2018
Die Bayern und das Mädchen
Der wackelnde Feudalismus.
Inhalt
Söders feudales Denken
Eine uneheliche Tochter
Reaktionär rechtslastig
Das Mädchen
Söders feudales Denken
In einer neuen Umfrage kurz vor der bayerischen Landtagswahl ist die CSU in der Umfrage des ARD-„Bayerntrend“ für die Tagesthemen auf nur noch 33 % der Wählerstimmen gesunken – weniger denn je. Es folgen die Grünen (18 %), SPD und Freie Wähler (je 11 %), AfD (10 %), FDP (6 %) und DIE LINKE (4,5 %). Über 70 % der Befragten meinen, eine Koalitionsregierung wäre besser für Bayern.
Doch wie regiert Ministerpräsident Söder – Ministerpräsident einer Partei, die seit Jahrzehnten das Alleinregieren gewöhnt ist? Er warnte am 4. Oktober vor einer „völlig instabilen Regierung“ einer „Regenbogenkoalition gegen die CSU“ – und sagte gar, dass die Demokratie in Bayern „zu wackeln beginnt“ [o].
Das ist entlarvend für den politischen Führer einer Partei, die sich an feudalistische Verhältnisse geradezu gewöhnt hat: Wenn die CSU nicht mehr Alleinführerin ist, beginnt die Demokratie zu wackeln. In jenem historischen Augenblick, in dem Demokratie im Sinne wechselnder Koalitionsmöglichkeiten und Machtverhältnisse zum ersten Mal konkret denkbar wird, sieht Söder sie gerade am wackeln. Weil er seine Feudalpartei nicht nur mit Wohlstand und Stabilität, sondern sogar mit der Demokratie selbst gleichsetzt!
Nun, wo Bayerns Menschen einen Punkt erreicht haben, wo mehr als je zuvor mit der erzkonservativen und erzkatholischen Regierung unzufrieden sind, sieht eben diese Regierung die Demokratie wackeln. Besser könnte man das feudalistische Denken dieser Regierung nicht einfangen.
Das Denken, das in den Worten Söders so deutlich zum Ausdruck kommt, ist ein zutiefst patriarchalisches und paternalistisches. Die CSU als Inbegriff etablierten Führertums für die Wählerschäfchen und für Bayerns Stabilität und „Erfolgsweg“ (O-Ton Söder) überhaupt.
Eine uneheliche Tochter
Völlig vereinbar mit einer solchen Einstellung ist auch eine andere Geschichte, die im erzkatholischen Bayern eigentlich eine Unmöglichkeit sein müsste, jedoch sehr gut zum Paternalismus passt, der so sehr die CSU-Seele prägt.
Seit 1991 hatte Söder eine langjährige „lockere“ Beziehung zu einer jungen Frau, die er in einem Sonnenstudio kennenlernte, weil diese dort damals angestellt war. Sieben Jahre später, Ende 1998, ging aus dieser Beziehung ein Kind hervor – ein Mädchen, Gloria Sophie, das Söder jedoch nie gewollt hatte. Er war sowieso gerade dabei, „eine neue, feste Beziehung aufzubauen“. Im Jahr darauf heiratete er nicht die arme Frau aus dem Sonnenstudio, Mutter seines Kindes, sondern die Tochter eines reichen Nürnberger Bauunternehmers [o].
2007 erschien ein Interview, in dem die Mutter des mittlerweile achtjährigen Mädchens, sagte, dass sie sich auch etwas anderes gewünscht hätte – berufliche Entwicklung oder aber Familie –, sie nun aber stattdessen alleinerziehend sei und wie unzählige andere alleinerziehende Mütter noch dazu irgendwie den Lebensunterhalt verdienen müsse. Ihre Tochter dürfe den Vater nur stundenweise sehen, habe ein großes Mitteilungsbedürfnis und sehne sich nach Beachtung [o].
Söder ist dies egal. Er hatte eine jahrelange Beziehung mit einer Frau, hat sie mit einem für ihn ungewollten, unehelichen Kind sitzen lassen – und daraufhin eine ihm genehmere Frau geheiratet. Erst zwei Wochen nach der Geburt des Mädchens kam Söder überhaupt wieder vorbei. Und auch später sah er sie nur alle drei, vier Monate einmal – obwohl die Södersche Villa nur zwanzig Minuten entfernt von der Wohnung der alleinerziehenden Mutter und des Mädchens lag. Trotzdem heuchelte er etwa 2010, er habe sich „von Anfang an“ auch zu Gloria „bekannt“ und „liebe sie genauso“ wie seine anderen Kinder [o]. Die Tatsachen sprachen eine völlig andere Sprache.
Reaktionär rechtslastig
Es geht nicht um die mittlerweile erwachsene Tochter Söders, die sicher irgendwann einmal ihre Sicht der Dinge darstellen wird – oder auch nicht. Es geht um das Prinzipielle. Wie heuchlerisch und abgehoben von jeder Wirklichkeit muss ein Denken sein, dass die „Demokratie wackeln“ sieht, wenn die selbstherrliche Eigenherrschaft bedroht ist? Wie heuchlerisch und abgehoben muss es sein, wenn man behauptet, man liebe eine Tochter, die man mit ihrer Mutter sitzenließ und danach nur alle paar Monate kurz sieht?
Die Selbstüberschätzung und den ganzen Narzissmus, der dahintersteht, macht eindrücklich ein Logo der Jungen Union sichtbar, in dem Söder als Weltraumkommandant einer fiktiven „Bavaria One“ erscheint [o]. Die Entlarvung des eigentlichen Inneren wirkt wie eine erschütternde Realsatire.
Söder steht jedoch als typisches Exemplar stellvertretend für eine ganze Epoche der Selbstdarstellung und Selbstüberhebung. Es ist kein Wunder, dass die CSU wie die SPD sich im Fall befindet. Die Menschen haben genug von paternalistischer Selbstdarstellung und Heuchelei, von Oberfläche und leerem Palaver. Sie durchschauen die Lüge und die Leere immer mehr.
Doch nicht genug damit – Söder ist offen gegen den rechten Rand. Denn laut „Bild“ lautet das Zitat über die wackelnde Demokratie folgendermaßen:
„Ich glaube, dass auch die bayerische Demokratie zu wackeln beginnt. Es ist ja nicht nur die AfD. Wenn eine Linkspartei kurz davor steht, in den Landtag einzuziehen, das hätte Franz-Josef Strauß sehr betroffen gemacht, wenn die Honeckers einziehen!“ [o]
Was sagt uns dies? Zunächst das scheinheilige Sich-Verstecken hinter der paternalistischen Figur überhaupt, dem Ur-Bayern, Franz-Josef Strauß. Söder besitzt nicht einmal genug Rückgrat, Meinungen ohne Rückgriff auf den politischen Erzvater zu äußern – er will die Leser und Hörer mit politischer Hörigkeit gegenüber dem Urgestein vereinnahmen.
Zweitens das in einem Quasi-Nebensatz völlige Übergehen der AfD: „Es ist ja nicht nur die AfD.“ Das war alles – danach kommt nichts mehr. Das Problem AfD liegt nur in diesem Satz. Für Söder ist es kein wirkliches Problem. Eine künftige Koalition CSU-AfD ist hier bereits angedacht, ja ausgesprochen. Das Signal an die Wähler ist klar: „Ich muss das im Moment noch so sagen, aber ihr hört, was ich meine.“
Und dann der eigentliche, einzige Schlag – gegen die LINKE. Gegen eine LINKE, die längst für das kämpft, wofür die Sozialdemokratie ganz früher einmal gekämpft hat. Die sich selbst in der linkesten Politikerin, Sahra Wagenknecht, schon vor unzähligen Jahren vom Honecker’schen SED-tum verabschiedet hat. Eine LINKE, die für soziale Gerechtigkeit kämpft – anstelle einer neofeudalistischen Gesellschaftsordnung, in der die etablierten Reichen immer reicher werden, während für den großen Rest der Kuchen immer kleiner wird und nur ab und zu einmal politische Feigenblätter medial groß aufgemacht behaupten, man würde sich um diesen immer mehr abgehängten großen Rest „kümmern“. Eine LINKE, die sich in Wahrheit für diesen großen Rest einsetzt – während allen anderen Parteien der politische Mut fehlt, die Dinge beim Namen zu nennen und sich an die großen Vermögen und völlig unberechtigten Spitzeneinkommen heranzuwagen, die in keinem Verhältnis zur „Leistung“ der entsprechenden Profiteure stehen.
Gegen diese LINKE, die also den Gegenpol seiner feudalistischen CSU darstellt, wendet Söder sich mit aller Macht seiner Worte, einschließlich der Macht seines zu Hilfe gerufenen politischen Erzvaters, und malt ein angebliches Schreckgespenst an die Wand: Wenn die Linkspartei „kurz davor steht, in den Landtag einzuziehen“. Die Honeckers! Nein. Die LINKE heute, das war Willy Brandt gestern. Söder kämpft mit der Lüge gegen den eigentlichen politischen Gegner, und er weiß es. Während er die AfD geradezu hofiert, indem er sie, entsprechend zu seinem Verdikt gegen die LINKE, nicht etwa „die Hitlers“ nennt, die mit 10 % Umfrageergebnis übrigens bereits ganz deutlich in den Landtag eingezogen ist, sondern schlicht und einfach nur sagt: „Es ist ja nicht nur die AfD“. Also den realen Skandal übergeht er völlig – und die einzige reale Alternative zum Feudalismus malt er als Riesenschreckgespenst an die Wand, damit nur ja kein Wähler zu einem eigenen Denken findet.
Das Mädchen
Politisch ist der Gegenpol zu Söders Paternalismus die LINKE, die emanzipatorisch die wirklichen Interessen der Menschen verfolgt. Seelisch ist der Gegenpol dagegen das Mädchen.
Söders Denken und seine Worte sind typisch für eine Jahrhunderte währende Herrschaft des Mannes – der sich für den Gipfel der Schöpfung hält und seine Herrschaft mit Überheblichkeit, Phrasen und Propaganda sichert – und im Übrigen mit Selbstbezug, Verantwortungs- und Treulosigkeit durchs Leben geht.
Das Mädchen dagegen, die ganze Gestalt und das Wesen des Mädchens, stehen für das Gegenteil: für Aufrichtigkeit, Bescheidenheit und tiefes Wohlwollen gegenüber der Welt, die es umgibt. Die Seele des Mädchens ist aufrichtige Liebe, die Seele des Karrierepolitikers einer erzkonservativen Partei ist Selbstliebe.
Dieses Letztere, eine Seelenhandlung, die Jahrhunderte geprägt hat und dem typischen „Mann“ die Herrschaft sicherte, kommt in unserer Zeit an ein Ende. Allerorten bäumen sich die alten Kräfte auf – Nationalismus, Autorität, „der starke Mann“. Machos, Macker und Macher-Typen, die aber alle sich selbst mehr lieben als alles Übrige. Und auf der anderen Seite Stammtisch-Proleten, „Wutbürger“ und Protestwähler, die auf ihre Weise nichts anderes in ewiger Wiederholungsschleife reproduzieren: Narzisstische Selbstgerechtigkeit, nur von der quasi gegenüberliegenden Seite – daher fühlen sie sich im Recht, spiegeln aber im Grunde nur das, wogegen sie ankämpfen.
Gegen diese Seelenhaltung wächst jedoch etwas Neues: Unter jungen Menschen finden wir verbreitet eine Haltung eines wirklichen Miteinander. Eine Haltung, die nicht verstehen kann, wie einige Wenige immer reicher werden, während sie allen Übrigen den gemeinsamen Wohlstand entziehen. Die nicht verstehen kann, wie einer Energieform ohne Zukunft die letzten Reste naturnaher Wälder (Hambacher Forst) geopfert werden können. Und vieles, vieles mehr.
Diese Seelenhaltung ist gekennzeichnet durch Aufrichtigkeit, Empathie, selbstloses Interesse am Anderen, ja Zuneigung und Liebe. Urbild dieser Seelenhaltung ist das Mädchen. In seiner Seele finden all diese uneigennützigen Kräfte zu einem leuchtenden Dasein. Es ist das Mädchen, das der übrigen Welt vor Augen hält, was der Mensch sein kann – und wäre, wenn er die Dämonen in seiner Seele, die ihn zu einem selbstüberzeugten, Ego-bezogenen Monstrum machen wollen, bannen könnte.
Söder steht für die alte Welt. Das Mädchen steht für die Zukunft – es ist reinste Zukunft.