2019
Die Klimafrage und der Narzissmus der Seele
Zu den innerseelischen Prozessen bei der Entstehung von Verschwörungs- und anderen Theorien.
Inhalt
Was bringt den Ausschlag der Waage?
Vom Balken im eigenen Auge
Was bringt den Ausschlag der Waage?
Es kann einen wirklich mit Sorge erfüllen, wie wenig ausreicht, um völlig gegensätzliche Meinungen zu vertreten, die dann gesicherten Überzeugungen gleichen. Man kann gerade hier unglaublich gut und immer feiner empfinden lernen, wie solche Überzeugungen entstehen und was es nur braucht, um den Ausschlag zu geben.
Ich habe es in meinen letzten Ausführungen zu Axel Burkart bereits versucht zu beschreiben. Herr Burkart ist bestimmt kein Mensch, dem das Wohl der Erde nicht irgendwie ,gefühlt’ am Herzen läge. Aber nun stellt er sich hin und belehrt die jungen Menschen, für die dies mit Sicherheit nicht weniger gilt. Was liegt da vor? Und wieso ist da auf einmal ein Gegensatz?
Uninformiertheit kann es zunächst nicht sein, denn er häuft eine Grafik auf die andere.
Es sind ganz offensichtlich zum einen gewisse Prämissen. Da ist einmal das eigene Weltbild, das ja zunächst richtig ist: Es gibt kosmische Zusammenhänge, es gibt noch andere höhere Wesen als nur den Menschen und so weiter, die ganze große Anthroposophie. Die ,Außenwelt’ hat dieses Wissen nicht. In dieser Tatsache kann schon einmal ein großer Hochmut keimen.
Die großen Zusammenhänge führen erst einmal zu der Erkenntnis, dass der Mensch sich nicht überschätzen sollte. Herr Burkart weiß sehr gut, dass die abendländische Geistesentwicklung zum Hochmut des Intellekts geführt hat, der ,Mutter Natur’, die religiöse Sphäre und vieles andere schlichtweg verleugnet. Dementsprechend ist auch eine grundlegende Vorsicht gegenüber der heutigen Wissenschaft einerseits nicht unangebracht.
Herr Burkart kehrt dies nun aber gerade um. Er wittert überall die Total-Hybris der Wissenschaft, die behauptet, der Mensch könne ungewollt das Klima überhaupt nennenswert oder gar gravierend beeinflussen.
Das Erste, was er dabei verkennt, ist, dass jene Wissenschaftler, die nun warnen, gerade nicht zu jener Fraktion der Menschheit gehören, die sich voller Hybris die Erde unterwirft, sondern die schlichtweg Daten sammeln und auswerten. Er schlägt Rudolf Steiners Hinweis in den Wind, dass man die Forschungsergebnisse der Wissenschaft sehr wohl jederzeit zur Kenntnis nehmen soll.
Und jetzt kommt dieser verhängnisvolle Hochmut ins Spiel, den er den Wissenschaftlern anlastet, ohne ihn bei sich selbst zu erkennen – weder generell (die Selbstliebe beim Reden, die bei ihm offensichtlich ist, sowohl in der Mimik als auch den Formulierungen), noch speziell bei diesem Thema und überhaupt in der Tatsache, sich gegen die ,Mainstream-Wissenschaft’ zu stellen. Es ist offensichtlich, dass überall im Internet Menschen unbewusst eine große Lust und Befriedigung daraus ziehen, sich selbst als über die Wissenschaft erhaben anzusehen, ,als Einzige den Durchblick zu haben’, als Einzige ,die Lügen zu durchschauen’ etc. etc.
Was vielfach angestrebt werden muss, das Durchschauen von Doppelmoral, von Machtstrukturen etc. (was zum Beispiel die Soziologie mehrere Jahrzehnte lang großartig leistete, ebenso die 68er Generation), das nimmt heute eine Eigendynamik an, die ins Gegenteil umschlägt. Statt Machtstrukturen wittert man offene Lügen, dies auch nicht an einzelnen Stellen, sondern überall. Mit anderen Worten: Es gibt kein Halten mehr. Letztlich wird es so sein, dass man nicht nur bei Politikern generell von Lügen ausgeht, sondern auch bei Wissenschaftlern – und im letzten Schritt bei jedem Menschen überhaupt. Man wird überall nur noch Lüge wittern, weil man nicht mehr glauben kann, dass ein Mensch auch nur halbwegs noch der Wahrheit verpflichtet sein könnte. Herr Burkart trägt mit dazu bei.
Er zieht die Wissenschaft da heran, wo er sie für seine Zwecke benutzen kann – und was ihm nicht gefällt, soll auf einmal Lüge und maßlose Übertreibung, Verkennung der Tatsachen, Hysterie etc. etc. sein.
Vom Balken im eigenen Auge
Was also liegt in Zusammenschau vor?
Es ist selbst eine Hybris, ein Hochmut, der einerseits in der eigenen Natur liegt (ein gewisser mitgebrachter Narzissmus), andererseits in der eigenen Weltanschauung, die für Auserwähltheits-Gedanken geradezu prädestiniert und die um so vorsichtiger und um so wahrhaftiger machen müsste (man vergleiche Steiners Betonung der Devotion schon in ,Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?’ sowie weitere zahllose Hinweise gerade in dieser Richtung seelischer Läuterung).
Aber was interessiert das einen waschechten Pseudo-Anthroposophen? Lieber stellt man sich hin und fordert die jungen Menschen auf, ein ,Wahrheitsdenken zu üben’ und doch mal ein bisschen zu überlegen, um zu erkennen, dass es doch noch ein paar Grad wärmer werden könnte, weil, den Römern habe es ja auch nicht geschadet, im Gegenteil. – Man kann hier, mit Verlaub, in Wirklichkeit den Unterschied zum bloßen Stammtisch-Niveau kaum noch erkennen.
Der wesentliche Faktor neben dem Hochmut ist das mangelnde reale Gefühl von Verantwortung. Es wird einfach nicht gespürt, was zwei, drei Grad Erwärmung global real bedeuten. Um dies zu erkennen, ist der Mensch auch viel zu klein! Da ist es völlig wahr, von Hybris zu sprechen, wenn man sagen würde: ,Ich kann mir das sofort vorstellen.’ Aber Herr Burkart tut genau das: Er stellt sich hin und sagt: ,Ich kann es mir sofort vorstellen, Leute, und ich kann euch beruhigen: Es ist kein Problem. Es würde uns sogar gut tun.’ Mehr Hybris ist wirklich kaum denkbar! Er, Burkart, stellt sich hin und ,weiß’, was uns, der Erde, den kosmischen Zusammenhängen und überhaupt ,gut tun’ würde!
Und was noch dazukommt, ist die Tatsache, dass bei den bisherigen Szenarien mit zwei, drei, vier, fünf Grad Erwärmung ja kein Endpunkt erreicht ist. Diese Voraussagen gelten nur für dieses Jahrhundert! Niemand hat bisher vorausgesagt, was passiert, wenn der CO2-Gehalt noch weiter steigt. Das aber blendet Herr Burkart erst recht völlig aus. Er hantiert nach rückwärts mit Jahrmillionen, aber die Zukunft interessiert ihn schlichtweg nicht. Hier agiert er total blauäugig. Auf der einen Seite also die Hybris, sich über Tausende von Wissenschaftlern zu erheben, auch über all die jungen Menschen, die jetzt in Sorge um diesen Planeten auf die Straße gehen, und sich (Burkart) also auf die Seite der Politiker zu stellen, die den Kopf in den Sand stecken und an nationalen Egoismen ersticken, und auf der anderen Seite eine Bewegung absoluter Regression mit dem Motto: ,Mutter Erde wird es schon richten, das hat sie ja immer getan.’ Ja – nur dass ihr der Sohn mittlerweile über den Kopf gewachsen ist und sein Vernichtungswerk längst angetreten hat.
Die jungen Menschen gehen gegen die Hybris auf die Straße. Sie sind es, die sagen: ,Wir haben nur diesen einen Planeten.’ Sie sind es, die sagen: ,Ihr klaut uns die Zukunft.’ Sie sind es, die sagen: ,Ihr habt eure Hausaufgaben nicht gemacht.’ Doch Herr Burkart stellt sich oberlehrerhaft hin und sagt: ,Geht nach Hause, Leute, macht Denkübungen, es ist noch längst nicht warm genug.’
Mehr Hybris und weniger Verantwortungsempfinden geht nicht. Herr Burkart ist ganz Kopf. Wo sein Herz sein sollte, steckt nur der eigene Hochmut. Er sollte als erstes lernen, die jungen Menschen ernst zu nehmen; nicht in jedem Wissenschaftler den geborenen Machtmenschen zu sehen; die Erde wirklich lieben zu lernen – und seinen eigenen Narzissmus etwas in den Blick zu bekommen.
Das hängt miteinander zusammen. Ein Narzisst kann die Erde nicht lieben. Er kann es sich immer nur einbilden. Was ein Narzisst liebt, ist sein eigenes Rechthaben. Nicht die Erde. Nicht die Jugend. Nicht die Zukunft. Die Erde ist ihm nur Vehikel für die Entfaltung seiner ach so ,kosmischen Weltanschauung’ (eine Verwandtschaft mit dem, was Steiner die ,theosophischen Tanten’ nannte), die Jugend schickt er herablassend wieder nach Hause – und die Zukunft ist ihm durch regressives Betonen der ,Übermutter Erde’ ohnehin gesichert.
Herr Burkart liegt mit seinem selbstgewissen Szenario völlig falsch. Die Menschheit steht längst wenige Schritte vor dem Abgrund – nicht nur in Bezug auf das Klima, aber auch. Wir müssen die Zerstörung der Erde beenden. Wir müssen die nationalen Egoismen beenden. Wir müssen – um diese große Erkenntnis kommen wir als Menschheit nicht herum – völlig neue Strukturen für das Zusammenleben und an erster Stelle für das Wirtschaftsleben finden. Ohne das Erleben der Einen Menschheit – mit der Konsequenz, dass das Zusammenleben nicht auf Konkurrenzkampf und Ausbeutung basieren kann – wird es keine Zukunft geben.
Letztlich gehen die jungen Menschen – das ist doch offensichtlich – auch dafür auf die Straße. Denn auch hier wird ihnen ihre Zukunft genommen.