19.12.2017

Vom Sinn des Leidens

Eine vorweihnachtliche Besinnung.


Inhalt
Das umfassende Wirken der Gegenmacht
Der heilende Impuls
Hingabe und Leiden
Das Mädchen
Der Anti-Mystizismus
Das Klare und das Heilige
Das Heilige und das Leiden


Das umfassende Wirken der Gegenmacht

Das niedere Ich des Menschen und der unverwandelte Teil der Seele wollen nicht leiden. Sie wollen genießen, herrschen, gestalten, verändern, urteilen, sie wollen ein in jeder Hinsicht angenehmes Leben haben und sich in die Welt heraussetzen, aber nicht leiden.

Luzifer erzieht die Seele dazu, sich zu wollen und sich als die wichtigste Person des Universums zu betrachten – und Ahriman erzieht sie dazu, dieses Programm kalt umzusetzen. Kalt bedeutet hier jene Rücksichtslosigkeit, die eben nicht reiner Selbstbezug ist, sondern wirklich auch verletzen will – mit sarkastischen Spitzen, mit herablassender Abwertung oder ,Deutung‘, mit Spott, mit ,gelangweilten‘ Kommentaren oder was auch immer. Ahriman entzieht der Umgebung ihr Wesen – bei Menschen also ihr Menschentum. So werden Menschen dann in den Augen der niederen, von Ahriman dominierten Seele, zu einer ,Lachnummer‘, zu dem ,Dümmsten, was einem je untergekommen ist‘, zu etwas, was ,mich und meinen Dackel erheitert‘ oder ähnlichem.

Der Unterschied etwa zu Nazi-Schergen, die ihre auch physischen Opfer noch kurz vor dem Tod verspottet haben, besteht eben nur darin, dass man so weit – bis ins Physische – nicht geht. Aber das Prinzip der Verhöhnung ist dasselbe – denn es ist derselbe Widersacher, der der Seele alle Wärme entzieht, um kalte Abwertung herauszusetzen. Wenn einem daran liegt, daran mitzuwirken, dass ,braunes Gedankengut‘ nicht immer weiter das Menschliche bedroht und untergräbt, sollte man das ,Wehret den Anfängen‘ ernst nehmen – so ernst, dass man bei sich anfängt und bereits dort die Anfänge wahrnimmt. Wie unendlich viel wäre gewonnen, an diesen Anfängen zu leiden! Und die Kälte der Gegenmacht zu erkennen!

Die Menschheit ist immer ein Ganzes. Wir haben nicht einfach eine erschreckende Zunahme ,braunen Gedankengutes‘ und ,brauner Empfindungsdumpfheit‘. Wir haben eine Kultur der Empfindungsdumpfheit – denn Luzifer und Ahriman marschieren. Der Tsunami der virtuellen Welt, aber auch der plastikdominierten materiellen Welt führt allein schon zu einem nie dagewesenen Ausmaß der Genussorientierung und der Atomisierung jeglichen ästhetischen Empfindens, damit aber zu einer nie dagewesenen Zersetzung des moralischen Empfindens überhaupt. Was soll denn das moralische Empfinden nähren und behüten, wenn die Seele von Pop-up-Fenstern, grellen Werbebotschaften und Plastikschund umgeben ist? Die massive Konzentration auf das immer seelenloser werdende Ego geht dann einher mit einer vorangaloppierenden Rücksichtslosigkeit.

Den Grund dafür aber legt der allgegenwärtige Materialismus und der Kapitalismus, erst recht in seiner heutigen Entfesselung. Der Egoismus ist das Grundprinzip des Kapitalismus – er wird nicht nur vorausgesetzt, er wird angestachelt und immer wieder massiv belohnt. Der ,gierige Manager‘ mag von einem Teil der Seele verachtet werden – er gilt aber wie so vieles andere noch immer als absolute Stütze des ganzen Systems. Niemand mag sich radikal von dem Irrsinn eines Systems verabschieden, das selbst radikal alles zur Ware, zur Zahl, zum Profit machen will...

Was ich damit sagen will: Jeder Einzelne ist Teil eines Stromes, der als Ganzes immer wieder vor der Gefahr einer Lähmung aller Empfindungen steht, weil das Prinzip dasjenige dieser Lähmung ist: die Förderung und Belohnung des Egoismus – und darüber hinaus die fortwährende Anstachelung der sogenannten ,Individualität‘, immer eng angeknüpft an Selbstbezug und Egoismus. Letztlich spiegelt sich auch dies dann in den Blogs einfach nur wieder. Das lässige, kalte, gelangweilte, despektierliche oder sonstwie ahrimanische Umgehen miteinander (und mit der eigenen Seele!) ist einfach die Folge des immer weiter fortwirkenden ahrimanischen Impulses, der immer mehr unsere ganze ,Kultur‘ prägt.

Der heilende Impuls

Es gibt nur eines, was die Kälte heilen kann – das Gegenteil. Man kann Kälte zwar mit Kälte abwehren – aber heilen kann man sie nicht. Früher wurde versucht, Kindern das ,Böse‘ auszuprügeln. Dass man es erst in sie hineinprügelte kann man wissen, wenn man beobachtet, was die eigene Seele in einem solchen Moment tut... Kälte nährt Kälte, Hass nährt Hass, es entsteht eine Gewohnheit, eine Kultur, ein habituelles System des Hasses, der Kälte. So grassiert dann auch bei den ,Egoisten‘ der Spott, das schnelle, verletzende Urteil, die von Verständnis-Unwille geprägte Übertreibung, das Abwertende und so weiter. Das alles sind immer Vorstufen zu noch Schlimmerem – und an Momenten der Eskalation zeigt sich selbst dieses.

Das Heilende ist die Gegenbewegung. Diese hat zunächst viel mit dem Leiden zu tun – mit dem Erleiden, dem Ertragen, aber nicht verbissen, sondern rein. Es ist eine wachsende seelische Bewegung, die auf das Urteilen und Zurückschlagen verzichtet und in eben diesem Maße immer aufrichtiger und reiner wahrnehmen kann. Wenn die Seele voller Spott sitzt, ist schon hier die reine Wahrnehmung völlig verhindert. Jeder Spott zeigt, dass die Seele noch voller rechthaberischer Brillen und kalter Impulse ist. Sie wird erst rein, wenn sie sich das größte Unrecht in einer Seelenruhe anhören kann, die nichts darüber aussagt, dass sie darunter nicht leidet, die aber dazu führt, dass keinerlei böser oder sonstiger Reflex sie in eine unmittelbare Reaktion treibt.

Das gerade ist es, was so oft mit dem spirituellen Begriff ,Gleichmut‘ gemeint ist. Gleichmut bedeutet nicht buddhistische Weltabgewandtheit, erst recht nicht eine solche des allwissenden ,Zuschauers‘ oder so etwas, sondern es kann zugleich tiefste Berührung in den wahren, reinen Seelentiefen bedeuten, während die von der Gefahr subjektiver Reiz-Reaktions-Schemata bedrohte Oberfläche der Seele vollkommen ruhig bleibt. In christlichem Sinne ist ,Gleichmut‘ kein Widerspruch zu tiefster Berührbarkeit, sondern fast ihre Voraussetzung.

Es ist dieser Gleichmut, der sogar bereit wäre, dem, der dich auf die rechte Wange geschlagen hat, auch die linke hinzuhalten. Es geht um eine seelische Kraft, die gerade auf alle äußere Kraft verzichtet. Aber es geht auch nicht um ,Abhärtung‘, im Gegenteil. Es geht um die Entwicklung einer Fähigkeit der Seele, die Welt, auch das Schmerzliche, immer tiefer in sich hineinzulassen.

Und die deutsche Sprache drückt dies wunderbar aus, in ganz vielen Worten. Es geht darum, nicht mehr zu verletzen, sondern die Seele verletzlich zu machen. Verwundbar. So empfindsam wie eine Wunde. Überhaupt erst einmal zu-gänglich, berührbar, dann aber auch in tiefstem Sinne. So berührbar, dass es wie eine Verwundung ist. Es geht hier nicht um subjektive Befindlichkeit, sondern um ihr völliges Gegenteil. Es geht um ein Hindurchbrechen zu jenen Seelentiefen, in denen noch die kleinste Berührung eine Art Verwundung ist – weil die Seele sich selbst so zart macht, dass sie ,spüren kann, was die Blume spürt‘ (Rilke). Auch Schönheit kann unendlich verwunden, wenn diese heilige Sphäre erreicht ist...

Dieser Weg ist nur möglich durch eine Liebe zur Hingabe, die im Grunde bereits eine tiefe Liebe zur Welt ist, denn warum sollte die Seele sich sonst hingeben, was doch gerade der Gegenpol zu dem tief in ihr sitzenden Selbstbezug ist? Von diesem befreit die Hingabe ja gerade – aber die gewöhnliche Seele will ja überhaupt nicht befreit werden. Sie empfindet ja keine Befreiung, sie empfindet Verlust, ,Selbstaufgabe‘ und so etwas. Dass in der Hingabe keine Selbstaufgabe lebt, sondern ein viel tieferes Finden eines viel heiligeren Selbst – das kann die ganz von Luzifer und Ahriman verwirrte und gehaltene Seele noch nicht spüren, oder selbst wenn sie es spürt, noch nicht ... wollen. Heilige Hingabe ist die Umkehrung des Willens...

Hingabe und Leiden

In der Hingabe aber wird die Seele ganz Leiden. Der gewöhnliche Begriff ,Leiden‘ ist viel zu subjektiv, immer schon mit dem Negativen schlechthin verknüpft. Aber der reine Begriff des Leidens kann zugleich größtes Glück sein – denn es geht nicht um das Gegensatzpaar von Glück und Leid, sondern von Tun und Leiden, genauer von Handeln und Empfangen. ,Tun und Leiden‘ sind zwei der Grundkategorien des Aristoteles. Das Leiden ist das Grundprinzip des Passiven (griech. pathein). Die ,Leidenschaft‘ ist deshalb passiv, weil die Seele von ihr ,ergriffen‘ wird. Vielleicht ergreift sie dann auch aktiv etwas, zuerst aber wird sie ergriffen.

In der Hingabe aber wird die Seele nicht vorab ergriffen, sondern sie übt eine ,Passivität‘ und ,Leidensfähigkeit‘, in der sie sich ergreifbar macht. Nur die hingebungsvolle Seele kann Ergreifendes wirklich erleben – die andere Seele bleibt kalt oder kühl, jedenfalls lau. Die hingebungsvolle Seele macht sich verletzlich, und selbst die kleinste Schönheit kann sie ergreifen. Es geht um eine immer tiefere Empfindungsfähigkeit. Es ist der reine Gegenimpuls zu Ahriman – aber auch zu Luzifer. Sie Sanftheit der Seelenempfindungen bekämpft Ahriman, die völlige Umkehr des Selbstbezuges in der Hingabe bekämpft Luzifer. Und in dieser Sphäre kann von Kampf keine Rede mehr sein. Die Widersacher kämpfen darum, dass die Seele diese Bewegung nicht macht. In der Seele aber, die diese Bewegung Leben werden lässt, werden die Gegenmächte geheilt...

Die moderne Seele aber leidet nicht – nie in diesem Sinne. Überall flieht sie vor dem Leiden in die Reaktion. Sie leidet auch dann, aber sie flieht in eine Gegenbewegung: in Empörung, in reaktives Handeln, in Verdrängung, in Rationalisierung, in Ablenkung, in Abwertung, in Langeweile und, und, und. Unzählige Auswege nutzt sie, aber nie bleibt sie in der reinen Hingabe, um das, dem sie ausgesetzt ist und was sie umgibt, erst einmal wahrhaft zu er-leiden... Still an der Oberfläche, hingegeben in den Tiefen...

In dieser Sphäre, wo das Leiden lebt, das willentliche Er-leiden, in dieser Sphäre, wo erst die Hingabe lebt, da ist auch erst die wirkliche Liebe zu finden. Es ist ja die bewusste, heilige Bewegung des ,Nicht-Ich‘ und damit die Urbewegung der Liebe überhaupt. Um die Liebe zu finden, müssen die Gegenmächte wirklich restlos überwunden werden – und das werden sie in dieser Bewegung. So ist der Weg des Leidens, der ,Leidens-Weg‘ auf geheimnisvolle Weise der aktivste Weg überhaupt, denn die Seele überwindet die zweitstärkste Macht im Kosmos (die Gegenmächte), um die stärkste zu finden... Es ist im Grunde die Geschichte von Christophorus.

Der Teufel wird nicht überwunden, indem man sich stärker macht als er – sondern gerade schwächer, unendlich viel schwächer. Bis dahin hat man immer auf seine ,Stärke‘ gesetzt, nichts ahnend, dass diese ganz wesentlich auf Luzifer (gewöhnlicher Ich-Impuls) und Ahriman (Härte, Unempfindlichkeit) beruhte. Nun reißt man diese ganzen Mauern ein, um ganz und gar verletzlich zu werden, reine Seele, und man findet die einzige Macht im Kosmos, die die Gegenmächte besiegen kann – durch Wandlung und Heilung, durch das, was sie selbst ist: reine Liebe...

Das Mädchen

Es mag jetzt vielleicht deutlich sein, wie sehr das Mädchen eine reine Trägerin dieser sanften Macht ist. Nach wie vor meine ich nicht die Mädchen, die, ähnlich wie die Jungen, Opfer der Gegenmächte werden, sondern die heilige Gestalt und das heilige Wesen des Mädchens.

Darüber zu spotten, ist ja unendlich leicht, billige Selbstbestätigung der eigenen Bosheit. Es ist auch leicht, darauf hinzuweisen, dass das aber nun einmal keine Realität sei, ja sogar, dass der Durchgang durch die ,okkulte Gefangenschaft‘ notwendig sei, um ,eigenständig‘ zu werden. Man sollte sich bei alledem immer fragen, wie sehr man dabei eigenen unhinterfragten Vorstellungen aufsitzt – oder eben wiederum nur der einem innewohnenden Spottlust. Denn die Gefangenschaft der Seele ist ja eine Realität – und die Frage ist doch nur noch, wer oder was die Seele daraus erretten kann. Das Mädchen kann dies – egal wie man über es selbst oder seine Existenz denkt. Den Spötter allerdings kann auch das Mädchen nicht retten. Was also überhaupt?

Die eigenen Vorstellungen von spiritueller Entwicklung? Aber was nützen diese, wenn eine solche nicht dazu führt, dass allmählich aller Spott schweigt, alle Gehässigkeit schwindet und alles Abfällige ruht? Das Gegenteil ist doch immer wieder nur ein Beweis dafür, dass eine spirituelle Entwicklung gar nicht stattfindet! Und auf das Mädchen bezogen, bedeutet dies: Eine spirituelle Entwicklung, wenn sie wirklich stattfindet, würde auch das Mädchen immer tiefer verstehen – sein wahres Wesen und seine Bedeutung.

Es gibt unzählige Literatur, Filme, die mehr oder weniger sein Geheimnis zum Inhalt haben, so gesehen ist es ein vollkommen ,offenbares Geheimnis‘ – und doch ist die ganze Welt nicht bereit, es zur Kenntnis zu nehmen, weil ihr gerade die Hingabe fehlt. Wie aber kann man ohne Hingabe ein Geheimnis empfinden? Goethe gab sich der Pflanzenwelt hin, um das Geheimnis der Urpflanze zu finden. Und so ist es immer. Alles Wesenhafte kann nur in der Hingabe gefunden werden.

Der Anti-Mystizismus

Bei den „Egoisten“ heißt es in einem Kommentar des Blog-Betreibers:

Michael Eggert – 18.12.2017 22:26
Das Sophien- Erlebnis der heutigen Zeit ist in der meditativen Praxis naheliegend- als transparente, zusammen gefasste Seele- transparent nicht moralisierend gemeint, sondern als durch sich erhellend, Verständnis fördernd. Der Zusammenklang zwischen eigener Hingabe und dem Aufgehen in eine natürliche Umgebung reiner Hingabe ist bald entdeckt. Dann wird es schwierig, noch von eigener Empfindung zu sprechen. Man bewegt sich in Wissen, Verständnis und belebenden, aufbauenden Strömungen. Es ist aber zugleich Erfahrung der eigenen Mitte. Die vollkommene Selbstaufgabe bildet gerade die Person. Man kann diese Grunderfahrung imaginieren, personifizieren, vergöttlichen, usw. Man kann es auch als eine Verbindung mit dem Strom verstehen, eine technische Ausgangslage, ein Basislager. Aber es ist zweifelsohne die Grundlage der Sophia.

Hier kommt das Mädchen nicht vor. Allerdings bezieht er sich auf einen vorherigen Kommentar, wonach meine ,Mädchen-Theorie‘ eine ,Reflexion der orthodox-russischen Sophia-Gestalt, die personifizierte Weisheit, die Tugend der gereinigten Seele und das weibliche Gegenstück des Logos‘ sei.

Darauf möchte ich hier nicht weiter eingehen – man sollte mir aber doch zugestehen, dass ich nach ebenfalls über zwei Jahrzehnten währender Beschäftigung mit der Anthroposophie auch ein wenig weiß, wer oder was Sophia ist ... und dass ich nicht einfach dazu kommen würde, Sophia nun das Mädchen zu nennen!

Was ich an dieser Stelle nur anmerken möchte, ist die Tendenz, die Eggerts Kommentar hat. Es wird absolut nicht deutlich, was für ihn Sophia nun ist oder nicht ist. Was aber eine Tendenz ist, ist die Darstellung des ,Sophien-Erlebnis‘ als eine bloß eigene Erfahrung. Das ,Imaginieren, Personifizieren, Vergöttlichen‘ erscheint als ein subjektiver Schritt, der gar nicht mehr notwendig ist, wenn man in die Lage kommt, die ,Prozesse‘ einfach so, wie sie sind, zu beobachten. Und in diese Lage kommt man, wenn man ein gleichsam kühl wissenschaftlicher Forscher wird, der registriert, was zu registrieren ist: eine ,Verbindung mit dem Strom‘, das Hingabe-Erlebnis als ,technische Ausgangslage‘, als ,Basislager‘ für die weiteren spirituellen Erfahrungen.

Auch auf spirituellem Gebiet lassen sich Wahrheiten ja nicht beweisen. Aber mir scheint, dass hier schon die Sprache beweist, was vorliegt. Natürlich hat Eggert eine Vorliebe für technische Ausdrücke, weil er eine Abneigung gegen jeden Mystizismus hat. Wenn die sachliche Sprache aber so weit geht, dann bewirkt dies, dass sie eine ahrimanische Prägung erhält. Eggert mag dies lächerlich finden, aber er hat dafür kein Empfinden, weil er ja mit dieser Sprache eins ist – da er sie benutzt. Es geht nicht darum, dass ,ahrimanisch‘ ein Kampfbegriff ist – er soll hier ebenso nur rein beschreiben, wie Eggert ,rein beschreiben‘ will. Seine Beschreibung ist bereits ahrimanisch, das will ich sagen. Es liegt in Ahrimans Interesse, dass die spirituellen Erfahrungen diesen Charakter annehmen. Es liegt auch in seinem Interesse, dass das Wesenhafte hinter diesen Erfahrungen niemals sichtbar werden darf – und dass das ,Personifzieren‘ und ,Imaginieren‘ selbstverständlich immer subjektiv ist. Dass es also niemals etwas Anderes geben kann, was sich in eine Imagination kleidet, weil die Seele reif genug geworden ist, ihm zu begegnen.

Wieder haben wir hier eine Art Gegenüberstehen von Nominalisten und Realisten – in diesem Fall sind die Nominalisten diejenigen, die an etwas Wesenhaftes jenseits der eigenen Wahrnehmungen nicht glauben, denen es vollkommen genügt, etwas ganz unpersönlich, ja sogar technisch auszudrücken und wahrzunehmen. Jede andere Art der Wahrnehmung wird – zumindest subtil – als ,unreifer‘ hingestellt.

Aber es ist ebenso möglich, dass eine Erfahrung vorschnell ,personifiziert‘ wird, wie es möglich ist, dass eine Erfahrung partout ,versachlicht‘wird. Im ersten Fall wirkt vielleicht die Sehnsucht nach einem Gegenüber (als Spiegelbild des eigenen Selbst – Luzifer), im zweiten Fall vielleicht die Sehnsucht Ahrimans, einen Gegenüber niemals wirklich finden zu lassen. Es gibt eben nicht nur einen Mystizismus, der einem etwas vorgaukeln kann, sondern auch einen Anti-Mystizismus, der ein wahres Erleben verhindern kann. So kann man zum Opfer derjenigen Gefahr werden, die man flieht – indem man zu sehr ins Gegenteil verfällt.

Das Klare und das Heilige

Es ist offenbar eine ganz wesentliche Frage, wie sich ,Wissenschaft‘ und ,Schulungsweg‘ miteinander vereinen lassen.

Aber der ,Schulungsweg‘ ist nun einmal auch ein ,Läuterungsweg‘ – es sei denn, man wäre der Meinung, mit rein technisch-kühlen ,Seelenverrichtungen‘ und ,Übungen‘ zu einem Erkennen der höheren Welten zu kommen. Wenn man der Meinung ist, dass es höhere Wesenheiten gar nicht gibt, liegt diese andere Meinung ebenfalls nahe. Denn was soll dann noch alles ,Heilige‘, wenn ich als Mensch eh mit mir allein bin – und allenfalls irgendwann das ,All-Eine‘ finde, aber eben nie etwas dazwischen?

Aber hier, in dieser Auffassung und Erlebensweise, wirkt eben immer schon die Gegenmacht mit – Luzifer in dem Selbstherrlichen und Selbst-Einzigen, Ahriman in der Ablähmung aller Zwischentöne. Und indem man sich auf seine nüchterne Wissenschaftlichkeit noch etwas einbilden kann, ist es wiederum Luzifer. Indem man die ,Heiligen-Anbeter‘ lächerlich machen kann, ist es wiederum Ahriman...

Der Läuterungsweg könnte von diesen Gegenmächten wirklich heilen. Rudolf Steiner betont bereits als Beginn dieses Weges die Devotion. Sie heilt von der Selbstsucht, aber sie kann in den Mystizismus führen. Umgekehrt die ,Philosophie der Freiheit‘ – sie heilt vom Mystizismus, aber sie kann in allzu große Nüchternheit führen, die wiederum ganz in die Irre leitet. Und so bekämpfen sich seit jeher die ,Mystiker‘ und die ,Rationalisten‘.

Wie aber sind Klarheit und Tiefe miteinander vereinbar? Wie ist es möglich, dass die Klarheit nicht die Tiefe verhindert – und die Tiefe nicht die Klarheit?

Mir scheint, dass der Weg der Klarheit in eine reine, tiefe Fähigkeit hineinführen muss, immer reiner die Erkenntnisfähigkeit zu realisieren, Begriffe zu erleben und miteinander zu verbinden, wobei zugleich eine immer tiefere Wahrheitsliebe wachsen muss. Der Weg der Klarheit führt hinein in eine heilige Kunst des Denkens... Der Weg der Vertiefung kann dagegen von der Vertiefung der Empfindungen nicht absehen, auch nicht von Empfindungen wie der Devotion, der Ehrfurcht, mit denen dieser Weg beginnt. Aber indem das Geheimnis der Hingabe gefunden wird, entfalten die sich vertiefenden Empfindungen zugleich eine immer größere Klarheit – auch sie werden nicht nur immer tiefer, sondern auch immer wahrer. Der Weg der ,Philosophie der Freiheit‘ ist vor allem ein solcher der Läuterung des Ätherischen (mit dem dann gedacht wird). Der Weg von ,Wie erlangt man...‘ ist ein Weg der Läuterung des Astralischen.

Man entgeht sowohl der ahrimanischen Nüchternheit als auch dem luziferischen Mystizismus, wenn ein heiliges Empfinden sich mit einem heiligen Denken verbindet – und das Denken den Empfindungen Licht gibt und die Empfindungen dem Denken Wärme geben... So bekommen die Empfindungen eine heilige Klarheit, das Denken aber bekommt heilige Tiefe...

Das Heilige selbst aber darf einen dann nicht mehr stören, denn dies, dieses Heilige, ist die Essenz der Anthroposophie – die Essenz der Sophia und die Essenz des Anthropos...

Das Heilige und das Leiden

Auch dieser Weg hat mit dem wahren Begriff des Leidens unendlich viel zu tun. In der Läuterung des Denkens muss ich eine tiefe Aktivität entfalten – und zugleich liegt die Wahrheitsliebe und die Aufrichtigkeit der Gedankenbildung gerade darin, dass ich die Erkenntnis, das wahre Zusammenfügen von Begriffen (statt eigener Urteile und gewollter, erzwungener Assoziationen, Deutungen, Zusammenhänge) erleiden muss. Selbstloses Loslassen aller Lieblingsurteile, ja, zunächst überhaupt aller Urteile gehört dazu, und das umfasst unsagbar viel.

In der Läuterung des Astralischen ist der Weg des Leidens noch unmittelbarer deutlich. Dort geht es von Anfang an um die Hingabe, um das tiefe Mitleben mit der Welt, um ein Schweigenlassen alles Selbstbezogenen und um jenes sich vertiefende Verwundbarwerden, das diese Umkehrung des Willens ist.

Dieser doppelte Weg ist heilig, weil hier alles Unheilige überwunden werden kann. Wenn er wirklich immer weiter gegangen wird, kommt das Heilige des Menschenwesens immer mehr zum Vorschein – und man kann dieses nicht groß genug denken. Jede Beschränkung ist noch immer Beschränkung der eigenen Denk-, Empfindens- und Willensfähigkeiten, ist immer noch Nüchternheit des Widersachers. Und bei dieser Befreiung von Ahriman ist es nicht Luzifer, der hoch hinaus will, sondern Luzifer will immer nur selbstbezogen hoch hinaus. Wenn aber die Demut und die Devotion dabei sind, kann Luzifer gar nicht mehr mitwirken – dann will nur noch das wahrhaft Heilige sich befreien, befreit werden. Und das muss man wollen. Dazu gehört auch Mut, vor allem für sehr von Ahriman gehaltene Seelen. Man darf den Mystizismus nicht fürchten, wenn es längst darum geht, die Früchte der wahren Mystik für den heiligen Weg zu benötigen. Man darf vor dem Heiligen keine Angst haben.

Wer hat diesen Mut – in heiliger Demut zu stehen vor dem Menschensohn...?

Aber zunächst und gerade in dieser Zeit: Wer hat den Mut, zu knien vor dem Kinde...?