißt, sie wollten über Alles reden. Meine Deutung ist, wenn man über Alles reden will, dann will man über Nichts reden. Aber wir haben mitgespielt.
Und sehen Sie, es gab überhaupt keine Positionen, zu gar nichts, die sie vorbrachten. Sie würden… Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel. Sie würden sagen, wir brauchen alle Eure Daten über die Haushaltsentwicklung, die in Griechenland ist, wir brauchen alle Daten der Unternehmen in Staatsbesitz. Also verbrachten wir viel Zeit damit, ihnen all diese Daten zu beschaffen, und Fragebogen zu beantworten, und hatten ungezählte Treffen, um diese Daten zu beschaffen.
Also das war die erste Phase. Die zweite Phase war, als sie uns fragten, was wir mit der Mehrwertsteuer tun wollten. Dann würden sie unseren Vorschlag ablehnen, aber nicht mit einem eigenen Vorschlag kommen. Und dann, ehe wir eine Chance hatten, mit ihnen bezüglich der Mehrwertsteuer übereinzukommen, würden sie zu einem anderen Thema weitergehen, wie Privatisierung. Sie würden fragen, was wir bezüglich Privatisierung vorhätten, wir bringen etwas vor, sie weisen es zurück. Dann gehen sie weiter zu einem anderen Thema, wie den Renten, von da zum Markt für Produkte, von dort zu den Arbeitsverhältnissen, von Arbeitsverhältnissen zu allerlei anderem Zeug, ja? Also war das wie eine Katze, die ihren eigenen Schwanz jagt.

Wir fühlten, die Regierung fühlte, dass wir diesen Prozess nicht abbrechen konnten. Schauen Sie, mein Vorschlag von Anfang an war dieser: Dies ist ein Land, das auf Grund gelaufen ist, schon vor langer Zeit auf Grund gelaufen… Sicher müssen wir dieses Land reformieren – darüber waren wir uns einig. Weil Zeit bedeutend ist, und weil die Zentralbank während der Verhandlungen Druck auf die Liquidität ausübte [der griechischen Banken], um uns unter Druck zu setzen, damit wir unterliegen, war mein ständiger Vorschlag an die Troika sehr einfach: kommen wir über die drei oder vier wichtigen Reformen überein, über die wir übereinkommen können, wie das Steuersystem, die Mehrwertsteuer, und die sofort umsetzen. Und Sie nehmen die Liquiditätsbeschränkungen der EZB zurück. Sie wollen eine umfassende Übereinkunft – verhandeln wir weiter – und in der Zwischenzeit bringen wir die Reformen ins Parlament, bei denen wir uns einig sind.
Und sie sagten, „Nein, nein, nein, das muss eine umfassende Überprüfung sein. Nichts wird umgesetzt, wenn Sie es wagen, irgendwelche Gesetze auf den Weg zu bringen. Das wird als einseitige Handlung betrachtet werden, die sich feindselig gegen den Prozess richtet, zu einer Übereinkunft zu kommen.“ Und dann, einige Monate später, plaudern sie den Medien gegenüber aus, dass wir das Land nicht reformiert hätten, und dass wir Zeit vergeuden würden! Und so… [kichert] wurden wir in eine Falle gelockt, auf eine Weise, auf eine wichtige Weise.
Also zu dem Zeitpunkt, als die Liquidität fast völlig verschwand, und wir bankrott waren, oder fast bankrott, beim IWF, da brachten sie ihre Vorschläge ein, die völlig unmöglich waren… absolut nicht gangbar und giftig. Also sie verzögerten, und dann kamen sie mit einer Art von Vorschlag, wie man ihn einer anderen Seite präsentiert, wenn man keine Übereinkunft will.

HL: Haben Sie versucht, mit den Regierungen der anderen Schuldnerländer zusammenzuarbeiten?

YV: Die Antwort ist Nein, und der Grund dafür ist sehr einfach: von Anfang an machten gerade diese Länder es sehr klar, dass sie die energischsten Feinde unserer Regierung waren, gleich von Anfang an. Und der Grund dafür war, dass unser Erfolg ihr schlimmster Alptraum war: hätten wir es geschafft, für Griechenland einen besseren Deal zu verhandeln, dann hätte das sie natürlich politisch erledigt, sie müssten ihrem eigenen Volk antworten, warum sie nicht so verhandelt hätten, wie wir das taten.

HL: Und Zusammenarbeit mit Parteien, die sympathisieren, wie Podemos?

YV: Nicht wirklich. Ich meine, wir hatten immer eine gute Beziehung zu ihnen, aber da gab es nichts, was sie tun konnten – ihre Stimme würde nie in die Eurogruppe durchdringen. Und tatsächlich, je mehr sie zu unseren Gunsten sagten, was sie taten, desto feindseliger wurde der Finanzminister ihres Landes uns gegenüber.

HL: Und George Osborne? Wie war der Umgang mit ihm?

YV: Oh, sehr gut, sehr angenehm, hervorragend. Aber er ist draußen, er ist kein Teil der Eurogruppe. Ein paar Mal, als ich mit ihm gesprochen habe, konnte ich merken, dass er sehr viel Mitgefühl hatte. Und wirklich, wenn man sich den Telegraph ansieht, waren unsere größten Unterstützer die Tories! Wegen ihres Euroskeptizismus, ah… es ist nicht nur Euroskeptizismus; es ist eine Burkesche Sicht auf die Souveränität des Parlaments – in unserem Fall war es sehr klar, dass unser Parlament schlicht wie Müll behandelt wurde.

HL: Was ist das größte Problem mit der Funktionsweise der Eurogruppe?

YV: [Um ein Beispiel zu geben…] Es gab einen Augenblick, als der Präsident der Eurogruppe beschloss, gegen uns vorzugehen uns uns tatsächlich ausschloss, und es bekannt machte, dass Griechenland eigentlich auf dem Weg aus der Eurozone hinaus war… Es gibt die Sitte, dass Veröffentlichungen einstimmig sein müssen, und der Präsident kann nicht einfach ein Treffen der Eurozone einberufen und ein Mitgliedsland ausschließen. Und er sagte, „Oh, ich bin sicher, dass ich das tun kann.“ Für 5-10 Minuten wurde das Treffen unterbrochen, Angestellte, Funktionäre redeten miteinander, am Telefon, und irgendwann sprach mich ein Funktionär, irgendein Rechtsexperte, an, und sagte Folgendes, dass „nun, die Eurogruppe gibt es juristisch nicht, es gibt keinen Vertrag, der diese Gruppe einberufen hat.“
Also wir haben eine nicht existierende Gruppe, die die größte Macht hat, das Leben der Europäer zu bestimmen. Sie ist niemand Rechenschaft schuldig, da sie juristisch nicht existiert; es werden keine Aufzeichnungen erstellt; und sie ist vertraulich. Also kein Bürger weiß jemals, was dort drin gesagt wird… Das sind Entscheidungen über Leben und Tod, und kein Mitglied ist irgend jemand eine Antwort schuldig.

HL: Und diese Gruppe wird von der deutschen Haltung beherrscht?

YV: Ja, völlig und absolut. Nicht von Haltungen – vom deutschen Finanzminister. Es ist alles wie ein gut gestimmtes Orchester, und er ist der Dirigent. Alles passiert gestimmt. Es gibt Momente, in denen das Orchester verstimmt ist, aber er holt es zusammen und bringt es zurück auf Linie.

HL: Gibt es keine andere Macht innerhalb der Gruppe, können die Franzosen dieser Macht etwas entgegensetzen?

YV: Nur der französische Finanzminister hat Geräusche gemacht, die sich von der deutschen Linie unterschieden, und diese Geräusche waren sehr unauffällig. Man konnte fühlen, dass er sehr vorsichtig mit den Wörtern jonglierte, um nicht in Opposition gesehen zu werden. Und in der abschließenden Analyse, wenn Doc Schäuble antwortete und tatsächlich die offizielle Linie festlegte, dann gab der französische Finanzminister am Ende immer nach und akzeptierte es.

HL: Reden wir über Ihren theoretischen Hintergrund, und Ihren Text über Marx von 2013, in dem Sie schrieben:
„Ein griechischer oder portugiesischer oder italienischer Ausstieg aus der Eurozone würde bald zu einer Fragmentierung des europäischen Kapitalismus führen mit einer in einer starken Rezession steckenden Überflussregion östlich des Rheins und nördlich der Alpen, während der Rest von Europa sich im Griff einer unerträglichen Stagflation befände. Wer würde wohl von dieser Entwicklung profitieren? Eine progressive Linke, die wie ein Phönix aus der Asche der europäischen öffentlichen Institutionen steigt? Oder die Nazis der Goldenen Morgenröte, die verschiedenen NeofaschistInnen, die Xenophoben und die Kleinkriminellen? Ich zweifle keinen Augenblick daran, welches von den beiden Lagern am meisten vom Zerfall der Eurozone profitieren würde.“ (Zitat aus der Übersetzung der schweizer WOZ, A.d.Ü.)
….also würde ein Grexit unvermeidlich der Goldenen Morgenröte helfen, denken Sie das noch immer?

YV: Nun, sehen Sie, ich glaube nicht an deterministische Versionen der Geschichte. Syriza ist jetzt eine sehr dominante Kraft. Wenn es uns gelingt, aus diesem Durcheinander vereint herauszukommen, und eine Grexit gut durchzuführen … dann wäre es möglich, eine Alternative zu haben. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das handhaben könnten, denn es braucht eine Menge Fachwissen, um den Zusammenbruch einer Währungsunion zu managen, und ich bin mir nicht sicher, ob wir das hier in Griechenland ohne Hilfe von Außen haben.

[...]

HL: Wären Sie schockiert, wenn Tsipras zurückträte?

YV: Heutzutage schockiert mich nichts mehr – unsere Eurozone ist ein sehr feindseliger Ort für anständige Menschen. Es würde mich auch nicht schockieren, wenn er bleibt und ein sehr schlechtes Abkommen akzeptiert. Weil ich verstehen kann, dass er eine Verpflichtung den Menschen gegenüber fühlt, die ihn unterstützen, uns unterstützen, dieses Land nicht zu einem gescheiterten Staat werden zu lassen.
Aber ich werde meine eigene Sicht nicht verraten, die ich schon 2010 geschärft habe, dass dieses Land aufhören muss, weiterzuschieben und so zu tun, wir müssen aufhören, neue Kredite aufzunehmen und vorzugeben, dass wir das Problem gelöst haben, wenn es nicht stimmt; wenn wir unsere Schulden noch unhaltbarer gemacht haben, unter den Bedingungen weiterer Austerität, die die Wirtschaft noch weiter schrumpfen lässt; und die Last auf die Habenichtse abwälzt, eine humanitäre Krise auslöst. Das ist etwas, was ich nicht akzeptieren werde. Da werde ich nicht mitmachen.