2019
Von der Mechanisierung des Geistes
Ahriman tritt in Erscheinung.
Inhalt
Einleitung
Verweilen als Existenz- und Lebensquell
Der Computer – Erlösung oder Ursache von allem Übel?
Illusion und Wirklichkeit
Vom Verlust der Tiefe
Das verspottete und verkannte Metaphysische
„...pulsiert die Energie des Automaten“
Berauschende Gottlosigkeit
Flucht vor der Ruhe des Ich
Inneres Leben oder Depression
Vom Dämonischen des Internets
Der gläserne Mensch
Ahriman als Schriftsteller
Einleitung
Im gestrigen Tagesspiegel vom 15. Januar 2019 erschien ein Artikel mit der Überschrift „Die Technik ist unser Schicksal“. Darin wird gleich am Anfang der Computer fast wörtlich zur „Erlösung von allem Übel“ hochstilisiert, um nicht zu sagen: vergöttert. Anknüpfend an einen Satz von Steve Jobs („Der Computer ist die Lösung. Was wir brauchen ist ein Problem“), heißt es da:
Denn nie war die Menschheit der Erlösung von allem Übel so nahe wie heute.
Das muss man sich einmal klarmachen: Jahrhundertelang betete die christliche Menschheit zu dem wirklichen göttlichen Urgrund: „Und erlöse uns von dem Bösen“. Und jetzt? Jetzt erlöst sie sich nicht etwa gottgleich selber – nein: der Computer „soll es richten“. Durch ihn sei die Menschheit der Erlösung von allem Übel (!) so nahe wie nie. Wieso das!?
Der Artikel und das, was in den weiteren Absätzen folgt, übertrifft alles, was ich in letzter Zeit gelesen habe. In all seiner scheinbaren Harmlosigkeit ist er wie ein Fanal – ein Fanal für die Dummdreistigkeit, mit der die Gegenmächte ihren Kampf vorantreiben.
Es ist, wie wenn sie heute keinerlei Vorsicht mehr walten lassen müssten, um reales Gift in die Köpfe und Seelen träufeln zu lassen – weil die moderne Seele heute längst alles entgegennimmt, ohne dessen tiefere Natur zu durchschauen.
Dabei ist der obige Satz für sich allein heutzutage so „normal“ wie nur irgendetwas. Man könnte ihn sogar aus unterschiedlichsten Blickrichtungen heraus bejahen. Aber er steht in einem Zusammenhang. Und dieser Zusammenhang ist furchtbar. Er ist schlichtweg ein Wahnsinn.
Verweilen als Existenz- und Lebensquell
Bevor wir dem Artikel weiter nachgehen, verweilen wir noch kurz. Das Leben der Seele und des Geistes besteht in dem Verweilenkönnen, in dem Nicht-sich-ununterbrochen-mitreißen-Lassen und in dem Gelebt-Werden, der kompletten Fremdbestimmung. Im Verweilenkönnen liegt etwas, was diejenigen Seelen, die pausenlos weiterhasten und jegliche Geduld fliehen, nicht einmal mehr kennen – was all diese anderen Seelen nie erfahren werden: einen Ursprung. Einen Ur-Sprung in ein wahrhaftes Sein, eine wahrhaftige Existenz.
„Existenz“ kommt von dem Lateinischen existere – und dies bedeutet ein Heraus-zu-stehen-Kommen (ex = aus, heraus; sistere = zu stehen kommen; stare = stehen). Es geht also um eine Offenbarung – ein Sich-Offenbaren aus einem vorherigen Nichts heraus. (Verwandt ist das griechische Ek-stase, aber hier gerät man umgekehrt „außer sich“). Existenz bedeutet, dass überhaupt erst einmal etwas da ist. Und die Seelen, die pausenlos durch das Dasein hasten, sind nicht wirklich da. Sie werden gelebt, aber sie leben nicht. Es ist nicht das Leben der Seele selbst, das dort anwesend ist.
Das eigene Leben der Seele muss diese erst selbst aus sich hervorbringen. Erst dann wird sie nicht mehr gelebt, sondern lebt selbst. Erst dann hastet sie nicht mehr, sondern kann verweilen und kann im Verweilen empfinden, wirklich ruhen und in der Ruhe leben. Die Empfindungen, die sie dann hat, sind ihr Leben. Nur wenn sie wahrhaft Leben hat, wird sie Empfindungen haben – und ihr Leben wird um so tiefer sein, je tiefer ihre Empfindungen sind. Denn ihr Leben besteht in ihrer Empfindsamkeit, in ihrer Fähigkeit, sich innerlich berühren zu lassen.
Das ist das wahre Mysterium des Lebens und der Existenz der Seele. Ihre Existenz besteht in der Berührbarkeit – in ihrer Fähigkeit tiefer Einswerdung mit dem, was sie innerlich berühren will. Empfindsamkeit ist Hingabefähigkeit, ist Aufnahmefähigkeit. Die Seele gibt sich der Welt hin – und sie nimmt die Welt in ihr hingabefähiges Inneres auf. Das Mysterium der Seele ist ... Zartheit. Es ist Zuneigung. Die Seele wehrt das, was auf sie zukommt (die Zu-kunft), nicht ab, sondern gibt sich ihr hin. Sie ist für alles offen, sie ist für alles verwundbar – und „verwunder-bar“. Sie hat die Fähigkeit des Staunens. Die Hingabe erreicht eine heilige Stufe, sie kann immer tiefer werden.
Der Computer – Erlösung oder Ursache von allem Übel?
Das Gegenteil ist der Computer. Er ist für nichts offen – für nicht das geringste Seelische. Offen ist er nur für Daten, für Programmierung – und ebenso seelenlos spuckt er Ergebnisse aus. Ein Computer lebt nicht. Nicht einmal rein organisch, noch unbeseelt. Nicht einmal in dieser Form lebt er. Er funktioniert. Und er rechnet. Das ist alles.
Und nun soll die Maschine „die Erlösung von allem Übel“ sein!? Welch einen Wahn- und Unsinn kann die menschliche Seele denken! Gedankenlos plappert sie in ihrem Hochmut und ihrer Selbstentfremdung Dinge, für die sie in früheren Jahrhunderten noch aufrichtig verlacht und für verrückt erklärt worden wäre. Diese früheren Jahrhunderte hätten Mitleid mit einer solchen Seele gehabt! Von einer Maschine „die Erlösung von allem Übel“ zu erwarten? Welch eine Verirrung des Geistes! Welch ein verrückter Gedanke! Welch ein kompletter Irr-Sinn!
Nun – ein völlig reduzierter und rudimentärer, materialistischer Gedankentyp kann dahin kommen, als „Übel“ nur den Zwang sehen, „im Schweiße des Angesichts“ das Leben zu erhalten. Dieses Übel kann die Technik, kann der Computer ungeheuer weitgehend verringern. Der Computer kann vieles berechnen, wofür der Mensch früher Stunden und Tage brauchte, die Maschine kann vieles leisten, wofür es früher viele menschliche Hände brauchte. Aber ist dies das einzige „Übel“? Oder war dies überhaupt „Übel“?
Ist es wirklich ein Fortschritt, wenn Menschen nicht mehr um die Jahrhunderte überdauernde Konstruktion einer Brücke oder gar einer Kathedrale ringen, sondern sich vor einem Bildschirm vom „Dschungelcamp“ die letzten Reste lebendigen Geistes abtöten lassen? Ist es wirklich ein Fortschritt, wenn ein junger Mensch nicht mehr bereits mit zwölf in der Landwirtschaft oder mit vierzehn in der väterlichen Werkstatt seine Fähigkeiten und seinen Charakter bildete, sondern stattdessen vier, fünf, sechs Stunden täglich an einem „Smart-Phone“ hängt – und auf Instagram ein Frühstücksei „liked“, um einen neuen Weltrekord aufzustellen? Ist das ein Fortschritt? Ist das die Erlösung „von allem Übel“? Wie wahnsinnig kann ein Mensch sein?
Illusion und Wirklichkeit
Der verirrte menschliche Geist träumt den Fortschritt. Er träumt, die Maschine könne ihm alles abnehmen – und es gäbe keine Not mehr, keinen Hunger, keine Armut. Es würde sich alles in Wohlstand und Wohlgefallen auflösen, in ein irdisches Paradies, in ein Schlaraffenland, wo die Maschinen für uns arbeiten und denken – und der Mensch ... sich von Maschinen unterhalten lassen kann. Aber was ist die Folge? Der Mensch wird ein faules, dummes und egoistisches Genusswesen. Seine Hände und sein Wille verkümmern, sein Kopf und sein Geist verkümmern, und sein Herz, seine selbstlosen Empfindungen und seine Seele verkümmern. So gesehen, ist die Maschine die Quelle von allem Übel.
Die Maschine kann dem Menschen körperliche und geistige „Mühsal“ abnehmen – aber die „Mühsal“ war in der Menschheitsgeschichte immer auch Quelle innerer Charakterbildung. Ein Mensch, der sein Leben wirklich durchlebt und durch-litten hat – ein solcher Mensch kann am Ende seines Lebens auch wahrhafte Weisheit und eine tiefe Güte ausstrahlen. Ein Mensch, der sein Leben lang an einem Bildschirm gehangen hat, der wird nichts sein eigen nennen können. Er wird selbst ein innerliches Nichts sein. Leer, wertlos, ohne irgendein eigenes Wesen. Das Eigene ist immer errungen – durch Anstrengung, an Widerständen, in innerem Durchleben und Durchleiden, in der wirklichen Gnade der Mühsal...
Und das Andere ist: so sehr manches „Übel“ (manche Mühe) durch die Maschine abgenommen werden könnte, so sehr schafft die Maschine neue Übel. Man denke nur an Landschaftsvernichtung (riesige tote Monokultur-Äcker), Überproduktion und Militär- und Kriegsindustrie. Machen leere Landschaften und volle Supermarktregale die Menschen glücklicher? Wohl kaum. Sie hinterlassen auch die Menschenherzen leerer und leerer. Die Maschine als Erlösung von allem Übel? Niemals...
Um die Maschine segensreich zu nutzen, müsste die menschliche Seele selbst erst ein Segen für ihre Mitbrüder und Mitschwestern werden. Andernfalls wird auch die Maschine letztlich mehr ein Fluch als ein Segen. Die, die trotz der Maschine noch Arbeit haben, werden in seelenlose Tätigkeiten gepresst. Und die, die „dank“ der Maschine ihre Arbeit verlieren, werden in Armut, gesellschaftliche Verachtung und Selbstverachtung gedrängt. Erlösung von allem Übel? Nein, Schaffung neuen Übels – nicht mehr materielle Not und materieller Tod, sondern Seelennot und Seelen-Tod. Die Maschine hat keine Seele – und sie nimmt dem einzelnen Menschen und der Menschheit die ihre.
Vom Verlust der Tiefe
Inmitten des Überflusses der Waren, aber auch der Informationen und der „Unterhaltungsangebote“ lauert die tiefgehende seelische Leere – weil die Seele selbst alle Tiefe verliert und immer mehr nur an der Oberfläche bleibt. Es entsteht eine seelische „Kurzatmigkeit“ – tiefe Atemzüge sind gar nicht mehr möglich, ein Verweilen, ein tief empfinden und ein inniges Verweilen in Empfindungen und Stimmungen. Stattdessen: Wo ist der nächste Eindruck? Und der nächste? Und der nächste...
Es gibt nahezu keinen Menschen mehr, der zum Beispiel ein Buch oder einen Film noch wahrhaft nachklingen zu lassen vermag – über Stunden, vielleicht über Tage (gar Wochen?). Nein – aus dem Auge, aus dem Sinn. Sobald der Abspann gelaufen ist und man aus dem Kino heraus ist, lebt auch der Film in der Seele noch ein paar Sekunden oder vielleicht auch Minuten nach ... aber er wird bereits überlagert und totgetreten, indem sofort entweder darüber gesprochen wird oder sogar bereits über ganz andere Themen. Die Seele vermag es nicht, die Dinge in sich erklingen zu lassen. Sie will selbst tönen und plappern – und meistens wird das dann tönernes Erz oder eine blecherne Schelle. Es hat keine Tiefe. Es ist einfach nur auf Geräuschproduktion gerichtet.
Natürlich – des Menschen Sehnsucht geht nach Austausch, nach Begegnung. In Wirklichkeit aber begegnet die kurzatmige moderne Seele immer nur sich selbst – und der bloßen Illusion von Begegnung. Denn wahrhafte Begegnung ist nur in der Sphäre des Schweigens möglich. Ich meine nicht zwangsläufig das äußere Schweigen – ich meine das innere Schweigen. Erst da, wo die Seele dies kann – innerlich schweigen –, erst da findet die übrige Welt, die Welt des Nicht-Ich, zögernd und vorsichtig Zutritt in das Reich der Seele. Erst da beginnt das Glück der Begegnung. Da, wo meine, die eigene Seele, die Welt in sich einlassen, aufnehmen, empfinden, erklingen und schließlich auch nachklingen lassen kann. Inwieweit die andere Seele dies auch tut und auch vermag, kann ich kaum beeinflussen. Aber das ist eine zweite, ganz andere Frage. Die erste Frage ist: wo ist die Tiefe der eigenen Seele? Was vermag sie, überhaupt zu empfinden? Wo beginnt sie, die Tiefe kennenzulernen und die Oberflächlichkeit, ja das Kurzatmig-Asthmatische zu verlassen? Wo beginnt sie, wahrhaft Seele zu werden, als Seele zu leben?
Das verspottete und verkannte Metaphysische
Kehren wir zu dem Artikel des „Tagesspiegel“ zurück. Darin heißt es weiter, die Vision des „Übermenschen“, der mit Hilfe der Technik „auf alle Bedrohungen eine Antwort“ wisse, mache
„automatisch“ Angst, weil sie den Menschen aus seiner gewohnten Denkweise herausreißt, wonach er der Natur ohnmächtig ausgeliefert und daher auf die Sphäre des Über-natürlichen, also das Meta-physische, als Heilssphäre angewiesen sei.
Was für ein neuerlicher Un-Sinn! Als wenn der heutige, mitteleuropäische Mensch der Natur noch „ohnmächtig ausgeliefert“ und auf das „Übernatürliche“ angewiesen sei – und als wenn die Technisierung deswegen Angst mache. Nein. Aber obwohl der Mensch längst nicht mehr ausgeliefert ist, macht die Vision eines allmächtigen Alleinschöpfers Mensch dennoch Angst. Denn die Seele spürt sehr genau, dass sie ohne diese metaphysische Sphäre ein Nichts ist, ihrer ganzen technischen Allmacht zum Trotz. Denn die Technik-Besessenheit ist ja verbunden mit einem materialistischen Weltbild, das Metaphysik und Religion ablehnt. Was aber nützt der technisch versierte „Übermensch“, wenn er sich eingestehen muss, dass er trotz aller virtuellen und realen Genüsse im Laufe weniger Jahrzehnte am Ende eben nichts weiter ist als ein bio-neuro-physikalischer Klumpen Fleisch mit ein paar Sinnesrezeptoren, die ihm diese oder jene Lust verschaffen, bis er am Grunde des Bechers die völlige Leere findet?
In dem Artikel heißt es weiter, dieses, das Metaphysische einbeziehende
[...] Denken, das bis 1945 bzw. 1990 dominierte, war einerseits traurig, andererseits aber auch bequem, denn man wusste ja, wohin man „eigentlich“ gehörte: ins Himmelreich, das aber, da nicht „herstellbar“, auch keine irdische Verantwortung begründen konnte [...].
Der Unsinn wird immer größer. Als wenn die metaphysisch und religiös gesinnten Seelen nicht immer die größte Verantwortung aller Seelen auf Erden gespürt und danach gehandelt hätten! Begründet denn eine Maschine Verantwortung? Niemals. Natürlich – eine „gott-lose“ Welt bedeutet ganz offensichtlich, dass alles in die Verantwortung des Menschen gelegt ist. Aber wo kommt diese so existierende Verantwortung her? Wo ist ihre Quelle? Und wird sie ... empfunden!?
Sind die Menschen, die tief innerlich erleben, dass die Seele etwas Überirdisches ist, verantwortungsloser in Bezug auf das Irdische? Oder sind sie es gerade mehr – weil sie eine reale Verbindung zu jener Sphäre haben, in der die Verantwortung ... geboren wird? Auf Erden wird sie nicht geboren – wie sehr und wie oft man „Gott“ noch abschaffen will. Der Mensch selbst findet die Verantwortung in sich nicht. Wo er sie in sich findet – das real Moralische –, da ist Gott immer schon mit ihm und er mit Gott. Das ist das Geheimnis. Und die Gottesleugner werden meist auch nach und nach Utilitaristen, Pragmatiker und sogar Zyniker. Oder aber glühende Humanisten und Sozialisten, die trotz ihres vermeintlichen Atheismus das Göttliche tief in sich tragen und hüten...
„...pulsiert die Energie des Automaten“
Im Folgenden geht der Artikel auf das Buch „Philosophie der Maschine“ des Philosophen Martin Burckhard ein. Dieser behauptet, dass die Maschine der rote Faden der Menschheitsgeschichte sei:
„In jedem alphabetischen Buchstaben, der sich der Welt entwunden hat und nichts mehr ist als er selbst, pulsiert die Energie des Automaten.“
Hier ist die Vergötterung des Toten und Abstrakten mit Händen zu greifen. Der menschliche Geist erkennt nicht, was er tut – nämlich die Laute der lebendigen Sprache in Zeichenform darstellbar, sichtbar, wiederholbar zu machen und damit dauerhaft, festhaltbar, als Schrift –, sondern er verherrlicht den darin liegenden Todesprozess, der das Ganze abstrakt wiederholbar und mechanisierbar macht, völlig abgelöst vom Menschen. Und doch wird geradezu religiös-hymnisch das angebliche „Leben“ des Automaten und seiner „pulsierenden Energie“ gepriesen. Moderner Götzendienst – der die selbstgeschaffene Kreatur anbetet.
In einem Buchstaben pulsiert gar nichts – außer die letzten Nachklänge des lebendigen menschlichen Geistes, der diesen Buchstaben geschaffen hat. Ein Automat ist tot, auch die ihn antreibende elektrische Energie ist tot – und was in ihr „pulsiert“, würde auch den Menschen töten, wenn er wirklich mit dem die Maschine „antreibenden“ Strom in Berührung käme. Nur der völlig in die Irre gegangene menschliche Geist kann den oben zitierten Satz schreiben.
Die Buchstaben haben durch ihre Vereinheitlichung (auf die man sich geeinigt hat, als vereinbartes Zeichen) ein Potenzial – das der Zeit und Raum übergreifenden Verständigung. Das ist die in ihnen enthaltene „Energie“. Sie sind in ihrem Zusammenhang als Worte, Sätze, Bücher ... Sinnträger. Sie tragen den lebendigen Sinn des lebendigen Geistes, der sich sonst nur in lebendiger Sprache äußert, in die tote Materie hinein – als aufbewahrte Sprache. Das „pulsiert“ noch in dem toten Buchstaben, aus dem es in jeder Seele neu zum Leben erweckt werden muss. Ansonsten aber ist der Buchstabe tot – wie auch jeder Automat.
Doch der Artikel geht noch weiter. Die eigentliche Erkenntnis in Burckhards Buch liege sogar in Folgendem:
Könnte es nämlich nicht sein, dass das Technische, die Maschine mit dem Wesenhaften, Ursprünglichen, „Reinen“ identisch ist? Wenn die Maschine „Bedingung der Möglichkeit“ ist, „das Ewige denken zu können“, so ist vielleicht das Ewige selbst maschinenhaft strukturiert.
Die Dummheit kennt keine Grenzen! Vielleicht ist das Gehirn des Schreibers „maschinenhaft strukturiert“, wenn es solchen Blödsinn ausspuckt? Seit wann wäre denn die Maschine Bedingung der Möglichkeit, das Ewige zu denken? Nur der menschliche Geist kann das Ewige denken – er ist damit selbst Bedingung dieser Möglichkeit. Die Maschine kann „ewig“ die gleichen Rechenoperationen vollziehen – sie wird die Ewigkeit doch nie erreichen. Nur das Denken ist dazu in der Lage. Es ist der Maschine allein schon von dem her prinzipiell überlegen. Die Maschine wird nie grenzenlos sein – das menschliche Denken ist es vom Prinzip her immer.
Berauschende Gottlosigkeit
Der Artikel fährt fort: Wer vor zu viel „Chemie“ in Lebensmitteln warnt, vergesse zumeist, dass unser ganzer Körper nichts anderes als Chemie sei. Die vergleichende Literaturwissenschaft habe längst entschlüsselt, dass mit dem „Heiligen Gral“ einfach ein „Ort unerschöpflicher Reichtümer und sinnlicher Fülle“ (irdisches Paradies) gemeint sei – und dass Tannhäuser schlicht ein sexuelles Begehren nach seiner Elisabeth gehabt habe. In dieser Weise kämen für Burckhard auch Maschine und Metaphysik zur Deckung: „So ist für Burckhard die Maschine metaphysisch und das Metaphysische maschinell“.
Der Materialismus kann letztlich zu nichts anderem kommen – er kann nur Nihilismus werden. Und dabei noch glauben, er befinde sich auf der Höhe gottgleicher, endgültiger Erkenntnisse. Er ist aber nur auf der Stufe endgültiger eigener Nichtigkeit angekommen. Er erstickt gleichsam an seinem eigenen Hochmut, der ihn so blind werden lässt wie einen Geblendeten. Dieser wird nie mehr in seinem Leben etwas sehen – und doch glaubt er zunächst, ein gleißendes Feuer verbrenne ihn. Der Materialismus sieht aber nur die kalt strahlende Flamme seiner eigenen Irrtümer – und ist von dieser berauscht.
Die erste Erkenntnis, zu der er nie kommen wird, ist eben dieser Hochmut. Es ist etwas ähnlich Loderndes wie jene Auflehnung, die Prometheus befeuerte – doch Prometheus kämpfte noch gegen echte Götter. Bei ihm war es nicht Hochmut an sich, sondern Trotz und Freiheitswille. Er wollte sich von den Göttern befreien – und die Menschen, denen er das physische Feuer brachte, mit.
In ähnlicher Weise fühlen auch heute noch die Seelen dürftige, kümmerliche, armselige Reste von Befreiung, wenn sie alles in den Schmutz treten, was noch entfernt an die einstige metaphysische Bindung der Seele an etwas Höheres erinnert. Aber die moderne Seele ist längst so in den Schlamm ihrer eigenen Nichtigkeit versunken, dass die wirkliche Befriedigung an dieser „Heiligenschändung“ und diesem zur Schau getragenen „Atheismus“ so schal anmutet wie der Kater nach einer durchzechten Nacht. Es wirkt, als müsse die Seele gleich noch einen Korn oder Schnaps hinterhergießen, um sich halbwegs wieder „auf Laune zu bringen“.
Etwas anderes ist dieses hochtrabende Belehren der Leser nicht – es ist das Auskotzen des eigenen Inneren: Nihilismus von oben bis unten, von vorne bis hinten. Der Körper ist selbst bloße Chemie, der Gral ist Symbol für das irdische Schlaraffenland (sprich: die Moderne?), Thannhäuser, Novalis oder wen auch immer man nehmen will, waren einfach nur „geile Böcke“, die ihren Trieb ein wenig verleugnet hätten.
Wie tief kann man eigentlich noch sinken? Wohlan – dann möge der Schreiber des Artikels doch die Pillen und Psychopharmaka, die die technisierte Pharmaindustrie bietet, in sich hineinschlucken. Sie versprechen doch das Glück und die volle Gesundheit? Und dann möge er auch nie wieder ein Mädchen anlächeln, zart berührt von ihrer Schönheit oder Anmut – sondern sich in seinen Ganzkörper-Vibrationsanzug schwingen, um das zu bekommen, was er eigentlich will. Der auf Dummheit, materialisierte Gedanken und materialisierte Erlebnisse heruntergedimmte Mensch.
Zur Dummheit und vulgären Niveaulosigkeit hinzu kommt nur noch der bodenlose (reine Oberflächlichkeit hat keinen Boden mehr) Hochmut, der darin besteht, sich trotz aller Weltrekorde der Inhaltslosigkeit noch immer für schlauer, klüger, weiser und erkennender zu halten als sämtliche vorangegangenen Jahrhunderte, die alle in Irrtum um Irrtum herumgeirrt waren und es einfach nicht geschafft haben, sich von ihrem ganzen metaphysischen Tralala zu lösen. Nachdem die Chemie-Lüge, der Gral und der Thannhäuser ad acta gelegt sind, kann endlich die Neuzeit anbrechen – auf der absoluten Höhe des menschlichen Geistes, höher, überlegener und strahlender als alle Zeiten vor ihm. Die Leugnung Gottes wird für immer ein hervorragendes Zugpferd für das eigene Selbstgefühl bleiben, das sich mit diesem Trick bequem über alle anderen Seelen stellen kann, die „diesem Irrtum noch anhängen“. Die Seelen, die diesen Trick brauchen, um sich aufblasen zu können, sind unglaublich zu bedauern...
Flucht vor der Ruhe des Ich
Dann geht der Artikel auf eine „Gegenposition“ zu Burckhard ein – Franklin Foer und sein Buch „World without mind“. Der Autor erwähnt Foers Aussage, dass an die Stelle des Mythos „die krasse Manipulation“ getreten sei – nur um dem entgegenzuhalten, dass auch Mythen immer menschlich vermittelt worden und daher nicht weniger manipuliert gewesen seien. Gleich darauf verweist er auf das Buch „Mehr!“ von Christoph Türcke, das zum Beispiel „so ziemlich alle romantischen Vorurteile über einen vermeintlich präkapitalistischen Ursprung“ des Kapitalismus in der Tempelwirtschaft aufhebe. Mit anderen Worten: Selbst in der religiösen Sphäre hätte von Anfang an nur „harte Kohle“ gezählt.
Nun – was man sagen kann, ist, dass der Mensch schon immer zwischen Himmel und Erde hin- und hergerissen war. Wenn Jesus den Tempel von den Wechslern reinigen muss, so sind dies bereits Auswüchse eines Jahrhunderte- und Jahrtausende-alten Prozesses. Der Unterschied zu heute ist nur, dass die Moderne den Himmel ganz aufgegeben hat – um sich ohne alles schlechte Gewissen in der Erde suhlen zu können.
Und jetzt kommt folgender Absatz:
Auch Foers Postulat, dass „nichts das stille Nachdenken ersetzen“ könne, „diese einsamen Momente, in denen wir unseren eigenen Gedanken nachgehen und zu unseren eigenen Schlüssen kommen“, ist reichlich weltfremd. Einsames Nachdenken tritt zumeist im Kontext mit Depression auf, und nach nichts sehnt sich der Depressive so sehr wie danach, einmal nicht von seinen eigenen Gedanken verschlungen zu werden, einmal nicht zu seinen eigenen Schlüssen zu kommen, sondern so zu sein wie die anderen (sich dieses Bedürfnis nicht voll eingestehen zu können, ist freilich Kern der Depression).
Es ist schlicht nicht mehr zu fassen. Der Wahnsinn der Dummheit kennt immer noch eine Steigerung! Es ist nicht zu fassen, wie sehr hier mit Händen einerseits die Furcht vor dem Geist, andererseits die volle, brutale Oberflächlichkeit zu greifen ist – so, als würde sie einem unmittelbar ins Gesicht schlagen. Es tut wirklich fast physisch weh. Hochmütig-materialistisches Spießertum weicht hier einem regelrechten Blöd- und Schwachsinn des Geistes im Quadrat, der geradezu willkürlich von einem Gedanken zum anderen springt, wild hin und her assoziiert, nur um zu einem glückhaften Ergebnis zu kommen – jenem Ergebnis, das er unbedingt herbeizwingen will.
Unmittelbar erkennbar besitzt jener Schreiber nicht die geringste Fähigkeit, diesen einen einzigen Gedanken Foers auch nur für Sekunden – oder sagen wir: Minuten – in seiner Seele wirken zu lassen, um einmal etwas in seiner Reinform zu verstehen – und sei es nur in dem Sinne, wie es der Andere gemeint hat. Fern davon, selbst die Wahrheit des Satzes zu prüfen, ginge es zunächst nur darum, überhaupt erst einmal ganz und gar zu verstehen, was hier gesagt wurde.
Der Schreiber hat diesen Willen nicht. Unmittelbar muss er dem etwas entgegensetzen, um sein oberflächliches Ego aufzublasen und fast schon aus Prinzip zu widersprechen – um der Maschine weiter den Weg zu bereiten. Ihr und dem „Maschinendenken“. Denn offenbar hat der Schreiber eine wahre Abscheu vor dem stillen Nachdenken, dem Den-eigenen-Gedanken-Nachgehen, dem Einmal-ganz-bei-sich-Sein. Mit anderen Worten: Offenbar ist der Schreiber nie bei sich! Oder er kennt dieses Bei-sich-Sein nur als eine unangenehme Erfahrung, die ihn fast schon depressiv macht – so wie all jene Seelen, die alle paar Minuten zum Smartphone greifen müssen, weil sie es gar nicht aushalten, nur bei sich zu sein. Sie können nicht mehr in sich ruhen. Sie haben diese Fähigkeit gar nicht mehr. Sie ist ihnen verlorengegangen.
Inneres Leben oder Depression
Wie ist es nur möglich, dass ein öffentlicher Zeitungsartikelschreiber einer großen Tageszeitung dies nonchalant in die Welt setzen kann? Der Sprung vom „stillen Nachdenken“ zum Pathologisch-Depressiven! Das stille Nachdenken war die Königsdisziplin, die wahre Fähigkeit des Philosophen – schon immer. Aber sie war auch schon immer der Weg zur Selbsterkenntnis, der Weg der Verarbeitung von Erfahrungen, der Weg der umsichtigen Planung wichtiger Schritte im eigenen Leben – kurzum etwas unendlich Wertvolles und Wesentliches. Und was schreibt nun dieser Schreiber? Der Hinweis auf die Unersetzlichkeit dieses stillen Nachdenkens sei „reichlich weltfremd. Einsames Nachdenken tritt zumeist im Kontext mit Depression auf“.
Ebenso könnte man sagen: Von der Unersetzlichkeit der gebenden Geste oder der ausgestreckten Hand zu sprechen, sei reichlich weltfremd, denn diese trete zumeist im Kontext des Bezahlens an der Supermarktkasse auf. Ja, woran liegt denn das? Wie kommt es wohl, dass in unserer Zeit so viele Menschen depressiv sind? Etwa, weil sie noch einen Zusammenhang mit dem Metaphysischen haben? Oder weil ihnen die Maschinen fehlen? Nein – weil sie keinen Zusammenhang mehr mit etwas Höherem haben – und weil sie von Maschinen umgeben sind, nicht aber mehr von lebendigen Menschen. Und dann – dann wird das Nachdenken wirklich einsam. Denn es wird ein ewiges Kreisen in der Leere, die aber zuvor geschaffen wurde. Eine Leere, die es noch nicht gab, als „das Denken noch geholfen hat“.
Depression ist von ihrem Wesen her kein anderes Verloren-in-sich-selbst-Kreisen wie dasjenige, was der Schreiber des Zeitungsartikels auch produziert – nur dass dieser (noch) nicht depressiv geworden ist, weil er (noch) auf den Wolken seines eigenen Hochmuts schwebt. Wie lange diese jedoch tragen, ist ungewiss. Vielleicht kennt er das depressiv-einsame Nachdenken nur allzu gut – und muss daher so sehr gegen Foers Gedanken agitieren. Dieser verliert dadurch nicht das Geringste von seiner Wahrheit. Das stille Nachdenken wird um so unersetzbarer, je mehr es in der Realität ersetzt wird. Denn was dann geschieht, ist der reale Verlust des Menschlichen selbst. Die Gedanken des Artikelschreibers sind nicht mehr wahrhaft menschlich – sie sind armselige, rudimentäre Reste. Sie sind eine an Stumpfsinn grenzende Vergötterung des Nichtssagenden und der Technik, die ohne jede Grundlage metaphysisch unterfüttert wird.
„Einsames Nachdenken tritt zumeist im Kontext mit Depression auf“ – ja, weil (a) sonst überhaupt nicht mehr einsam nachgedacht wird und (b) weil heute die Depressionen so zunehmen. Das beweist zweierlei: Es gibt gewaltige Ursachen, die Depressionen zunehmen lassen. Und es gibt gewaltige Hindernisse, im normalen, noch-nicht-depressiven Leben zu einsamem, eigenständigem, stillen Nachdenken zu kommen – den Mut oder vielleicht sogar die Sehnsucht zu haben. Das stille Nachdenken – und was wäre der Menschenseele ursprünglicher? – wird heute gemieden, wie der Teufel das Weihwasser meidet. Die Menschen haben Angst vor dieser Einsamkeit, weil sie gar nicht mehr wissen, welche Gnade, welche Fülle, welchen Segen, welchen Heiligen Gral sie hier finden würden... Sie haben nicht mehr die Kraft, den Tempel zu betreten...
Vom Dämonischen des Internets
Der Artikel setzt fort:
Vollends albern ist schließlich Foers Behauptung, nur das auf Papier geschriebene Buch gebe uns „die Möglichkeit, uns von der Maschine zu befreien und unsere Menschlichkeit zu erfahren“. Nicht nur ignoriert Foer hier, dass [...] die Schrift selbst Maschine ist; er vergisst auch, dass das Internet [...] entstand, damit Wissenschaftler in aller Welt sich besser miteinander austauschen konnten. Wenn uns heute „ständig Pings aus unseren Gedanken reißen“, geschieht das gerade um des Geistes willen.
Wiederum eine rein polemische Entgegnung, ohne an den Kern von Foers Gedanken auch nur zu rühren. Offenbar hat der Autor in letzter Zeit nie ein Buch in der Hand gehabt, in das er – anders als in einen beliebigen Krimi – so eintauchen konnte, dass er sich von etwas hat wahrhaft, irgendwo in seinem innersten Wesen, berühren lassen. Und so hätte spüren können, dass ein Buch etwas völlig anderes ist als ein Bildschirm, an dem die Gedanken hin und her und abgleiten, ohne dass die Seele noch irgendetwas Tieferes empfindet. Wenn sie aber ohnehin nichts mehr empfindet, dann kann auch der Unterschied zu einem Buch nicht mehr festgestellt werden. Dann ist die Seele bereits maschinisiert und trägt das Maschinenwesen sogar dem Buch entgegen, das sie gerade erlösen könnte, wenn sie es denn zuließe.
Demgegenüber wird kein vernünftiger Mensch behaupten, dass Austausch an sich bereits menschlich sei – wenn nicht die Sphäre des Austausches oder die Fragen des Austausches menschlich sind. Heutzutage aber wird selbst ein Ur-Bereich des Menschlichen, die Forschung, maschinisiert – in immer größerem Tempo vorangetrieben, auf Kosten von Qualität und Tiefe. „Interdisziplinarität“ oder „Austausch“ können auch zu Schlagwörtern verkommen – die die Nägel in den Sarg der wahren Wissenschaft einschlagen. Forschung ist bereits dann nicht mehr menschlich, wenn die Forschungsfragen sich so verzetteln, dass sie reiner Selbstzweck werden – in dem Sinne, dass eine Frage nur deshalb verfolgt wird, weil sie so abwegig ist, dass noch kein anderer darauf gekommen ist.
Die „Pings“, die alle paar Minuten jeden Wissenschaftlerkollegen von jedem Aufsatz des eigenen Fachgebietes informieren, der irgendwo auf der Welt geschrieben wurde, geschehen nicht „um des Geistes willen“. Sie sind immer mehr ein bloß selbstreferenziell aufpoppendes Signal der sich akkumulierenden Sinnlosigkeit – aber sehr real reißen sie dennoch „aus unseren Gedanken“. Der von Signalen und Informationen zugeschüttete Mensch verliert den Geist – sogar den eigenen. Der „Austausch“ ist längst so weit getrieben, dass er geisttötend wirkt. Und man kann sich (in stillen Momenten und ur-eigenen, tief menschlichen Gedanken!) fragen, welche Wesenheit dahintersteht, die einem dies noch als „gerade um des Geistes willen“ verkaufen will. Der Mensch verkauft an das Internet Geist und Seele – und er merkt es noch nicht einmal.
Der Autor schreibt weiter:
„Hektisch, gedrängt und willkürlich“, wie Foer die Lektüre im Internet nennt, kann schlechthin jede Lektüre sein. Die analoge im Wartezimmer ist es meist viel eher.
Wieder werden Äpfel mit Birnen verglichen. Wahr ist allein, dass dank des Internets „heute jedes philippinische Zimmermädchen zur Expertin für alles Mögliche“ werden kann, nämlich Anteil haben an dem weltweiten Wissen und Wissensspeicher des Internets. Wahr ist aber auch, dass das Internet die Lesegewohnheiten und damit das gesamte Seelenwesen tiefgreifend verändert, und zwar sehr wohl in Richtung Beliebigkeit, Gedrängtheit und Versiegen seelischen Beteiligtseins – jedenfalls in einem tieferen, menschlichen Sinne. Das oberflächlich Interessierte, das Amüsierte, das Konsumierende etc. beinhaltet zwar auch gewisse seelische Vorgänge, doch ihr Wesen verändert sich grundlegend.
Dass das Wartezimmer, in dem nur etwas überbrückt werden soll, willkürliche Kurz-Lektüre mit sich bringt, ist trivial. Wenn aber durch das Internet diese Tendenz des Beliebigen mitten in das Leben hineinragt – und das ganze Leben zum „Prinzip Wartezimmer“ tendiert, wird es katastrophal. Natürlich wird ein Wissenschaftler das Internet anders nutzen als der Normalmensch der Postmoderne. Dennoch ist es kein Buch, und dennoch stirbt die Seele – sogar die des Wissenschaftlers. Auch er braucht Quellen, die ihn jenseits des Internets innerlich-seelisch am Leben erhalten.
Der gläserne Mensch
Fast am Ende bricht der Autor sogar noch eine Lanze für den gläsernen Menschen, indem er – von neuem Gedankennebel verbreitend – schreibt:
Berechtigter und realistischer als Kulturkritik ist da die politische Warnung vor dem „gläsernen Menschen“. [...] Aber Enthüllung, Entblößung, Durchschaubarkeit ist ja ein Grundziel der Humanität: Schon jeder harmlose Flirt am Flughafen bedeutet einen gewollten Verlust an privacy. Womöglich ist der gläserne Mensch nur die notwendige Kehrseite des Iron Man? Der Weg zurück in die behütete Weltfremdheit der vortechnologischen Zeit dürfte uns in jedem Fall verschlossen sein.
Naiver und dummdreister kann ein hochmütiger Artikel wohl nicht daherkommen. Gedanklich ist dieser Autor noch nicht einmal in der Pubertät angekommen – er vollzieht gedanklich dasselbe wie ein störrisches kleines Kind. So, wie dieses auf den Boden stampft: „Meinen Brei, den ess‘ ich nicht!“, so behauptet jener störrisch: Aber ist nicht letztlich alles eins? Ist nicht letztlich Google das Humanste überhaupt? Es zwingt uns doch nur zur Gläsernheit, sozusagen zu einem gigantischen Flirt mit den unbekannten Datennutzern, und nimmt uns damit doch nur alles Übel ab – nämlich zu entscheiden, zu wem wir offen und menschlich sein wollen. Big Brother (siehe auch hier) als Helfer zu einer allumfassenden Humanität – teuflischer kann man nicht mehr argumentieren.
Und am Ende dann das gönnerhafte Herabblicken auf die ewiggestrigen „Kulturkritiker“ und die Bemerkung über die „behütete Weltfremdheit“, bevor es die Technik oder sogar das Internet gab. Mit anderen Worten: Die Welt hat mit dem Internet überhaupt erst begonnen.
Aber kommen wir noch einmal auf das Teuflische zurück: Die Umkodierung des Menschlichen, Humanen. Wenn das Sich-Verletzlichmachen, das behutsame Berühren des heiligen Reiches einer anderen Seele, das Menschliche ausmacht – warum dies dann nicht einfach steigern und dem Menschen seine Hüllen einfach vom Leib reißen? Wenn ein zärtlicher Flirt menschlich ist ... wäre dann Gruppensex nicht noch viel menschlicher? Das ist die Wider-Logik, die Pervertierung aller Logik des Artikelschreibers.
Selbst für die Logik braucht es die Seele, die wirkliche Menschlichkeit. Mehr vom Gleichen kann qualitativ schlechter und weniger sein – aber das versteht nur ein Mensch. Einem Computer ist es schlichtweg egal, wie viel von was er berechnen und ausspucken soll, Hauptsache, sein Stromkreis bleibt geschlossen. Doch selbst wenn er abgestellt wird, ist ihm auch das egal. Eine Maschine ist eine Maschine. Sie kann auf Selbsterhalt programmiert sein – aber sie wird nie wissen, was Leben ist, was stille Gedanken sind, was Liebe ist, was Empfindungen sind, was die Qualität von Empfindungen ausmacht.
Das alles ist dem Computer für immer verschlossen. Sorgen wir dafür, dass wir es nicht an die Maschine verlieren. Denn es ist das Einzige, was uns menschlich macht.
Ahriman als Schriftsteller
Am Ende des Artikels heißt es:
Je näher aber der Mensch seiner Unsterblichkeit kommt, desto geringer wird sein metaphysisches Bedürfnis. Das bedeutet [...], dass „es“ selbst etwas Physisches sui generis ist. [...] Die Digitalisierung ist der aktuell sichtbarste Ausdruck dieses Prozesses. Auch deshalb kann man sie guten Gewissens willkommen heißen.
Hier wird der Materialismus nicht nur vertreten, hier wird er geradezu gepredigt. Wer mit der Anthroposophie vertraut ist, wird wissen, was gemeint ist, wenn ich sage: Hier kann man Ahriman als Schriftsteller unmittelbar erleben.
Ohne jeden Beleg wird auf einmal von „Unsterblichkeit“ gesprochen. Die Wissenschaft träumt davon, Mensch und Maschine so weit zu verschmelzen, dass der Leib durch die Technik, der „Geist“ durch Chips, Hologramme oder was auch immer ersetzt werden kann. Aber vielleicht wäre dies gerade die reale Hölle?
Ohne jeden Beleg wird behauptet, mit äußerer Unsterblichkeit würde das metaphysische Bedürfnis schwinden. Dabei schwindet es gerade schon vorher – nämlich bereits da, wo durch Ablenkungen und Genüsse die Frage nach dem Tod gar nicht mehr gestellt, sondern völlig verdrängt wird. Flucht vor der Wirklichkeit! Das ist die Devise. Metaphysische Bedürfnisse schwinden, weil die Seele so sehr in den Körper gedrängt und hineingeschmiedet wird, dass ihr Hören und Sehen vergeht, geschweige denn „stille Gedanken“ – vor denen sie inzwischen geradezu wegläuft. Eine Seele, die nicht mehr mit sich allein sein kann, ohne depressiv zu werden, ist völlig in den Fängen der Gegenmächte. Und Ahriman hat leichte Hand, sie durch Bildschirme auf immer ruhigzustellen. Die modernen Tranquilizer.
Aber am Teuflischsten ist es, das Metaphysische selbst zu etwas Physischem zu erklären. Zu sagen: Es gibt nichts darüber hinaus, das Höhere existiert nicht, das Physische ist das Höchste – und Du suchst auch gar nichts anderes als diese, die körperliche Unsterblichkeit. Das ist an perfider Gehirnwäsche nicht zu überbieten. Der maschinisierte Geist will den Seelen der übrigen Menschen ihr inneres Wesen auch herausprügeln. Und deswegen noch die letzte Sinnlosigkeit: Die Digitalisierung sei der sichtbarste Ausdruck dessen, dass es „nichts anderes gibt“ und der Mensch auch „gar keine andere Sehnsucht hat“.
Wenn aber die Digitalisierung eine verborgene „Gehirnwäsche“, nämlich eine völlige Seelenänderung wäre, und die Seelen würden sich verändern, dann wäre die Digitalisierung nur „der aktuell sichtbarste Ausdruck dieses Prozesses“. Dann aber müsste sich das Gewissen mit aller Macht dagegen wehren. Vor allem müsste es erkennen, was geschieht. Dafür aber bräuchte es stille Momente mit stillen Gedanken und Empfindungen, in denen es spüren würde, was geschieht.
Dieser Zeitungs-Artikel tut alles, um genau dies zu verhindern.
Ahriman will, dass die Menschheit sich „der Erlösung von allem Übel“ nie so nahe fühlt wie heute. Ahriman will, dass das Metaphysische, Übernatürliche einer bloßen Vergangenheit angehört, in der die Menschen sich noch rückständig der Natur ohnmächtig ausgeliefert erlebten. Ahriman verbreitet die Lüge, dass das Sich-Verbundenfühlen mit einem Himmelreich „keine irdische Verantwortung“ begründen könne. Ahriman will, dass man schon die Buchstaben der menschlichen Schrift als Maschinen ansieht – und dass man die „pulsierende Energie des Automaten“ vergöttert. Ahriman will, dass man „das Ewige selbst maschinenhaft strukturiert“ denkt. Ahriman will das „stille Nachdenken“ als weltfremd ein für alle Mal verbannen – es verursache ja ohnehin nur Depressionen. Zwischen Buch und Maschine bestehe kein Unterschied. Die Pings der Smartphones seien reine Offenbarungen des Geistes. Flirt und gläserner Mensch haben viel gemeinsam. Und die baldige Unsterblichkeit wird zeigen, dass der Mensch sich seit jeher nie nach etwas anderem gesehnt habe als nach ... seiner eigenen Digitalisierung.
Ahriman kommt zur Erscheinung. Und das ausgerechnet in der Epiphanias-Zeit, in der die Seele die Wirklichkeit jenes ganz anderen Wesens erleben sollte, das gesagt hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
Alles, was menschlich ist, hat Ahriman nicht. Deswegen kämpft er für die Maschinisierung des Geistes. Damit der Mensch es auch verliere.
Wo sind die Seelen, die spüren, welcher Kampf hier immer stärker aufbrandet?